Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 U 50/06

Tenor

Auf die Berufungen der Beklagten wird das am 9. Mai 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

2

Die Klägerin nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch als Halterin (Beklagte zu 1.) und Hüterin (Beklagte zu 2.) des Island-Ponys „M.“ auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aufgrund eines Reitunfalles in Anspruch.

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Die zum Unfallzeitpunkt 47 Jahre alte Klägerin erlitt diesen Unfall am 18. Januar 2004 auf der Reitbahn des „H.-Hofes“; sie bzw. das von ihr gerittene Island-Pony „F.“ stieß mit dem von der Beklagten zu 2. gerittenen Island-Pony zusammen. Die Klägerin stürzte vom Pferd, wobei sie entweder durch die Kollision direkt oder durch den Sturz eine Oberschenkelfraktur erlitt; an den Folgen der Verletzung leidet die Klägerin noch heute.

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Der „H.-Hof“ wird als Reiterhof von der Beklagten zu 1. betrieben, die unfallbeteiligten Ponys stehen bzw. standen im Eigentum der Beklagten zu 1. Sie nutzt diese Tiere gewerblich, sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zu 2. ritten die Ponys im Rahmen einer Reitbeteiligung. Die zum Unfallzeitpunkt 13 Jahre alte Beklagte zu 2. war seit Bestehen der Reitbeteiligung im Dezember 2003 berechtigt, das Pferd „M.“ gegen Zahlung eines Betrages von 25,00 € monatlich bzw. gegen Stalldienst an einem Tag in der Woche eigenverantwortlich zu nutzen. Die Reitbeteiligung der Klägerin an dem Pferd „F.“ war entsprechend ausgestaltet.

5

Die Klägerin und die Beklagte zu 2. ritten unmittelbar vor dem Unfall auf der sog. Ovalbahn, die Klägerin ritt im Uhrzeigersinn, die Beklagte zu 2. gegen den Uhrzeigersinn. In einer Entfernung von rd. 160 m von dem von der Klägerin gerittenen Pony ging das von der Beklagten zu 2. gerittene Pony durch. Der Beklagten zu 2. gelang es nicht, das Pony unter Kontrolle zu bringen; in letztlich nicht aufklärbarer Form kollidierten beide Tiere.

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Das Landgericht hat der auf Zahlung von Schmerzensgeld mit einer Mindestvorstellung von 10.000,00 € und Zahlung materiellen Schadens in Höhe von 7.028,97 € gerichteten Klage dem Grunde nach vollen Umfanges stattgegeben, lediglich in der Höhe Kürzungen vorgenommen und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.555,38 € nebst Zinsen materiellen Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 € zu zahlen.

7

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, weder der Beklagten zu 1. noch der Beklagten zu 2. sei der ihnen jeweils offen stehende Entlastungsbeweis gelungen. Hingegen sei der Klägerin weder ein Mitverschulden i. S. von § 254 BGB anzurechnen, noch eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt des § 834 BGB.

8

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihren form- und fristgerecht eingelegten Berufungen, wobei sie jeweils auf Änderung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage antragen, während die Klägerin Zurückweisung der Berufungen beantragt.

9

Die Beklagte zu 1. ist weiterhin der Auffassung, sie sei für den Zeitraum, in dem das Pferd von der Beklagten zu 2. im Rahmen der Reitbeteiligung genutzt wurde, nicht Halterin gewesen; jedenfalls sei das Landgericht zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass sie den Entlastungsbeweis nicht geführt habe. Auch die Beklagte zu 2. ist der Auffassung, ihr sei mit dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten der Entlastungsbeweis gelungen.

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Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens der Sachverständigen W.; darüber hinaus wurden die Parteien persönlich angehört. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk über den Termin vom 31. Mai 2007 Bezug genommen.

11

Die Berufungen der Beklagten sind begründet.

12

Der Klägerin stehen keine Ersatzansprüche gegen die Beklagten aus den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen §§ 833, 834, 253 Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB aufgrund des Unfalles vom 18. Januar 2004 zu.

13

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haben beide Beklagte den ihnen jeweils offen stehenden Entlastungsbeweis i. S. von § 833 S. 2 BGB (Beklagte zu 1.) bzw. § 834 S. 2 BGB (Beklagte zu 2.) geführt.

14

Die Beklagte zu 1. war auch zum Unfallzeitpunkt Halterin von „M.“; allein dadurch, dass der Beklagten zu 2., die damit Tierhüterin i. S. von § 834 BGB war, das Tier im Rahmen einer Reitbeteiligung für einen Tag pro Woche gegen Entgelt bzw. Stalldienst überlassen wurde, endete die Haltereigenschaft der Beklagten zu 1. nicht. Denn auch für den Zeitraum der Überlassung des Tieres behielt die Beklagte zu 1. die Bestimmungsmacht über das Tier, trug das Verlustrisiko, kam aus ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse für die Kosten des Tieres auf (= zu den Kriterien für die Tierhaltereigenschaft Senat MDR 2005, S. 148).

