Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 HEs 89/14

Tenor

Eine Sachentscheidung des Senats über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten ist zur Zeit nicht veranlasst.

Gründe

 
I.
Der Angeklagte wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart vom 19. März 2014 am 21. März 2014 festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Am 26. Juni 2014 hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage zum Landgericht Stuttgart erhoben. Dieses hat mit Beschluss vom 8. August 2014 das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Mit Verfügung vom 15. August 2014 wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 22. September 2014 mit Fortsetzung am 24. September, 7., 15. und 17. Oktober 2014 bestimmt.
Mit Datum vom 2. September 2014 hat das Landgericht, das die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält, die Akten gemäß §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 1 StPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Eine Sachentscheidung des Senats über die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten ist zur Zeit nicht veranlasst. Die Frist von sechs Monaten aus § 121 Abs. 1 StPO läuft gemäß § 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des 22. September 2014 ab. Das Landgericht wird voraussichtlich vor Ablauf dieser Frist mit der Hauptverhandlung beginnen. Der Fristablauf wird daher voraussichtlich bis zur Verkündung des Urteils ruhen (§ 121 Abs. 3 Satz 2 StPO).
a) Ob für die Berechnung der Frist aus § 121 Abs. 1 StPO die Regelung der StPO für Monatsfristen (§ 43 StPO) gilt, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Die Beantwortung dieser Frage wirkt sich in zweierlei Hinsicht aus: Wendet man § 43 StPO an, endet die Frist zum einen mit Ablauf des Tages des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat (§ 43 Abs. 1 StPO). Der Tag, an dem die Untersuchungshaft begonnen hat, zählt dann also nicht mit (vgl. zu dieser Konsequenz Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 121 Rn. 4 und § 43 Rn. 1). Fällt das Ende der so berechneten Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, endet die Frist zum anderen erst mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 43 Abs. 2 StPO). Die Anwendung von § 43 StPO führt also dazu, dass die Untersuchungshaft rein rechnerisch etwas länger als sechs Monate andauern kann, bevor gemäß § 121 Abs. 2 StPO der Haftbefehl aufzuheben, dessen Vollzug auszusetzen oder durch das Oberlandesgericht Haftfortdauer anzuordnen ist.
(1) In der Kommentierung zu § 43 StPO wird zumeist vertreten, dass die Frist aus § 121 Abs. 1 StPO keine Frist im Sinne von § 43 StPO sei, da die §§ 42 f. StPO für bestimmbare Zeiträume, in denen oder mit deren Ablauf ein Strafverfolgungsorgan eine Prozesshandlung vornehmen müsse, nicht gelten würden (vgl. etwa Meyer-Goßner / Schmitt, a. a. O., vor § 42 Rn. 2 [im Ergebnis abweichend aber die dortige Kommentierung zu § 121, siehe unten]; Maul in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 43 Rn. 6 [im Ergebnis abweichend aber auch die dortige Kommentierung zu § 121, siehe unten]; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 42 Rn. 1 Fn. 2).
(2) In der Kommentierung zu § 121 StPO zählt ein Teil der Literatur den Tag, an dem die Untersuchungshaft begonnen hat, ohne nähere Begründung mit, wendet § 43 Abs. 1 StPO also nicht an (Hilger in: Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 121 Rn. 13; Krauß in: Beck’scher Online-Kommentar zur StPO, Stand 24. März 2014, § 121 Rn. 3; Paeffgen in: Systematischer Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 121 Rn. 4; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 121 Rn. 2; Tsambikakis in: Radtke / Hohmann, StPO, § 121 Rn. 4). Zur Anwendbarkeit von § 43 Abs. 2 StPO verhält sich diese Literatur nicht.
(3) Ein anderer Teil der Kommentierung zu § 121 StPO äußert sich widersprüchlich. So führt Wankel in: KMR, StPO, Stand Dezember 2012, unter Rn. 2 zu § 121 aus, die Fristberechnung erfolge nach § 43 StPO, rechnet unter Rn. 3 zu § 121 den „Tag der U-Haft“ ohne nähere Begründung aber ein. Auch Herrmann in: Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, verweist unter Rn. 46 zu § 121 hinsichtlich der Berechnung der Frist „allgemein“ auf § 43 StPO, rechnet unter Rn. 42 zu § 121 den Tag des Beginns der Untersuchungshaft aber ebenfalls ein.
