Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 Ausl 8/16

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Bulgarien zur dortigen Strafvollstreckung ist

z u l ä s s i g .

2. Die Auslieferungshaft hat

f o r t z u d a u e r n .

3. Es wird festgestellt, dass die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 18. Februar 2016, keine Bewilligungshindernisse geltend machen zu wollen, rechtsfehlerfrei getroffen ist.

Gründe

 
I.
1. Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) ersuchen die Justizbehörden der Republik Bulgarien um Festnahme und Auslieferung des bulgarischen Staatsangehörigen A. zum Zwecke der Strafvollstreckung. Der Fahndungsausschreibung liegen ein Europäischer Haftbefehl der Regionalen Staatsanwaltschaft Ruse vom 19. November 2015 (Az. 00012/2015) und das Urteil Nr. 3 des Landgerichts Ruse vom 12. Februar 2014 zugrunde, durch welches der Verfolgte wegen Entführung, gesetzwidriger Freiheitsberaubung und Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben (7) Jahren verurteilt wurde, die noch in voller Höhe zu verbüßen ist. Wegen des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 18. Januar 2016 Bezug genommen.
2. Der Verfolgte wurde aufgrund der Ausschreibung am 10. Januar 2016 vorläufig festgenommen und am selben Tag einem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts H. vorgeführt, der eine Festhalteanordnung gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG erließ. Bei seiner Vernehmung erklärte der Verfolgte, der den Ermittlungen zufolge in N., …straße … wohnen soll, er sei verheiratet und habe ein Kind, das hier zur Schule gehe. Zur Sache gab er an, dass es sich bei der Geschädigten um eine Prostituierte handle. Sie seien vorbeigefahren und hätten beschlossen, mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben. Wahrscheinlich habe das Geld nicht gereicht, weshalb sie ihn vor Gericht gezogen habe. In dem bulgarischen Prozess habe der Gerichtsarzt keine Schäden einer Vergewaltigung finden können. Der Dorfpolizist stecke mit der Geschädigten „unter einer Decke“. Der Verfolgte widersprach einer Auslieferung. Auf seinen zugleich geäußerten Wunsch wurde ihm am 3. Februar 2016 der Beistand bestellt.
Der Senat erließ am 18. Januar 2016 Auslieferungshaftbefehl, bei dessen Eröffnung durch einen Haftrichter des Amtsgerichts S. am 2. Februar 2016 der Verfolgte die Angaben der geschädigten Zeugin als Lüge bezeichnete und erklärte, diese habe nach der Gerichtsverhandlung in Bulgarien zugegeben, sie hätte falsche Angaben gemacht. Sie habe jetzt ein schlechtes Gewissen, weil „die anderen 2“ zu sieben Jahren Haft verurteilt worden seien. Er sei unschuldig. Die Türen des Autos seien offen gewesen, sie hätte jederzeit fliehen können. Es seien viele Leute auf dem Dorfplatz gewesen. Es habe auch Videoaufzeichnungen gegeben. Die Videos seien aber von der korrupten Polizei gelöscht worden.
Dem Beistand des Verfolgten wurde Gelegenheit gegeben, bis zum 12. Februar 2016 zu dem Auslieferungsersuchen Stellung zu nehmen und etwaige Einwendungen gegen eine Auslieferung nach Bulgarien vorzubringen. Davon hat der Beistand Gebrauch gemacht. Er wies darauf hin, dass ein Antrag des Verfolgten auf Wiederaufnahme des Verfahrens - wegen der unten dargestellten Umstände - keine Aussicht auf Erfolg haben werde, weshalb er die Auslieferung für unzulässig hält.
3. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären und Haftfortdauer anzuordnen. Sie hat am 18. Februar 2016 gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 IRG entschieden, es sei beabsichtigt, die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Bulgarien zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil Nr. 3 des Landgerichts Ruse vom 12. Februar 2014 mit der Maßgabe zu bewilligen, dass der Verfolgte im bulgarischen Justizvollzug durchgehend in einer Justizvollzugsanstalt unterzubringen ist, deren Standards den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention bzw. denen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze entsprechen.
Ein Bewilligungshindernis gemäß § 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG solle nicht geltend gemacht werden, wonach die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zum Zwecke der Strafvollstreckung abgelehnt werden kann, wenn er dieser nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt. Über die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Verfolgten sei lediglich bekannt, dass er verheiratet sei, in O. wohne und dass er ein Kind habe, das zur Schule geht. Das Regierungspräsidium S. als zuständige Ausländerbehörde prüfe derzeit, ob die bulgarische Verurteilung eine Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU rechtfertigt. Selbst wenn der Verfolgte, was aufgrund seiner familiären Verhältnisse nicht ausgeschlossen erscheine, bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet hätte, würde es an einem schutzwürdigen überwiegenden Interesse des Verfolgten an einer Strafvollstreckung im Inland fehlen. Dabei werde gesehen, dass der Verfolgte hier zusammen mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind lebe. Über