Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (2. Zivilsenat) - 2 AR 7/22

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Flensburg bestimmt.

Gründe

I.

1

Die Beklagte und Antragsgegnerin zu 1) hat ihren Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Bonn, der Beklagte und Antragsgegner zu 2) hat seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Köln. Der Erblasser hatte zum Zeitpunkt seines Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Flensburg.

2

Die Klägerin war mit dem Erblasser bis zu dessen Tod am ….2013 verheiratet. Die Beklagten sind die Kinder des Erblassers. Ausweislich des Testamentes des Erblassers vom ….2000 wurden die Beklagten zu Erben eingesetzt. Die Klägerin sollte ein kostenloses Wohnrecht an dem zur Erbmasse gehörenden streitgegenständlichen Haus in der … Straße in X erhalten. Die Beklagten haben gegenüber dem Erblasser die Einräumung eines kostenlosen Wohnrechts für die Klägerin am ….2003 schriftlich garantiert.

3

Am 13.07.2021 hat die Klägerin gegen die Beklagten Klage erhoben auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, das Dach des streitgegenständlichen Hauses vollständig zu sanieren und die hierdurch entstehenden Kosten zu tragen. Zur Begründung verweist die Klägerin auf das Testament des Erblassers vom ...2000, in dem nach der Einräumung des Wohnrechtes unter anderem festgelegt sei, dass die Klägerin notwendige Wohnungsreparaturen im Einzelfall bis zu 100 DM tragen solle. 2019 sei eine Leckage am Dach des Hauses aufgetreten, die zu einem Wasserschaden geführt habe. Die Beklagten hätten sich in der Folge geweigert, die Kosten für eine Dachsanierung zu übernehmen.

4

Die Beklagten haben in ihrer Klageerwiderung vom 15.12.2021 unter anderem die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Flensburg gerügt.

5

Mit Beschluss vom 17.02.2022 hat das Landgericht Flensburg darauf hingewiesen, dass es örtlich nicht zuständig sei und einen Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO angeregt. Zur Begründung seiner Unzuständigkeit hat das Landgericht ausgeführt, die Parteien seien lediglich durch ein schuldrechtliches Wohnrecht und nicht durch ein dingliches Wohnrecht verbunden, sodass ein Gerichtsstand gemäß § 24 ZPO ausscheide. Ein Gerichtsstand nach § 26 ZPO scheide aus, weil die Klägerin ihren Anspruch nicht in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin oder Besitzerin geltend mache. Der Gerichtsstand nach § 27 ZPO scheitere daran, dass das Vermächtnis aus dem Testament durch Einräumung des Wohnrechts bereits erfüllt sei.

6

Hierauf hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 01.03.2022 beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestellt.

7

Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 17.03.2022 die Zuständigkeit des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts gerügt, weil die Beklagten im Bezirk desselben Oberlandesgerichtes ihren Wohnsitz haben, die Wohnsitze sich jedoch nicht im Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht befinden.

8

Durch Verfügung vom 22.03.2022 hat der Senat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, insbesondere zu der Frage, ob nicht doch der Gerichtsstand gemäß § 27 ZPO eröffnet sein könnte, sowie zu der Frage, welches Gericht als zuständiges bestimmt werden solle.

9

Die Klägerin hat am 22.03.2022 vorsorglich beantragt, das Verfahren an das Oberlandesgericht Köln zu verweisen. Mit Schriftsatz vom 30.03.2022 hat sie darauf abgestellt, dass nach ihrer Auffassung das Landgericht Flensburg gemäß § 27 ZPO zuständig sei.

10

Mit Schriftsatz vom 04.04.2022 haben die Beklagten erneut auf die fehlende Zuständigkeit des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes abgestellt und im übrigen den Standpunkt vertreten, ein Gerichtsstand nach § 27 ZPO liege nicht vor.

II.

11

Als zuständiges Gericht ist das Landgericht Flensburg zu bestimmen.

12

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ist zur Entscheidung über den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufen (dazu Ziffer 1). Auf den Antrag ist das Landgericht Flensburg als zuständiges Gericht zu bestimmen, weil dort ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand gemäß § 27 ZPO gegeben ist und das Landgericht Flensburg Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat (dazu Ziffer 2).

13

1. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ist für das Bestimmungsverfahren zuständig. Zwar haben die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13, 17 ZPO) in einem anderen Oberlandesgerichtsbezirk (Oberlandesgericht Köln), so dass das gemeinschaftliche im Rechtszug nächst höhere Gericht das Oberlandesgericht Köln ist. Das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Flensburg liegt jedoch im Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes, und das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht wurde mit der Vorlagefrage zuerst befasst.

14

Sinn und Zweck des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen und eine Ausweitung solcher Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2002 – X ARZ 334/01 –, Rn. 12, juris). Dies gilt erst recht für das Bestimmungsverfahren selbst. Diesem Sinn der Vorschrift entspricht es am ehesten, dass die Gerichtsstandsbestimmung durch das Oberlandesgericht erfolgt, das im Bestimmungsverfahren zuerst befasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008 – X ARZ 105/08 –, Rn. 10, juris). Dies gilt auch für die vorliegende Konstellation. Eine alternativ in Frage kommende Abgabe an das Oberlandesgericht Köln zum Zwecke der Gerichtsbestimmung wäre mit der ratio legis des § 36 ZPO schwerlich in Einklang zu bringen.

