Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 U 25/19
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. Januar 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird zurückgewiesen
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Flensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieser Entscheidung vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Amts- und Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei am 24. März 2015 bei einem Abbiegevorgang mit ihrem Fahrrad gestützt. Sie sei dabei auf dem für Fahrräder zugelassenen Gehweg an der Straße „xxx“ in M. gefahren und habe beabsichtigt, über einen zwischen Grünstreifen liegenden Überquerungsabschnitt links in die Straße „An de Knick“ abzubiegen. An diesem Tag hätten normale Witterung ohne Frost und einwandfreie Fahrbahnbedingungen geherrscht. An der Unfallstelle seien Streurückstände nicht beseitigt worden. Zum Unfallzeitpunkt habe die Beklagte bereits nicht mehr gestreut, sondern den übrigen Weg schon vom vorhandenen Streugut geräumt. Das verwendete Streugut sei ungeeignet gewesen. Vielmehr hätte ein Feuchtsalz an Stelle eines Sand-/Splittgemischs verwendet werden müssen. Aufgrund der Streurückstände sei sie nach rechts weggerutscht und auf die linke Seite gestürzt. Bei dem Sturz habe sie sich mit dem linken Arm abgestützt, wodurch eine distale Radiusfraktur der linken Hand eingetreten sei. Diese sei zunächst im Krankenhaus in H. schmerzhaft eingerenkt und sodann einige Tage später operativ behandelt worden. In der Folgezeit habe sie eine Stabilisierungsschiene tragen müssen, woran sich eine physiotherapeutische Behandlung anschloss. Durch den Unfall habe sie einen Folgeschaden in Form der Erkrankung durch Morbus Sudeck erlitten, sodass eine erhebliche Krafteinschränkung in der linken Hand sowie eine Störung der Feinmotorik verblieben sei. Sie sei nicht mehr in der Lage, mit der Hand zu greifen. Aufgrund dieser durch den Unfall entstandenen Beeinträchtigungen sei es ihr nur eingeschränkt möglich alltägliche Arbeiten und den gemeinsamen Haushalt zu erfüllen.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin neben materiellem und immateriellem Schadensersatz, vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und Feststellung der Eintrittspflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden einen Haushaltsführungsschaden bis März 2018 geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten der Berechnung des Haushaltsführungsschadens wird auf die Aufstellung auf Seite 4 und 5 der Klageschrift (Blatt 4 und 5 der Akten) Bezug genommen.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe durch die Verwendung ungeeigneten Streuguts und unterlassene Räumung in zweifacher Hinsicht die Verkehrssicherungspflicht verletzt.
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Sie hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 15.000,00 EUR nebst 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2015 zu bezahlen.
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2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 24.051,32 € nebst 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2018 sowie weiteren 5 % Zinsen aus 20.034,44 € ab dem 01.04.2017 bis zum Tage der Klagezustellung zu bezahlen.
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3. Die Beklagte zu verurteilen, an sie Attestkosten in Höhe von 80,44 EUR nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2017 zu bezahlen.
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4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Zukunftsschäden aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht anlässlich des Unfalls vom 24.03.2015 und dessen Folgen zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf einen gesetzlichen Leistungsträger übergegangen sind bzw. übergeben werden.
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5. die Beklagte zu verurteilen, den nicht anrechenbaren Anteil der Geschäftsgebühr aus der vorgerichtlichen Tätigkeit nach VV 2300 RVG in Höhe von 1.0237,97 EUR zu bezahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, bei der von der Klägerin benannten Unfallstelle handele es sich um einen reinen Fußweg, auf dem lediglich die Benutzung des Weges für Radfahrer durch das Zusatzschuld VZ 1022-10 gestattet sei. Fahrradfahrer könnten problemlos die Straße „xxx“ befahren. Die Unterbrechung des Grünstreifens sei keine Radfahrerfurt. Radfahrer, die den Fußgängerweg nutzen, müssten bei Nutzung des Überwegs zwingend absteigen, da selbst Fußgänger sich hierzu zu 90° wenden müssten. Der Winterdienst sei auch zum behaupteten Unfallzeitpunkt noch nicht beendet gewesen. Es sei noch Bodenfrost und Morgenglätte vorhanden gewesen, weshalb noch nicht geräumt worden und daher erhöhte Vorsicht erforderlich gewesen sei. Das zum Streuen verwendete Sand-Salzgemisch sei zweckmäßig und stelle bei angemessener Fahrweise keine Gefahr dar.
