Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (1. Zivilsenat) - 1 U 51/21

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 28.05.2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

1

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen in seinem Fahrzeug eingebauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.

2

Der Kläger kaufte von der Beklagten im April 2015 einen gebrauchten Mercedes Benz GLK 350 CDI 4MATIC zu einem Preis von 58.799,00 € (Anlage K 1, AB). Es ist mit einem Motor OM 642 ausgestattet und in die Schadstoffklasse EU 5 eingeteilt. Am 25.03.2019 verkaufte der Kläger das Fahrzeug für 27.250,00 € (Anlage A 1, Bl. 179 d. A.).

3

In dem Fahrzeug wird der Stickoxidausstoß über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung. Ein SCR-Katalysator ist in das Fahrzeug nicht eingebaut.

4

Die Motorsteuerung verfügt über eine sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Das Kühlmittel wird nach dem Start des Fahrzeugs heruntergekühlt, was zu einer abgesenkten Verbrennungstemperatur und dadurch zu einer Reduzierung von Stickoxiden führt. Wegen dieser Regelung hat das Kraftfahrt-Bundesamt für bestimmte mit einem Motor OM 651 ausgerüstete Fahrzeuge einen Rückruf angeordnet.

5

Das Kraftfahrt-Bundesamt hat Rückrufe von Fahrzeugen mit dem Motor OM 642 wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen angeordnet. Das Fahrzeug des Klägers ist davon nicht betroffen. Die Beklagte bietet als freiwillige Kundendienstmaßnahme auch für das Fahrzeug des Klägers ein Update an, das zu einer Reduzierung des Stickoxidausstoßes führen soll.

6

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt gegen Mitarbeiter der Beklagten Ermittlungen wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung.

7

Der Kläger hat behauptet, der Grenzwert für Stickoxidemissionen werde nur mithilfe von Abschalteinrichtungen eingehalten. Bei Messungen der Deutschen Umwelthilfe und der Volkswagen-Untersuchungskommission sei der Grenzwert im Straßenbetrieb überschritten worden.

8

Außerhalb des Temperaturbereiches für den NEFZ von 20 °C bis 30 °C werde die Abgasrückführung ungerechtfertigt schnell abgeschaltet. Bei 7 °C werde sie um bis zu 48 % reduziert.

9

Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung halte nach einem Gutachten (Anlage R 1, AB) die Temperatur des Kühlmittels bei bestimmten Drehzahlen und Luftmassenströmen, die praktisch nur im NEFZ, im normalen Betrieb wegen einer stärkeren Beschleunigung aber nicht vorkämen, bei 70 °C. Die stärkere Kühlung führe zur Einhaltung des Grenzwerts, aber auch zu einem höheren Verschleiß. Sie sei technisch nicht sinnvoll. Würden die Parameter überschritten, würde eine Solltemperatur von 100 °C eingestellt. Der Effekt würde dadurch verstärkt, dass bei einem Sollwert von 70 °C die Kühlerjalousie bereits vor Erreichen des Sollwerts geöffnet werde, was zu einem weiteren Herunterkühlen führe, technisch aber nicht sinnvoll sei.

10

Es gebe eine Prüfstanderkennung mit den Funktionen Bit 13, Bit 14 und Bit 15, die zu verschiedenen Betriebs-Modi führten und die Abgasreinigung herunterregelten.
Die Beklagte habe im Typenzulassungsverfahren Unterlagen nicht vorgelegt.

11

Der Kläger hat die Zahlung von 23.349,00 € nebst Zinsen unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

12

Die Beklagte hat behauptet, die Senkung der Abgasrückführungsrate bei niedrigen Temperaturen sei zum Schutz des Motors vor Ablagerungen notwendig. Es handele sich um einen Industriestandard. Die Abgasrückführung sei noch bei zweistelligen Minusgraden aktiv.

