Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 13 U 100/2004; 13 U 100/04

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 27.4.2004 in Ziffer 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 4/5, die Beklagte 1/5.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert der Berufung und Beschwer der Beklagten: EUR 9.900,00

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch.
Durch schriftliche Kooperations-Vereinbarung vom 11.8.2003 hat sich die Beklagte gegenüber der Klägerin unter anderem verpflichtet, bestimmte Fußball-Fan-Artikel (unter anderem für den ...) nicht selbst zu vertreiben und im Falle des Verstoßes gegen diese Abrede EUR 50.000,00 an die Klägerin zu bezahlen. Die Tätigkeit des Zeugen  , der von der Beklagten mit der Gestaltung eines Internetauftrittes beauftragt war, hat dazu geführt, daß die Beklagte die Artikel entgegen dieser Vereinbarung im Internet auf ihrer Web-Seite angeboten hat.
Das Landgericht hat der Klage über EUR 50.000,00 in Höhe von EUR 10.000,00 stattgegeben, im übrigen die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Die Wirksamkeit des Vertragsstrafenversprechens, die Verwirkung der Vertragsstrafe und die Haftung der Beklagten für den Zeugen ... sind in der Berufungsinstanz unstreitig. In der Hauptsache beschränkt sich die Auseinandersetzung auf die Frage, ob und in welcher Höhe die Vertragsstrafe herabzusetzen ist.
Die Beklagte trägt vor, das Urteil des Landgerichts berücksichtige bei der Höhe der Vertragsstrafe nicht ausreichend, daß die Einstellung des Angebots auf ihrer Internet-Seite nicht auf sie selbst, sondern in erster Linie auf eine selbständige Aktion des Zeugen ... zurückgehe.
Ferner habe das Landgericht nicht berücksichtigt, daß der Zeuge  mit dem niedrigsten Fahrlässigkeitsgrad gehandelt habe.
Das weitere Verhalten der Parteien sei vom Landgericht bei der Festsetzung der Höhe der Vertragsstrafe völlig unberücksichtigt geblieben. Die Beklagte habe sich gegenüber dem ... unter anderem durch eine Unterlassungserklärung um Schadensbegrenzung bemüht, während die Klägerin eine vorsätzliche Vertragsverletzung begangen habe, weil sie die Vereinbarung ohne Abmahnung gekündigt habe und nunmehr – ohne Beteiligung der Beklagten – die Fan-Artikel an den ... vertreibe.
Das Landgericht habe einseitig die Vermögensinteressen der Klägerin berücksichtigt und den fehlenden Schaden bei der Entscheidung nicht einbezogen.
Bei der Herabsetzung der Vertragsstrafe sei auch zu berücksichtigen, daß die Beklagte im Jahr 2003 insgesamt nur einen Reingewinn von ca. EUR 1.700,00 erzielt habe.
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Im übrigen sei die Kostenentscheidung des Landgerichts unzutreffend, weil keine Quotelung entsprechend dem Maß des Obsiegens und Unterliegens vorgenommen worden sei.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart
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sie zu verurteilen, an die Klägerin EUR 100,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 30.8.2003 zu zahlen, im übrigen die Klage abzuweisen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin vertritt auch in der Berufungsinstanz die Auffassung, daß eine Herabsetzung der Vertragsstrafe allein schon deshalb nicht in Betracht komme, weil die Beklagte als Scheinkaufmann anzusehen sei.
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II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Hauptsache keinen Erfolg. Sie führt jedoch hinsichtlich der Kosten erster Instanz zu einer Abänderung des Ausspruchs zu Lasten der Klägerin.
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1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gem. § 339 BGB wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen die Kooperationsvereinbarung zwischen den Parteien vom 11.8.2203 ein Anspruch auf die vom Landgericht zuerkannte Vertragsstrafe in Höhe von EUR 10.000,00 zu. Die begehrte weitere Herabsetzung scheidet aus.
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a) Die Herabsetzung der Vertragsstrafe gem. § 343 BGB ist gem. § 348 HGB ausgeschlossen, weil die Beklagte als Kaufmann zu behandeln ist.
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Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, daß die Beklagte nicht Kaufmann ist, weil sie kein Grundhandelsgewerbe betreibt, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.
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Für die Anwendung des § 348 HGB genügt es jedoch, daß die Beklagte Scheinkaufmann ist (Münchener Kommentar-Schmidt, HGB, § 348 Rdnr. 4; Ebenroth/Boujong/Joost-Kort, HGB, § 348 Rdnr. 15; Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 348 Rdnr. 6).
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen ausreichende Anhaltspunkte für ein entsprechendes Auftreten der Beklagten im Geschäftsverkehr vor.
