Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (Kartellsenat) - 2 U 5/13 (Kart)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 5. Dezember 2012 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil des Senats und das o.a. Urteil des Landgerichts sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Gründe

A.

1

Die Klägerin begehrt mit ihrer im Dezember 2011 eingereichten Klage die gerichtliche Bestimmung des angemessenen Stromnetznutzungsentgelts für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2008 sowie – im Wege der Stufenklage – von der Beklagten die Rückzahlung überhöhter Netznutzungsentgelte für das Jahr 2008. Sie schätzt diesen Anspruch auf mindestens 18 % der von ihr gezahlten Beträge.

2

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das bundesweit mit Strom und Gas handelt, ohne selbst über ein eigenes Verteilnetz zu verfügen. Die Beklagte ist eine 100 %-ige Tochter der A. AG (A.), deren Geschäftskapital teilweise von der E. AG gehalten wird; sie betreibt ein Stromverteilungsnetz in Mitteldeutschland.

3

Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen nutzten das Netz der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.05.2001. Am 11.04/25.06.2003 schlossen die hinsichtlich des Vertragsverhältnisses als Rechtsvorgängerin der Klägerin anzusehende L. GmbH (künftig einheitlich: die Klägerin) und die insoweit als Rechtsvorgängerin der Beklagten handelnde A. AG einen Händlerrahmenvertrag über den Transport von elektrischer Energie an Kunden der Klägerin über das Netz der Beklagten. Der Vertrag trat am 25.06.2003 in Kraft und läuft auf unbestimmte Zeit (vgl. Ziffer 14.1 des Vertrags). Die Vertragsparteien vereinbarten u.a., dass die Klägerin der Beklagten für die Netznutzung ein Entgelt gemäß der als Anlage 3 dem Vertrag beigefügten Preisregelung zu zahlen hat (vgl. Ziffer 6.1 des Vertrags). In Ziffer 6.2 des Vertrags behielt sich die Netzbetreiberin eine einseitige Preisanpassung vor „bei Änderung der spezifischen Kosten, die für die Berechnung maßgebend sind, und bei Novellierung der zu Grunde liegenden Gesetze sowie der VV II plus“. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anlage K 2 (Anlagenband II) Bezug genommen.

4

Die Unterzeichnung des Händlerrahmenvertrags vom 11.04./25.06.2003 erfolgte nur unter dem ebenfalls unter dem 11.04.2003 von der Klägerin formulierten Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen Überprüfung der Netznutzungsentgelte im Ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen und unter dem Vorbehalt der Rückforderung oder anderweitigen Verrechnung; wegen der Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Vorbehalts (vgl. Anlage K 5, Anlagenband II) Bezug genommen. Die Klägerin erteilte der Netzbetreiberin zur Zahlungsabwicklung eine entsprechende Einzugsermächtigung. Sie wiederholte in regelmäßigen Abständen ihre Erklärung, dass jegliche Zahlungen unter dem o.a. Vorbehalt erfolgten.

5

Seit dem 01.01.2005 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die A. Verteilnetz GmbH, die Aufgaben der Netzbetreiberin übernommen, hierzu das weiterhin im Eigentum der Muttergesellschaft stehende Netz gepachtet und die Vertragsstellung ihrer Rechtsvorgängerin im Händlerrahmenvertrag übernommen (künftig einheitliche Bezeichnung der Vertragspartnerin der Klägerin als: die Beklagte).

6

Die Klägerin erachtet die Preisbildung der Beklagten als unbillig. Hinsichtlich der Netznutzungsentgelte für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 28.10.2005, d.h. für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten von gesetzlichen Bestimmungen zur Entgeltregulierung durch einen Genehmigungsvorbehalt, ist ein Rechtsstreit beim Landgericht Magdeburg unter dem Aktenzeichen 36 O 18/09 anhängig (künftig: Parallelrechtsstreit); in diesem Rechtsstreit findet derzeit eine Beweisaufnahme statt. Hinsichtlich der Netznutzungsentgelte für den Zeitraum vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 ist die auf gerichtliche Bestimmung eines angemessenen Netznutzungsentgelts und Rückzahlung überzahlter Teilbeträge gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen worden (Az.: 36 O 246/09 LG Magdeburg = 1 U 40/10 OLG Naumburg = EnZR 105/10 BGH – dort Urteil v. 15.05.2012 „Stromnetznutzungsentgelt V“; künftig: Vorprozess). Zudem ist ein Rechtsstreit hinsichtlich der Netznutzungsentgelte für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2007 anhängig (Az.: 36 O 260/10 LG Magdeburg = 2 U 6/13 Kart OLG Naumburg).

7

Für das Jahr 2008 war das Preisblatt lt. Anlage K 3 (Anlagenband II) gültig, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Die dort aufgeführten Preise genehmigte die Bundesnetzagentur auf Grund von § 23a EnWG durch ihren Bescheid vom 13.03.2008 (BK 8 – 07/151). Der Klägerin ist dieser Bescheid im Wesentlichen in der Fassung der teilweise geschwärzten Ablichtung bekannt, die als Anlage K 13 zur Gerichtsakte gereicht worden ist (vgl. Anlagenband II). Die Genehmigung war vom 01.01. bis zum 31.12.2008 befristet. Die erteilte Genehmigung stand unter dem Vorbehalt des Widerrufs. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen. Ein Widerruf dieses Bescheids erfolgte nicht, auch nicht teilweise.

8

Die Klägerin hat behauptet, dass die Beklagte im Rahmen der Vertragsabwicklung im Jahr 2008 (mit ihrer Rechtsvorgängerin L. GmbH & Co. KG) laut Tarifzähler Privatkunden eine Durchleitung von ... kWh und laut Lastprofilzähler Sonderkunden eine Durchleitung von ... kWh vorgenommen habe, wofür die Klägerin insgesamt netto ... € gezahlt habe. Hierzu hat sie die Einzelaufstellungen vorgetragen und zur Gerichtsakte gereicht (vgl. Anlage K 2, Anlagenband I und II).