13

Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei für die Einhaltung des Grenzwerts für Stickoxidemissionen nicht ausschlaggebend. Sie diene der Reduktion der Emissionen nach einem Kaltstart. Die Steuerungsbedingungen seien auf der Straße genau so geregelt wie auf dem Prüfstand. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten sei unbrauchbar. So verfüge das untersuchte Fahrzeug ebenso wenig wie das Fahrzeug des Klägers über eine Kühlerjalousie. Eine isolierte Untersuchung der Software reiche nicht, es müssten auch die Emissionen untersucht werden.

14

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Vertragliche Ansprüche seien verjährt. Deliktische Ansprüche lägen nicht vor. Der Kläger habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für den Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen vorgetragen. Das Fahrzeug des Klägers sei von keinem Rückruf betroffen. Sein Vortrag zu Rückrufen anderer Modelle gehe fehl, weil kein Zusammenhang zu seinem Fahrzeug bestehe. Er sei dem Vortrag der Beklagten, dass die Motoren in verschiedenen Modellen unterschiedlich konfiguriert seien, nicht entgegengetreten. Auch die Messungen der Deutschen Umwelthilfe beträfen andere Modelle und seien zudem nicht unter den Bedingungen des NEFZ durchgeführt worden. Bezüglich des Thermofensters und der Kühlmittelsolltemperatur habe der Kläger ein sittenwidriges Verhalten oder eine Täuschung nicht schlüssig dargelegt. Nach seinem Vortrag unterscheide das Thermofenster nicht zwischen Straßenbetrieb und Prüfstand. Auch bei der Kühlmittelsolltemperatur-Regelung sei die Unterscheidung nicht ersichtlich. Es fehlten Anknüpfungspunkte zu dem vorgelegten Gutachten. Dieses betreffe ein anderes Modell. Es sei unklar, welcher Motor begutachtet worden sei und woher die Erkenntnisse kämen. Die behaupteten Abschalteinrichtungen Bit 13, Bit 14 und Bit 15 stünden in Zusammenhang zu einem SCR-Katalysator, der in dem Fahrzeug des Klägers nicht eingebaut sei.

15

Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, das Landgericht habe seinen Vortrag unzutreffend für nicht substantiiert gehalten. Er habe im Rahmen seiner möglichen Kenntnis konkret und ausreichend substantiiert vorgetragen. Bezüglich der Kühlmittelsolltemperatur-Regelung habe er anhand eines Gutachtens zur Funktionsweise vorgetragen. Er habe auf Rückrufe von Fahrzeugen mit demselben Motortyp, Messungen der Deutschen Umwelthilfe und Presseartikel verwiesen. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass im Vergleich zum Rollenprüfstand erhöhte Stickoxidemissionen kein Indiz für eine Abschalteinrichtung seien.

16

Der Kläger beantragt,

17

das Urteil des Landgerichts Kiel vom 28.05.2021 (Az. 2 O 154/20) teilweise abzuändern;
die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses aus dem Verkauf des Fahrzeugs Marke: Mercedes-Benz, Typ: GLK 350 CDI 4MATIC mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer: … in Höhe von EUR 27.350,00 € an ihn EUR 58.799,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis x (aktueller Kilometerstand – Kilometerstand bei Erwerb) / (geschätzte Gesamtlaufleistung – Kilometerstand bei Erwerb) zu zahlen;

18

die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von EUR 2.918,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie hält die Berufung mangels formgerechter Begründung für unzulässig.

II.

22

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zur Recht und mit zutreffender Begründung mangels substantiierter Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten zurückgewiesen.

23

1. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger sie in zulässiger Weise begründet. Die Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung, die auf eine Rechtsverletzung gestützt wird, nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO sind nicht hoch. Es reicht, wenn sie, zugeschnitten auf den jeweiligen Fall, erkennen lässt, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Berufungsführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält (BGH, Beschluss vom 21.07.2020, VI ZB 7/20, Rn. 7 bei juris). Besondere formale Anforderungen bestehen nicht. So ist es ohne Bedeutung, ob die Berufungsbegründung schlüssig oder vertretbar ist oder Angriffe auf Rechtsstandpunkte enthält, auf die das angefochtene Urteil nicht gestützt wird (BGH, Beschluss vom 06.12.2011, II ZB 21/10, Rn. 7 bei juris).

