Urteil vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 5 U 501/08 - 80

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29.09.2008 – Az: 11 O 42/08 – dahingehend abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt werden, an die Klägerin 2.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2008, 42,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 21.05.2008 und 316,18 EUR zu zahlen, und festgestellt wird, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 19.11.2007 unter Berücksichtigung hälftigen Mitverschuldens zu ersetzen, soweit ihre Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.042,55 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Die Beklagten sind Eigentümer des dreistöckigen Anwesens P.Straße 3 in S., in dem vier Arztpraxen betrieben werden. Der Zugang zu den Arztpraxen erfolgt über einen Personenaufzug oder ein Treppenhaus. Das Treppenhaus verfügt über Fensterelemente. Vor dem Gebäude befindet sich eine Straßenbeleuchtung. Die Lichtsteuerung erfolgt im Treppenhaus über Tastschalter, die die Beleuchtung über eine Zeitschaltuhr nach Betätigung vier Minuten lang einschalten. An der Treppe ist ein Handlauf angebracht.

Die Klägerin besuchte am 19.11.2007 eine Arztpraxis im zweiten Obergeschoss. Als sie diese gegen 18.00 Uhr verließ, war die Treppenhausbeleuchtung eingeschaltet. Die Klägerin ging die Treppe hinab und stürzte. Sie zog sich eine subcapitale Humeruskopfluxationsfraktur der rechten Schulter mit Riss der Supraspintussehne mit Pully-Verlust zu. Durch die Verletzung der Schulter ist eine vorzeitige Arthrose im Schultergelenk zu erwarten. Die Klägerin musste sich einer neuntägigen stationären Behandlung und einer Operation unterziehen.

Die Klägerin hat behauptet, während sie die Treppe herunter gegangen sei, sei das Licht plötzlich ausgegangen. Sie habe sich in diesem Moment, als es schlagartig völlig dunkel geworden sei, zwischen dem ersten Obergeschoss und dem Erdgeschoss befunden. Sie habe sich zu dem Handlauf getastet, sei dann weitergegangen und habe sich gut festgehalten. Als sie mit einem Fuß ins Leere getreten sei, weil sie wohl eine Stufe verfehlt habe, sei sie auf ihren rechten Arm gestürzt. Ihre betroffene Schulter sei nach wie vor nicht voll beweglich.

Der Erblasser W. G. hat behauptet, auch bei ausgeschaltetem Licht falle in das Treppenhaus so viel Helligkeit von der Außenbeleuchtung herein, dass der Weg zum nächsten Treppenabsatz und Lichtschalter bewerkstelligt werden könne.

Die Klägerin hat 4.000,00 EUR Schmerzensgeld, Attestkosten von 42,55 EUR, die Feststellung der Ersatzpflicht des Erblassers W. G. für ihre Folgeschäden sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 489,45 EUR verlangt.

Das Landgericht Saarbrücken hat den Erblasser W. G. durch Urteil vom 29.09.2008 – Az: 11 O 42/08 – antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 4.000,00 EUR Schmerzensgeld, 42,55 EUR für Attestkosten und 489,45 EUR für vorgerichtliche Anwaltskosten sowie Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass dieser zum Ersatz der Zukunftsschäden der Klägerin verpflichtet ist. Der Erblasser W. G. hat hiergegen Berufung eingelegt. Nach seinem Tode haben seine Erben in ungeteilter Erbengemeinschaft den Rechtsstreit fortgeführt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Saarbrücken die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Der Senat hat die Lichtverhältnisse im Treppenhaus bei einem Ortstermin vom 19.11.2009 in Augenschein genommen und ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. B. eingeholt.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.000,00 EUR, der Attestkosten in Höhe von 42,55 EUR, auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens und auf Ersatz entsprechender vorgerichtlicher Anwaltskosten.

(1.)

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.000,00 EUR aus den §§ 823, 253 BGB.

