Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (5. Senat für Familiensachen) - 15 UF 42/22

Tenor

Der Antrag der Antragsgegnerin vom 19. April 2022, die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengerichts - Schleswig vom 17. Februar 2022 zu Ziffer 3.) anzuordnen, wird zurückgewiesen.

Gründe

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Der mit der Beschwerdebegründung vom 19. April 2022 verbundene Antrag der Antragsgegnerin, die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vom 17. Februar 2022 zu Ziffer 3.) - der Entscheidung über den nachehelichen Unterhalt - anzuordnen, ist zurückzuweisen, da es an einer dahingehenden Rechtsgrundlage fehlt.

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1.) Endentscheidungen in Familienstreitsachen - also auch die Entscheidung in der hier vorliegenden Folgesache zum nachehelichen Unterhalt - werden grundsätzlich erst mit Rechtskraft wirksam. Das Familiengericht kann jedoch gem. § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG die sofortige Wirksamkeit anordnen mit der Folge einer sofortigen Vollstreckbarkeit kraft Gesetzes. Gem. § 116 Abs. 3 Satz 2 und 3 FamFG soll das Familiengericht die sofortige Wirksamkeit anordnen, soweit die Endentscheidung eine Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt enthält. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit steht im pflichtgemäßen Ermessen des Familiengerichts unter Abwägung aller Umstände und hat von Amts wegen zu erfolgen, ohne dass es eines Antrags bedarf.

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2.) Wird - wie vorliegend - eine Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nach § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG in der Endentscheidung vom Familiengericht unterlassen, kann der hierdurch beschwerte Beteiligte gem. § 120 Abs. 1 FamFG, §§ 716, 321 ZPO auf eine Ergänzung der Entscheidung des Familiengerichts hinwirken, was allerdings innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO zu geschehen hat (vgl. Keidel/ Weber, FamFG, 20. Auflage, § 116, Rn. 17a).

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3.) Ob stattdessen auch die Nachholung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht zulässig ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur umstritten.

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a) Nach einer Auffassung kann das Beschwerdegericht eine im ersten Rechtszug unterbliebene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nachholen.

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aa) Dabei wird die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung durch das Beschwerdegericht teilweise auf §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 3 FamFG gestützt (OLG Bamberg, FamRZ 2013, 481). Hierzu wird ausgeführt, dass das Beschwerdegericht zwar grundsätzlich einstweilige Anordnungen nach § 64 Abs. 3 FamFG nur hinsichtlich der schon eingetretenen Wirkung treffen dürfe, nicht aber Entscheidungen, welche noch nicht wirksam geworden seien, im Wege der einstweiligen Anordnung Wirksamkeit verleihen dürfe. Eine Ausnahme bestehe aber in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen wie dem § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG.

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bb) Teilweise wird die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung durch das Beschwerdegericht auf § 120 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 718 Abs. 1 ZPO gestützt, wonach eine Vorabentscheidung über die sofortige Wirksamkeit beantragt werden kann (so KG Berlin, FamRZ 2014, 1934 f.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2019, 581; Prütting/ Helms, FamFG, 5. Auflage, 2020, § 116, Rn. 30; Zöller/ Lorenz, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 116 FamFG, Rn. 10; Grandel in: Musielak/ Borth, FamFG, 6. Auflage, 2018, § 116, Rn. 6; Lies-Benachib in: Dutta/ Jacoby/ Schwab, FamFG, 4. Auflage, 2022, § 116 FamFG, Rn. 6; Keidel/ Weber, FamFG, 20. Auflage, § 116, Rn. 17a). Hierzu wird ausgeführt, dass die Regelungen der §§ 116 Abs. 3, 120 Abs. 2 FamFG nach Auffassung des Gesetzgebers die differenzierte Konstruktion der vorläufigen Vollstreckbarkeit in der ZPO ersetzen sollten. Da in § 120 Abs. 1 FamFG angeordnet sei, dass die Vorschriften der ZPO über die Vollstreckung entsprechend gelten, könne § 718 ZPO für das Nachholen der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG durch das Beschwerdegericht herangezogen werden. Der Umstand, dass in § 718 ZPO die Ermessensentscheidung des § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG nicht vorgesehen sei, begründe angesichts der nach dem Gesetz in § 120 Abs. 1 FamFG vorgesehenen "entsprechenden" Anwendung keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Entscheidung des Beschwerdegerichts. Die Regeln der §§ 321 und 718 ZPO stünden auch in der Zivilprozessordnung nebeneinander. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, der die existentielle Bedeutung des Unterhaltsanspruchs für den Unterhaltsgläubiger betone, dessen Rechtspositionen gegenüber der des sonstigen ZPO-Gläubigers verkürzen habe wollen.