24

Die Berufungsbegründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger den geltend gemachten Anspruch aus § 826 BGB weiter verfolgen will. Es ist unschädlich, dass sie überwiegend Rechtsausführungen zu Fragen enthält, die im angefochtenen Urteil nicht erwähnt werden. Entscheidend ist, dass er, wenn auch auf wenigen Seiten, mit einem Verweis auf die von ihm vorgetragenen Anhaltspunkte die Auffassung des Landgerichts angreift, sein Vortrag zu den unzulässigen Abschalteinrichtungen sei nicht hinreichend substantiiert gewesen.

25

2. Gegen die Feststellung, dass vertragliche Ansprüche verjährt sind, wendet sich die Berufung nicht.

26

3. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung oder ein anderer Deliktsanspruch zu. Alle infrage kommenden deliktischen Ansprüche setzen voraus, dass die Beklagte oder ihre Erfüllungsgehilfen durch ein vorsätzliches sittenwidriges, täuschendes Verhalten die Zulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gefährdet hätten. Das hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.

27

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es genügt regelmäßig nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, 250, 251 f., Rn. 16).

28

Danach kann ein Autohersteller, der auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, sittenwidrig handeln. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung Betriebsbeschränkungen oder -untersagungen erfolgen. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16  bei juris).

29

b) Es ist aufgrund des Vortrags des Klägers nicht feststellbar, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, die zum Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt führen kann.

30

aa) Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.

31

Diese Vorschriften sind dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, wenn die Motorsteuerung während des Tests Parameter ermittelt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesem Test zu verbessern, auch dann, wenn solche Verbesserung auch unter normalen Nutzungsbedingungen punktuell eintreten (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2020, 1216, 1220 f., Rn. 91 ff., Rn. 102). Ein solches System ist auch dann nicht von der Ausnahme nach § 5 abs. 2 lit. a VO 715/2007/EG gedeckt, wenn es dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern (a. a. O, S. 1221, Rn. 103 ff., Rn. 115).

32

(1) Ob es sich nach dieser Definition bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung handelt, kann offen bleiben. Zweifel bestehen, weil zwar die Lufttemperatur ermittelt und je nach Lufttemperatur die Rate der Abgasrückführung verändert wird, das aber auch nach der Behauptung des Klägers im normalen Straßenverkehr in gleicher Weise geschieht. Daran ändert es nichts, dass er behauptet, das System sei vollständig nur bei den Temperaturen, die beim NEFZ herrschen, aktiv. Denn weil er nur eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate, nicht eine sofortige Abschaltung behauptet, arbeitet auch ein solches Temperaturfenster im Straßenverkehr gleich.

33

Der Kläger hat jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten bei der Implementierung des Thermofensters sittenwidrig gehandelt hat.

34

(2) Bei einer Kühlmittelsolltemperatur-Regelung, die, wie der Kläger behauptet, nur unter den Bedingungen des NEFZ aktiv ist, würde es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, Rn. 24 bei juris). Denn es würden zwei verschiedene Betriebszustände geschaffen. Das wäre der Fall, wenn die Solltemperatur nur unter Bedingungen, die im Straßenverkehr praktisch nicht vorkommen, bei 70 °C gehalten würde.

35

Etwas anderes folgt nicht aus den von der Beklagten vorgelegten Entscheidungen. Dort wird nur ausgeführt, dass die jeweiligen Feststellungen der Berufungsgerichte revisionsrechtlich unbedenklich seien (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 13, 17, 20, n. v.; BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, Rn. 23, 25; BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 99/21, Rn. 22, 24, n. v.).

36

(3) Die behaupteten Abschalteinrichtungen Bit 13, Bit 14 und Bit 15 hat das Landgericht zu Recht nicht berücksichtigt. Die Feststellung, dass diese nur in Zusammenhang mit einem SCR-Katalysator Bedeutung haben könnten, der im Fahrzeug des Klägers nicht eingebaut ist, greift die Berufung nicht an.

37

bb) Die Behauptungen des Klägers sind nicht hinreichend substantiiert, um eine Beweisaufnahme zu veranlassen.

38

(1) Ein Sachvortrag ist hinreichend substantiiert, wenn er in Verbindung mit einem Rechtssatz zu der von der Partei begehrten Rechtsfolge führt. Einzelheiten, die für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung sind, müssen nicht mitgeteilt werden, v. a. wenn die Partei keinen Einblick in den Sachverhalt haben kann. Es ist dann Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und ggf. einem Sachverständigen die Streitfragen zu unterbreiten. Eine Partei darf auch Aufklärung über Tatsachen verlangen, über die sie kein zuverlässiges Wissen erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge für möglich hält, wenn sie mangels eigener Sachkunde keine Kenntnis von der Tatsache haben kann. Eine Behauptung ist erst unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellt wird. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten. I. d. R. ist sie nur anzunehmen, wenn jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte fehlen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 20 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 4, 7 ff. bei juris).

39

Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung von Fahrzeugen mit dem im Streit stehenden Motortyp sein (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 11 f. bei juris). Es kann ausreichen, wenn die Partei Presseberichte einreicht, nach denen das Kraftfahrt-Bundesamt wegen des Verdachts einer Abschalteinrichtung in dem betroffenen Motor ein Anhörungsverfahren eingeleitet und amtliche Rückrufe durchgeführt habe (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 24 f. bei juris). Auch eine Überschreitung des Grenzwerts bei einem Test unter leichter Abweichung von den Bedingungen des NEFZ kann ein greifbarer Anhaltspunkt sein (Senat, Urteil vom 09.04.2021, 1 U 94/21, Rn. 38 ff. bei juris).

40

Zu beachten ist jeweils, dass es nur um Anhaltspunkte für die aufgestellte Behauptung geht, die eine Beweiserhebung erlauben. Ein bestimmter Grad an Gewissheit, erst recht in einem Maß, wie es für einen Beweis notwendig wäre, kann nicht verlangt werden.

41

(2) Hinsichtlich der Funktion des geregelten Kühlmittelthermostats kann sich der Kläger nicht auf die Rückrufe durch das Kraftfahrt-Bundesamt stützen, auch wenn Rückrufe für Fahrzeuge mit dem Motor OM 642 erfolgt sind.

42

Die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung ist unstreitig vom Kraftfahrt-Bundesamt bisher nur bei Fahrzeugen mit dem Motor OM 651 beanstandet worden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Presseartikeln und den Pressemitteilungen der Beklagten zu den Rückrufen (Anlagen K 6 - K 9, AB). Inwiefern Erkenntnisse zu dem Motor OM 651 auf den Motor OM 642 übertragbar sein sollen, teilt der Kläger nicht mit.

43

Zwar sind nach den von dem Kläger vorgelegten Übersichten (Anlagen K 3, K 4, AB) auch Fahrzeuge mit dem Motor OM 642 wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückgerufen worden. Der Kläger teilt aber nicht mit, welche Funktion der Motorsteuerung dabei als unzulässig beurteilt worden ist. Zudem ist das Fahrzeug des Klägers unstreitig von einem solchen Rückruf nicht betroffen.