9

Sie hat die Auffassung vertreten, dass insbesondere auch die Netznutzungsentgelte der Beklagten für das Jahr 2008 unbillig gewesen seien. Die Indizwirkung der Genehmigung der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008 sei hier erschüttert, weil sich bereits aus dem Bescheid selbst ergebe, dass eine Prüfung des Genehmigungsantrags nur rasterhaft und damit unvollständig erfolgt sei. Der Bescheid der Bundesnetzagentur beruhe zum Teil auf fehlerhaften Annahmen, welche zu einer Überhöhung der genehmigten Netznutzungsentgelte um mindestens 18,0 % geführt hätten. Die Bundesnetzagentur habe im kostenorientierten Entgeltgenehmigungsverfahren lediglich eine Begrenzung der kalkulatorischen Eigenkapitalquote auf die gesetzlich vorgesehene Höchstgrenze von 40 % vorgenommen, aber nicht geprüft, ob die tatsächliche Eigenkapitalquote nicht weit unterhalb von 40 % liege, etwa bei 20 %. Hierfür lägen Anhaltspunkte einerseits in verschiedenen Strukturdaten von Branchenunternehmen und andererseits in der Teilnahme der Beklagten an einem sog. Cash-Pool des E. -Konzerns, welche der Beklagten einen Zugang zu Fremdkapital zu einem Zinssatz von 2,15 % verschafft habe. Die von der Beklagten angegebenen historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten seien ohne Plausibilitätsprüfung und ungekürzt übernommen worden. Gleiches gelte für die Ermittlung der Tagesneuwerte. Die Klägerin hat die Meinung vertreten, dass ihr ein Rückzahlungsanspruch nach §§ 812 Abs. 1 i.V.m. 315 BGB zustehe; hilfsweise hat sie ihre Ansprüche auf §§ 33 i.V.m. 19, 20 GWB gestützt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

11

Das Landgericht hat die Klage, welche auf Bestimmung der angemessenen Netznutzungsentgelte für das Jahr 2008 und auf Zahlung der Differenz zwischen dem für 2008 gezahlten Gesamtbetrag und dem aus der gerichtlichen Entgeltbestimmung zu ermittelnden Gesamtbetrag sowie hilfsweise auf die Zahlung desselben Differenzbetrages als Schadenersatz gerichtet ist, mit seinem am 05.12.2012 verkündeten Urteil abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass zwar grundsätzlich alle, auch die nach dem EnWG 2005 genehmigten Netznutzungsentgelte einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterlägen, sofern – wie hier – die Voraussetzungen für die Anwendung der Norm vorlägen. Das Landgericht ist, insbesondere unter Berufung auf das im Vorprozess ergangene Urteil des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs, davon ausgegangen, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern. Es sei davon auszugehen, dass die Bundesnetzagentur die von der Beklagten angesetzte Eigenkapitalquote geprüft habe; Gleiches gelte für die Eigenkapitalverzinsung. Letztlich seien die Darlegungen der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit nicht substantiierter als diejenigen im Vorprozess. Ein Anspruch auf Einsicht in ein ungeschwärztes Exemplar des Genehmigungsbescheids vom 13.03.2008 bestehe nicht. Schließlich stelle die Forderung von staatlich genehmigten Preisen auch keine kartellrechtswidrige Verhaltensweise dar, auf die ein Schadenersatzanspruch gestützt werden könne.

12

Die Klägerin hat gegen das ihr am 10.12.2012 zugestellte Urteil mit einem am 11.01.2013 beim Oberlandesgericht Naumburg vorab per Fax eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der ihr bis zum 11.03.2013 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch begründet.

13

Sie hat eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt und hierauf beruhende Rechtsfehler geltend gemacht. Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag erster Instanz. Sie meint, dass ihr gegenüber dem Vorprozess umfangreicherer Sachvortrag eine differenziertere Bewertung habe erfahren und zu der Schlussfolgerung habe führen müssen, dass die Indizwirkung des Genehmigungsbescheids vom 13.03.2008 erschüttert sei. Den in erster Instanz hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz wegen kartellrechtlicher Verstöße verfolgt die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht weiter.

14

Die Klägerin beantragt,

15

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

16

das billige Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige L. GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Jahr 2008 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der Nutzung der vorgelagerten Netze gerichtlich zu bestimmen

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sowie

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die Beklagte zu verurteilen, an sie die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung Anlage K 1 tatsächlich gezahlten Entgelten für die Netznutzung für das Jahr 2008 in Gesamthöhe von ... Euro (netto) und dem vom Gericht bestimmten Entgelt für das Jahr 2008 für die Netznutzung zzgl. Umsatzsteuer nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

19

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

21

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

22

Der Senat hat der Beklagten mit seinem Auflagenbeschluss vom 05.12.2013 aufgegeben, zu zwei Themenkomplexen ergänzend Stellung zu nehmen, und zwar zur Möglichkeit der Nutzung des sog. Cash-Pools des E. -Konzerns einschließlich der Darlegung, welcher Betrag für das Planjahr 2006 für Fremdkapitalzinsen in Ansatz gebracht worden sei, sowie dazu, ob in dem Genehmigungsantrag, welcher dem Bescheid der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008 zu Grunde gelegen hat, dieselben historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten angezeigt worden seien wie in den Entgeltermittlungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 28.10.2005, welche Gegenstand des Parallelrechtsstreits sind.

23

Die Beklagte hat darauf hin unter Vorlage eines in einer Zeile nicht geschwärzten Auszugs der Anlage 2 des Bescheids vom 13.03.2008 – Ergebnis der Kostenprüfung – vorgetragen, dass sie für das Jahr 2008 Plankosten für Fremdkapitalzinsen in Höhe von ... € gemäß der Bilanz für das Basisjahr 2006 angesetzt habe und dieser Ansatz geprüft und nicht beanstandet worden sei. Sie hat weiter behauptet, dass der Cash-Pool nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe habe genutzt werden dürfen, nicht hingegen zur Finanzierung der Anschaffung von Wirtschaftsgütern. Die Beklagte hat bestätigt, dass sie im Genehmigungsverfahren der Netznutzungsentgelte für 2008 dieselben historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten in Ansatz gebracht habe wie im Rahmen der Kalkulation der Netzentgelte für das Jahr 2005; es hätten sich lediglich geringfügige Modifikationen durch die unterschiedlichen Vorgaben der Verbändevereinbarung VV II plus (gültig für das Jahr 2005) und des § 4 Abs. 2 StromNEV (für das Jahr 2008) ergeben.

24

Der Senat hat am 04.03.2015 mündlich zur Sache verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats vom selben Tage Bezug genommen. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 20.03.2015 hat bei der abschließenden Beratung und Entscheidung Berücksichtigung gefunden.

B.

25

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

26

Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf gerichtliche Bestimmung eines abweichenden Netznutzungsentgelts für das Jahr 2008 nach § 315 Abs. 3 BGB und keinen Anspruch auf Rückzahlung von überzahlten Entgelten für das Jahr 2008 nach § 812 Abs. 1 BGB hat. Der Klägerin ist es auch im Berufungsverfahren letztlich nicht gelungen, die vom Bescheid der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008 ausgehende Indizwirkung der Billigkeit der Entgelte entsprechend dem für 2008 gültigen Preisblatt der Beklagten zu erschüttern.

27

I. Entgegen der Auffassung der Klägerin haften dem erstinstanzlichen Verfahren die von der Klägerin gerügten Mängel nicht an, insbesondere hat das Landgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Das Landgericht hat ausweislich seines Urteils die Klagegründe zur Kenntnis genommen und jeweils beschieden. Allein aus der Kürze der Entscheidungsgründe im Urteil des Landgerichts kann nicht auf eine unzureichende Befassung mit dem Vorbringen der Klägerin geschlossen werden. Selbst wenn man dies anders beurteilte, hätte sich, wie nachfolgend aufzuzeigen ist, ein entsprechender Verfahrensmangel auf das Prozessergebnis nicht ausgewirkt. Denn der Senat folgt dem Urteilsausspruch des Landgerichts auch unter weiterer Berücksichtigung des gesamten Berufungsvorbringens der Klägerin.

28

II. Die von der Beklagten verlangten Entgelte für die Nutzung ihres Netzes durch die Klägerin im Jahr 2008 sind angemessen i.S.v. § 315 BGB.

29

1. Die Prozessparteien gehen übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass die von der Beklagten verlangten Netznutzungsentgelte für das Jahr 2008 der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegen.

30

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, welcher sich der erkennende Senat anschließt, ist die Anwendung des § 315 BGB über die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle einseitig bestimmter Vertragsinhalte durch die Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes und hierauf fußender weiterer energiewirtschaftlicher Rechtsvorschriften nicht ausgeschlossen (vgl. Urteil v. 15.05.2012, EnZR 105/10 „Stromnetznutzungsentgelt V“, RdE 2012, 382, in juris Tz. 17 ff.). Dies ergibt sich indirekt bereits aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 111 EnWG, welche das Konkurrenzverhältnis zu den Vorschriften über die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle betrifft, aber keine Einschränkungen der Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle enthält. Es folgt jedoch auch daraus, dass die öffentlich-rechtliche Wirkung einer Genehmigung der Netznutzungsentgelte nach §§ 21 ff. EnWG nur im Verhältnis zwischen dem Netzbetreiber und der zuständigen Regulierungsbehörde begründet wird; im Verhältnis des Netzbetreibers zu den Netznutzern bedarf die Preisgestaltung jeweils einer gesonderten privatrechtlichen Umsetzung, z. Bsp. über eine Preisanpassungsklausel zugunsten des Netzbetreibers. Auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes der Netznutzer gebietet es, dass neben dem Verwaltungsverfahren bei der Regulierungsbehörde, an dem der Netznutzer regelmäßig nicht beteiligt ist, ein Zugang der Netznutzer zu einer gerichtlichen Nachprüfung eröffnet ist.

31

b) Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 S. 2 BGB liegen vor. Zwischen den Prozessparteien bestand nach dem zwischen ihnen geschlossenen Stromhändler-Rahmenvertrag eine vertragliche Vereinbarung, wonach die Beklagte als Netzbetreiberin ermächtigt war, durch einseitige Leistungsbestimmung die Höhe der Netznutzungsentgelte festzulegen (vgl. Ziffer 6.2 des Rahmenvertrages). Gemäß der gesetzlichen Vermutung des § 315 Abs. 1 BGB war das Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Die Jahresrechnung für das Jahr 2008 beruht auf – gegenüber den Ausgangspreisen – veränderten Beträgen des Netznutzungsentgelts, nämlich auf dem für 2008 genehmigten neuen Preisblatt lt. Bescheid der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008. Die Prozessparteien haben sich auch nicht etwa nachträglich auf die Höhe dieser für 2008 verlangten Netznutzungsentgelte geeinigt. Die Klägerin hat durch ausdrückliche Vorbehaltserklärungen bei Vertragsabschluss sowie auch bei Mitteilung der Beklagten über den Inhalt des Preisblatts für das Jahr 2008 deutlich gemacht, dass sie einer entsprechenden Änderung jeweils nicht, auch nicht konkludent zustimmt.

32

2. In der vorliegenden Konstellation hat es der Klägerin oblegen, eine durch die Genehmigung der von der Beklagten verlangten Netznutzungsentgelte für das Jahr 2008 erzeugte Indizwirkung für die Angemessenheit und Billigkeit dieser Entgelte zu erschüttern.

33

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat zwar grundsätzlich der Netzbetreiber, hier also die Beklagte, die Billigkeit der von ihm verlangten Netznutzungsentgelte darzulegen und ggf. zu beweisen; dies gilt auch im Rückforderungsprozess, wenn der Netznutzer die Entgelte nur unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Nachprüfung gezahlt hat, wie hier die Klägerin (vgl. Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 33 m.w.N.; so bereits Urteil v. 20.07.2010, EnZR 23/09 „Stromnetznutzungsentgelt IV“, RdE 2010, 385). Der Maßstab der Billigkeit in § 315 BGB ist im Rahmen der Überprüfung von Netznutzungsentgelten jedoch kein individueller, sondern er muss aus der typischen Interessenlage des Netznutzungsverhältnisses und den für dessen Ausgestaltung maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben gewonnen werden. Dieser Maßstab wird durch die Vorschriften der §§ 21 ff. EnWG konkretisiert.