eine Erwerbstätigkeit des Verfolgten sei nichts bekannt. Einen etwaigen Arbeitsplatz würde der Verfolgte aber auch im Falle einer Strafvollstreckung im Inland verlieren, weil eine Zulassung zum Freigang angesichts der Höhe der zu vollstreckenden Strafe und des Gegenstands der zugrunde liegenden Straftat nach der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums zur sofortigen Zulassung zum Freigang im Kurzstrafenvollzug vom 1. Dezember 2011 - 4410/0125 - (Die Justiz, S. 381) ausgeschlossen wäre. Hinzu komme, dass der Verfolgte nicht an einen Drittstaat ausgeliefert werden solle, sondern an sein Heimatland, in dem er aufgewachsen und mit dessen Sprache und Kultur er vertraut sei. Er werde sich daher problemlos in den bulgarischen Strafvollzug integrieren und dort an seiner Resozialisierung arbeiten können. Angesichts der Höhe der zu vollstreckenden Strafe könne es der Ehefrau des Verfolgten, sofern sie im Rahmen des Möglichen den persönlichen Kontakt zum Verfolgten aufrecht erhalten wolle, auch zugemutet werden, ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland aufzugeben. Das Interesse des Verfolgten an einer Strafvollstreckung im Inland müsse aber auch deshalb hinter dem Auslieferungsinteresse des ersuchenden Staates zurücktreten, weil der Verfolgte die Republik Bulgarien in Kenntnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens verlassen habe. Nach Mitteilung der bulgarischen Behörden sei gegen den Verfolgten am 8. März 2013 in dieser Sache Anklage erhoben worden, was er auch gewusst habe. Gleichzeitig sei zur Sicherung der Anwesenheit des Verfolgten im Strafverfahren ein Hausarrest angeordnet worden. Gleichwohl habe sich der Verfolgte in der Folgezeit dem Verfahren entzogen, indem er seinen Wohnsitz in Bulgarien aufgab und in die Bundesrepublik Deutschland einreiste. Bei dieser Sachlage müsse das Interesse des Verfolgten an einer Strafvollstreckung im Inland hinter dem Auslieferungsinteresse des ersuchenden Staates zurücktreten. Weitere Umstände, die einer Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten an die Republik Bulgarien zur Strafvollstreckung entgegen stehen könnten, seien nicht ersichtlich.
Den teilweise unzureichenden Haftbedingungen in der Republik Bulgarien könne durch den beabsichtigten Vorbehalt Rechnung getragen werden. Das bulgarische Justizministerium hatte dem Bundesministerium der Justiz eine Erklärung vom 13. August 2015 übermittelt, wonach sämtliche nach Bulgarien aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ausgelieferte Personen in Haftanstalten untergebracht würden, in denen die Bedingungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und den europäischen Mindestnormen entsprechen, sofern die Auslieferungsbewilligung mit einer entsprechenden Bedingung verbunden wird.
Die Entscheidung ist dem Verfolgten und seinem Beistand bekannt gemacht und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung des Verfolgten gemäß § 29 Abs. 1 IRG gerichtlich für zulässig zu erklären, ist zu entsprechen.
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1. Der übermittelte Europäische Haftbefehl genügt den Voraussetzungen von § 83a Abs. 1 IRG.
11 
2. Die Auslieferung des Verfolgten ist zulässig. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen in dem die Auslieferungshaft anordnenden Senatsbeschluss vom 18. Januar 2016 Bezug genommen. Das Vorbringen des Verfolgten rechtfertigt keine hiervon abweichende Bewertung der Zulässigkeit. Für eine Überprüfung des Tatverdachts besteht auch unter Berücksichtigung der vom Verfolgten vorgebrachten Einwendungen kein Grund. Grundsätzlich gilt im Auslieferungsverkehr die Regel, dass sich die Staaten untereinander vertrauen können. Dementsprechend findet gemäß § 10 Abs. 2 IRG eine Überprüfung des Tatverdachts im Auslieferungsverfahren nur statt, wenn besondere Umstände dazu Anlass geben. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Missbrauch des Auslieferungsrechts durch vorgetäuschte Tatvorwürfe naheliegt oder dem Verfolgten im ersuchenden Staat ein rechtsstaatswidriges Verfahren droht (vgl. dazu Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 10 IRG Rdnr. 36 ff.). Entsprechende Umstände sind nicht ersichtlich.
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3. Der Umstand, dass das Urteil des Landgerichts Ruse in Abwesenheit des Verfolgten erging, steht entgegen der Auffassung seines Beistandes einer Auslieferung des Verfolgten nicht entgegen. Den Angaben der bulgarischen Behörden zufolge wusste der Verfolgte von der gegen ihn am 8. März 2013 erhobenen Anklage. Obwohl gegen ihn nach Anklageerhebung eine Maßregel der Sicherung „Hausarrest“ angeordnet worden war, verließ er die Republik Bulgarien und begab sich in die Bundesrepublik Deutschland. Außerdem haben die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 20. Januar 2016 mitgeteilt, dass dem Verfolgten im Zeitpunkt der Erhebung der Anklage ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei, der in der Gerichtsverhandlung am 12. Februar 2014 anwesend gewesen sei. Die bulgarischen Behörden gehen nachvollziehbar davon aus, dass der Verfolgte sich dem gegen ihn geführten Strafverfahren durch Flucht entzogen habe. Da an dem Verfahren ein Verteidiger beteiligt war, ist die Auslieferung gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 IRG zulässig, obwohl ein Antrag des Verfolgten auf Wiederaufnahme des Verfahrens voraussichtlich keinen Erfolg haben würde.