(4) Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 8. August 2007, 3 Ws 429/07, BeckRS 2007, 15322) und ein im Vordringen befindlicher Teil der Literatur wenden § 43 Abs. 1 StPO an und zählen den Tag, an dem die Untersuchungshaft begonnen hat, nicht mit (Meyer-Goßner / Schmitt, a. a. O., § 121 Rn. 4 [anders noch die 55. Aufl.]; Schultheis in: Karlsruher Kommentar zur StPO, a. a. O., § 121 Rn. 6 [anders noch die 5. Aufl.]; Posthoff in: Heidelberger Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 121 Rn. 7 [anders noch die 4. Aufl.]). Zur Anwendbarkeit von § 43 Abs. 2 StPO verhält sich auch diese Ansicht nicht ausdrücklich, überwiegend wird § 43 StPO aber ohne Einschränkung für anwendbar erklärt (Meyer-Goßner / Schmitt, a. a. O.; Schultheis, a. a. O.).
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b) Der Senat schließt sich letztgenannter Ansicht an und hält in deren Konsequenz § 43 StPO insgesamt für anwendbar.
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(1) Die gesetzliche Regelung ist eindeutig. Das Gesetz spricht hinsichtlich der in § 121 Abs. 1 StPO genannten sechs Monate ausdrücklich von einer Frist (vgl. § 121 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 StPO). Die allgemeine Regelung der StPO für Monatsfristen findet sich in § 43 StPO; eine abweichende Regelung für die Frist aus § 121 Abs. 1 StPO enthält das Gesetz nicht. Hätte der Gesetzgeber die Berechnung dieser Frist abweichend regeln wollen, hätte er dies tun können. So hat er im Rahmen der Vorschriften über die Verhaftung und die vorläufige Festnahme etwa Sonderregelungen dahingehend getroffen, bis wann ein Beschuldigter spätestens einem Gericht vorzuführen ist (§§ 115 Abs. 1, 115a Abs. 1, 128 Abs. 1 Satz 1 StPO). Für die Berechnung von Fristen enthalten die Vorschriften über die Verhaftung und die vorläufige Festnahme hingegen keine Sonderregelungen, obwohl in ihnen neben der Frist aus § 121 Abs. 1 StPO noch weitere Fristen bestimmt werden, so etwa die Wochenfrist aus § 118 Abs. 5 StPO, deren Berechnung sich im Übrigen auch nach der Auffassung von Hilger in: Löwe-Rosenberg, a. a. O., § 118 Rn. 17, nach § 43 StPO richtet.
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(2) Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei dieser Lösung ein Interessenwiderspruch für den Rechtsunterworfenen insoweit besteht, als sich Fristverlängerungen in der Regel zu seinen Gunsten auswirken - insbesondere bei Rechtsmittelfristen -, hier durch die Anwendung der Fristenregelungen aber zu seinem Nachteil in sein Freiheitsgrundrecht eingegriffen wird. Dies dürfte der Grund dafür sein, weshalb ein Teil der Literatur (siehe oben a) (2) und (3)) den Tag der Inhaftierung aufgrund Haftbefehls contra legem in die Fristberechnung einstellt.
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Indes gebieten auch das Freiheitsgrundrecht des Rechtsunterworfenen und das Rechtsstaatsprinzip nicht, von der eindeutigen gesetzlichen Regelung abzuweichen und den sich aus dieser Regelung ergebenden Haftprüfungstermin durch die Nichtanwendung von § 43 Abs. 1 StPO um einen Tag und durch die Nichtanwendung von § 43 Abs. 2 StPO um höchstens wenige Tage vorzuziehen. Die Freiheitsgrundrechte und das Rechtsstaatsprinzip gebieten keine bestimmte Fristenregelung; sie sind auch dann noch gewahrt, wenn sich das Fristende durch die Anwendung von § 43 StPO im Vergleich zu einer rein rechnerischen Betrachtung geringfügig nach hinten verschiebt.
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c) Im vorliegenden Fall fällt das Ende der Frist aus § 121 Abs. 1 StPO gemäß § 43 Abs. 1 StPO auf den 21. September 2014, einen Sonntag. Gemäß § 43 Abs. 2 StPO endet die Frist daher erst mit Ablauf des nächsten Werktages, also des 22. September 2014. Da an diesem Tag die Hauptverhandlung beginnen soll, liegt kein Fall vor, in dem die Akten dem Oberlandesgericht vorzulegen wären.
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2. Sollte mit der Hauptverhandlung doch nicht vor Ablauf der Frist begonnen werden können, wären die Akten dem Senat erneut vorzulegen.

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