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b) Nach anderer Auffassung ist die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der sofortigen Wirksamkeit im Beschwerdeverfahren insgesamt ausgeschlossen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2013, 18 UF 363/12, juris; OLG Brandenburg, FamRZ 2016, 161; Heiß, FamFR 2013, 460). Hierzu wird ausgeführt, dass auf der Rechtsgrundlage des § 64 Abs. 3 FamFG grundsätzlich nur Anordnungen hinsichtlich der schon eingetretenen Wirkungen durch das Beschwerdegericht getroffen werden können sollen. Hingegen solle Entscheidungen, die noch nicht wirksam geworden seien, im Wege der einstweiligen Anordnung keine Wirksamkeit verliehen werden können. Eine auf § 64 Abs. 3 FamFG gestützte nachträgliche Anordnung der sofortigen Wirksamkeit widerspreche daher dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Auch § 718 ZPO eröffne nicht die Möglichkeit, eine erstinstanzlich unterlassene Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit einer Endentscheidung in Familienstreitsachen in zweiter Instanz nachzuholen. § 718 ZPO sei auf die zivilprozessualen Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO zugeschnitten, wonach die von Amts wegen auszusprechende Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit für alle Urteile mit vollstreckungsfähigem Inhalt zwingend vorgeschrieben sei. Eine nach § 116 Abs. 3 FamFG zu treffende Ermessensentscheidung sei entspreche dem in der ZPO vorgesehenen Konzept gerade nicht.

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c) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Eine nachträgliche Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht kommt nicht in Betracht.

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aa) Rechtsgrundlage hierfür kann insbesondere nicht § 64 Abs. 3 FamFG sein. Danach kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung in der Hauptsache eine einstweilige Anordnung erlassen, insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist. Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Bestimmung ist es mithin, irreversible Veränderungen bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts zu verhindern, nicht aber die Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung zu beschleunigen (vgl. Schmitz in: Wendl/ Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Auflage, 2019, § 10, Rn. 84). Diesem Zweck liefe eine nachgeholte Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht zuwider, da sie die Vollstreckbarkeit der titulierten Unterhaltsansprüche und damit den Vorgriff auf die Endentscheidung gerade ermöglichen statt verhindern würde (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2016, 161).

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bb) Die sofortige Wirksamkeit kann auch nicht in entsprechender Anwendung von § 120 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 718 ZPO nachträglich angeordnet werden.

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Zwar ermöglicht es § 718 ZPO, aufgrund mündlicher Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine erstinstanzlich unterlassene Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit in der nächsthöheren Instanz nachzuholen. § 718 ZPO ist jedoch auf die zivilprozessualen Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO zugeschnitten. Danach ist die von Amts wegen auszusprechende Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit für alle Urteile mit vollstreckungsfähigem Inhalt zwingend vorgeschrieben. Demgegenüber steht die in § 116 Abs. 3 FamFG vorgesehene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Im Falle der Nachholung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit wäre daher eine Ermessensentscheidung zu treffen, die im Verfahren nach § 718 ZPO jedoch gerade nicht vorgesehen ist (ähnlich OLG Brandenburg, a.a.O., OLG Karlsruhe, a.a.O.).

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Hinzu kommt, dass das Beschwerdegericht eine erstinstanzlich getroffene Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit aufgrund ihrer Unanfechtbarkeit nicht daraufhin überprüfen kann, ob bei der erfolgten oder abgelehnten Anordnung der sofortigen Wirksamkeit von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch bzw. fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist. Es wäre daher widersprüchlich, wenn das Beschwerdegericht im Rahmen einer Nachholung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seine Ermessensentscheidung an die Stelle der erstinstanzlich unterbliebenen Ermessensentscheidung setzen könnte (ähnlich: OLG Karlsruhe, a.a.O.).

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Da die Ablehnung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit zudem nicht zwingend in die Beschlussformel aufzunehmen ist, kann aus dem fehlenden familiengerichtlichen Ausspruch nicht zwingend geschlossen werden, dass das Ausgangsgericht hierzu keine Ermessensentscheidung getroffen hat. Auch aus diesem Grund kann das Beschwerdegericht bei einem unterbliebenen Ausspruch zur sofortigen Wirksamkeit diese nicht aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung anordnen (vgl. Schmitz in: Wendl/ Dose, a. a. O., Rn. 84).

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cc) Der Unterhaltsgläubiger ist bei einer im ersten Rechtszug unterbliebenen Anordnung der sofortigen Wirksamkeit keineswegs rechtlos gestellt. Vielmehr steht ihm - wie bereits ausgeführt - die Möglichkeit offen, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der familiengerichtlichen Endentscheidung eine Ergänzung der Entscheidung des Familiengerichts gem. § 120 Abs. 1 FamFG, §§ 716, 321 ZPO zu beantragen. Dass hierbei die Wahrung von Fristen zu beachten ist, ist vor dem Hintergrund der zwingenden anwaltlichen Vertretung in Familienstreitsachen zumutbar.


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