Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 U 28/07

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 9. März 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg geändert:

Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe wird die Sache an das Landgericht Flensburg zurückverwiesen.

Das Landgericht hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

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Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch.

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Die Parteien waren jeweils Mieter/Pächter von Flächen in den so genannten "A-Hallen" in T, Ortsteil ...

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Der Kläger hatte auf den von ihm angemieteten Flächen, die neben denjenigen der Beklagten lagen, verschiedene Anhänger und andere Gegenstände eingelagert. Die Beklagten ihrerseits hatten auf ihren nebeneinander liegenden Flächen Heu gelagert. Der gesamte Hallenkomplex beläuft sich der Größe nach auf rund 13.000 qm.

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In einem Teil des Komplexes kam es in der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 2005 gegen 2.30 Uhr morgens zu einem Brand, betroffen waren unter anderem die von den Beklagten überwiegend frisch eingelagerten Partien Heu sowie die vom Kläger dort abgestellten Anhänger nebst Zubehör.

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Der Kläger war und ist der Auffassung, die Beklagten seien ihm gesamtschuldnerisch zum Ersatz seines – der Höhe nach bestrittenen – Schadens verpflichtet. Zwar lasse sich nicht mehr feststellen, ob das  Heu des Beklagten zu 1. oder dasjenige des Beklagten zu 2. durch Selbstentzündung in Brand geraten sei. Beide Beklagte hätten aber – unabhängig voneinander – ihre Pflichten verletzt, indem sie das von ihnen überwiegend frisch eingelagerte Heu nicht in dem gebotenen Umfange auf die Gefahren der Selbstentzündung hin überprüft hätten. Dies, obgleich die Beklagten konkret darauf hingewiesen worden seien, dass von ihrem Heu "Tabakgeruch" bzw. brenzlicher Geruch ausgegangen sei.

7

Die Beklagten haben bestritten und bestreiten weiterhin, dass der Brandherd überhaupt in dem eingelagerten Heu gelegen habe. Zudem meinen sie, selbst wenn dies so sein sollte, habe dies nichts mit vermeintlich fehlender Kontrolle zu tun, vielmehr komme genauso gut Brandstiftung in Betracht. Dazu behaupten sie, dass die "A-Hallen" praktisch einen Spielplatz für Kinder darstellten, beim ersten Eintreffen der Feuerwehr wären auch Tore offen gewesen, so dass Brandstiftung nahe liege.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 35.414,73 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 15.06.2006 auf 32.683,66 Euro und auf weitere 2.730,07 Euro seit dem 30.01.2007 zu zahlen,

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2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn zu Händen des Rechtsanwalts Dr. H, weitere 559,50 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagten haben beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen.

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Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei zwar davon auszugehen, dass die Beklagten die Temperatur des von ihnen eingelagerten Heus nicht in der gebotenen Weise kontrolliert hätten. Dies könne aber eine Haftung der Beklagten für den Brand nicht begründen, denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme müsse für jeden Beklagten davon ausgegangen werden, dass er sein Heu in ordnungsgemäßen Zustand und in ordnungsgemäßer Art und Weise eingelagert habe. Das bloße Unterlassen von Kontrollen stelle dann keine (haftungsbegründende) gefährliche Handlung dar.

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Insbesondere dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, in der er im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft, während die Beklagten das angefochtene Urteil verteidigen.

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Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlichen Anträge weiter mit der Maßgabe, dass hinsichtlich des Antrages zu 2. Freistellung begehrt wird, während die Beklagten auf Zurückweisung der Berufung antragen, hilfsweise Zurückverweisung an das Landgericht beantragen (Beklagter zu 2.).

17

Die Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären (§ 304 ZPO), im Übrigen wegen der Entscheidung zur Höhe aber auf Antrag des Beklagten zu 2. an das Landgericht zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO).

18

Denn die Beklagten haften dem Kläger gesamtschuldnerisch (§§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB) auf Ersatz des ihm bei dem Brand vom 20.07.2005 entstandenen Schadens.

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Dabei greift im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB, denn es steht fest, dass beide Beklagte unabhängig voneinander jeweils die Verkehrssicherungspflicht für das von ihnen eingelagerte Heu verletzt haben, ohne dass aber feststeht oder feststellbar ist, wessen Verletzung nun zu dem Brand und nachfolgend zu dem Schaden des Klägers geführt hat.

