Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 Ausl 288/14

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Slowakische Republik zur dortigen Verfolgung der in dem Ersuchen des Kreisgerichts in Zvolen vom 24. März 2014 - 2 T 103/2011 - dargestellten Straftat der Bedrohung

w ä r e   z u l ä s s i g .

2. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 28. Januar 2015, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen ist.

Gründe

 
I.
1. Der Senat erließ mit Beschluss vom 24. Januar 2013 - 1 Ausl. 382/12 - aufgrund des slowakischen Ersuchens Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten zur Strafvollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zwei Monaten wegen Betruges gemäß dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Lucenec vom 12. Dezember 2012 (Az. 3 T 28/2011).
Bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Ellwangen am 7. Februar 2013 machte der Verfolgte keine Angaben zur Sache. Einer vereinfachten Auslieferung stimmte er nicht zu. Mit Beschluss vom 6. März 2013 erklärte der Senat die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Lucenec vom 12. Dezember 2012 (Az. 3 T 28/2011) zugrunde liegenden Freiheitsstrafe von acht Jahren und zwei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Lucenec vom 13. November 2012 - 3 T/ 8/2011-379 - für zulässig. Daraufhin wurde der Verfolgte am 15. März 2013 am Flughafen München den slowakischen Behörden übergeben. Der Senat hob den Auslieferungshaftbefehl mit Beschluss vom 21. März 2013 auf.
2. Mit Schreiben vom 24. März 2014, eingegangen beim Oberlandesgericht Stuttgart am 11. Juli 2014, ersucht das Kreisgericht Zvolen um Erteilung der Zustimmung zur Strafverfolgung des Ausgelieferten wegen einer vor der Übergabe an die slowakischen Behörden begangenen Straftat der Bedrohung. Der Verfolgte soll am 31. Juli 2010 gegen 10.00 Uhr an einer Tankstelle in D. nach einem Streit den am 24. März 1965 geborenen J. B. und dessen am 8. Mai 1992 geborenen Sohn J. B. jun. mit dem Tode bedroht haben. Konkret soll der Verfolgte ein Messer gezückt, dieses dem J. B. und seinem Sohn gezeigt und den beiden in bewusst ernst zu nehmender Weise angedroht haben, er werde sie töten.
3. Mit Schreiben vom 17. Juli 2014 wies die Generalstaatsanwaltschaft das Kreisgericht Zvolen darauf hin, dass dem Verfolgten zunächst durch die slowakischen Behörden Gelegenheit gegeben werden müsse, sich zu dem Ersuchen um Erweiterung der Auslieferungsbewilligung und dem gegen ihn erhobenen Vorwurf zu äußern. Die slowakischen Behörden haben daraufhin der Verteidigerin des Verfolgten in dem slowakischen Verfahren das Ersuchen übermittelt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Verfolgte und seine Verteidigerin haben in schriftlichen Eingaben gegenüber dem Kreisgericht Zvolen einer Verfolgung wegen der genannten Straftat der Bedrohung nicht zugestimmt.
4. Mit Vorabentscheidung vom 28. Januar 2015 hat die Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 2 IRG entschieden, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Zwar habe der Verfolgte vor seiner Auslieferung einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Dies stehe einer Bewilligung des Nachtragsersuchens aber nicht entgegen, weil vorliegend die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zur Strafverfolgung zulässig wäre, da die Straftat der Bedrohung in der Slowakischen Republik begangen worden sei und keine Bezüge zum Inland aufweise.
Die Vorabentscheidung wurde dem Kreisgericht Zvolen mit Schreiben vom 28. Januar 2015 zusammen mit einem Begleitschreiben für den Verfolgten mit der Bitte übermittelt, die Unterlagen dem Verfolgten auszuhändigen und ihn darauf hinzuweisen, dass er innerhalb von vier Wochen gegenüber dem Senat Stellung nehmen kann. Die Unterlagen wurden dem Verfolgten am 19. Februar 2015 und seiner Verteidigerin am 13. März 2015 zugestellt. Der Verfolgte hat sich geäußert. Er bringt vor, dass er in dem früheren Auslieferungsverfahren beim Oberlandesgericht Stuttgart die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität beantragt habe. Dies sei ihm vom Oberlandesgericht auch gewährt worden. Das nunmehrige Ansinnen des Kreisgerichts Zvolen um Zustimmung zur Strafverfolgung sei daher gesetzes- und verfassungswidrig.
5. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, gemäß § 35 Abs. 1 IRG festzustellen, dass die Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland an die Slowakische Republik zur dortigen Verfolgung der in dem Ersuchen des Kreisgerichts in Zvolen vom 24. März 2014 - 2 T 103/2011 - dargestellten Straftat der Bedrohung zulässig wäre.
II.
Die Auslieferung des Verfolgten zur Verfolgung der in dem Ersuchen des Kreisgerichts in Zvolen vom 24. März 2014 - 2 T 103/2011 - dargestellten Straftat der Bedrohung wäre zulässig, §§ 35, 29 IRG.
1. Ein förmliches Ersuchen der slowakischen Justizbehörden liegt vor. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 IRG muss bei einem Ersuchen um nachträgliche Zustimmung zur Strafverfolgung ein Haftbefehl nicht beigefügt werden.