34

b) Der Bundesgerichtshof hat weiter darauf erkannt, dass sich der Netzbetreiber zur Darlegung der Billigkeit der von ihm verlangten Netznutzungsentgelte seit dem Inkrafttreten des EnWG 2005 – in einem ersten Schritt – auf die ihm erteilte Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG stützen kann (BGH, Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 36). Der Senat folgt auch dieser Rechtsauffassung. Da der Maßstab der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle ganz überwiegend den Vorgaben der Entgeltkontrolle nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften entspricht (vgl. zu den Unterschieden BGH, a.a.O., in juris Tz. 23) und die im Genehmigungsverfahren tätigen Regulierungsbehörden aufgrund der engen Vorgaben dieser Vorschriften bei einem rechtmäßigen Vorgehen regelmäßig eine hohe Prüftiefe erreichen, stellt eine dem Netzbetreiber erteilte Genehmigung für die von ihm verlangten Netznutzungsentgelte ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit dieser Entgelte dar.

35

c) Liegt eine bestandskräftige Entgeltgenehmigung (bzw. eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung mit gleicher Wirkung) vor, so obliegt es dem Netznutzer, die hierdurch erzeugte indizielle Wirkung der Entgeltgenehmigung zu erschüttern, und zwar dadurch, dass er im Einzelnen darzulegen hat, aus welchen Gründen die behördlich genehmigten Netznutzungsentgelte überhöht sein sollten (BGH, a.a.O., in juris Tz. 36).

36

aa) Aus dem Prüfungsmaßstab ist abzuleiten, dass Einwendungen des Netznutzers nicht geeignet sind, die Indizwirkung eines Genehmigungsbescheids zu erschüttern, die sich entweder gegen die energiewirtschaftsrechtlichen Vorgaben selbst wenden oder gegen die generelle Verfahrensweise der Regulierungsbehörden in den Genehmigungsverfahren nach Maßgabe dieser Vorschriften oder die auf die – erst mit zunehmender Erfahrung und Sammlung von Vergleichsdaten sukzessive reduzierten – allgemeinen Beschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten der Regulierungsbehörden gestützt werden. Insoweit kommt den Aspekten der Rechtssicherheit und der Rechtseinheitlichkeit im Rechtsverkehr und letztlich auch dem Schutz des Vertrauens des Netzbetreibers, der Entgelte maximal bis zur Höhe der genehmigten Netznutzungsentgelte abrechnet, auf die Gültigkeit der ihm erteilten Genehmigung ein höheres Gewicht zu als dem Individualinteresse des Netznutzers an einer intensiveren Billigkeitskontrolle.

37

(1) Nach diesem Maßstab ist die Einwendung der Klägerin, dass der von der Bundesnetzagentur angewandte Zinssatz für die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung überhöht sei und nicht den Marktverhältnissen entspreche, unbeachtlich. Die Höhe der Eigenkapitalverzinsung ist in § 7 Abs. 6 S. 3 StromNEV für die Zeit bis zur erstmaligen Festlegung durch die Regulierungsbehörde ausdrücklich vorgegeben worden; diesen Zinssatz brachte die Bundesnetzagentur hier zur Anwendung.

38

(2) Die Beanstandungen der Klägerin, welche sich gegen die von der Bundesnetzagentur im Bescheid vom 13.03.2008 dargestellte Prüftiefe im Hinblick auf das Gebot der Kosteneffizienz nach § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG richten, sind unbeachtlich. Zwar ist in dem Bescheid vom 13.03.2008 ausgeführt worden, dass eine vollständige Prüfung in der Weise, dass bereits jetzt nur abschließend festgestellte „effiziente Kosten“ der Genehmigung zugrunde liegen, nicht durchgeführt worden sei (BA S. 3) und dass deswegen die Genehmigung auch u.a. unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall stehe, dass entweder neue tatsächliche Erkenntnisse bezüglich des betroffenen Netzes gewonnen oder aus den Ergebnissen von Vergleichsverfahren bzw. aus der veränderten Einschätzung der Beurteilung von Effizienzvorgaben abgeleitet würden (BA S. 40 f.). Diese Vorgehensweise entsprach jedoch den Vorstellungen des Normgebers, wie die Vorschriften der Absätze 2 bis 4 des § 21 EnWG zeigen. Jede darüber hinausgehende Anforderung würde die tatsächlichen Möglichkeiten der behördlichen Kontrolle verkennen und damit im Ergebnis die Entgeltgenehmigung in ihrer Wirksamkeit erheblich beschränken. Sähe man dies anders als der Senat, dürfte man der Genehmigung der Netznutzungsentgelte von vornherein keine Indizwirkung zuerkennen (ebenso OLG München, Urteil v. 22.01.2015, U 1928/14 Kart, UA S. 9 f.; OLG Düsseldorf, Urteil v. 01.10.2014, VI-2 U (Kart) 1/13, in juris Tz. 20 f.). Wenn der Regulierungsbehörde zu einem späteren Zeitpunkt entsprechende Erkenntnisse vorlägen und sie von ihrer Widerrufsmöglichkeit Gebrauch machte, so beseitigte sie zugleich die Indizwirkungen des widerrufenen Bescheids. Im Übrigen ist dem Bescheid zu entnehmen, dass die Bundesnetzagentur zumindest teilweise Effizienzprüfungen vorgenommen hat (allgemein dazu BA S. 5 f.), so z. Bsp. hinsichtlich der Beschaffungskosten von Verlustenergie (BA S. 7 und S. 35 – Kürzung der beantragten Kosten unter Effizienzgesichtspunkten) und von sog. Ausgleichsenergie (BA S. 9 und S. 35 – Kürzung der beantragten Kosten unter Effizienzgesichtspunkten), hinsichtlich der Aufwendungen für durch Dritte erbrachte Betriebsführungsleistungen (BA S. 37 – Kürzung) sowie hinsichtlich der Maßstäbe für die Liquiditätsvorhaltung bzw. für Forderungen (BA S. 29).