(a)

Die Beklagten haben durch die im Anwesen P.Straße 3 in S. befindliche Treppenhausbeleuchtung ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Der Eigentümer eines Hauses hat für eine ausreichende Beleuchtung der Zugänge zum Haus und zu den einzelnen Wohnungen bzw. Geschäftsräumen zu sorgen. An die Sicherung von Treppenanlagen sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, weil in solchen Bereichen die Gefahr von Stürzen erfahrungsgemäß hoch ist (OLG Köln MDR 2001, 561). Zwar muss eine Verkehrssicherung nicht jeden möglichen Schadensfall ausschließen. Die berechtigten Verkehrserwartungen sind auch nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet. Erforderlich ist aber das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren; haftungsbegründend wird deshalb die Nichtabwendung einer Gefahr dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (BGH, Urt. v. 19.12.1989 – VI ZR 182/89 – NJW 1990, 1236)

Es ist nach diesen Grundsätzen zwar nicht in jedem Fall zu verlangen, dass öffentlich zugängliche Treppenhäuser mit einer bei Dunkelheit dauerhaft eingeschalteten Treppenbeleuchtung oder mit Bewegungsmeldern ausgestattet werden. Grundsätzlich ist eine Treppenhausbeleuchtung mit einem Zeitschalter (sogenanntes Minutenlicht) im Regelfall ausreichend, zumindest, wenn das Zeitintervall so ausreichend bemessen ist, dass nicht in jedem Stockwerk erneut ein Lichtschalter betätigt werden muss, um das Treppenhaus zu begehen (BGH, Urt. v. 08.01.1963 – VI ZR 246/61 – VersR 1963, 360; OLG Düsseldorf, VersR 1990, 870; OLG Koblenz, r+s 1997, 62; Hager in: Staudinger, 1999, § 823 BGB Rdn. E 194; Wagner in: MünchKomm(BGB), 4.Aufl., § 823 BGB Rdn. 443; Wellner in Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kap. 14 Rdn. 129). Von dem Benutzer einer Treppe kann erwartet werden, dass er sich auf die Treppe konzentriert, weil allgemein bekannt ist, dass Treppen mit größeren Gefahren verbunden sind als ebene Strecken (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 341). Es genügt deshalb grundsätzlich, an geeigneten Stellen im Treppenhaus eine ausreichende Anzahl von Lichtschaltern anzubringen, die bei der zu erwartenden Anstrengung gesehen und benutzt werden können. Dies beugt zwar nicht der Gefahr vor, dass eine Treppenhausbeleuchtung mit einem Zeitschalter während der Benutzung der Treppe ausgeht. Gerade bei längeren Treppenhäusern kann der Benutzer jedoch nicht in jedem Fall erwarten, dass das Licht, welches er einschaltet oder welches bereits eingeschaltet ist, solange eingeschaltet bleibt, bis er die Treppe verlassen hat. Es kann hier offenbleiben, ob es eine überzogene Anforderung an die Verkehrssicherungspflicht wäre, immer eine ständige Beleuchtung von Treppenhäusern oder eine Ausrüstung der Treppenhäuser mit Bewegungsmeldern zu verlangen. Die ständige Beleuchtung der Treppenhäuser während der Dunkelheit würde erhebliche Stromkosten verursachen. Auch die Anbringung von Bewegungsmeldern kann je nach baulicher Situation erhebliche Kosten hervorrufen, da ein nachträglicher Einbau wegen der erforderlichen Zuleitungen umfassende Renovierungskosten nach sich ziehen kann. Ob deshalb solche Maßnahmen in privaten Wohnanlagen, in denen zumeist die Bewohner und auch ihre Besucher mit den Gegebenheiten vertraut sind, verlangt werden können, ist nicht zweifelsfrei.