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Zwar ist die Ansicht der Klägerin unzutreffend, für die Eigenschaft als Scheinkaufmann genüge bereits das entsprechende Auftreten der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen (hier: Behauptung der Klägerin, die Gesellschafter der Beklagten sollen geäußert haben, „sie seien dick mit Mercedes und Ferrari im Geschäft“) oder Art und Umfang der Präsentation wie z.B. die Tatsache eines Internetauftrittes (K 2 – Bl. 12 ff. d.A.). Ein derartiges Verhalten ist bloß tatsächlich kaufmannstypisch, deutet aber nicht zwingend auf eine rechtlich gegebene Kaufmannsstellung hin (Ebenroth/Boujong/Joost-Kindler, § 5 Rdnr. 62).
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Maßgeblich für die Eigenschaft als Scheinkaufmann ist jedoch der Gebrauch einer Firma durch die Beklagte (OLG Frankfurt, BB 1974, Seite 1366). Sie ist die wichtigste Rechtseinrichtung, die der Kaufmann für seine Außendarstellung in Anspruch nimmt (Ebenroth/Boujong/Joost-Kindler, § 5 Rdnr. 60). Die Beklagte ist in der von ihr selbst auf ihrem Geschäftspapier verfaßten Kooperationsvereinbarung ausdrücklich als Firma aufgetreten (K 1 – Bl. 11 d.A.). Dasselbe gilt für die Zusatzvereinbarung (B 2 – Bl. 30 d.A.) und den Internetauftritt der Beklagten (als B 2 bezeichnet, tatsächlich aber B 3 – Bl. 30 d.A.). Die zusätzliche Bezeichnung der Beklagten als GbR ändert nichts an den durch den Gebrauch einer Firma hervorgerufenen Wirkungen des Rechtsscheins.
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Darüberhinaus wird die Eigenschaft als Scheinkaufmann auch durch Äußerungen kaufmännischer Art an die Öffentlichkeit und gegenüber einzelnen begründet (so schon BGHZ 17, 13). Die Beklagte hat mit dem Inhalt ihres Internetauftrittes ein groß angelegtes Warenangebot präsentiert und damit den Anschein eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes erweckt. Im Gespräch mit den Gesellschaftern der Klägerin haben die Gesellschafter der Beklagten unstreitig zumindest vorgespiegelt („die Fabrikhalle könne wegen des geheimen Produktionsverfahrens nicht besichtigt werden), es handele sich um ihre Produkte (Bl. 4, 26 d.A.). Unerheblich ist die bestrittene Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe geäußert, sie produziere die Glaskörper selbst. Allein schon die Gestaltung und das Produzierenlassen der Glaskörper erweckt den Anschein, daß ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb vorliegt.
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Der gesetzte Rechtsschein ist der Beklagten ohne weiteres zurechenbar.
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Die Klägerin ist schutzbedürftig. Ihr schadet entweder nur Kenntnis der wahren, den Rechtsschein abgebenden Umstände oder auch fahrlässige Unkenntnis. Beides hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie trägt selbst vor, ihr Gesellschafter Zimmermann, der die Kooperationsvereinbarung mit der Abkürzung des Titels Rechtsanwalt unterzeichnet hat, habe bei der Besprechung am 11.8.2003 geäußert, die Beklagte sei eine Vertriebsfirma. Soweit die Beklagte behauptet, sie habe angegeben, sie sei ganz klein, spricht dagegen die Höhe der auf Betreiben der Beklagten eingesetzten Vertragsstrafe.
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Im übrigen setzt die Rechtsscheinshaftung voraus, daß die Klägerin darlegt und nachweist, daß sie gerade durch ihr Vertrauen in die Kaufmannseigenschaft der Beklagten zu ihrer Disposition veranlaßt worden ist. Den entsprechenden Vortrag hat die Klägerin bereits in der Klagschrift gehalten (Bl. 8 d.A.). Zu ihren Gunsten spricht der Beweis des ersten Anscheins (BGHZ 17, 13), der von der Beklagten nicht erschüttert worden ist.
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b) Die vom Landgericht festgesetzte Vertragsstrafe in Höhe von EUR 10.000,00 verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).
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aa) Zwar ist eine von einem Kaufmann versprochene Vertragsstrafe - unabhängig von § 348 HGB - einer Ermäßigung nach den Grundsätzen über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage zugänglich. Dies kann der Fall sein, wenn die Parteien den die Grundlage des gesamten Geschäfts bildenden Wert erheblich überschätzt haben, also die Geschäftsgrundlage fehlerhaft war und deshalb ein Festhalten an der Vertragsstrafe in der versprochenen Höhe Treu und Glauben widerspricht (BGH NJW 1954, Seite 998; BGH NJW 1984, Seite 919, 921; Münchener Kommentar-Schmidt, § 348 HGB Rdnr. 14).
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Eine solche Lage war im vorliegenden Fall nicht gegeben.