39

(3) Der Fallgruppe der nicht schlüssigen, weil allein auf abstrakte, dem geregelten Genehmigungsverfahren allgemein innewohnende Fehlerquellen gerichteten Einwendungen ist auch die Behauptung der Klägerin zuzuordnen, dass der gesamte Kostenblock der bilanziellen und aufwandsgleich zum Basisjahr berücksichtigten Kosten unzureichend geprüft worden sei im Hinblick auf die Zuordnung der Einzelkosten zum Betrieb des Stromnetzes. Insoweit gilt ohnehin, dass bei einem sog. Mehrspartenunternehmen ein Teil der Kostenpositionen direkt dem Netzbetrieb zuzuordnen ist, so z. Bsp. die Kosten der Beschaffung der sog. Verlustenergie, die Kosten des vorgelagerten Netzes oder die Aufwendungen für Fremdleistungen (sog. bezogene Kosten) entsprechend der Aufschlüsselung nach den Abrechnungsstellen. Die (abstrakte) Gefahr fehlerhafter Kostenansätze besteht nur hinsichtlich der sog. gemeinschaftlichen Kosten, bei denen nach § 4 Abs. 4 S. 2 bis 4 StromNEV eine sachgerechte, verursachungsgerechte und stetige Schlüsselung vorzunehmen ist, so bei den Personalkosten für die Geschäftsführung und für die kaufmännische Verwaltung sowie für das technische Personal. Die Klägerin hat hier keine konkreten Anhaltspunkte für etwa unzutreffende Angaben der Beklagten gegenüber der Bundesnetzagentur über die Kostenzuordnung dargelegt, ihre Ausführungen sind pauschal und spekulativ. Nur ergänzend ist anzumerken, dass die Gefahr einer fehlerhaften Zuordnung von Kostenpositionen zum Netzbetrieb in Bezug auf die Beklagte schon deswegen gering ist, weil die Beklagte lediglich im Geschäftsfeld des Betriebs des Stromverteilungsnetzes tätig ist; sie ist bereits ein zum Vollzug der Entflechtung nach Teil 2 des EnWG (sog. „Unbundling“) ausgegliedertes Unternehmen.

40

(4) Dasselbe gilt schließlich für den Einwand der Klägerin, dass die Bundesnetzagentur die Prüfung der Betriebsnotwendigkeit der jeweiligen Einzelkostenpositionen, insbesondere hinsichtlich der angegebenen Mengen der zu beschaffenden Verlustenergie, und der einzelnen in die Ermittlung der kalkulatorischen Kostenpositionen einbezogenen Sachanlagegüter unzureichend durchgeführt oder ganz unterlassen habe.

41

Soweit die Klägerin – allerdings ebenfalls pauschal – eine unterlassene Prüfung der Mengengerüste der Verlustenergie bzw. der Betriebsnotwendigkeit dieser Mengen beanstandet hat, steht diese Behauptung schon im Widerspruch zum Inhalt des Bescheids, dort zu dem angewandten Prüfraster, in dem es heißt: „Zur Ermittlung der Verlustenergiebeschaffungskosten ist zunächst festzustellen, ob die Verlustenergiemengen korrekt ermittelt worden sind.“ (BA S. 7). Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesnetzagentur diese Prüfung entgegen der Angaben im Prüfraster hier nicht vorgenommen hätte, und insbesondere dafür, dass die Beklagte in dieser Kostenposition überhöhte Strommengen in Ansatz gebracht habe, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Im Übrigen hat die Klägerin selbst vorgetragen – was auch gerichtsbekannt ist –, dass von den Regulierungsbehörden in der sog. zweiten kostenorientierten Regulierungsperiode die Einhaltung bestimmter, von ihnen aufgrund der Erfahrungen der ersten Regulierungsrunde sowie auf der Grundlage der zusätzlichen Auskünfte der Netzbetreiber vorgegebener Zielkorridore kontrolliert wurde. Hiervon ausgehend, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die Indizwirkung des Bescheids vom 13.03.2008 dadurch in Frage gestellt sein soll, dass die Prüfung der Kosten der Beschaffung von Verlustenergie unter Verwendung der Zielkorridore für Beschaffungspreise und Beschaffungsmengen vorgenommen wurde. Der Bundesgerichtshof hat diese Vorgehensweise – Festlegung von Zielkorridoren statt der Akzeptanz einer freiwilligen Selbstkontrolle – in den von der Klägerin selbst zitierten Entscheidungen (Beschluss v. 15.05.2012, EnVR 46/10, RdE 2012, 333; und Beschluss v. 24.05.2011, EnVR 27/10, RdE 2011, 420) als rechtmäßig und vom Beurteilungsspielraum der Regulierungsbehörde gedeckt angesehen.

42

Der Einwand der unterlassenen vollständigen Prüfung der Betriebsnotwendigkeit des gesamten Sachanlagevermögens hinsichtlich seiner Dimensionierung beruht auf dem Umstand, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen der Begründung für die Anordnung eines Widerrufsvorbehalts selbst darauf verwiesen hat, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, „sämtliche von der Antragstellerin angegebene Kosten … auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen …, beispielsweise … die Betriebsnotwendigkeit oder Dimensionierung von Anlagen …“ (BA S. 41). Hieraus ist aber weder darauf zu schließen, dass die Bundesnetzagentur solche Überprüfungen nicht zumindest im Rahmen des ihr Möglichen bzw. stichprobenhaft vorgenommen hat, noch darauf, dass die teilweise ungeprüften Angaben jeweils inhaltlich unzutreffend gewesen seien und zu einer unbilligen Überhöhung der Netzentgelte geführt hätten. Letztlich handelt es sich aus den o.g. Gründen um eine unzulässige Einwendung, weil eine vollständige Prüfung der Betriebsnotwendigkeit des gesamten Sachanlagevermögens im Rahmen der kostenorientierten Entgeltregulierung in keinem einzigen Fall möglich war – dies hätte eine individuelle Analyse der Bedarfssituation, der vorhandenen Infrastruktur, der geologischen und natürlichen Beschaffenheit des Netzgebiets sowie eine – häufig (z. Bsp. auch wegen abgelaufener Aufbewahrungsfristen für entsprechende Unterlagen) nicht existente – anlagenscharfe Dokumentation über die gesamte Nutzungsdauer erfordert und wäre in der den Regulierungsbehörden zur Verfügung stehenden Prüfzeit nicht zu bewältigen gewesen. Dem Gesetzgeber war diese verfahrensimmanente Fehlerquelle bewusst, wie auch z. Bsp. die Regelungen in § 32 Abs. 3 S. 3 und 4 StromNEV zeigen. Dem gegenüber hat die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür benannt, dass die Beklagte Sachanlagevermögen in ihre Antragsunterlagen einbezogen hat, welches nicht die erforderliche Betriebsnotwendigkeit aufwies.