13 
4. Den teilweise unzureichenden Haftbedingungen in der Republik Bulgarien kann dadurch Rechnung getragen werden, dass die Auslieferung nur mit der Maßgabe bewilligt wird, dass der Verfolgte durchgehend in einer Haftanstalt unterzubringen ist, deren Standards den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention bzw. denen der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze entsprechen. Da das bulgarische Justizministerium am 13. August 2015 eine entsprechende Unterbringung von nach Bulgarien ausgelieferten Personen allgemein zugesichert hat, sofern die Auslieferungsbewilligung mit einer entsprechenden Bedingung verknüpft wird, erscheint die vorherige Einholung einer individuellen Zusicherung der bulgarischen Behörden nicht erforderlich (so auch OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.01.2016 – 2 Ausl A 184/15 -; vgl. auch OLG Rostock, Beschluss vom 14.10.2015 – 2 Ausl 25/15 -).
14 
Soweit das OLG München im Beschluss – 1 AR 392/15 – vom 27.10.2015, juris die genaue Angabe der Haftanstalt erwartet, in die der Verfolgte nach erfolgter Auslieferung aufgenommen und in der er während der Dauer des Freiheitsentzugs inhaftiert sein wird, sowie die Zusicherung, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der Haftbedingungen in dieser Haftanstalt den europäischen Mindeststandards entsprechen und den Häftlingen dort keine unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten droht, sowie die Beschreibung der Haftbedingungen in der namentlich benannten Haftanstalt, insbesondere im Hinblick auf die Zahl der Haftplätze, die Gesamtzahl der Gefangenen, Anzahl, Größe und Ausstattung der Hafträume (insbesondere auch Angaben zu Fenstern, Frischluftzufuhr und Heizung), Belegung der Hafträume, Ausstattung der Haftanstalt mit sanitären Einrichtungen, Verpflegungsbedingungen, Art und Bedingungen des Zugangs der Häftlinge zu medizinischer Versorgung, hält der Senat derartig detaillierte Zusicherungen nicht für geeignet; sie werden der Dynamik eines gegebenenfalls längeren Strafvollzug nicht gerecht. Im Lauf der Zeit des Vollzugs – wie vorliegend – langjähriger Freiheitsstrafen kann sich die (Über)Belegungssituation – etwa auch aufgrund von Änderungen der Gesamtzahl inhaftierter Personen sowie von Vollstreckungsplänen schnell ändern. Ebenso kann die Ausstattung der Hafträume einer Anstalt aufgrund von Renovierungsmaßnahmen oder dem Unterlassen solcher Veränderungen variieren. Mit zunehmender Dauer des Vollzugs werden Lockerungen in Betracht zu ziehen sein. Auf derartige Entwicklungen kann der Urteilsstaat flexibler mit einer Verlegung des Gefangenen in eine andere – adäquate – Anstalt reagieren, als nach einer Zusicherung des Verbleibs in einer konkreten Justizvollzugsanstalt. Der Senat hält die genannte Zusicherung des bulgarischen Justizministerium vom 13. August 2015 auch für völkerrechtlich verbindlich und hegt die Erwartung, dass die Bundesregierung von ihren Inspektionsmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch macht und die mit Auslieferungsverfahren befassten Oberlandesgerichte über hierbei erlangte Ergebnisse informiert.
15 
5. Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen, ist rechtmäßig. Zu Recht geht die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer ausführlich begründeten Entscheidung davon aus, dass der Verfolgte möglicherweise bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet hat. Ihre Ermessensentscheidung, dass dies jedoch angesichts des Umstands, dass er die bulgarische Republik in Kenntnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens verlassen hat, zu keinem Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 IRG führe, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die hierbei maßgeblich zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind vollständig erfasst und werden nachvollziehbar gewichtet.
III.
16 
Der Auslieferungshaftbefehl bleibt aus den fortbestehenden Gründen seines Erlasses aufrechterhalten und in Vollzug. Es besteht weiterhin die Gefahr, der Verfolgte werde sich, käme er auf freien Fuß, dem weiteren Auslieferungsverfahren und einer späteren Auslieferung entziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Auf die Gründe des die Auslieferungshaft anordnenden Beschlusses des Senats vom 18. Januar 2016 wird auch insoweit Bezug genommen. Die Auslieferungshaft dauert noch nicht unverhältnismäßig lang an. Mildere Maßnahmen reichen nicht aus, um sich der Anwesenheit des Verfolgten im Auslieferungsverfahren zu versichern.
IV.
17 
Über Einwendungen gegen den Auslieferungshaftbefehl und dessen Vollzug entscheidet das Oberlandesgericht (§ 23 IRG).
18 
Eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung ist unter den Voraussetzungen des § 33 IRG möglich.

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