Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht - 11 U 68/17

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 05.05.2017 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 142,00 € festgesetzt.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Schadensersatz in Anspruch. Sie meint, dass die Ermittlungsbehörden des Landes Pflichten verletzt hätten, die ihnen nach Aufhebung einer Beschlagnahme oblegen hätten.

2

Im Zuge von Ermittlungen gegen den Ehemann der Klägerin beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Aktenordner, eine Uhr und ein Feuerzeug aus dem Eigentum der Klägerin, die bei einem Lagerunternehmen und in einem Bankschließfach auf der Insel X aufbewahrt worden waren. Nachdem die Staatsanwaltschaft die Freigabe angeordnet hatte, holte die Klägerin, die auf X wohnte, die Gegenstände in F bei der dortigen Polizeidirektion ab. Zuvor hatte sie vergeblich die Staatsanwaltschaft zur Verbringung der Gegenstände nach X aufgefordert.

3

Die Klägerin hat mit der Klage die Fahrtkosten in Höhe von 152,40 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wegen der Fahrten nach F geltend gemacht. Sie ist der Ansicht, das beklagte Land sei verpflichtet gewesen, die Gegenstände nach X zu bringen, da sie nicht Beschuldigte des Strafverfahrens gewesen sei. Von ihr die Abholung der Gegenstände in F zu verlangen, sei unverhältnismäßig, da die Polizei im Dienstgeschäft regelmäßig Gegenstände nach X transportiere.

4

Das Landgericht, das die Berufung zugelassen hat, hat das beklagte Land im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Lediglich hinsichtlich der Höhe der Fahrtkosten hat es eine geringere Kilometerentschädigung zu Grunde gelegt und die Klage soweit abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das beklagte Land Pflichten aus der öffentlich-rechtlichen Verwahrung verletzt habe, indem es die beschlagnahmten Gegenstände der Klägerin nicht an ihrem Wohnort zur Verfügung stellte. Die Beschlagnahme einer Sache, die nicht dem Beschuldigten gehöre, sondern einem Dritten, greife dann in unverhältnismäßiger Weise in dessen Eigentumsgrundrecht ein, wenn der Dritte die Sache auch noch auf eigene Kosten zurückholen müsse. Für diese Bewertung spreche vor allem der Vergleich mit dem Fall, dass der Eigentümer zugleich Beschuldigter sei. Weil dem Beschuldigten dann die Kosten, die ihm durch das Zurückholen seiner Sachen entstehen, nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ersetzt würden, könne jemand, der wie die Klägerin noch nicht einmal Beschuldigter gewesen sei, also erst recht keinen Anlass für die Beschlagnahme gegeben habe, nicht schlechter gestellt werden.

5

Gegen die Verurteilung wendet sich das beklagte Land mit der Berufung. Es beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach im Rahmen eines Verwahrungsverhältnisses eine Holschuld vorliege. Das StrEG sehe für Beschuldigte keine Entschädigung für die Abholung von Gegenständen vor.

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Die Beklagte beantragt,

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unter Abänderung Urteils des Landgerichts Flensburg die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

II.

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Die Berufung des beklagten Landes hat Erfolg.

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1. Die Staatsanwaltschaft hat keine Pflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis verletzt, indem sie den Rücktransport der beschlagnahmten Gegenstände zum Wohnort der Klägerin verweigerte. Ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 688, 697 BGB in entsprechender Anwendung besteht deshalb nicht. Gleiches gilt für einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG.

14

Zwar bestand aufgrund der strafprozessualen Beschlagnahme ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis, auf das die zivilrechtlichen Vorschriften über die Verwahrung entsprechend anwendbar sind (vgl. BGH NJW 2005, 988, 989). Danach war das beklagte Land zur Rückgabe verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist es durch Herausgabe der Gegenstände in F indessen nachgekommen. Eine Verpflichtung, diese auch nach X zu bringen, bestand dagegen nicht. § 697 BGB bestimmt nämlich ausdrücklich, dass hinterlegte Sachen an dem Ort zurückzugeben sind, an welchem sie aufzubewahren waren. Der Verwahrer ist nicht verpflichtet, die Sache dem Hinterleger zu bringen. Dies gilt auch für beschlagnahmte Gegenstände (vgl. BGH am angegebenen Ort; vorangehend Landgericht Hamburg NJW 2004, 2455). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin selbst nicht Beschuldigte des Strafverfahrens war; dadurch wandelt sich die Holschuld nicht zur Bringschuld. Zwar wird vertreten, dass es ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht sei, duldungspflichtige unverdächtige Dritte zur Abholung beschlagnahmter Gegenstände zu verpflichten (vgl. Kemper, Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände-Bringschuld oder Holschuld? NJW 2005, 3679). Im angefochtenen Urteil hat das Landgericht dies insbesondere darauf gestützt, dass nach dem StrEG eine Entschädigung für den Beschuldigten für die Kosten der Abholung von Gegenständen aus der Beschlagnahme infrage kommt, für Dritte dagegen nicht. Tatsächlich können für Beschuldigte Fahrtkosten zum Verwahrungsort nach dem StrEG erstattungsfähig sein (vgl. Meyer, StrEG, 9. Aufl., § 7 Rn. 34, Stichwort Rückgabe). Darin wird eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des nichtbeschuldigten Dritten gesehen. Diese Argumente führen indessen nicht dazu, dass sich die Holschuld Rahmen der öffentlich-rechtlichen Verwahrung in eine Bringschuld wandelt. Die gesetzliche Regelung in § 697 BGB ist nach ihrem Wortlaut eindeutig und würde durch eine Einzelfallabwägung obsolet. Zudem träten erhebliche praktische Probleme auf. Schon diese sprechen dafür, dass der Eingriff in das Eigentumsrecht verhältnismäßig ist. Müsste die Rückgabe am Wohnsitz des Eigentümers erfolgen, so wäre insbesondere bei Umzug des Gläubigers ins Ausland der aufwändige Transport dorthin erforderlich. Könnte die Rückgabe am Beschlagnahmeort - dieser muss nicht mit dem Wohnort des Gläubigers identisch sein - verlangt werden, wäre zunächst zu klären, ob Gegenstände überhaupt dorthin gegeben werden können. Dies ist bei Bankschließfächern oder Lagerräumen zweifelhaft. Würde verlangt, die Gegenstände zur nächstgelegenen Polizeidienststelle zu bringen, wäre zu klären, ob dort eine sichere Aufbewahrung auch wertvoller Gegenstände überhaupt möglich ist. Zudem wäre es dem Zufall überlassen, ob sich in der Nähe des Wohnorts des Gläubigers überhaupt eine Polizeidienststelle befindet.
Im Übrigen sprechen auch die geringen Kosten, die die Klägerin gehabt hat, gegen die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs in ihr Eigentumsrecht.
Auch das Argument des Landgerichts, dass Beschuldigte durch die Entschädigungstatbestände im StrEG gegenüber durch die Beschlagnahme betroffenen Dritten bevorzugt seien, führt nicht dazu, dass die Anwendung des § 697 BGB unverhältnismäßig ist. Denn auch Dritte müssen grundsätzlich die Folgen einer Beschlagnahme nicht entschädigungslos hinnehmen. § 23 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG sieht Entschädigungen für in Anspruch genommene Dritte vor, insbesondere auch für Fahrtkosten gemäß §§ 5, 19 Abs.1 S.1 Nr. 1 JVEG. Dabei setzt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach zwar die Herausgabe von zu verwahrenden Gegenständen voraus, also eine aktive Übergabe. Sie ist aber auch dann jedenfalls entsprechend anwendbar, wenn wie hier Duldungspflichten im Rahmen der Beschlagnahme in einem Ermittlungs- oder gerichtlichen Verfahren bestehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 15.04.1995 OJs 58/91, Juris Rn. 10; Grau/Blechschmidt Betriebs-Berater 2011, 2378-2383 (2382)). Denn in beiden Fällen werden von Nichtbeteiligten zwangsweise Leistungen für ein solches Verfahren erbracht, die zu finanziellen Belastungen führen können. Ob in dem hier zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen einer Entschädigungsverpflichtung nach § 23 Abs. 2 S.1 Nr. 1 JVEG im einzelnen vorliegen, kann allerdings offenbleiben. Denn über diesen Anspruch ist im Verfahren gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 JVEG zu entscheiden.

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2. Da eine Pflichtverletzung der Staatsanwaltschaft nicht vorliegt, scheiden auch Amtshaftungsansprüche aus.
Ansprüche aus enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff kommen nicht in Betracht. Voraussetzung für beide Ansprüche wäre, dass der Klägerin ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (vgl. BGHZ 80, 111; BGHZ 124, 258). Zum einen fehlt es an einem derartigen Sonderopfer. Darüber hinaus bestehen aus den oben genannten Gründen gesetzliche Entschädigungsregeln.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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4. Die Entscheidung über die Revisionszulassung beruht auf § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob eine Strafverfolgungsbehörde verpflichtet ist, beschlagnahmte Gegenstände nichtbeschuldigten Dritten entgegen § 697 BGB zurückzubringen, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden.


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