Allerdings sind die Anforderungen für Geschäftshäuser und öffentliche Gebäude mit dichterem Publikumsverkehrs, für den sie nicht nur eröffnet, sondern geradezu bestimmt sind, höher. Die Zugänge und Wege müssen so beschaffen sein, dass auch der gegebenenfalls abgelenkte Publikumsverkehr sich gefahrlos bewegen kann (OLG Karlsruhe, OLGR Karlsruhe 2003, 407). Es muss berücksichtigt werden, dass die Benutzer im Regelfall mit den Örtlichkeiten nicht vertraut sind. Außerdem wird es bei dichtem Publikumsverkehr auch häufiger vorkommen, dass das Licht bereits eingeschaltet ist, wenn das Treppenhaus betreten wird. Es besteht dann weniger Anlass, sich um Lichtschalter zu kümmern bzw. damit zu rechnen, dass das Licht unerwartet ausgehen könnte. Der Verkehrssicherungspflichtige muss auch damit rechnen, dass die Treppenbenutzer durch ihr Anliegen, welches Grund für das Betreten des Geschäftshauses war, abgelenkt sind und deswegen um so weniger auf die Beleuchtung des Treppenhauses achten und nicht mit einem plötzlichen Ausgehen der Beleuchtung rechnen. Schließlich erwartet das Publikum während der Geschäftszeiten um so eher eine ständige Beleuchtung, je größer der Publikumsverkehr ist. Es kommt hinzu, dass bei Einrichtung eines Minutenlichtes trotz stärkerem Publikumsverkehr häufiger ein Teil des eingestellten Zeitintervalles bereits abgelaufen sein wird, so dass das Licht während der Benutzung der Treppe unerwartet ausgeht, obwohl das gesamte Zeitintervall so eingerichtet ist, dass es für die Benutzung der Treppe ausgereicht hätte, wenn es unmittelbar vor dem Betreten der Treppe ausgelöst worden wäre. Darauf muss sich der Verkehrssicherungspflichtige einstellen. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, welche Lichtverhältnisse im Treppenhaus herrschen, wenn das Licht unerwartet ausgeht. Wenn dann schlagartig und überraschend eine so erhebliche Dunkelheit eintritt, dass die Treppenkonturen nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können, muss dies verhindert werden. Dies kann entweder durch eine ständige Beleuchtung, die auch eine schwache „Notbeleuchtung“ sein kann, oder Bewegungsmelder in zumutbarer Weise geschehen. Ohne eine ausreichende Helligkeit zum Erkennen der Position des Handlaufs und des weiteren Treppenlaufes, wäre die Gefahr des mitten in einer Bewegung überraschten Treppenbenutzers zu groß. Selbst wenn er in seiner Bewegung noch innehalten kann, kann ihm kein Vorantasten im Dunkeln zugemutet werden. Angesichts der erheblichen Gefahr müssen vom Verkehrssicherungspflichtigen auch kostenintensive Maßnahmen verlangt werden.

Durch die Inaugenscheinnahme hat der Senat festgestellt, dass an der maßgeblichen Stelle im Treppenhaus, an der die Klägerin sich befunden hat, als das Licht schlagartig ausgegangen ist, in den ersten Sekunden der Dunkelheit die Konturen der Treppenstufen verschwimmen und die Treppenkanten nicht gut zu erkennen sind. Diese Situation für den Treppenbenutzer wird auch nicht dadurch verbessert, dass von außen in das Erdgeschoss, welches noch etwa 15 Treppenstufen entfernt liegt, die Straßenbeleuchtung und die Beleuchtung der gegenüberliegenden Apotheke hinein scheinen. Erst im Verlauf weiterer Sekunden, soweit sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen, werden die Treppenstufen wieder deutlicher erkennbar.

Diese Situation ist nicht ausreichend, um den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht zu genügen. Wegen des Überraschungseffektes kommt der Treppenbenutzer in eine unvorhersehbare und schwierige Situation. In dem öffentlichen Gebäude, in dem vier Arztpraxen untergebracht sind, ist auch mit Treppenbenutzern zu rechnen, deren Anpassungsfähigkeit des Auges an eine plötzlich eintretende Dunkelheit nicht bestmöglich ist. Geraten sie in die Situation – wie im Ortstermin wahrgenommen – entsteht für sie eine gefährliche Situation, die um so schwieriger zu bewältigen ist, je länger die Augen des Treppenbenutzers für die Anpassung an die Dunkelheit benötigen. In dieser Zeit kann die Treppenbenutzung nicht mehr gefahrlos fortgesetzt werden, obwohl gleichzeitig das Gefühl, im Dunkeln mitten auf einer Treppe zu stehen, den Benutzer zum Weitergehen verleiten kann.

