Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 44/13
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.3.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau (4 O 760/11) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges ..., Fahrzeug-Ident-Nr. ..., amtliches Kennzeichen ..., 14.034,76 Euro zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 76 % und die Klägerin zu 24 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.490,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Klägerin kaufte mit verbindlicher Bestellung vom 16.12.2008 (K1 Anlagenband) bei der Beklagten einen gebrauchten Pkw ... zum Preis von 18.490,-- Euro. Im Kaufvertrag wird eine Laufleistung von 7.735 Km angegeben. Vertragsbestandteil geworden ist eine Gebrauchtwagengarantie der Beklagten (K2 AB). Weiter heißt es in dem Vertrag:
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Zahl, Umfang und Art von Mängeln und Unfallschäden lt. Vorbesitzer: [nein]
- 3
Dem Verkäufer sind auf andere Weise Mängel und Unfallschäden bekannt: [nein]
- 4
Die Beklagte ihrerseits hatte das Fahrzeug mit Vertrag vom 13.8.2008 von der H. GmbH erworben (B1 AB; Laufleistung: 7.731 Km). Bei der Firma H. handelt es sich nach dem Vortrag der Beklagten um einen gewerblichen Zwischenhändler, über den die ... AG Dienstfahrzeuge veräußert. Die Beklagte verweist insoweit auf die Rechnung, die die ... AG mit Datum vom 11.8.2008 gegenüber der H. GmbH gelegt hat (B2 AB). In dieser Rechnung heißt es u.a.: Optische Mängel 335,70 Euro. Weitere Angaben zu Vorschäden enthält weder diese Rechnung noch die von der Fa. H. gegenüber der Beklagten erstellte Rechnung vom 13.8.2011.
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Am 8.7.2011 wurde die Klägerin in einen Auffahrunfall verwickelt. Im Rahmen der Regulierung des Unfallschadens wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt (K5 AB). In seinem Gutachten führt der Sachverständige R. unter der Position: Behobene Vorschäden aus:
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- Seitenwand links erneuert
- Tür hinten links mit erhöhter Lackschichtendicke
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Den durch den Auffahrunfall entstandenen Minderwert am streitgegenständlichen Fahrzeug hat der Sachverständige mit 300,-- Euro angegeben.
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Mit Anwaltsschreiben vom 27.7.2011 hat die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt (K7 AB) und verlangt Rückabwicklung des Vertrages unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung (Laufleistung im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung: 32.552 Km/Gesamtfahrleistung im Zeitpunkt der Stilllegung des Fahrzeuges: 34.627 km). Sie ist der Ansicht, dass die Beklagte sie über die bei Abschluss des Kaufvertrages bestehenden Mängel habe aufklären müssen. Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung des vollen Kaufpreises (ohne Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung) sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
- 9
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie bestreitet, dass überhaupt ein Schaden am Fahrzeug vorliegt und dass dieser bei Abschluss des Kaufvertrages existiert habe. Sie selbst habe keinerlei Kenntnis von Mängeln gehabt. Sie habe ihrerseits das Fahrzeug von einem Zwischenhändler übernommen, über den aber in Wirklichkeit die ... AG direkt gebrauchte Dienstwagen vertreibe. Sie habe sich daher auf die Angaben von ... gegenüber der H. GmbH verlassen dürfen. Weitere Recherchen zur Reparaturhistorie habe sie nicht anzustellen brauchen.
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Zu dieser Reparaturhistorie hat das Landgericht eine Auskunft der ... AG eingeholt. Dort heißt es (Bl. 46):
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An dem Fahrzeug der Klägerin sind ausweislich der Reparaturhistorie vor dem 16.12.2008 folgende Maßnahmen durchgeführt worden:
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„Abdeckung für Stoßfänger hinten aus- und eingebaut, Stoßfänger Abdeckung instandgesetzt. Seitenteile demontiert. Seitenteil hinten ersetzt. Seitenteil hinten montiert; Karosserie Lackierung vorbereitet. Abdeckung der Stoßfänger hinten lackiert; Seitenteil hinten lackiert. Zierleiste NTL lackiert“
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Darüber hinaus wird mitgeteilt, dass keine Angaben darüber gemacht werden können, was die Ursache für die Reparatur war.
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Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
- 15
Das Landgericht hat neben der Einholung der vorgenannten Auskunft der ... AG den Ehemann der Klägerin, sowie den Sachverständigen aus dem Unfallschadensfall als Zeugen gehört. Insoweit wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 18.6.2012 (Bl. 31-33).
