Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 WF 114/03

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Rechtspflegerin beim Amtsgericht Tübingen vom 11.11.2003

aufgehoben

und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Rechtspflegerin

zurückverwiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

 
I.
Die 1939 geschlossene Ehe zwischen der Klägerin und dem früheren Beklagten ist durch Urteil des LG Ellwangen vom 17.1.1963 aus Verschulden des Mannes geschieden worden. Die Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Mannes ist zuletzt in einem vor dem Amtsgericht Tübingen geführten Rechtsstreit (11 F 25/78) durch (vollstreckbaren) Vergleich vom 24.7.1980 dahin geregelt worden, dass der Beklagte sich verpflichtet hat, einen – nach näheren Bestimmungen der Rentenentwicklung anzupassenden – Unterhalt von (damals) monatlich 580,– DM zu zahlen.
Der Beklagte ist am 3.9.1999 verstorben. Er hat, wie sich aus der Niederschrift der Testamentseröffnung beim Notariat – Nachlassgericht – Tübingen IV (NA 1999 Nr. 68) vom 23.4.1999 ergibt, seinen aus der Ehe mit der Klägerin stammenden Sohn, den nunmehrigen Antragsgegner, zum Alleinerben bestimmt. Dieser hat die Erbschaft nach der Behauptung der Antragstellerin angenommen.
Mit Antrag vom 7./8.10.2003 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht – Familiengericht – Tübingen beantragt, den genannten Vergleich gemäß § 727 ZPO gegen den Rechtsnachfolger des verstorbenen Schuldners als dessen Alleinerbe umzuschreiben und gegen diesen Vollstreckungsklausel zu erteilen (Bl. 286 ff d. A.).
Durch Beschluss vom 11.11.2003 (Bl. 290 f d. A.) hat die Rechtspflegerin diesen Antrag – ohne Anhörung des Schuldners – kostenpflichtig zurückgewiesen mit der Begründung, die Umschreibung des Unterhaltstitels sei rechtlich nicht möglich, da nach § 1586 b BGB "der Erbe nicht Rechtsnachfolger des Schuldners ist"; vielmehr sei eine Neutitulierung des Anspruchs gegen den Erben erforderlich.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde vom 14.11.2003, der die Rechtspflegerin durch Verfügung vom 19.11.2003 nicht abgeholfen hat. Der Senat hat dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt (§ 730 ZPO); dieser ist dem Rechtsmittel und dem zugrunde liegenden Antrag entgegengetreten mit derselben Begründung, unterhaltsrechtlich sei der Erbe nicht Rechtsnachfolger des Beklagten.
II.
1. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist als sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1, 793 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG statthaft (vgl. Zöller/Stöber, ZPO 24. Aufl., § 727 Rn 29, § 724 Rn 13) und auch im übrigen zulässig.
2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg mit der Folge, dass die den Antrag zurückweisende Rechtspflegerentscheidung aufzuheben und die Rechtspflegerin anzuweisen war, die Sache unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Senats erneut zu bescheiden.
a) Grundsätzlich gehört die mit der Erbfolge eingetretene Gesamtrechtsnachfolge zu den typischen Vorgängen, für die § 727 ZPO die Umschreibung eines vorhandenen Titels vorsieht (vgl. Zöller/Stöber, aaO, Rn 4; Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl., Rn 10; Musielak/Lackmann, ZPO 3. Aufl., Rn 3, 7, je zu § 727), um dem Berechtigten eine neue Klage gegen den Rechtsnachfolger zu ersparen.
b) Dieser unstreitige Grundsatz wird jedoch ausnahmsweise im Falle des Übergangs der Unterhaltspflicht vom geschiedenen Ehepartner auf dessen Erben gemäß § 1586 b BGB in Frage gestellt. Es ist – gerade in jüngerer Zeit – lebhaft umstritten, ob ein vorhandener Unterhaltstitel nach § 727 ZPO umschreibungsfähig ist oder nicht.
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Die von der Rechtspflegerin (unter Bezugnahme auf Palandt/Brudermüller, BGB 62. Aufl., § 1586 b Rn 10) zugrunde gelegte Auffassung wird im Schrifttum verbreitet vertreten (außerdem z. B. Bergschneider FamRZ 2003, 1049, 1055; Hambitzer FamRZ 2001, 201, 203; Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl. 2003, Rn 14 zu § 1586 b; Staudinger/Baumann, BGB 12. Bearb. (1999) § 1586 b Rn 56; Erman/Dieckmann, BGB 10. Aufl. (2000), § 1586 b Rn 13; Bamberger/Roth/Bergmann, BGB (2002), § 1586 b Rn 2; zurückhaltender als in der Vorauflage Palandt/Brudermüller, 63. Aufl. 2004, aaO). Begründet wird diese Ansicht im wesentlichen damit, dass eine Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich personenbezogen sei und jeweils mit dem Tode des Berechtigten oder Verpflichteten ende, weshalb keine Rechtskrafterstreckung eintreten könne und der Übergang der Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehepartners auf dessen Erben "unterhaltsrechtlich" für letzteren eine eigenständige Verpflichtung begründe, die von der früheren Unterhaltsverpflichtung des Erblassers gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau verschieden sei.
