Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Zivilsenat) - 2 U 39/10

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der Zivilkammer 3 des Landgerichts Stendal vom 10.03.2010 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.199,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.08.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 3/5 und die Beklagte zu 2/5. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 2/5 und die Beklagte zu 3/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

2

Die Berufung ist zulässig und zum Teil begründet.

3

Der Klägerin steht gegen die Beklagte wegen der durch die Hundebisse am 18.08.2008 erlittenen Verletzungen gemäß § 833 S. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 5.199,51 EUR zu; der Anspruch setzt sich aus einem Schmerzensgeld von 4.500, - EUR, einer anteiligen Erstattung der Kosten für die ärztlichen Befundberichte von 39,51 EUR und einem Ausgleich für die ausgefallene Haushaltstätigkeit von 660, - EUR zusammen. Hinsichtlich der Feststellung, dass die Beklagte auch zum Ersatz sämtlicher zukünftiger Schäden aus dem Vorfall vom 18.08.2008 verpflichtet sei, fehlt es der Klägerin hingegen an dem erforderlichen Feststellungsinteresse.

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1. Die Beklagte ist als Halterin des Hundes „B.“ dem Grunde nach zum Ersatz der Schäden verpflichtet, die die Klägerin am 18.08.2008 infolge der Hundebisse in die Wade ihres rechten Beins erlitten hat. Denn in den Hundebissen verwirklichte sich, wie es § 833 S. 1 BGB voraussetzt, eine typische Tiergefahr. Die typische Tiergefahr zeichnet sich durch ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten des Tieres aus (s. BGH, Urteil v. 20.12.2005 – Az.: VI ZR 225/04 -, NJW-RR 2006, 813, 814; BGH, Urteil v. 06.07.1976 – Az.: VI ZR 177/75 -, NJW 1976, 2130, jeweils m.w.N.). Das wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

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2. Für die erlittenen Verletzungen kann die Klägerin ein Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) von – nur - 4.500, - EUR beanspruchen.

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a) Allerdings fällt der Beklagten, neben der von ihrem Hund „B.“ ausgehenden Tiergefahr, auch eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung zur Last. Denn die Beklagte hatte, ausweislich ihrer eigenen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung vom 28.08.2008, schon vor der Verletzung der Klägerin bemerkt, dass der Hund „irgendwie ängstlich reagierte“ und er „sich zu sehr bedrängt fühlte und unter Stress stand“. Gleichzeitig wusste sie, dass „wenn der B. unter Stress steht, . . . es schnell kommen (kann), dass er beißt“ (Bl. 9/11 d. BA). Sie will die Klägerin hierauf sogar hingewiesen haben, um diese zu veranlassen, von ihren Bemühungen, den Hund mit einer Leberwurst in den Wagen zu locken, Abstand zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte - etwa durch ein entsprechendes Festhalten des Hundes am Halsband, nicht nur an der (kurzen) Leine – unbedingt verhindern müssen, dass der Hund in die Reichweite der auf das Haus zugehenden Klägerin gelangte.

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b) Darüber hinaus wird die Höhe des Schmerzensgeldes wesentlich von den schweren Verletzungsfolgen mitbestimmt, die sich aus dem Hundebiss entwickelt haben. Wegen einer zunehmenden Wundinfektion musste sich die Klägerin eine Woche nach dem Vorfall, am 25.08.2008, in stationäre Krankenhausbehandlung begeben; der Aufenthalt im Krankenhaus dauerte bis zum 23.09.2008. Ausweislich des Arztbriefes des Chefarztes Dr. J. vom 24.10.2008 an die Klägervertreter erfolgte ein Wunddébridement mit Ausschneidung abgestorbenen Weichgewebes und einer intensiven Weichteilbehandlung mit Spülung und Anlage eines Vakuum-Vebandes. Nach Beherrschung der Infektion konnte dann am 15.09.2008 eine Hautverpflanzung in den Defekt am rechten Unterschenkel vorgenommen werden. Die Klägerin war, ihrem weiteren – unbestrittenen – Vortrag zufolge, im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt noch bis zum 05.10.2008 auf die Benutzung zweier Unterarmstützen und in der Zeit vom 06.10. bis 02.11.2008 auf die Hilfe einer Unterarmstütze angewiesen. Von einem Dauer- oder Folgeschaden ist hingegen nichts bekannt (dazu noch unter Ziff. 5.).