15

Im hier zu entscheidenden Fall kommt überdies hinzu, dass auch eine Zuständigkeit des zunächst angerufenen Landgerichts Flensburg wegen eines besonderen gemeinsamen Gerichtsstandes in Rede steht (und ein solcher im Ergebnis auch vorliegt, vgl. die Ausführungen unter Ziffer 2). Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ergibt sich die Zuständigkeit des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes auch aus § 36 Abs. 2 ZPO, jedenfalls in entsprechender Anwendung, weil das gemeinsame zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof wäre und das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Flensburg zum Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht gehört.

16

2. Das Landgericht Flensburg ist als zuständiges Gericht zu bestimmen.

17

a) Die Klägerin hat den Antrag rechtzeitig gestellt. Die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt nach ständiger Rechtsprechung über ihren Wortlaut hinaus auch noch in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage erhoben worden ist (BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – X ARZ 321/18 –, Rn. 10, juris). Etwas anderes gilt erst dann, wenn ein Rechtsstreit bereits so weit fortgeschritten ist, dass das bestimmende Gericht sich vernünftigerweise - namentlich aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit - nur noch für das bereits mit der Sache befasste Gericht entscheiden und deshalb von einer echten Bestimmung des zuständigen Gerichts an sich keine Rede mehr sein kann, etwa wenn gegen einen oder mehrere Beklagte bereits sachlich entschieden worden ist oder eine Beweisaufnahme zur Hauptsache stattgefunden hat (BGH, aaO, Rn. 14). Vorliegend ist bislang weder in der Sache entschieden noch mit einer Beweiserhebung begonnen worden.

18

b) Das Landgericht Flensburg ist als zuständiges Gericht zu bestimmen, weil dort ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand besteht (dazu lit. aa) und das Landgericht Flensburg Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat (dazu lit. bb).

19

aa) Vorliegend ist beim Landgericht Flensburg der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand der Erbschaft nach § 27 ZPO für die Klage gegen beide Beklagte begründet, weil der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Flensburg hatte.

20

Nach § 27 Abs. 1 ZPO können Klagen, welche Ansprüche aus Vermächtnissen oder sonstigen Verfügungen von Todes wegen zum Gegenstand haben, vor dem Gericht erhoben werden, bei dem der Erblasser zur Zeit seines Todes den allgemeinen Gerichtsstand gehabt hat.

21

Die Vorschrift erfasst alle Ansprüche aus den in der Norm aufgezählten Rechtsverhältnissen unabhängig von deren Inhalt (BeckOK ZPO/Toussaint, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO § 27 Rn. 3). § 27 ZPO ist dabei weit auszulegen, um sicherzustellen, dass der Normzweck, alle einen bestimmten Erbfall betreffenden Streitigkeiten einheitlich an einem sachnahen Gericht zu konzentrieren, erreicht wird (Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Auflage, 2019, ZPO § 27 Rn. 2, beck-online). Erfasst wird nicht nur die Geltendmachung von Vermächtnissen durch den Vermächtnisnehmer, sondern auch der Streit über Umfang und Inhalt der Vermächtnisanordnung (vgl. LG Heidelberg, Urteil vom 01. August 2014 – 1 O 29/14 –, Rn. 29, juris). Unerheblich ist dabei, ob der zugrundeliegende Anspruch im Wege der Leistungsklage geltend gemacht oder seine Berücksichtigung im Wege der Feststellungsklage erzwungen werden soll (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – X ARZ 11/91 –, Rn. 5, juris).

22

Vorliegend macht die Klägerin im Wege der Feststellungsklage einen Anspruch aus einem Vermächtnis geltend. Anders als das Landgericht Flensburg in seinem Hinweis vom 17.02.2022 meint, ändert sich hieran auch nichts dadurch, dass die Beklagten der Klägerin ein Wohnrecht eingeräumt haben. Die Beklagten setzten sich vielmehr gerade den gegen sie gerichteten Anspruch der Klägerin auf Sanierung des Dachs der streitgegenständlichen Immobilie zur Wehr. Zwar kann sich der geltend gemachte Anspruch gegebenenfalls auch aus dem (bereits) eingeräumten Wohnrecht ergeben. Die Klägerin stützt ihren Anspruch aber gerade (auch) auf den Inhalt der letztwilligen Verfügung des Erblassers, in der geregelt sei, dass die Klägerin (nur) die Übernahme von notwendigen Reparaturen im Einzelfall bis zu 100 DM tragen soll. Die Beklagten wiederum vertreten die Auffassung, dass sie sich der geltend gemachte Anspruch (auch) nicht aus dem Vermächtnis ergebe. Damit ist vorliegend (auch) der Umfang des Vermächtnisses Gegenstand des Rechtsstreits.

23

bb) Die Bestimmung des Landgerichts Flensburg ist im Rahmen des Verfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO geboten, auch wenn dort nach den obigen Ausführungen ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand besteht und die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem engen Wortlaut nach nicht erfüllt sind.

24

Aus prozessökonomischen Gründen ist in einer solchen Situation gleichwohl die Bestimmung dann geboten, wenn das Gericht des gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstands bereits erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 12. April 2007 – 2 W 66/07 –, Rn. 4, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10. November 2003 – 1Z AR 114/03 –, Rn. 4, juris; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 36 ZPO, Rn. 23 m.w.N.).

25

Vorliegend hat das Landgericht Flensburg die Parteien am 17.02.2022 darauf hingewiesen, dass es an seiner örtlichen Zuständigkeit fehle und damit erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert.

26

Sinn und Zweck des Verfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist es, die Zuständigkeit abschließend zu klären und langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Diesem Normziel kann in Konstellationen wie der vorliegenden nur angemessen Rechnung getragen werden, indem der zur Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufene Senat das nach § 27 ZPO zuständige, aber an seiner Zuständigkeit zweifelnde Gericht für zuständig erklärt.


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