Selbst wenn also von jedem Treppenbenutzer eine ausreichende Konzentration beim Begehen einer Treppe verlangt werden kann und der Benutzer sich sogar beim plötzlichen Ausgehen der Beleuchtung noch am Geländer festhalten und stehenbleiben kann, entsteht für ihn eine gefährliche Situation, die der Verkehrssicherungspflichtige vorhersehen und vermeiden muss. Auch wenn die Verkehrssicherungspflicht nicht zum Schaffen optimaler Verhältnisse zwingt, kann diese erhebliche Gefahr für Leib und Leben bei einem Sturz in einem unbeleuchteten Treppenhaus nicht in Kauf genommen werden. Daran ändert es auch nichts, dass ein Fahrstuhl vorhanden ist. Es fehlen Schilder, die auf die Gefahr der plötzlichen Dunkelheit hinweisen und die Fahrstuhlbenutzung empfehlen.

(b)

Der Sturz der Klägerin ist auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen. Verwirklicht sich im Schadensfalle gerade die Gefahr, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet werden soll, so spricht auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Verstoß für den Schadenseintritt ursächlich war (BGH, Urt. v. 14.12.1993 – VI ZR 271/92 – NJW 1994, 945). Diesen Anscheinsbeweis haben die Beklagten nicht entkräftet.

Ob es auch einen Beweis des ersten Anscheins für die Richtigkeit einer Angabe gibt, die unmittelbar nach dem Unfall von der geschädigten Person gegenüber Dritten gemacht worden ist, weil - jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände - nicht erkennbar ist, dass zu diesem Zeitpunkt ein Unfallopfer unzutreffende Angaben über den Unfallhergang macht (so OLG Celle, OLGR Celle 2001, 297), kann offen bleiben. Unstreitig ist aber, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Unfall in die Arztpraxis zurückkehrte, die sie vor ihrem Sturz verlassen hatte, und dem sie behandelnden Arzt den Sturz ausführlich schilderte (Bl. 29 d.A.).

Hinzu kommt, dass das Landgericht von der informatorischen Erklärung der Klägerin überzeugt war, und keine Anhaltspunkte erkennbar sind, dies in Zweifel zu ziehen.

(c)

Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erfolgte auch schuldhaft.

Ausgangspunkt für die Frage nach einem Verschulden ist die Vorschrift des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB. Hiernach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt jeweils erfordert wird, ist ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen nach einem objektivierten Maßstab zu beurteilen. Geht es um die Anforderungen an die verkehrssichere Erstellung des Treppenhauses eines Mehrfamilienhauses, so ist nach dem vorstehend Gesagten zu fragen, ob der Hauseigentümer sich bei der baulichen Gestaltung wie ein ordentlicher und besonnener Bauherr verhalten und den Integritätsansprüchen der das Treppenhaus benutzenden Personen in vernünftiger und gewissenhafter Weise Rechnung getragen hat (BGH – Urt. v. 31.05.1994 – VI ZR 233/93 – NJW 1994, 2232). Fahrlässigkeit verlangt danach, dass der Verkehrssicherungspflichtige die Gefahr bei der von ihm zu verlangenden Prüfung der Baulichkeit vorhersehen und in zumutbarer Weise vermeiden konnte. Durch eine baurechtliche Genehmigung der Anlage wird der Verkehrssicherungspflichtige nicht von einer eigenen Prüfungspflicht befreit. Denn die Erteilung der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis verfolgt andere Zwecke als die auf den Vertrauenserwartungen des Verkehrs beruhende, auf den Integritätsschutz gefährdeter Personen ausgerichtete und deshalb in ihrer Zielsetzung umfassendere Verkehrssicherungspflicht (BGH – Urt. v. 31.05.1994 – VI ZR 233/93 – NJW 1994, 2232).