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c) Auf der anderen Seite ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen, das mit einem Drittel zu bewerten ist (zur Berücksichtigung des Mitverschuldens gegenüber der Gefährdungshaftung des § 833 BGB: OLG Koblenz, Urteil v. 03.07.2003 – Az.: 5 U 27/03 -, NJW 2003, 2834 f.; Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl., § 833 Rdn. 13).

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Wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 12.01.2010 vorgetragen hat, war ihr bekannt, dass der Hund „B.“ seine Halterin, die Beklagte, am 05.01.2004 oder am 05.01.2005 - jedenfalls am Geburtstag der verstorbenen Mutter der Klägerin – in den Unterschenkel gebissen hatte, und zwar so stark, dass „anschließend Fleisch von diesem in der Trainingshose der Beklagten zurückblieb“. Am Unfalltag selbst hatte die Klägerin für eine zusätzliche Irritation des Hundes durch ihre mehrfachen (vergeblichen) Bemühungen gesorgt, ihn – auch mittels einer Leberwurst - zum Einsteigen in den Pkw der Beklagten zu bewegen. Ob sie diese Versuche sogar gegen den erklärten Willen der Beklagten fortgesetzt hat, lässt sich mangels Benennung geeigneter Beweismittel nicht mehr aufklären. Auf jeden Fall hätten die ihr bekannten – unstreitigen – Umstände die Klägerin veranlassen müssen, beim anschließenden Gang zum Haus mit der Beißfreudigkeit des Hundes zu rechnen und insofern besondere Vorsicht an den Tag zu legen. Diese Sorgfalt ist von der Klägerin jedoch offenkundig nicht beachtet worden.

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Das gilt unabhängig davon, ob sie von der Beklagten außerdem – wie diese behauptet, von der Klägerin aber bestritten wird – ausdrücklich an die von dem Hund stressbedingt ausgehende Gefahr erinnert worden ist und ob sie sich im Vorbeigehen „noch leicht nach vorn“ (vgl. polizeiliche Vernehmung der Beklagten, Bl. 9/11 d. BA) gebeugt hat.

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d) Bei einer Abwägung sämtlicher vorstehenden Gesichtspunkte erscheint ein Schmerzensgeld von 4.500, - EUR als angemessen. Der Schadensvorgang hat sich im nachbarschaftlichen, möglicherweise sogar freundschaftlichen Verhältnis zweier älterer Damen zueinander ereignet. Das Verschulden beider Beteiligten ist gering, ein aggressives oder eigensüchtiges Vorgehen kann der Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden.

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3. Die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten für die ärztlichen Befundberichte - insgesamt 59,27 EUR – wird dem Grunde nach von der Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen. Allerdings ist auch insofern gemäß § 254 Abs. 1 BGB ein anteiliges Mitverschulden von ein Drittel zu berücksichtigen, so dass die Beklagte nur einen Betrag von 39,51 EUR zu ersetzen hat.

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4. Der Haushaltsführungsschaden ist – entsprechend dem Urteil des Landgerichts - mit insgesamt 990, - EUR anzusetzen, von dem die Klägerin zwei Drittel – das sind 660, - EUR – nach §§ 843, 844 BGB ersetzt verlangen kann.

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a) Die Berechnung der Höhe des Haushaltsführungsschadens durch das Landgericht enthält – abgesehen von der Frage des Mitverschuldens – keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten. Die erste Instanz ist von einer Beeinträchtigung der Arbeitskraft der Klägerin in dem Zeitraum zwischen ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, am 23.09.2008, und dem vollständigen Verzicht auf die Benutzung der Unterarmstützen, am 02.11.2008, ausgegangen. Für diese etwa sechs Wochen hat das Landgericht der Klägerin die von ihr geltendgemachten Kosten einer Haushaltshilfe von 660, - EUR netto monatlich zuerkannt. Es hat die Forderung als berechtigt angesehen, weil sich aus einer Alternativ- bzw. Vergleichsberechnung erheblich höhere Ersatzleistungen ergeben hätten. Nach dieser Vergleichsberechnung wäre in der Zeit vom 24.09. bis 05.10.2008 bei einer 80 %igen Beeinträchtigung der Arbeitskraft ein Ausfall der Haushaltstätigkeit von 7,42 Stunden täglich – insgesamt von 89,04 Stunden – und in der Zeit vom 06.10. bis 02.11.2008 bei einer 50 %igen Beeinträchtigung ein Ausfall von 4,64 Stunden täglich – insgesamt von 129,92 Stunden – entstanden. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts Bezug.