43

(5) Schließlich ist auch die Einwendung der Klägerin, dass die Bundesnetzagentur die Höhe der Entgelte für Messung und Abrechnung nur unzureichend geprüft habe, aus den vorgenannten Gründen nicht geeignet, die Indizwirkung der Genehmigung zu erschüttern. Im Bescheid vom 13.03.2008 ist das generelle Vorgehen der Bundesnetzagentur zur Prüfung der Entgelte für Messung und Abrechnung dargestellt (BA S. 33); unter den Prüfergebnissen sind auch diese Entgelte aufgeführt (BA S. 39). Diese Ausführungen lassen auf eine durchgeführte Prüfung sowie darauf schließen, dass hinsichtlich dieser Entgelte keine Kürzungen gegenüber dem Antrag der Beklagten vorgenommen wurden. Zur Erhöhung der Kostentransparenz und zur Ermöglichung einer vertieften Prüfung hat die Bundesnetzagentur die Aufschlüsselung dieser Kosten verlangt und, wie die Klägerin einräumt, eine benchmark-orientierte Prüfung der Entgelthöhen durchgeführt. Allein der Umstand, dass die Klägerin diese Entgelte als zu teuer empfindet, ohne dass sie außerhalb des der Prüfung der Bundesnetzagentur zugrunde liegenden Benchmark-Bereichs liegen, genügt für eine Erschütterung der Indizwirkung der Genehmigung nicht.

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bb) Mit der Forderung nach einer Darlegung der Erschütterung der Indizwirkung des Genehmigungsbescheids knüpft der Bundesgerichtshof an die Rechtsregeln bei einem sog. Beweis des ersten Anscheins (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2013, vor § 284 ZPO Rn. 29) und bei tatsächlichen Vermutungen (vgl. Greger, a.a.O., vor § 284 ZPO Rn. 33) an. Danach ist vom Netznutzer zu verlangen, dass er zur Erschütterung der Indizwirkung des Genehmigungsbescheids einen abweichenden konkreten Sachverhalt darzutun und ggf. zu beweisen hat, aus dem sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ergebnisses – Billigkeit der genehmigten Netzentgelte – ergibt, d.h. die ernsthafte Möglichkeit eines unbilligen und unangemessenen Netznutzungsentgelts (ebenso OLG Düsseldorf, a.a.O., in juris Tz. 23 ff.).

45

(1) Danach wird die Indizwirkung des Bescheids vom 13.03. 2008 nicht bereits durch solche Einwendungen der Klägerin erschüttert, die sich allein auf statistische Vergleichsdaten stützen (vgl. BGH, Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 38; OLG Düsseldorf, a.a.O., in juris Tz. 32 ff.). Die Klägerin hat hier zur Erschütterung der Richtigkeit der von der Bundesnetzagentur allgemein anerkannten und für viele Netzbetreiber angesetzten kalkulatorischen Eigenkapitalquote von 40 % im Wesentlichen verwiesen auf die jeweiligen bilanziellen Eigenkapitalquoten des E. -Konzerns (15 bis 18 %), von mittelständischen Unternehmen im Allgemeinen (24 %) sowie des A. -Konzerns (30,9 bis 36,4 %) und mit einer Sensivitäts-Analyse mögliche erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Netznutzungsentgelte dargestellt. Dieser Vergleich erlaubt schon deswegen keine sicheren Erkenntnisse, weil er auf bilanzielle Eigenkapitalquoten abstellt, während sich der Gesetzgeber in EnWG und StromNEV ausdrücklich gegen eine (aufwandsgleiche) Berücksichtigung dieser Kosten als bilanzielle Kosten und für einen Ansatz als kalkulatorische, d.h. fiktiv ermittelte Kosten entschieden hat. Die bilanziellen Eigenkapitalquoten der genannten Unternehmensgruppen sind im Übrigen auch deswegen wenig aussagekräftig, weil sie jedenfalls auch Geschäftsfelder erfassen, in denen kein so umfangreiches Sachanlagevermögen notwendig ist wie für das Geschäftsfeld der Stromübertragung und -verteilung. Letztlich handelt es sich bei allen genannten Werten um statistische, nicht auf die Beklagte selbst bezogene Angaben, während die Klägerin hinsichtlich der (wie die Ausführungen nahe legen: bilanziellen) Eigenkapitalquote der Beklagten lediglich mit einer hypothetischen Unterstellung argumentiert, nämlich mit den Auswirkungen einer möglicherweise nur 20 %-igen Eigenkapitalquote, und hierauf ihre Sensivitäts-Analyse stützt. Als konkreten Anhaltspunkt für eine derartige Eigenkapitalquote der Beklagten benennt die Klägerin lediglich die Behauptung, dass der Beklagten im Jahr 2008 über den sog. „Cash Pool“ des E. -Konzerns die Möglichkeit einer preisgünstigen Kreditschöpfung offen gestanden habe, welche die Inanspruchnahme „teureren“ Eigenkapitals unwirtschaftlich gemacht habe. Dieses Vorbringen ist schon nicht schlüssig, weil die Inanspruchnahme des „Cash Pools“ der E. Energy AG für Investitionen auch nach dem Vorbringen der Klägerin allenfalls das Sachanlagevermögen der Beklagten betreffen kann, welches nach der Privatisierung des Stromverteilungsnetzes angeschafft oder hergestellt worden ist, nicht aber die umfangreich vorhandenen Anlagegüter aus DDR-Zeiten. Zudem hat die Klägerin ihre – von der Beklagten unter Verweis auf die strenge Zweckbindung des „Cash Pools“ ausschließlich zugunsten der Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe bestrittene – Behauptung, dass zinsgünstige Kredite des Konzerns für Investitionen in das Sachanlagevermögen zur Verfügung gestanden hätten, weder konkretisiert noch unter Beweis gestellt. Schließlich ist für den Antrag der Beklagten auf Genehmigung der Netznutzungsentgelte für das Jahr 2008 und den hierauf gerichteten Bescheid der Bundesnetzagentur vom 13.03. 2008 festzustellen, dass eine Erschütterung der Indizwirkung dieses Bescheids durch die vorausgeführten Einwendungen der Klägerin auch schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Bundesnetzagentur hier keine kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen anerkannt hat (Bescheid S. 38), sondern lediglich im Rahmen der Prüfung der Berechtigung der Kosten für die überlassene Netzinfrastruktur, d.h. der Höhe der in Ansatz gebrachten Pachtentgelte, die Kapitalkosten der Pächterin gesamthaft betrachtet hat.