Von dem Rechtsvorgänger der Beklagten war danach zu erwarten, dass er sich im Rahmen seiner Prüfungspflicht Gedanken um die Beleuchtung des Treppenhauses machte. Dabei musste er erkennen, dass das Minutenlicht zu einer überraschenden Gefahr für die Benutzer werden könne und hätte Abhilfe durch die oben genannten – ihm zumutbaren – Maßnahmen schaffen können. Angesichts der erheblichen Gefahr durch vorhersehbare Stürze auf Treppen wegen plötzlicher Dunkelheit waren von ihm auch kostenintensive Maßnahmen zu verlangen, so dass die Pflichtverletzung auch vermeidbar war. So hätte das Treppenhauslicht bei Dunkelheit während der Öffnungszeiten ständig brennen können oder es hätten Bewegungsmelder dafür Sorge tragen können, dass das Licht nicht während der Treppenhausbenutzung ausgeht. Schließlich hätten sogar einfache Warnschilder die Gefahr für den Treppenbenutzer verringern können.

(d)

Allerdings ist der Klägerin ein Mitverschulden anzulasten. Ihr Vortrag, sie habe sich am Geländer festgehalten, sei dann weitergegangen und trotz des Festhaltens gestürzt, als sie ins Leere getreten sei, ist nicht widerlegt. Dieses Verhalten begründet ein hälftiges Mitverschulden.

Die Klägerin musste zwar nicht solange stehen bleiben, bis jemand kam und das Licht erneut anschaltete, oder um Hilfe rufen. Wegen der plötzlichen Dunkelheit und der nachvollziehbaren Überraschung in dieser Situation ist es verständlich, dass die Klägerin ohne große Überlegungen nach dem Handlauf tastete und sich weiter fortbewegte, als sie diesen erreicht hatte, um von der dunklen Treppe wegzukommen. Auch die von dem Beklagten verlangte Überlegung, dass eine dunkle Treppe gefahrloser nach oben begangen werden kann als nach unten, kann in einer solchen Situation nicht erwartet werden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sie überhaupt richtig ist.

Der Klägerin kann auch nicht angelastet werden, sich unüberlegt in diese Situation gebracht zu haben. Wie oben allgemein dargelegt, kann von einem abgelenkten Benutzer der Treppe, der gerade eine Arztpraxis verlässt und in ein helles Treppenhaus tritt, keine Überlegung dazu verlangt werden, dass das Licht ausgeht, bevor er das Treppenhaus verlassen hat.

Allerdings ist beim Ortstermin deutlich geworden, dass nach dem Ausgehen des Treppenhauslichtes keine völlige Dunkelheit im Treppenhaus herrscht. Nachdem die Klägerin vorgetragen hat, dass sie zunächst stehenbleiben konnte und sich am Geländer festgehalten hat, war für sie die größte Gefahr, mitten in der Bewegung den Halt zu verlieren, vorbei. Auch wenn die Konturen der Treppen nicht deutlich zu erkennen waren, war sofort festzustellen, dass eine Resthelligkeit vorhanden war, so dass die Klägerin einerseits nicht orientierungslos im Stockdunkeln stand und andererseits mit jeder Sekunde besser sehen konnte. Es war dann von der Klägerin zu verlangen, dass sie sich ausreichend am Geländer festhielt und sich bei immer besser werdender Sicht durch die Anpassung ihrer Augen an die Dunkelheit vorsichtig von Stufe zu Stufe bis zum nächsten Lichtschalter vorantastete. Hätte sie dies in ausreichendem Maße getan, so wäre es nicht zum Sturz gekommen. Selbst wenn die Augen der Klägerin etwas länger für die Anpassung an die Dunkelheit brauchten, als dies objektiv beim Ortstermin schien, ist nicht behauptet, dass die Klägerin unter einer besonderen Sehschwäche bei Dunkelheit leidet. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Treppenhaus auch für die Klägerin nicht stockdunkel war.