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Die Gegenmeinung (zB Dressler, NJW 2003, 2430 Fn 5; MünchKommBGB/Maurer, 4. Aufl. (2000) § 1586 b Rn 13; Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl. (1988) Rn 4; RGRK/Cuny, 12. Aufl. (1987) Rn 17) vertritt dagegen die Ansicht, dass der nunmehr gegen den Erben gerichtete Unterhaltsanspruch sich vom ursprünglichen Anspruch gegen den verstorbenen Unterhaltspflichtigen rechtlich nicht unterscheide, auch nicht auf Grund der Haftungsbeschränkung zugunsten des Erben.
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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finden sich zwei Entscheidungen, in denen die Möglichkeit der Umschreibung nach § 727 ZPO erwähnt ist, aber als Rechtsfrage jeweils nicht konkret zu entscheiden war (FamRZ 1985, 164, 165; BGHZ 146, 114 = NJW 2001, 828 = FamRZ 2001, 282). Soweit ersichtlich, hat sich bislang allein das OLG Frankfurt (Beschluss vom 18.8.2002 InVo 2003, 239) für die Umschreibungsfähigkeit eines Unterhaltstitels im Falle des § 1586 b BGB ausgesprochen.
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c) Der Senat bejaht die Umschreibungsfähigkeit des vorliegenden Unterhaltstitels in Übereinstimmung mit dem 2. Senat des OLG Frankfurt.
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Angesichts des Wortlauts des § 1586 b BGB überzeugt es nicht, den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau nur deshalb, weil er sich nunmehr gegen den Erben des ursprünglich Verpflichteten richtet, als "neuen" Unterhaltsanspruch zu qualifizieren. Auch wenn Unterhaltsansprüche regelmäßig personengebunden sind und nicht im Wege der Erbfolge auf andere Personen übergehen, so stellt die Regelung des § 1586 b BGB (früher: § 70 EheG bzw. § 1582 BGB in der 1900 in Kraft getretenen Fassung) eine ausdrückliche gesetzliche Ausnahme dar. Warum dieser zur Nachlassverbindlichkeit gewordene Unterhaltsanspruch – der nach allgemeiner Meinung seine unterhaltsrechtliche Qualität behält, wie die Abänderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO bestätigt – anders behandelt werden soll als sonstige Nachlassverbindlichkeiten, ist nicht einsichtig. In jedem Falle des § 727 ZPO findet ein Wechsel in einer Person des ursprünglichen Schuldverhältnisses statt, ohne dass dieser Personenwechsel zu einer inhaltlichen Veränderung des Anspruchs führt. Die Frage, ob die Verpflichtung des Erben nach § 1586 b BGB angesichts des seit 1977 geltenden Zerrüttungsprinzips überhaupt noch "systemgerecht" ist (verneinend Roessink FamRZ 1990, 924), richtet sich an den Gesetzgeber, rechtfertigt aber nicht eine einschränkende Auslegung des § 727 ZPO.
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Auch die verfahrensrechtlichen Erwägungen, die die ablehnende Ansicht anstellt, vermögen nicht zu überzeugen. Wie das OLG Frankfurt nach Ansicht des Senats zutreffend dargelegt hat, sprechen die Erwägungen der Prozessökonomie mehr für eine Umschreibung als gegen eine solche. Die Rechtsposition des Antragsgegners als Erben wird durch die Umschreibung – die auch in sonstigen Erbfällen den Streit um einen neuen Titel in der Regel erspart – sachlich nicht verschlechtert; er kann seine Einwendungen nach §§ 768, 767 ZPO geltend machen. Insbesondere kann er auf diesem Wege sachgerecht die Beschränkung der übergangenen Verpflichtung auf den dem Pflichtteil entsprechenden Teil des Nachlasses geltend machen. Demgegenüber stellt es eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung des Unterhaltsberechtigten dar, wenn er – anders als alle anderen mit einem Titel ausgestatteten Nachlassgläubiger – in einen neuen Aktivprozess gezwungen wird. Im Hinblick darauf, dass der Unterhaltsberechtigte regelmäßig auf die Fortzahlung des Unterhalts angewiesen ist, passt die durch die Möglichkeit der Titelumschreibung nach § 727 ZPO bewirkte Verlagerung der Verpflichtung zur Klagerhebung auf den Titelschuldner auch auf den hier vorliegenden Fall der Rechtsnachfolge in eine Unterhaltsverpflichtung. Nachdem der Gesetzgeber des Eherechtsreformgesetzes beide Wege offen gelassen hat (vgl. Dieckmann FamRZ 1977, 161, 171), hält es auch der Senat für gerechtfertigt, für die Nachlassverbindlichkeit aus § 1586 b BGB hinsichtlich der Umschreibungsfähigkeit keine dogmatisch bemäntelte Ausnahme zu machen.
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Demgemäß wird die Rechtspflegerin unter Berücksichtigung dieser Ansicht den Antrag des Antragstellers neu zu bescheiden und die Umschreibung vorzunehmen haben, wenn nicht andere Gründe als die zu Unrecht angenommene Umschreibungsunfähigkeit entgegenstehen.
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Im Rahmen ihrer neuen Entscheidung wird die Rechtspflegerin auch über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.
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3. Angesichts der oben dargestellten Meinungsverschiedenheiten im Schrifttum und des Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung hält es der Senat für angezeigt, die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 3 i. V. m. Absatz 2 ZPO zuzulassen.

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