Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (12. Zivilsenat) - 12 U 102/20

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14.07.2020, Az. 3 O 5/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 16.400,00 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Fahrzeugskaufs über einen gebrauchten VW Passat Variant 2.0 TDI, der mit einem EA189-Motor ausgestattet ist. Der Kaufvertrag wurde am 29.02.2012 zu einem Kaufpreis von 16.400,-- € geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wies der Wagen einen Kilometerstand von 106.000 km aus. Am 07.03.2020 - während des laufenden Verfahrens - verkaufte der Kläger das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 224.120 km zu einem Preis von 4.000,00 €.

2

Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

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Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er an seinem erstinstanzlichen Begehren festhält. Er beantragt:

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1. Das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14.07.2020 (Az. 3 O 5/20) wird insoweit aufgehoben, als es nicht den Anspruch auf Deliktszinsen abweist.

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2. Die Beklagte wird verurteilt, unter Anrechnung des Verkaufserlöses aus dem Verkauf des Fahrzeugs Marke: Volkswagen, Typ: Passat, FIN: xxx in Höhe von EUR 4.000,00 an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 16.400,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei, zu erstatten.

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3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.680,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Für das Berufungsvorbringen insgesamt wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Senat stimmt mit dem Landgericht darin überein, dass ein eventueller Anspruch auf Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs wegen sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte gemäß § 826 BGB (vgl. ausdrücklich zum sog. Dieselabgasskandal: BGH, Urteil v. 27.05.2020 - VI ZR 252/19, zit. nach juris) verjährt ist.

1.

11

Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangt haben müsste.

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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. ausdrücklich zum sog. Dieselabgasskandal: BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20 - zitiert nach juris).

2.

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a) Vorliegend hat die Beklagte umfassend dargelegt, warum ihrer Ansicht nach der Kläger aufgrund ihrer zahlreichen Veröffentlichungen in der Presse, in Rundfunk, im Fernsehen und im Internet von dem sog. Diesel- oder Abgasskandal allgemein sowie von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugtyps bereits im September 2015 oder spätestens den anschließenden Wochen Kenntnis hatte. Dies hat der Kläger zwar bestritten. Er hat diesbezüglich in erster Instanz in der mündlichen Verhandlung eine Erklärung verlesen lassen, wonach er vom Diesel-Abgasskandal allgemein Kenntnis gehabt habe, nicht jedoch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs. Erst durch ein späteres Schreiben des Kraftfahrtbundesamtes habe er erfahren, dass auch sein Fahrzeug mit einem EA189-Motor ausgestattet sei. In zweiter Instanz hat er mitteilen lassen, dass er in den Zeiten der Presseveröffentlichungen, insbesondere zwischen September 2015 und dem Ende des Jahres 2015 als Fernfahrer über lange Zeit in Frankreich gewesen sei.

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Bei dieser Sachlage fehlt es schon an einem substantiierten Bestreiten des Klägers. Denn warum er trotz der zahlreichen Veröffentlichungen der Beklagten nichts davon wahrgenommen und auf den von ihm erworbenen Pkw bezogen haben soll, erschließt sich dem Senat nicht. Der Kläger steht offensichtlich im Berufsleben, so dass - worauf auch die Beklagte hinweist - von einem durchschnittlichen Nachrichtenkonsum über Zeitungen, Internet, Radio und Fernsehen auszugehen ist. Allein die Tatsache, dass sich der Kläger über längere Zeit in dem Zeitraum bis Ende des Jahres 2015 im Ausland aufgehalten haben soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch im Ausland entsprechende Nachrichten wahrgenommen hat, zumindest über sein offensichtlich vorhandenes Handy, über das heutzutage gerichtsbekannt nicht nur Telefonanrufe empfangen werden, sondern auch Nachrichten abgerufen werden. Die Aufmerksamkeit des Klägers müsste insofern auch besonders dadurch geschärft gewesen sein, dass er einen VW Passat erworben hatte, der in den Veröffentlichungen der Beklagten ausdrücklich als betroffener Fahrzeugtyp genannt worden ist. Dass er daraufhin nicht das Naheliegende unternommen haben will und anhand der angebotenen Internetplattform der Beklagten nicht nachgeprüft haben will, ob auch sein Fahrzeug von dem bekannt gewordenen Skandal betroffen sein soll, erscheint dem Senat nicht ohne Weiteres glaubhaft. Aus diesem Grund haben sowohl das Landgericht als auch der Senat den Kläger zur jeweiligen mündlichen Verhandlung geladen. Der Kläger ist jedoch jeweils ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen, so dass der Senat seine wenig überzeugenden schriftlichen Angaben nicht verifizieren konnte. Das Angebot einer telefonischen Befragung ersetzt die persönliche Befragung in einer mündlichen Verhandlung nicht; auch die Möglichkeit einer Videokonferenz wurde vom Kläger nicht nachgefragt.

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b) Aber selbst wenn man annehmen würde, dass es der Beklagten nicht gelungen ist zu beweisen, dass der Kläger auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs wusste, ist es zumindest als grob fahrlässig anzusehen, dass er sich - ausgehend davon, dass er unstreitig allgemein vom sog. Dieselabgasskandal Kenntnis hatte - nicht über das extra von der Beklagten eingerichtete Internetportal, seinen VW-Händler oder andere Stellen näher informiert hat, um die Informationen zu bekommen, die er brauchte, um seine Rechte zu wahren.

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Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung (“Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Hierbei trifft den Gläubiger aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2016 - XI ZR 122/14 - zitiert nach juris).