20

Aufgrund der im Rahmen des Brandermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg 109 AR 620/05) eingeholten Behördengutachten des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein – Landeskriminalamt – vom 10. August 2005 (Bl. 37-46 BA) sowie des Bundeskriminalamtes vom 20. Januar 2006 (Bl. 82-86 BA) steht durch das Gutachten des Landeskriminalamtes fest, dass sich der Brandherd dort befand, wo das Heu der Beklagten eingelagert war, aufgrund des Gutachtens des Bundeskriminalamtes steht fest, dass es zu dem Brand durch Selbstentzündung des eingelagerten Heus gekommen ist.

21

Die in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten sind gemäß § 411 a ZPO verwertbar und ersetzen ein ansonsten vom Senat einzuholendes brandtechnisches Gutachten. Der Verwertung der in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Behördengutachten stehen keine Bedenken entgegen; vielmehr liegt die Verwertung dieser Gutachten aufgrund der zeitlichen Nähe der Gutachtenerstellung zu dem Brand und insbesondere auch vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Erfahrung von Landeskriminalamt bzw. Bundeskriminalamt mit der Brandursachenermittlung nahe.

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In dem Gutachten des Landeskriminalamtes – Verfasser dort Dr. A – ist zusammenfassend ausgeführt: "Das am Brandort vorgefundene Spurenbild stand im Einklang mit der Annahme, dass das Schadenfeuer dort entstanden ist, wo in der Lagerhalle größere Mengen Heuvorräte eingelagert waren". Größere Mengen Heuvorräte waren im räumlichen Bereich des Brandes nur von den Beklagten eingelagert.

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Dass im Bereich der von den Beklagten eingelagerten Heuvorräte – ohne dass feststeht, in welchen von den Beklagten angepachteten Bereiche genau – nicht nur der Brandherd lag, sondern der Brand auch durch Selbstentzündung des Heus und nicht etwa durch Brandstiftung entstanden ist, ergibt sich aus dem Gutachten des Bundeskriminalamtes (dort Dr. H).

24

In dem Gutachten ist unter "4. Befunde" (Bl. 85/86 BA) ausgeführt: "… Die morphologischen Merkmale der Proben zeigten Veränderungen auf, die auf biologisch bedingte Selbsterhitzung der Heuproben in kritische Temperaturbereiche hinwiesen … . Die nach 24 und 48 Stunden erfolgten Bonituren des Bakterienwachstums ergaben, dass in allen vier untersuchten Proben … ein stark erhöhtes Wachstum thermophiler Bakterien bei 55 Grad Celsius zu verzeichnen war, während der Besatz an mesophilen Mikroorganismen bei 25 Grad Celsius unbeeinflusst blieb. Alle ermittelten Verhältniswerte … liegen deutlich oberhalb des in der Literatur angegeben Grenzwertes, ab dem von einer Erhitzung des gelagerten Heus in kritische Temperaturbereiche ausgegangen werden kann …".

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In der abschließenden Bewertung (Bl. 86 BA) heißt es: "Aufgrund der beschriebenen morphologischen Veränderungen sowie der Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchungen ist im vorliegenden Fall eine Selbsterhitzung des Heus als erwiesen anzusehen. Auch die Informationen der beigefügten "Erfassungsblätter" … weisen auf eine Selbsterhitzung des Heus hin …".

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Aufgrund der sachverständigen Feststellungen steht fest, dass es in dem von den Beklagten eingelagerten Heu nicht nur zu einer Selbsterhitzung gekommen ist, sondern auch zu einer Selbstentzündung, da die kritischen Temperaturbereiche des gelagerten Heus – des Beklagten zu 1. und/oder des Beklagten zu 2., was nicht mehr feststellbar ist – deutlich überschritten waren. Die von den Beklagten eher spekulativ angenommenen alternativen Brandursachen scheiden damit aus.

27

Weiterhin ist es so, dass die Beklagten jeweils ihre Verkehrssicherungspflicht für das von ihnen eingelagerte Heu schuldhaft verletzt haben, ohne dass feststeht, ob nun die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten zu 1. oder die durch den Beklagten zu 2. schadenursächlich geworden ist.

28

Zwar galt zum Zeitpunkt des Brandes nicht mehr die Brandschutzverordnung Schleswig-Holstein; diese war schon Jahre vor dem Brand ersatzlos außer Kraft gesetzt worden.