44

Stattdessen wird für das Fahrzeug des Klägers eine freiwillige Servicemaßnahme angeboten. Das ist unstreitig. Dem entsprechenden Vortrag der Beklagten (Ss. v. 08.03.2021, S. 30, Bl. 100 d. A.; Ss. v. 29.04.2021, S. 2, Bl. 221 d. A.) ist der Kläger nicht entgegengetreten. Soweit er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (Prot. v. 07.05.2021, S. 2, Bl. 247 d. A.) angegeben hat, ihm sei kein Update angeboten worden, bezog sich das auf den ebenfalls angesprochenen verpflichtenden Rückruf. Der Kläger hat auch selbst zu dem freiwilligen Rückruf vorgetragen (Klageschrift S. 17, Bl. 20 d. A.).

45

Die freiwillige Kundendienstmaßnahme zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Es ist allgemein bekannt, dass die Automobilhersteller mit der Bundesregierung vereinbart haben, solche Maßnahmen durchzuführen, und zwar unabhängig von Verstößen gegen Bestimmungen zur Schadstoffreduzierung in Abgasen. Deswegen kann aus dem Angebot eines Updates nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geschlossen werden. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der von dem Kläger vorgelegten Pressemitteilung der Beklagten (Anlage K 12, AB).

46

Die freiwillige Servicemaßnahme ist vielmehr ein Indiz dafür, dass die Motorsteuerung in dem Fahrzeug des Klägers keine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Denn das Kraftfahrt-Bundesamt hat in verschiedenen Auskünften mitgeteilt, dass die freiwilligen Maßnahmen nur an Fahrzeugen zugelassen werden, in deren Motorsteuerung bei einer Untersuchung keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden sind (Auskünfte vom 19.08.2020, 20.08.2020 und 18.03.2021, Anlagen B 6 - B 8, AB). Das bedeutet, dass bei diesen Fahrzeugen gerade keine zu beanstandende Kühlmittelsolltemperatur-Regelung festgestellt worden ist, wie sie für bestimmte Fahrzeuge mit dem Motor OM 651 zum Rückruf geführt hat.

47

(3) Das Gutachten des Sachverständigen X (Anlage R 1, AB) bietet keinen greifbaren Anhaltspunkt für eine unzulässige Kühlmittelsolltemperatur-Regelung in dem Fahrzeug des Klägers. Denn der Kläger teilt nicht mit, inwiefern die dortigen Erkenntnisse auf sein Fahrzeug übertragbar sein sollen.

48

Es ist bereits unklar, die Motorsteuerung welches Fahrzeugmodells der Sachverständige untersucht hat. Er hat ausgeführt (S. 2 GA), dass er die Software für das streitgegenständliche Modell, einen Mercedes-Benz E 250, nicht habe beschaffen können und so die Software vergleichbarer Modelle untersucht habe. Welche das waren, teilt er nicht mit. Aus dem Gutachten geht außerdem nicht hervor, welcher Motortyp untersucht worden ist.

49

Für die Übertragbarkeit der Erkenntnisse reicht es nicht aus, dass auch das Fahrzeug des Klägers unstreitig über eine Kühlmittelsolltemperatur-Regelung verfügt. Denn es ist ebenso unstreitig, dass diese nicht bei allen Fahrzeugen vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden ist.

50

(4) Die Überschreitungen des Grenzwerts für Stickoxidemissionen bei Messungen im realen Fahrbetrieb lassen nicht auf eine Abschalteinrichtung schließen. Ursache können auch abweichende Bedingungen wie andere Umgebungstemperaturen, eine höhere Motorbelastung oder die Zuschaltung von Verbrauchern wie Heizung oder Klimaanlage sein.

51

Der Verordnungsgeber ging sicherlich davon aus, dass die Einrichtungen zur Abgasbehandlung und -reinigung bei vom NEFZ abweichenden Bedingungen im Grundsatz ebenso funktionieren wie auf dem Prüfstand. Wenn der Grenzwert aber zu jedem Zeitpunkt des Betriebes, unabhängig von den Umgebungsbedingungen und der Motorbelastung, einzuhalten wäre, hätte es der Normierung eines Testverfahrens nicht bedurft.

52

(5) Der Kläger kann sich nicht auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart stützen. Er teilt nicht mit, gegen wen und mit welchem Vorwurf sie geführt werden. Die Ermittlungen müssen damit nicht den Verdacht des Einsatzes einer unzulässigen Kühlmittelsolltemperatur-Regelung in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell betreffen.

53

(6) Der Vortrag des Klägers hat nicht bereits nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu gelten, weil die Beklagte einer sekundären Darlegungslast der Beklagten bzgl. der technischen Einzelheiten des Thermofensters nicht nachgekommen wäre.

54

Der Gegner der darlegungsbelasteten Partei kann sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn der darlegungsbelasteten Partei der Beweis nicht möglich oder nicht zumutbar ist und sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während die Gegenpartei diese Kenntnis hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind (BGH NJW 1983, 687, 688; BGH, NJW 1987, 2008, 2009; BGH NJW 1999, 579, 580; BGHZ 163, 209, 214). Von der Gegenpartei wird dann im Rahmen des Zumutbaren ein substantiiertes Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt (BGH NJW 2008, 982, 984, Rn. 16).

55

Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass eine Autoherstellerin verpflichtet wäre, auf jede Behauptung eines Klägers, es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, die genaue Funktion der Motorsteuerung offen zu legen. Voraussetzung wäre zumindest eine substantiierte Behauptung einer Abschalteinrichtung durch den Kläger (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 21; Anlage BB 1).

56

cc) Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Verantwortlichen bei der Beklagten bei der Ausgestaltung des Thermofensters.

57

Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 bei juris; BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 13 bei juris. Es reicht dabei nicht aus, dass eine Motorsteuerung objektiv als rechtswidrig zu beurteilen ist. Ein solcher Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz einer Steuerungssoftware durch die für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Für die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 16 bei juris.

58

Bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 30 bei juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 25 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris; OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019, 12 U 123/18, Rn. 46 ff. bei juris). Das gilt auch dann, wenn sich das Temperaturfenster nahe an den Temperaturen bewegt, die auf dem Prüfstand herrschen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 19, 24 bei juris).

59

Das Thermofenster, das in die Motorsteuerung des Fahrzeugs des Klägers integriert ist, funktioniert auch nach dem Vortrag des Klägers auf dem Prüfstand nicht wesentlich anders als im realen Straßenverkehr. Weitere Umstände, die danach zur Feststellung eines sittenwidrigen Verhaltens notwendig wären, legt der Kläger nicht dar. Ein solcher Umstand liegt nicht vor, wenn dem Kraftfahrt-Bundesamt die genaue Wirkungsweise des Thermofensters nicht offengelegt worden sein sollte (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 26 bei juris). Dem Senat ist aus anderen Verfahren gegen die Beklagte und weitere Hersteller bekannt, dass alle Hersteller zur Regulierung der Abgasrückführungsrate Thermofenster einsetzen. Es ist ausgeschlossen, dass dies dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht bekannt war. Somit es ebenso ausgeschlossen, dass die Beklagte versucht haben könnte, über die genaue Wirkweise des Thermofensters zu täuschen.

60

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

61

Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, wann ein substantiierter Parteivortrag vorliegt, ist geklärt. Ob der Vortrag im vorliegenden Verfahren danach substantiiert ist, ist eine Entscheidung im Einzelfall. Ohne Bedeutung wäre es, wenn der Senat Umstände nicht als greifbare Anhaltspunkte für den Vortrag des Klägers angesehen haben sollte, die von anderen Obergerichten als ausreichend beurteilt worden sind. Denn solange ihr keine abweichenden Rechtssätze zugrunde liegen, ist die abweichende Beurteilung desselben Sachverhalts durch verschiedene Gerichte kein Revisionsgrund (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, II ZR 95/06, Rn. 2 bei juris; BGH, Beschluss vom 16.09.2003, XI ZR 238/02, Rn. 2 f. bei juris).


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