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b) Zu Unrecht beanstandet die Beklagte demgegenüber, dass es an einem ausreichenden Vortrag der Klägerin zur haushaltsspezifischen Minderung der Erwerbsfähigkeit fehle, weshalb dem Gericht auch keine Schätzung des Haushaltsführungsschadens möglich gewesen sei. In ihrer Klageschrift vom 16.10.2009 (Seite 6) ist von der Klägerin unwidersprochen vorgetragen worden, dass sie üblicherweise drei Mahlzeiten zubereitet, die Wohnung täglich gereinigt, ständig für frische Wäsche, insbesondere für frische Bettwäsche ihres Ehemannes, gesorgt und den Ehemann gepflegt (Pflegestufe II) habe, wozu sie während der drei Monate nach ihrer Verletzung jedoch nicht in der Lage gewesen sei. Den Aufwand für die angegebenen Tätigkeiten hat die Klägerin in ihrem weiteren Schriftsatz vom 03.02.2010 (Seite 2) mit 100 Stunden monatlich veranschlagt. Das erscheint als Grundlage für die von dem Landgericht gemäß § 287 ZPO vorgenommene Schätzung ausreichend.

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c) Der in erster Instanz zuerkannte Ausgleich für den Haushaltsführungsschaden ist jedoch gemäß § 254 Abs. 1 BGB ebenfalls um einen Mitverschuldensanteil der Beklagten von einem Drittel zu kürzen.

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5. Die Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz aller zukünftigen Schäden aus dem Vorfall vom 18.08.2008 ist mangels eines Feststellungsinteresses abzuweisen.

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a) Eine Klage auf Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (st. Rspr., etwa BGH, Beschluss v. 09.01.2007 – Az.: VI ZR 133/06 -, MDR 2007, 792; BGH, Urteil v.16.01.2001 – Az.: VI ZR 381/99 -, NJW 2001, 1431, 1432, jeweils m.w.N.).

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b) In ihrer Klageschrift vom 16.10.2009 (Seite 7) hat die Klägerin lediglich pauschal behauptet, es stehe „zu befürchten, dass der Klägerin ein Dauerschaden verbleibt und dass mit Folgeschäden zu rechnen ist“. Irgendeinen Bezug zu den im konkreten Fall erlittenen Verletzungen ist durch sie nicht hergestellt worden. Insbesondere hat die Klägerin nicht etwa behauptet, dass sie – zeitweilig oder dauernd – noch irgendwelche Schmerzen als Folge des Hundebisses verspüre. Vielmehr heißt es in dem – von der Klägerin vorgelegten – Schreiben des Chefarztes Dr. J. vom 24.10.2008 an die Klägeranwälte:

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„Verbleiben werden aufgrund dieser Verletzungsfolge auf jeden Fall Narben sowohl im Entnahmebereich im Oberschenkel als auch im Bereich des rechten Unterschenkels. Inwieweit Bewegungseinschränkungen in den benachbarten Knie- und Sprunggelenk eingetreten sind, kann ich, ohne die Patientin zu untersuchen, nicht beurteilen. Die Weichteile sollten folgenlos ausgeheilt sein.“

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Von – eingetretenen – Bewegungseinschränkungen in dem benachbarten Knie- und Sprunggelenk ist weder vorprozessual noch im jetzigen Rechtsstreit die Rede gewesen. Auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung, etwa zwei Jahre nach dem Schadensereignis, sind keine neuen Verletzungsfolgen zutage getreten, wie der Klägervertreter auf ausdrückliche Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Unter diesen Umständen gestattet allein die Art der durchgeführten Operation, eine Hauttransplantation, keinen Rückschluss auf die Möglichkeit eines (weiteren) Schadenseintritts.

III.

22

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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