Auch wenn beim Weitergehen der Griff vom Geländer immer wieder gelockert werden muss, ist nicht ersichtlich, warum die Klägerin nicht sofort wieder zupacken konnte, als sie bemerkte, das Gleichgewicht zu verlieren. Da ihr dies nicht gelungen ist, hat sie sich entweder nicht ausreichend am Geländer festgehalten oder sich nicht vorsichtig und langsam genug vorangetastet. Beides war aber von ihr in dieser Situation zu verlangen.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt zur hälftigen Schadensteilung.

In erster Linie ist auf das Maß der beiderseitigen Verursachung abzustellen, also zu fragen, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit die Verursachungsbeiträge zur Herbeiführung des schädigenden Erfolgs geeignet waren. In zweiter Linie ist das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzuwägen (BGH, Urt. v. 20.01.1998 – VI ZR 59/97 – NJW 1998, 1137). Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat die Klägerin in die gefährliche Lage auf der Treppe gebracht, die die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes deutlich erhöht hat. Die fehlende Vorsicht der Klägerin bei dem Weitergehen hat jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes ebenfalls deutlich erhöht. Es kann nicht erkannt werden, dass einer der beiden Verursachungsbeiträge den konkreten Sturz in höherem Grad wahrscheinlicher gemacht hat. Gleiches gilt für das Maß des Verschuldens. Beide Seiten trifft eine einfache Fahrlässigkeit.

(e)

Unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 EUR angemessen. Das OLG Karlsruhe hat im Jahr 2004 für eine Schulterverletzung aufgrund eines Sturzes, die operativ behandelt werden musste und zu einer geringfügig endgradigen Bewegungseinschränkung geführt hatte, ein Schmerzensgeld von 3.500,00 EUR zugesprochen (OLG Karlsruhe, MDR 2005, 449). Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B. hat auch die Klägerin eine dauerhafte Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter erlitten, die zwar mäßiggradig ist, allerdings nach Meinung des Sachverständigen zu glaubhaften Problemen im Alltag und auch bei der Berufsausübung der Klägerin führt.

(2.)

Die Klägerin hat darüber hinaus einen Anspruch in Höhe von 42,55 EUR aus den §§ 823, 253 BGB. Aufgrund der Schädigung der Klägerin war die Einholung eines Attests erforderlich. Der Mitverschuldensbeitrag der Klägerin ist hier ohne Bedeutung, denn die Attestkosten entstanden in voller Höhe, weil die Beklagten die körperliche Schädigung der Klägerin bestritten. Selbst wenn die Klägerin nur Ansprüche unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens geltend gemacht hätte, wären die vollen Attestkosten entstanden.

(3.)

Darüber hinaus ist auch der Feststellungsantrag unter Berücksichtigung hälftigen Mitverschuldens der Klägerin begründet. Der Erlass eines Feststellungsurteils setzt lediglich voraus, dass aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstehen können (BGH, Urt. v. 15.07.1997 – VI ZR 184/96 – NJW 1998, 160). Dies folgt bereits aus dem Attest vom 06.02.2008 (Bl. 7 d.A.), in dem auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Arthrose im verletzten Schultergelenk hingewiesen wird. Der Sachverständige Dr. B. hat dies bestätigt.

(4.)

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Ersatz der von ihr außergerichtlich aufgewandten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 316,18 EUR. Zum Schaden gehören auch die zur Schadensbeseitigung aufgewandten Kosten, insbesondere also die Kosten für die erforderliche und zweckmäßige Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts. Die Beauftragung des Klägervertreters war durch die schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten verursacht. Die Klägerin durfte anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen und versuchen, ihre Ansprüche außergerichtlich durchzusetzen. Allerdings sind der Klägerin nur die Anwaltskosten zu erstatten, die bei Geltendmachung der berechtigten Ansprüche entstanden wären.

(5.)

Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 286, 288 BGB.

(6.)

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen.

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