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Die Parteien haben die Vertragsstrafe und deren Höhe in die Kooperationsvereinbarung (Anlage K 1) aufgenommen, die den Vertrieb, die Vermarktung und die Vermittlung von Glasprodukten an sämtliche Vereine der ersten und zweiten Fußballbundesliga sowie deren Fanshops zum Gegenstand hatte. Daß sie sich dabei über den wirtschaftlichen Wert der Kooperationsvereinbarung geirrt hätten, ist nicht ersichtlich. Denn aus der späteren Zusatzvereinbarung der Parteien vom 15.8.2003 (Anlage B 2 - Bl. 30 d.A.) geht hervor, dass die Parteien von der Vermarktung von insgesamt drei Produkten mit jeweiligen Abnahmemengen von 1.500 Stück bzw. 5.000 Stück und Einzelpreisen von EUR 10,34, EUR 25,86 und EUR 51,72 ausgegangen sind, was allein bei der Abnahme von jeweils 1.500 Stück sämtlicher 3 Produkte zu einem Umsatz von EUR 131.880,00 geführt hätte.
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bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Schwere der Verletzung der Kooperationsvereinbarung und deren Folgen eine Herabsetzung der Vertragsstrafe gem. § 242 BGB rechtfertigt (OLG Karlsruhe BB 1967, Seite 1181; Münchener Kommentar-Schmidt § 348 Rdnr. 14; Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 2. Aufl., § 348 Rdnr. 8) oder ob § 348 HGB eine derartige Treuwidrigkeitskontrolle ausschließt (Staudinger-Rieble, BGB, 2001, § 343 Rdnr. 36; GK-HGB-Schmidt, HGB, 3.Aufl., § 348 Rdnr. 20).
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Maßgeblich ist vielmehr, dass eine solche Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht bedeutet, dass eine Vertragsstrafe in voller Höhe jeweils nur für den schwersten denkbaren Fall der in Frage stehenden Vertragsverletzung geschuldet wird und für alle leichteren Fälle eine Abstufung geboten ist (OLG Karlsruhe aaO).
35 
Das Landgericht hat bei seiner Festsetzung der Vertragsstrafe berücksichtigt, dass das Auftreten im Internet nur zwei Tage stattgefunden hat und nicht zu einem Verkauf geführt hat. Es hat ferner zugrunde gelegt, dass kein hoher Verbreitungsgrad der Internet-Seite vorgelegen haben kann, weil sie nicht beworben wurde und auch nicht in Suchmaschinen aufzufinden gewesen ist. Schließlich ist es von einem geringen Umsatz der Beklagten ausgegangen.
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Selbst wenn man zusätzlich zugunsten der Beklagten den Vortrag in ihrer Berufungsbegründung zur Schwere der Vertragsverletzung berücksichtigt, bedeutet dies nicht, dass die Klägerin im Verhältnis zu den versprochenen EUR 50.000,00 nur eine ganz geringe Vertragsstrafe fordern dürfte. In Würdigung aller Umstände hält der Senat vielmehr 20 % des vereinbarten Betrages, also die vom Landgericht ausgeworfene Vertragsstrafe von EUR 10.000,00 für angemessen.
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3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz sind 4/5 zu 1/5 zu Lasten der Klägerin zu verteilen (§ 92 Abs. 1 ZPO). Die Regelung des § 92 Abs. 2 ZPO greift hier nicht ein.
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Auch im Falle der Abhängigkeit der Entscheidung von richterlichem Ermessen sind in der Regel die Kosten entsprechend zu verteilen, wenn im Klagantrag ein bestimmter Betrag verlangt, aber nur ein wesentlich geringerer Betrag zugesprochen wird (Zöller, § 92 Rdnr. 12).
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Die Klägerin hat mit ihrem Hauptantrag die Zahlung der Vertragsstrafe von EUR 50.000,00 begehrt. Lediglich mit dem Hilfsantrag hat die Klägerin die Höhe der Vertragsstrafe ins Ermessen des Gerichts gestellt. Unzulässig ist es hier, unter Bezugnahme auf § 92 Abs. 2 ZPO die Kosten anders zu verteilen mit der Begründung, der Betrag der Forderung sei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen abhängig (Zöller, § 92 Rdnr. 12).
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4. Die Kosten zweiter Instanz hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.
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Das Obsiegen der Beklagten im Kostenpunkt führt nicht zu einer Quotelung. Solange die Hauptsache auch nur teilweise anhängig geblieben und noch zu entscheiden ist, muß es dabei sein Bewenden haben, dass die eigentlichen Prozesskosten für die Wertberechnung und damit auch für die erwachsenen Kosten außer Betracht bleiben (§ 4 Abs. 1 ZPO, § 8 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 11 Abs. 1 GKG, § 22 Abs. 1 und 3 GKG) (OLG Oldenburg, JurBüro 1989, Seite 1727; OLG Köln, JurBüro 1982, Seite 912).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch für die Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).

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