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Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst Verweisungen Bezug genommen.
- 15
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Klägerin und Beweisaufnahme (Inaugenscheinnahme von Lichtbildern) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bis Ende März sei grundsätzlich noch mit Nacht- und Bodenfrost zu rechnen, weshalb die mangelnde Räumung des Streuguts keine Pflichtverletzung darstelle.
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Dagegen wendet sich der Klägerin mit der Berufung unter Weiterverfolgung ihrer erstinstanzlichen Anträge. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, das verwendete Streugut sei für Radwege ungeeignet, es hätte ein Salzgemisch eingesetzt werden müssen. Wegen des Golfstroms seien Glätteerscheinungen Ende März nahezu ausgeschlossen. Da andere Abschnitte bereits geräumt worden seien, sei sie davon ausgegangen, auch die behauptete Unfallstelle sei von Streugut geräumt worden.
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Die Beklage tritt der Berufung entgegen.
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Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
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Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlusswege zurückzuweisen. Sie hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat darüber hinaus keine grundsätzliche Bedeutung. Zudem erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht. Auch eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
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Zur Begründung verweist der Senat auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 23. Juli 2019. In diesem Beschluss hat der Senat u. a. ausgeführt:
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„Gemäß § 513 ZPO kann die Berufung nur auf eine Rechtsverletzung oder darauf gestützt werden, dass die gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigenden Feststellungen ein anderes als das landgerichtliche Ergebnis rechtfertigen. Beides liegt nicht vor. Denn das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.
- 22
Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte steht nicht fest. Die Verkehrssicherungspflicht als allgemeine Rechtspflicht verlangt, im Verkehr Rücksicht auf Rechtsgüter anderer zu nehmen und Gefährdungen und Schädigungen nach Möglichkeit auszuschließen. Inhalt, Umfang und Grenzen der Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich zum einen nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs und andererseits nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Verpflichteten (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2005, 1611, 1612). Dabei kann kein Maß an Sicherheit verlangt werden, das jegliche Gefährdungen vollkommen ausschließt (vgl. BGH, NJW-RR 2003, 1459).
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Die Beklagte trifft als Trägerin hoheitlicher Gewalt die Verkehrssicherungspflicht im Bereich öffentlicher Straßen. Allerdings steht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch sie nicht fest. Ein Verstoß gegen die Pflicht, den von ihr unterhaltenen Weg von Streumitteln zu reinigen, liegt nicht vor (§§ 10 Abs. 3, 45 Abs. 1 StrWG).
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Dahinstehen kann, ob die Klägerin als Radfahrerin überhaupt in den Schutzzweck der für diesen Ort bestehenden Verkehrssicherungspflicht einbezogen war. Dies ist bereits zweifelhaft, weil nicht feststeht, dass es sich vorliegend überhaupt um einen Weg gehandelt hat, der von Radfahrern pflichtgemäß zu benutzen war. Sollte es sich nämlich um einen nur Fußgängern zum Verkehr offen stehenden Weg gehandelt haben, wäre die – nach ihrem Vortrag – mit dem Rad gestürzte Klägerin vom Schutzzweck der Reinigungsverpflichtung gar nicht umfasst. Die Beklagte hat die Behauptung der Klägerin, es handele sich hier um mit dem Zeichen 240 (Anlage 2 zu § 41 StVO) ausgeschilderten gemeinsamen Geh- und Radweg, bestritten und angeführt, es handele sich um einen mit Zeichen 239 ausgeschilderten Fußweg. Dem Beweisangebot der Klägerin (Augenscheinseinnahme) musste das Landgericht allerdings nicht nachgehen.
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Denn selbst wenn es sich vorliegend um einen gemeinsamen Geh- und Radweg handelt, der auch der Klägerin zur Benutzung mittels ihres Fahrrades offen stand, liegt keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor.
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Der Senat nimmt insoweit auf die überzeugenden Ausführungen im Urteil des Landgerichts Bezug. Vom Streupflichtigen kann nicht verlangt werden, dass er das von ihm pflichtgemäß ausgebrachte Streugut gleich nach jeder Verwendung wieder von der Straße beseitigt (vgl. Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, BGB § 839 Rn. 5; LG Dessau-Roßlau Urt. v. 7.6.2012 – 1 S 32/12, BeckRS 2012, 11995).
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Dies schon deshalb nicht, weil das im konkreten Fall eingesetzte Splitt-Salz-Gemisch, wie dem Gericht bekannt ist, durch den einmaligen Einsatz aufgrund einer streupflichtigen Situation nicht verbraucht ist, sondern auch dazu dient, die von künftigen Schneefällen und Eisauftritt ausgehenden Gefahren zu mindern.
- 28
Dass ein solches Splitt-Salz-Gemisch, wie die Berufung des Klägers meint, heute keine Verwendung mehr finde, kann das Gericht nicht bestätigen. Gerade bei Fußwegen sind solche Streumittel aufgrund der vorgenannten Eigenschaft – im Gegenteil – sehr gebräuchlich. Zudem steht die Auswahl des Streumittels grundsätzlich im Ermessen des Verkehrssicherungspflichtigen (vgl. OLG Saarbrücken Urt. v. 17.9.2015 – 4 U 27/15, BeckRS 2016, 7734, Rn. 101) und lässt gerade auch die Verwendung von Splitt zu (vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 823 Rn. 579).
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Dem Senat ist zudem bekannt, dass es an der Westküste auch Ende März noch zu Frost kommen kann und die Streurückstände nicht schon deshalb zu beseitigen waren, weil hiermit zu jener Jahreszeit nicht mehr gerechnet werden musste.
- 30
Die Beklagte hat auch keinen „Vertrauenstatbestand“ dadurch geschaffen, dass sie überall auf dem Weg „xxx“ die Streurückstände beseitigt habe, nur an der konkreten Stelle nicht. Vielmehr folgt aus dem von der Klägerin selbst eingereichten Lichtbild 1.2 (Fototasche Bl. 56 d. A.), dass im weiteren Verlauf des Weges ebenfalls noch Streugut vorhanden war, womit Verkehrsteilnehmer in dieser Zeit auch rechnen müssen, deshalb auch ihre Fahrweise entsprechend anzupassen haben.
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Die Ausführungen in den Schriftsätzen der Klägerin vom 24. August und 2. September 2019 rechtfertigen keine andere Entscheidung. Ob der Verbindungsweg zwischen den Rasenflächen pflichtgemäß von der Klägerin mit dem Rad benutzt werden durfte, konnte - wie bereits in den Gründen des vorgenannten Beschlusses dargestellt - dahinstehen. Denn weder würde hieraus eine Verpflichtung folgen, auf das genutzte Streugut zu verzichten, noch hätte dies zur Folge, dass die Beklagte vor dem Ablauf der Frostperiode das auf dem Weg liegende Streugut komplett räumen musste. Dem Antrag auf Zulassung der Revision war nicht zu folgen. Der Fall hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Abweichung von den Rechtsgrundsätzen, die der Bundesgerichtshof in der von der Klägerin zitierten Entscheidung (vgl. BGH, Urt. v. 23. 11. 2017 – III ZR 60/16, r+s 2018, 100) betreffend Aufsichtspflichten der Badeaufsicht aufgestellt hat, vermag der Senat nicht zu erkennen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Referenzen
- Urteil vom Bundesgerichtshof (3. Zivilsenat) - III ZR 60/16 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts 1x
- Urteil vom Landgericht Siegen - 1 S 32/12 1x
- ZPO § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss 1x
- ZPO § 513 Berufungsgründe 1x
- §§ 10 Abs. 3, 45 Abs. 1 StrWG 2x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 4 U 27/15 1x
- § 41 StVO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
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