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(2) Eine Erschütterung der Indizwirkung der Entgeltgenehmigung kann im Allgemeinen und so auch hier nicht mit Erfolg auf ein allgemeines Missbrauchspotenzial zugunsten eines Netzbetreibers bzw. auf Rechtsverstöße anderer Netzbetreiber gestützt werden, auch wenn diese u.U. zu einem gemeinsamen Konzernverbund gehören. Denn ein solches pauschales Vorbringen lässt einen Schluss auf die ernsthafte Möglichkeit nicht zu, dass die Beklagte hier in gleicher Weise rechtswidrig vorgegangen sei und die Bundesnetzagentur dies nicht bemerkt habe. Daher war es nicht geboten, den Angaben der Klägerin zu vermeintlichen Beanstandungen der Regulierungsbehörden bezüglich der Antragsunterlagen von anderen Unternehmen des E. -Konzerns, insbesondere „Schwester“-Unternehmen der Beklagten (Rechtsstreit 11 U 38/08 OLG Frankfurt), nachzugehen.

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(3) Gleiches gilt für die lediglich abstrakte Möglichkeit der unterschiedlichen Inanspruchnahme von Bewertungsspielräumen durch die Regulierungsbehörden (BGH, Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 39) oder auch für den pauschalen Einwand, dass der Bescheid bzw. einzelne Kostenpositionen, welche die Grundlage der Entgeltgenehmigung bilden, „ausgehandelt“ oder „einvernehmlich festgelegt“ seien (vgl. BGH, Urteil v. 03.07.2013, VIII ZR 354/12, BGHZ 197, 366 zu entsprechenden Einwendungen gegen die Indizwirkung eines Mietspiegels; OLG München, a.a.O., UA S. 10 zum Einwand der „Einigung“ über einzelne Kostenpositionen). Danach war der Senat nicht gehalten, dem pauschalen, im Übrigen auf eine Ausforschung gerichteten Beweisantritt der Klägerin nachzugehen, wonach die Bundesnetzagentur mit den Unternehmen der E. -Gruppe generell und ohne eigene Prüfung eine Einigung darüber erzielt habe, wie wesentliche Kostenpositionen, z. Bsp. die Ermittlung der kalkulatorischen Abschreibungen, vorzunehmen seien. Nur ergänzend sei angemerkt, dass der Umstand, dass zwischen der Regulierungsbehörde und den Antragstellern verfahrensleitende Absprachen getroffen werden, keinen Schluss darauf rechtfertigt, dass die entsprechend dieser Einigung jeweils eingereichten Daten ungeprüft übernommen wurden. Dem Senat ist aus den bei ihm anhängig gewordenen Beschwerdeverfahren, betreffend die Erteilung von Genehmigungen von Netznutzungsentgelten durch die Landesregulierungsbehörde Elektrizität und Gas Sachsen-Anhalt, bekannt, dass es auch dort Vereinbarungen oder Vorgaben über Datenformate u.ä. gegeben hat, um eine einheitliche und zügige Bearbeitung zu ermöglichen, ohne dass mit diesen Vereinbarungen zugleich Zusagen für eine ungeprüfte Übernahme verbunden gewesen wären.

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cc) Der Bundesgerichtshof hat als in Betracht kommende Möglichkeiten der Erschütterung der Indizwirkung einen Sachvortrag des Netznutzers benannt, wonach der Netzbetreiber in seinen Antragsunterlagen gegenüber der Regulierungsbehörde unzutreffende Tatsachenangaben gemacht habe, deren Fehlerhaftigkeit im Genehmigungsverfahren nicht aufgedeckt worden sei (vgl. Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 23), und – indirekt – die Darlegung konkreter Einzelheiten, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die Regulierungsbehörde ergibt (vgl. ebenda, in juris Tz. 39).

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dd) Der Senat verkennt nicht, dass durch die vorausgeführten Anforderungen an eine Erschütterung der Indizwirkung des Genehmigungsbescheids unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Netznutzer regelmäßig der Inhalt des Genehmigungsbescheids, die Angaben des Netzbetreibers gegenüber der Regulierungsbehörde sowie die Reaktionen der Regulierungsbehörde hierauf nicht bzw. nicht in allen Einzelheiten bekannt ist, der Zugang zu einer zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle für den Netznutzer seit dem Inkrafttreten des EnWG 2005 erschwert wird. Dies ist jedoch unmittelbare Folge der Anerkennung einer Indizwirkung des Genehmigungsbescheids, die sachlich gerechtfertigt ist und damit auch der Vermeidung eines – nach der Erwartung der Rechtsprechung letztlich regelmäßig ergebnislosen – Prozessaufwands dient.

50

d) Erst wenn dem Netznutzer eine Erschütterung der Indizwirkung der Genehmigung gelingt, muss der Netzbetreiber – in einem zweiten Schritt – seine Kostenkalkulation in dem maßgeblichen Zeitraum im Einzelnen vortragen und erläutern. In diesem Rahmen hat der Tatrichter auch zu prüfen, ob im Hinblick auf die Genehmigungsunterlagen und bzw. oder den (ungeschwärzten) Genehmigungsbescheid eine Anordnung zu deren Vorlage nach § 142 ZPO in Betracht kommt (BGH, Urteil v. 15.05.2012, a.a.O., in juris Tz. 36 m.w.N.).

51

3. Der Klägerin ist eine Erschütterung der Indizwirkung des Bescheids der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008 nicht gelungen.

52

a) Die Klägerin hat behauptet, dass in die Kalkulation der Netznutzungsentgelte der Beklagten fiktive überhöhte Kosten der vorgelagerten Netze eingeflossen seien. Bei dieser Kostenposition handelt es sich um sog. aufwandsgleiche Kosten, die grundsätzlich entsprechend der Bilanz des Basisjahres angesetzt und bei Vorliegen gesicherter Erkenntnisse unter Berücksichtigung der zu erwartenden Entwicklung des Planjahres modifiziert werden können (vgl. §§ 3 Abs. 1 S. 5, 5 Abs. 1 StromNEV). Dem im Bescheid vom 13.03.2008 dargestellten Prüfraster ist zu entnehmen, dass sich die in dieser Position anerkennungsfähigen Kosten ausgehend von der Mengenbasis des Jahres 2006 aus der im gesonderten Verfahren auf Antrag des Übertragungsnetzbetreibers beschiedenen Preisstellung ergeben (BA S. 10). Diese Prüfung ist auch durchgeführt worden und hat unter Berücksichtigungen der Kostensenkungen beim vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber zu Kürzungen geführt (BA S. 36). Eine darüber hinaus gehende Prüfung musste weder vom Netzbetreiber noch von der Regulierungsbehörde vorgenommen werden, weil Prognoseungenauigkeiten über den Ausgleichsmechanismus des § 11 StromNEV (periodenübergreifende Saldierung) bereinigt werden (vgl. BGH, Beschluss v. 31.01.2012, EnVR 31/10 „Stadtwerke Freudenstadt“, RdE 2012, 209), was im Übrigen für den jeweiligen Netzbetreiber hinreichende Anreize schafft, die Prognosemengen nicht systematisch zu überschätzen. Soweit die Klägerin angeführt hat, dass das Fehlen eines Netzregelverbundes in dieser Zeit – d.h. vor seiner Anordnung im Jahr 2010 – den Netzbetreibern überhöhte Prognosen der ausgewiesenen Kosten der vorgelagerten Netze auch ermöglicht habe, stellt dies lediglich die Darstellung eines abstrakten Missbrauchspotenzials dar, was aus den oben ausgeführten Gründen nicht geeignet ist, die Indizwirkung der Genehmigung zu erschüttern.

53

b) Die Klägerin hat beanstandet, dass die Bundesnetzagentur die Höhe der in Ansatz gebrachten Kosten für Fremdkapitalzinsen nicht bzw. nicht hinreichend geprüft habe. Nach dem ergänzenden Sachvorbringen beider Prozessparteien ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihrer im Genehmigungsantrag enthaltenen Entgeltkalkulation die in der Gewinn- und Verlustrechnung für das Basisjahr 2006 ausgewiesenen Kosten in Höhe von 1,578 Mio. Euro zugrunde gelegt hat. Entgegen der Darstellung der Klägerin ist dem Bescheid der Bundesnetzagentur vom 13.03.2008 zu entnehmen, dass die Regulierungsbehörde die Antragsunterlagen auf Zinsvorteile durch günstige Kreditschöpfungsmöglichkeiten innerhalb des Konzernverbunds geprüft hat (BA S. 14), d.h., dass ihr diese Möglichkeit bekannt war.

54

c) Die Klägerin beruft sich schließlich auf eine fehlerhafte Angabe der historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten für das Sachanlagevermögen. Insoweit ist zunächst erneut darauf zu verweisen, dass hier die Besonderheit besteht, dass im Rahmen der Genehmigung der Netznutzungsentgelte durch die Bundesnetzagentur für das Jahr 2008 der Ansatz kalkulatorischen Kosten durch die Beklagte in Form von Abschreibungen, Eigenkapitalverzinsung und Gewerbesteuer gerade nicht anerkannt worden ist (Bescheid S. 38), sondern lediglich die Kosten der Beklagten für überlassene Netzinfrastruktur als bilanzielle, aufwandsgleiche Kosten berücksichtigt und im Hinblick darauf geprüft wurden, dass diese Kosten nicht höher sind, als es kalkulatorische Abschreibungen, kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung und kalkulatorische Gewerbesteuer für die Verpächterin, die A. AG, gewesen wären (Bescheid S. 37). Der beantragte Pachtzins ist im Ergebnis dieser Prüfung gekürzt worden, was auf eine entsprechende Prüfungstiefe schließen lässt. Der Inhalt ist zwar im Bescheid nicht im Einzelnen dargestellt worden, sondern es ist eine Bezugnahme auf den Inhalt der Verfahrensakte und das Anhörungsschreiben erfolgt. Hieraus zieht jedoch der Senat, anders als die Klägerin, nicht den Schluss, dass ohne erneute Prüfung alle Daten des Bescheids für das Jahr 2007 übernommen worden wären, sondern sieht hierin ein Anzeichen dafür, dass eine besonders intensive Prüfung einschließlich einer Anhörung der Beklagten durch die Bundesnetzagentur zur beabsichtigten Kürzung stattgefunden hat. Die von der Klägerin angeführten Fehlerquellen sind im Bescheid als Gründe und Ausgangspunkte der vorgenommenen Kürzungen benannt worden, nämlich insbesondere überhöhte Abschreibungen auf der Grundlage der historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten der vor 1991 angeschafften Wirtschaftsgüter und die fehlerhafte Annahme von Nutzungsdauern, insbesondere für den Zeitraum von 1990 bis 1993. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die im Jahr 2008 von der Bundesnetzagentur vorgenommene Prüfung und Bewertung der anerkennungsfähigen Kostenobergrenze für die überlassene Netzinfrastruktur fehlerhaft erfolgt sei, hat die Klägerin nicht vorgetragen.

C.

55

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

56

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

57

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.


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