15

Da sie „M.“ gewerblich hielt, steht der Beklagten zu 1. der Entlastungsbeweis gem. § 833 S. 2 BGB offen. Dieser geht dahin, dass sie ihre Verkehrspflichten bei Auswahl und Überwachung des Tierhüters - also der Beklagten zu 2. - erfüllt hat. Diesen Beweis hat die Beklagte zu 1. geführt, denn sie hat bewiesen, dass „M.“ ein zuverlässiges Reitpferd war, die Beklagte zu 2. eine zuverlässige, der Beklagten zu 1. als solche bekannte Reiterin, so dass sie mit der Beklagten zu 2. eine in jeder Beziehung geeignete Aufsichtsperson bestellt hat (vgl. zu den Anforderungen an den Entlastungsbeweis Kammergericht Urteil vom 10.10.1994, 22 U 5514/93). Nach den zweitinstanzlich nicht angegriffenen und damit zugrunde zu legenden Feststellungen des Landgerichts verfügte die Beklagte zu 2. zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Reitbeteiligung und - erst recht - zum Unfallzeitpunkt über eine ausreichende Reiterfahrung. Die Beklagte zu 2. hatte bei der Beklagten zu 1. seit 1998 Reitunterricht, hatte dort auch ihre Reitabzeichen gemacht. Im Rahmen dieses Reitunterrichts hatte sie „M.“ bereits geritten.

16

Nach den Bekundungen der Sachverständigen W. hat die Beklagte zu 1. bei der Vereinbarung der Reitbeteiligung zum einen darauf zu achten, wie weit Pferd und Reiter ausgebildet sind und zum anderen, ob sie zusammenpassen. Dieser Verpflichtung ist sie gerecht geworden.

17

Nach ihren eigenen glaubhaften Bekundungen hat die Beklagte zu 1. der Beklagten zu 2. die Reitbeteiligung an „M.“ überlassen, weil sie trotz des Temperaments des Pferdes keine Bedenken hatte und aufgrund des Ausbildungsstandes der Beklagten zu 2. auch keine Bedenken habe musste, dass Pferd und Reiter nicht zusammenpassen würden. Zudem ist unstreitig, dass die Reitschüler mit Reitbeteiligung - also auch die Beklagte zu 2. - weiterhin an den wöchentlichen Reitstunden teilzunehmen hatten, die Beklagte zu 2. hat dieses Vorbringen der Beklagten zu 1. bestätigt. Auch ihrer Überwachungspflicht ist die Beklagte zu 1. dadurch nachgekommen, dass sie - nach ihren eigenen glaubhaften Angaben - nicht nur im Rahmen des Reitunterrichts, sondern auch im Rahmen der Ausübung der Reitbeteiligung die Beklagte zu 2. beobachtet hat.

18

Nach den Bekundungen der Sachverständigen hat die Beklagte zu 1. „alles richtig gemacht“; rechtlich hat die Beklagte zu 1. damit den Entlastungsbeweis i. S. von § 833 S. 2 BGB geführt.

19

Dieser Entlastungsbeweis ist auch der Beklagten zu 2. gelungen. Sie hat bewiesen (§ 834 S. 2 BGB), dass sie bei der Führung der Aufsicht über „M.“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.

20

Zwar hatte die Beklagte zu 2. einen Steigbügel verloren, bevor M. durchging. Bei dem Versuch, das Tier durchzuparieren, hat sie sodann den zweiten Steigbügel verloren. Nach den Bekundungen der Sachverständigen stellt der Verlust eines Steigbügels aber kein reiterliches Fehlverhalten dar, es sei denn, die Beklagte zu 2. hätte von vornherein die Steigbügel falsch eingestellt. Davon ist nach den glaubhaften Angaben der Beklagten zu 2. vor dem Senat aber nicht auszugehen. Die Beklagte zu 2. hat angegeben, seinerzeit die Steigbügel richtig eingestellt zu haben; Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben hat der Senat nicht, da die Beklagte zu 2. zum Unfallzeitpunkt schon längere Zeit ( etwa 1/2 Stunde) auf der Ovalbahn geritten war und ihr als erfahrener Reiterin eine falsche Einstellung der Steigbügel daher schon zuvor hätte auffallen müssen.

21

Im Übrigen hat die Sachverständige W. ausgeführt, dass der Verlust eines Steigbügels regelmäßig ohnehin eher auf das Pferd als auf den Reiter rückführbar sei; dem Verlieren eines Steigbügels gehe eigentlich immer etwas voraus, das Buckeln des Pferdes, eine schnelle Seitwärtsbewegung o. ä. All dies stellt aber kein reiterliches Fehlverhalten dar. Auch ansonsten lässt sich kein reiterliches Fehlverhalten der Beklagten zu 2. feststellen, vielmehr hat sie alles getan, um „M.“ wieder in den Griff zu kriegen. Sie hat in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat geschildert, was sie im Einzelnen unternommen hat. Die Sachverständige hat keinerlei reiterliches Fehlverhalten der Beklagten zu 2. feststellen können, vielmehr waren ihre Reaktionen nicht zu beanstanden. Auch die Kollision selbst war für die Beklagte zu 2. weder vorhersehbar noch ihr vorwerfbar. Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen normalerweise ein Pferd nicht in ein anderes Pferd hineinrennt. Die Sachverständige konnte sich die Kollision nur so erklären, dass „F.“ seinerseits reagiert hat und „M.“ deswegen mit „F.“ kollidiert ist.

22

Mithin handelt es sich um einen Unfall mit erheblichen Folgen für die Klägerin, für den aber eine Schadenersatzpflicht nicht besteht, weil sich in ihm die letztlich nicht immer beherrschbare und zivilrechtlich nicht sanktionierbare Tiergefahr verwirklicht hat.

23

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.10 und 713 ZPO.

24

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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