- 16
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage bis auf einen geringen Teil der Zinsforderung stattgegeben: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der streitgegenständliche Schaden nicht während der Besitzzeit der Klägerin entstanden sei. Im Übrigen treffe die Beklagte eine Untersuchungspflicht, sie hätte sich - was nach der Auskunft der ... AG allen Händlern möglich sei - über die Reparaturhistorie informieren müssen. Die Beklagte habe daher das Vorliegen von Mängeln und Unfallschäden verneint, obgleich sie es habe besser wissen müssen. Es liege eine Täuschung durch Verschweigen vor.
- 17
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie rügt, dass das Landgericht die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung zu Unrecht bejaht habe. Da sie de facto - die Fa. H. sei nur als Zwischenhändler eingeschaltet - das Fahrzeug direkt von der ... AG erworben habe, habe sie sich auf den Inhalt der Rechnung (gegenüber der H. GmbH) verlassen dürfen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 3.6.2013, mit der die Beklagte ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt (Bl. 104ff.).
- 18
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen, sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz. Die Klägerin trägt vor, dass sie an sich sogar zweifach getäuscht worden sei. Einmal dadurch, dass es sich entgegen der Zusicherung doch um ein Unfallfahrzeug gehandelt habe. Zum anderen sei sie dadurch getäuscht worden, dass die Beklagte nicht die einzige und erste Händlerin gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 30.8.2013 (Bl. 117ff.).
II.
- 19
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat nur zum Teil Erfolg. Gegenüber dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreise ist die Nutzungsentschädigung im Rahmen der Abwicklung des Kaufvertrages (§ 346 Abs. 1 BGB) zu berücksichtigen.
- 20
Der Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag gemäß § 437 Nr. 2 BGB ist nicht verjährt. Zwar wurde mit der Gebrauchtwagengarantie die Gewährleistungsfrist grundsätzlich wirksam auf 1 Jahr begrenzt (da es sich um den Kauf einer gebrauchten Sache handelt, auch soweit ein Gebrauchsgüterkauf vorliegt [§ 475 Abs. 2 HS 2 BGB]). Die Beklagte hat auch in der Klageerwiderung die Einrede der Verjährung erhoben. Die Verjährungsfrist von 1 Jahr gilt aber nicht, soweit der Mangel arglistig verschwiegen wurde. In diesem Fall verweist § 438 Abs. 3 S. 1 BGB auf die regelmäßige Verjährungsfrist. Diese beträgt nach § 195 BGB 3 Jahre. Die Verweisungsvorschrift aus § 438 Abs. 3 S. 1 BGB bezieht sich dabei nicht nur auf die Ver-jährungsfrist, sondern auch auf den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns gemäß § 199 BGB (MK-H.P. Westermann BGB, 6. Aufl., § 438, Rn. 28; Reinicke/Tiedtke Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 695). Im Falle von Arglist konnte die Verjährungsfrist somit nicht vor dem 31.12.2011 enden und konnte durch die Klageerhebung vom 19.12.2011 (Zustellung der Klageschrift: 23.12.2011) gehemmt werden (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
- 21
Im Ergebnis ist mit dem Landgericht von einem arglistigen Verhalten der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat im Kaufvertrag eine Erklärung „ins Blaue hinein“ zur Frage der Unfallfreiheit des streitgegenständlichen Fahrzeuges abgegeben, soweit es dort heißt, dass nach Angaben des Vorbesitzers keine Unfallschäden vorliegen. Eine solche Erklärung hat aber weder die ... AG gegenüber der Fa. H. (wobei vorliegend dahinstehen kann, welche Stellung die H. AG im Verteilungssystem der ... AG einnimmt), noch diese gegenüber der Beklagten abgegeben. Der Erklärung im Kaufvertrag mit der Klägerin fehlte damit die tatsächliche Grundlage. Machte der Vorbesitzer (wobei weiter dahinstehen kann, ob dies im Hinblick auf die Eintragungen in der Zulassungsbescheinigung Teil II auf die H. AG überhaupt zutrifft) keine Angaben zur Unfallfreiheit, musste die Klägerin bevor sie selbst diese Erklärung abgab entweder das Fahrzeug untersuchen oder die Reparaturhistorie bei der ... AG abfragen. Zwar mögen solche Rückfragen bei Vorbesitzern nicht in allen Fällen von Gebrauchtwagenverkäufen erforderlich sein (oder auch nur möglich sein; längere Verkaufsketten zumal unter Beteiligung von Privaten). Ist aber der Hersteller des Fahrzeuges (jedenfalls rein tatsächlich) auch der 1. - und bislang einzige - Besitzer (Nutzer und Halter) des Fahrzeuges und hält dieser (jederzeit abrufbare) Informationen über die Reparaturhistorie vor, dann muss (jedenfalls) ein gewerblicher Händler auf diese Information zurückgreifen, bevor er eine Erklärung über die Unfallfreiheit abgibt. Nimmt er diese Möglichkeit nicht in Anspruch, handelt er dann arglistig, wenn die Nachfrage einen offenbarungspflichtigen Mangel erbracht hätte. Davon ist im Hinblick auf den Inhalt der Auskunft der ... AG gegenüber dem Landgericht und den unstreitig am Fahrzeug vorgenommenen Arbeiten auszugehen. Wenn Karosserieteile herausgeschweißt und durch neue ersetzt werden, kann es sich nur um einen Unfallschaden handeln, der ja nicht nur dann angenommen werden kann, wenn mehrere Fahrzeuge in das Geschehen verwickelt sind (zum Begriff des Unfalls: Reinking/ Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 3094). Gab es aber Anhaltspunkte, die das Vorliegen eines Unfallschadens evident naheliegend erscheinen lassen mussten, hätte die Beklagte die Klägerin darüber ungefragt aufklären müssen. Dass die Klägerin dann vom Kauf Abstand genommen hätte, hat sie bei ihrer Anhörung durch den Senat glaubhaft dargelegt.
- 22
Da nach den Gesamtumständen von einem Unfallschaden auszugehen ist, steht dem Rücktritt nicht entgegen, dass im Schreiben vom 27.7.2011 keine Frist i.S.v. § 323 Abs. 1 BGB gesetzt wurde. Eine Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Mangel seiner Natur nach nicht beseitigt werden kann, was für den Umstand, dass ein Unfallschaden vorliegt immer gilt, weil dieser nachträglich nicht mehr entfallen kann (es kann somit dahinstehen, ob eine Fristsetzung beim Verbrauchsgüterkauf überhaupt erforderlich ist oder insoweit das Abwarten einer angemessenen Frist ausreicht [dazu: Palandt/Grüneberg BGB, 72. Aufl., § 323, Rn. 12] und ob eine solche Frist im Zeitpunkt 27.7.2011 bereits abgelaufen war).
- 23
Im Falle der Durchführung des Rücktritts sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Insoweit spielt es keine Rolle, dass sich die Beklagte nicht auf die Berücksichtigung der Nutzungsentschädigung beruft, weil dies von § 346 Abs. 1 BGB bereits vorausgesetzt wird. Die Klägerin hat unwidersprochen eine Gesamtnutzungsstrecke von 34.627 Kilometern vorgetragen. Bei einer (gemäß § 287 ZPO zu schätzenden) Restlaufleistung von 150.000 km ergibt sich (Berechnung nach Reinking/ Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 3564) eine Nutzungsentschädigung von 12 cent/km oder gesamt von 4.155,24 Euro. Um diesen Betrag ist der zurückzuzahlende Kaufpreis:
- 24
18.490,00 Euro
./. 4.155,24 Euro
14.334,76 Euro
- 25
zu mindern. Weiter abzusetzen ist der vom Sachverständigen R. ermittelte Minderwert in Bezug auf den Auffahrunfall in Höhe von 300,-- Euro, sodass ein Restbetrag von 14.034,76 Euro verbleibt, den die Beklagte Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges an die Klägerin zu zahlen hat.
- 26
Die Klägerin hat weiter Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, soweit ihr Anspruch begründet ist. Ausgehend von einem Gegenstandswert von bis zu 16.000,-- Euro errechnet sich ein Betrag von
- 27
1,3 (VV 2300) x 566,-- Euro =
735,80 Euro
zzgl.
40,00 Euro
775,80 Euro
zzgl. 19 % MwSt
147,40 Euro
923,20 Euro
- 28
Da das Landgericht nur 899,40 Euro zugesprochen hat, kann die Berufung insoweit keinen Erfolg haben.
- 29
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Bei der Zug-um-Zug-Verurteilung bleibt der Wert der Gegenleistung unberücksichtigt (Zöller/Herget ZPO, 29. Aufl., § 3. Rn. 16 [Zug-um-Zug-Leistungen]).
- 30
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Referenzen
- BGB § 346 Wirkungen des Rücktritts 2x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- BGB § 438 Verjährung der Mängelansprüche 2x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 195 Regelmäßige Verjährungsfrist 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 204 Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- BGB § 323 Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung 1x
- BGB § 437 Rechte des Käufers bei Mängeln 1x
- BGB § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen 1x
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 1x
- 4 O 760/11 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x