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Anders als der Kläger möchte, zieht der Senat aus dieser Entscheidung den Rückschluss, dass der Kläger durchaus verpflichtet gewesen wäre, eigene Nachforschungen anzustellen. Es fehlt nämlich im vorliegenden Fall an dem im Fall des Bundesgerichtshofs vorhandenen Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten. Anders als dort durfte sich der Kläger hier nicht darauf verlassen, dass die Beklagte ihn - noch dazu bei der Menge der Fälle - zeitnah persönlich benachrichtigen würde. Er musste daher selbst naheliegende Möglichkeiten der Aufklärung wahrnehmen. Auch hierzu hat der Kläger, da er persönlich nicht zur Verhandlung erschienen ist, keine Ausführungen machen können, warum ihm ausnahmsweise eine solche Wahrung der eigenen Interessen nicht möglich gewesen sein soll.

18

c) Nach alledem ist nach dem nur unsubstantiiert bestrittenen Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass der Kläger bereits 2015 Kenntnis von den im vorliegenden Fall einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte gem. § 826 BGB begründenden tatsächlichen Umständen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hatte oder sich zumindest insoweit in grob fahrlässiger Unkenntnis befand.

3.

19

Dem Kläger war es 2015 auch zumutbar, aufgrund dessen, was ihm damals hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs über den EA 189-Motor in seinem Fahrzeug und das sittenwidrig schädigende Verhalten der Beklagten bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, Klage zu erheben.

20

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs in seinem jüngsten Urteil vom 17.12.2020 (aaO) zur Frage der Verjährung von Ansprüchen gegen die Beklagten wegen sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB, der der Senat folgt, beinhaltet die Tatsache, dass der Kläger im Jahr 2015 vom sogenannten Diesel- oder Abgasskandal allgemein und von der konkreten Betroffenheit seines Dieselfahrzeugs wusste (bzw. hier alternativ grob fahrlässig nicht wusste), dass er auch wusste, dass sein Fahrzeug als eines von mehrere Millionen VW-Dieselfahrzeugen mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet war, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden und dass das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten deshalb einen Rückruf und eine Nachbesserung der betroffenen Fahrzeuge aufgegeben hatte. Diese Konkretisierung ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten zu der sehr breiten medialen Berichterstattung im Herbst 2015, aus der die Beklagte bereits auf die Kenntnis des Klägers vom sogenannten Diesel-Skandal und von der Betroffenheit seines Fahrzeugs geschlossen habe. Naturgemäß sei dem Kläger weiter bekannt gewesen, ob er beim Kauf des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben als selbstverständlich vorausgesetzt habe und ob er das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit möglicherweise verbundenen (rechtlichen) Konsequenzen gewusst hätte. Kenntnis von der abstrakten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung, die aufgrund der dem Kläger im Jahr 2015 bekannten Funktionsweise der Software bestanden habe, seien nicht erforderlich gewesen. Die dem Kläger bekannten Tatsachen würden auch ausreichen, den Schluss nahezulegen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörden abgezielt habe, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruht habe. Es sei weiter naheliegend, dass eine solche Strategieentscheidung nicht etwa von einem untergeordneten Mitarbeiter im Alleingang, sondern von einem Vorstand oder einem sonstigen verfassungsmäßig berufenen Vertreter, dessen Verhalten der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen sei, getroffen oder jedenfalls gebilligt worden sei. Da sich die Unzulässigkeit der verwendeten Motorsteuerungssoftware aufdränge, habe darauf ohne weiteres der Schluss auf ein diesbezügliches Bewusstsein des verfassungsmäßig berufenen Vertreters gezogen werden können, ferner auf dessen Bewusstsein, dass angesichts der mit der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung verbundenen, die volle Brauchbarkeit des Fahrzeugs einschränkenden Risiken niemand ein solches Fahrzeug - zumindest nicht ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis - erwerben würde. Einer näheren Kenntnis des Klägers von den „internen Verantwortlichkeiten“ im Hause der Beklagten habe es nicht bedurft

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Dem ist auch der Kläger im hiesigen Verfahren nicht entgegengetreten.

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Nach den weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs in o.g. Urteil, denen der Senat ebenfalls folgt, kommt es des Weiteren auch nicht darauf an, ob der Kläger bereits 2015 aus dem ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen hat, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB hergeleitet hat. Der eng begrenzte Ausnahmefall, dass die Erhebung einer (Feststellungs-) Klage wegen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage unzumutbar gewesen sei und der Verjährungsbeginn daher hinausgeschoben worden sei, liege hier nicht vor. Der Durchsetzung des Anspruchs aus § 826 BGB habe eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entgegengestanden. Es sei im Gegenteil ausgehend von der Rechtsprechung des BGH zu § 826 BGB sowie zur sekundären Darlegungslast erkennbar gewesen, dass sich diese Rechtsprechung auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragen lassen würde, sodass die Rechtsverfolgung schon 2015 hinreichende Aussicht auf Erfolg versprochen habe und zumutbar gewesen sei.

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Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass dem Kläger bereits im Jahr 2015 die Erhebung einer Klage zumutbar war. Die Verjährungsfrist begann mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen und endete mit dem Schluss des Jahres 2018.

4.

24

Ein Anspruch des Klägers auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten entfällt, da es vorliegend schon an einem Hauptanspruch fehlt.

5.

25

Nach alledem ist die Berufung vollumfänglich zurückzuweisen.

III.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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