29

Die schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung ergibt sich aber zugleich aus den allgemeinen Lehren zu den Verkehrssicherungspflichten. Die Beklagten hatten jeweils die Sachherrschaft über das von ihnen frisch eingelagerte Heu. Dabei ist allgemein bekannt – und gerade auch den Beklagten als Landwirten – dass von frisch eingelagertem Heu unter anderem die Gefahr der Selbstentzündung droht. Dem hatten die Beklagten vorzubeugen, insbesondere durch regelmäßige  Kontrollen. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass es sich bei dem frisch eingelagerten Heu um solches, das erntbar bzw. pressbar war, handelte. Erntbar bzw. pressbar ist Heu mit einer einheitlichen Gutfeuchte von unter 16%.

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Die Auffassung der Beklagten, Heu mit einer Gutfeuchte von unter 16% bedürfte nach Einlagerung praktisch keiner Kontrolle mehr, ist hingegen nicht nachvollziehbar. Vielmehr darf nach allen zur Akte gereichten Veröffentlichungen – unter anderem nach den Vorgaben des Landwirtschaftlichen Versicherungsverbandes sowie den Hinweisen für die Landwirtschaft aus der Bauernzeitung – das Heu erst gepresst bzw. eingefahren werden, wenn es absolut lagerfähig ist, d.h., die Feuchte des Heus nicht mehr als 16% beträgt. Heu, das feuchter ist, darf ohnehin nicht – oder allenfalls mit erheblichen Sicherheitsvorkehrungen – eingelagert werden.

31

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich der Mitteilung des Deutschen Wetterdienstes vom 11. August 2005 (Bl. 34, 35 BA) es in der Zeit der Ernte und des Einfahrens des gelagerten Heus der Beklagten durchaus zu Niederschlägen gekommen ist.

32

Ihrer (jeweiligen) Verpflichtung, ihr eingelagertes Heu regelmäßig in kurzfristigen Abständen ordnungsgemäß auf Selbsterhitzung zu kontrollieren, sind die Beklagten unstreitig nicht nachgekommen. Weder der Beklagte zu 1. noch der Beklagte zu 2. besitzt eine Heumesssonde, die es ermöglicht, in das Innere von Pressballen einzudringen und die dort herrschende Temperatur zu messen. Beide Beklagten hatten jeweils umso mehr Anlass zu regelmäßigen Kontrollen, als die erstinstanzlich vernommenen Zeugen B, W, S und M angegeben haben, dass es "schmökelig" bzw. in Richtung "Tabak" gerochen habe. Das ist gerichtsbekannt nicht der Geruch frischen Heus, vielmehr hätte dies den Beklagten Anlass zu gesteigerten Kontrollen geben müssen.

33

Damit steht zwar fest, dass jeder der Beklagten für sich die ihm obliegenden Sicherungspflichten hinsichtlich des von ihnen jeweils eingelagerten Heus verletzt hat, ohne dass allerdings feststeht, wessen Verkehrssicherungspflichtverletzung nun zum Brand und damit zum Schaden geführt hat.

34

Dies ist der "typische" Fall des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB, der im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität gerade in den Fällen – wie hier – eingreift,  wenn bei jedem der Beteiligten ein anspruchsbegründendes Verhalten gegeben ist (vom Nachweis der Kausalität abgesehen), einer der Beteiligten den Schaden verursacht haben muss, aber nicht feststellbar ist, welcher von ihnen den Schaden tatsächlich verursacht hat (vgl. Müko-Wagner 4. Aufl. § 830 Rn. 35 m.w.N.).

35

All diese Voraussetzungen liegen nach dem Vorhergesagten vor, so dass die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet sind.

36

Der Senat hält es – auch und gerade zur Vermeidung des Verlustes einer Tatsacheninstanz – für angezeigt, auf den entsprechenden Antrag hin die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückzuverweisen. Der sich aus diversen Einzelpositionen zusammensetzend geltend gemachte Schaden des Klägers ist der Höhe nach vollen Umfangs streitig, irgendwelche Feststellungen zur Höhe hat das Landgericht – folgerichtig – nicht getroffen. Es ist eine sehr aufwändige Beweisaufnahme zur Höhe zu erwarten, zumal den Parteien insoweit auch noch Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben ist. Eine eigene Sachentscheidung des Senats ist daher insoweit unter keinem Gesichtspunkt  sachgerecht.

37

Eine Kostenentscheidung ist nicht angezeigt, vielmehr hat das Landgericht auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

38

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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