10 
2. Wenn sich der Verfolgte noch im Inland aufhielte, wäre Auslieferungsfähigkeit gegeben (§§ 35 Abs. 2, 3, 81 IRG).
11 
a) Die slowakischen Behörden werten das dem Verfolgten vorgeworfene Geschehen als Straftat der Bedrohung gemäß § 360 Abs. 1, Abs. 2 lit. a) des dortigen Strafgesetzbuches. Nach deutschem Recht käme eine Strafbarkeit wegen Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 241, 52 StGB in Betracht. Strafverfolgungsverjährung ist nach dem maßgeblichen Recht der Slowakischen Republik noch nicht eingetreten. Nach Mitteilung des Kreisgerichts in Zvolen beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 87 Abs. 1 lit. d) des slowakischen Strafgesetzbuches fünf Jahre. Strafverfolgungsverjährung wird daher frühestens mit Ablauf des 30. Juli 2015 eintreten. Da gemäß § 87 Abs. 2 des slowakischen Strafgesetzbuches die Zeit, während der es aufgrund eines gesetzlichen Hindernisses nicht möglich war, den Täter vor Gericht zu stellen, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird, dürfte die Verjährung erst deutlich später eintreten.
12 
b) Sonstige Auslieferungshindernisse sind nicht ersichtlich. Da die dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten einen ausschließlichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedsstaat haben, liegen keine zureichenden Gründe für die Annahme von Bewilligungshindernissen vor, wie die Vorabentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Januar 2015 rechtsfehlerfrei feststellt.
13 
3. Dem Verfolgten wurde durch die Behörden der Slowakischen Republik Gelegenheit gegeben, sich zu dem Ersuchen zu äußern. Dass dies nicht im Wege einer förmlichen Vernehmung geschah, ist unschädlich. Einer (richterlichen) Vernehmung bedarf es gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG nur dann, wenn der Verfolgte der Verfolgung oder Vollstreckung zustimmt; in den Fällen des § 35 Abs. 1 Satz Nr. 1 IRG ist hingegen keine richterliche Vernehmung bzw. eine Vernehmung durch ein Organ mit vergleichbarer Unabhängigkeit erforderlich (str.; aA: Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 35 Rn. 13; Böhm in Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 35 Rn. 14). Hierfür sprechen sowohl der Wortlaut von § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG als auch der Vergleich mit § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG. Die zustimmende Erklärung bzw. der nachträgliche Verzicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG haben für den Ausgelieferten weitreichende Folgen. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Verfolgte weiterhin auf die Spezialitätsbindung besteht und einer Strafverfolgung nicht zustimmt. Alleinige Konsequenz der Erklärung ist, dass im ersuchten Staat vor einer Entscheidung über das Nachtragsersuchen das (nachträgliche) Zulässigkeitsverfahren eingeleitet und durchgeführt werden muss. Dem Grundrecht auf rechtliches Gehör, das dem Ausgelieferten durch § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG gewährleistet werden soll (Lagodny aaO, § 35 Rn. 13 mwN), ist Genüge getan, wenn feststeht, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates dem Ausgelieferten das Nachtragsersuchen zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit gegeben haben, sich dazu zu äußern. Eine richterliche Vernehmung erscheint nicht zwingend erforderlich, um dem Ausgelieferten rechtliches Gehör zu gewähren. Seine Rechte werden durch die sich anschließende gerichtliche Prüfung im Rahmen des Zulässigkeitsverfahrens im ersuchten Staat gewahrt. Vorliegend hatte der Ausgelieferte ausreichend Gelegenheit, sich zu äußern und hat schriftlich wiederholt (nur) vorgebracht, dass einer weiteren Strafverfolgung der Spezialitätsgrundsatz entgegen stehe.
14 
Das Vorbringen des Verfolgten ist nicht geeignet, die Zulässigkeit des Nachtragsersuchens in Frage zu stellen. Das Verfahren nach § 35 IRG ist gerade für den Fall vorgesehen, dass eine frühere Auslieferung der Spezialitätsbindung unterlag und stellt insoweit einen teilweisen Verzicht auf das Spezialitätserfordernis dar (Lagodny aaO, § 35 Rn. 1). Auch ergeben sich aus dem Vorbringen des Ausgelieferten keine weiteren Umstände, die einer Bewilligung des Ersuchens entgegen stehen könnten.
15 
4. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Januar 2015, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend machen zu wollen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Selbst wenn - für den Zeitraum vor der Übergabe des Verfolgten an die slowakischen Behörden im März 2013 - von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auszugehen wäre, wäre vorliegend auch die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zulässig.
III.
16 
Eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ist unter den Voraussetzungen des § 33 IRG möglich.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen