Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg - 1 Ws (RB) 63/15

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des Landgerichts Stendal vom 09. Februar 2015 (509 StVK 351/14) und der Vollzugsplan der Antragsgegnerin vom 10. April 2014, soweit dem Antragsteller darin Vollzugslockerungen versagt worden sind, aufgehoben.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über Vollzugslockerungen für den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

3. Die Kosten der Rechtsbeschwerde sowie der ersten Instanz und die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Landeskasse.

4. Der Gegenstandswert wird auf 600,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller verbüßt seit dem 16. August 2012 eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in einem Fall unter Mitsichführen einer Schusswaffe. Zwei Drittel der Strafe wird der Antragsteller am 14. Juni 2016 verbüßt haben, das Haftende ist auf den 15. Mai 2018 notiert.

2

Mit Antrag vom 14. Mai 2014 begehrt der Antragsteller die gerichtliche Entscheidung über die mit dem ihm am 05. Mai 2014 eröffneten Vollzugsplan der Antragsgegnerin vom 10. April 2014 getroffene Versagung von Lockerungen. Bei der Erstellung der Vollzugsplanfortschreibung stützte sich die Antragsgegnerin insbesondere auf eine in den Jahren 2000 bis 2003 verbüßte Jugendstrafe des Antragstellers wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittels, die jedoch aus dem Bundeszentralregister gelöscht worden ist.

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Mit Beschluss vom 09. Februar 2015 (509 StVK 351/14) hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen und hierbei die Verwertung der getilgten Vorstrafe des Antragstellers durch die Antragsgegnerin nicht beanstandet, sondern eine Berücksichtigung als gegen den Antragsteller sprechenden Umstand im Rahmen der Prognoseentscheidung vielmehr ausdrücklich zugelassen.

4

Gegen den dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 11. Februar 2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 09. März 2015 Rechtsbeschwerde erhoben, die er auf die Verletzung sachlichen Rechts stützt.

II.

1.

5

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) eingelegt.

6

Sie ist auch statthaft gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG. Die Nachprüfung ist zur Fortbildung des Rechts zur Frage, ob bei der Erstellung des Vollzugsplans im Rahmen der Beurteilung einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr bei der Gewährung von Vollzugslockerungen bereits aus dem Bundeszentralregister getilgte Eintragungen berücksichtigt werden können, geboten. Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage liegt erkennbar noch nicht vor.

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

8

Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Vollzugsplanes der Antragsgegnerin für den Antragsteller vom 10. April 2014, soweit dem Antragsteller darin Vollzugslockerungen versagt worden sind, sowie zum Ausspruch der Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller insofern unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

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a) Zutreffend ist die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig war, soweit der Antragsteller hier nicht den Vollzugsplan als Ganzes angegriffen sondern allein die Versagung von Vollzugslockerungen als nachteilige Einzelregelung des Vollzugsplanes angefochten hat (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.06.2004, 3 Ws 3/04 – zitiert nach juris; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 109 Rn 12).

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b) Die Rechtsbeschwerde deckt jedoch mit der Sachrüge einen durchgreifenden Rechtsfehler bei der Anwendung von § 51 Abs. 1 BZRG auf. Danach dürfen Tat und Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Bundeszentralregister getilgt worden oder zu tilgen ist. Diese Regelung begründet ein absolutes Verwertungsverbot, das von allen staatlichen Stellen - seien es Gerichte oder Behörden - zu beachten ist (BVerfG, Beschluss vom 27.11.1973, 2 BvL 12/72, 2 BvL 3/73, BVerfGE 36, 174; OLG Celle, Beschluss vom 05.08.2011, 1 Ws 282/11 (StrVollz)– beide zitiert nach juris). Es umfasst alle Bereiche des Rechtslebens und sämtliche Rechtsverhältnisse und Rechtsbeziehungen im privaten und öffentlichen Recht, so dass kein Bereich des Rechts ausgenommen ist; es kommt nicht darauf an, ob es sich um materiell- oder verfahrensrechtliche Vorschriften, um bundes- oder landesgesetzlich geregelte Bereiche handelt (Rebmann/Uhlig, BZRG, 1. Aufl., § 51 Rn 26; Hase, BZRG, 2. Aufl., § 51 Rn 5). Dementsprechend gilt das Verwertungsverbot zweifelsfrei und ausnahmslos auch für Vollzugsbehörden, sei es im Rahmen der Vollzugsplanung nach § 7 StVollzG oder in sonstiger Hinsicht, etwa bei der Entlassungsprognose. Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot nach § 52 BZRG liegt hier nicht vor; insbesondere stellt der Vollzugsplan kein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen in einem erneuten Strafverfahren i. S. v. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG dar (vgl. OLG Celle, a. a. O.).

11

Soweit sich der Beteiligte darauf berufen hat, die Löschung einer Eintragung im Bundeszentralregister könne nicht dazu führen, dass damit auch die sich aus der Vorstrafe ergebenden kriminogenen Persönlichkeitsdefizite nicht mehr verwertet werden können, findet dies in dem klaren Wortlaut des § 51 BZRG keine Stütze. Das Interesse an einer zutreffenden Vollzugsplanung vermag jedenfalls den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der im Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG seinen Ausdruck gefunden hat, nicht auszuhebeln. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Strafrechtspflege bei der Wahrheitsermittlung sind zur Verwirklichung des mit dem Verwertungsverbot verfolgten Ziels der Resozialisierung Straffälliger hinzunehmen (BVerfG a. a. O.). Dass es vorliegend in erster Linie um ein vollständiges Persönlichkeitsbild und eine Sozialprognose geht, ändert hieran nichts. Das Verwertungsverbot gilt nicht nur für die Strafzumessung an sich, sondern auch für die - ebenfalls eine Prognose beinhaltende - Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (BGH, Urteil vom 10.01.1973, 2 StR 451/72 – zitiert nach juris), einschließlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung (BGH, Beschluss vom 04.10.2000, 2 StR 352/00; Beschluss vom 27.06.2002, 4 StR 162/02 – beide zitiert nach juris), und für die nach § 56 StGB zu treffende Kriminalprognose (BGH, Beschluss vom 04.02.2010, 3 StR 8/10 – zitiert nach juris). Auch im Strafvollstreckungsrecht ist bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung nach § 57 StGB das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG zu beachten mit der Folge, dass ein mehrfach Vorbestrafter im Falle der Tilgung der Voreintragungen wie ein Ersttäter bzw. Erstverbüßer zu behandeln ist (KG, Beschluss vom 06.03.1998, 5 Ws 141/98 – zitiert nach juris).

12

3. Aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers hebt der Senat nicht nur den angefochtenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer, sondern auch den Vollzugsplan auf, soweit dem Antragsteller darin Vollzugslockerungen versagt worden sind, und verpflichtet die Antragsgegnerin, hierüber unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden, weil die Sache insoweit spruchreif ist (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

III.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Nr. 8, 63 Abs. 3, 65 GKG.


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