Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 17/19

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hechingen vom 27.09.2018, Az. 3 O 11/15, wie folgt abgeändert:

Die nach dem Vergleich gem. Beschluss des Landgerichts Hechingen vom 07.10.2015 von dem Kläger an die Beklagte zu 2) gem. § 106 ZPO zu erstattenden Kosten werden auf

6.603,46 EUR

(in Worten: sechstausendsechshundertdrei 46/100 Euro)

nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 12.10.2015 festgesetzt.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

 
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Berücksichtigungsfähigkeit von Privatgutachterkosten.
Im Rechtsstreit obigen Aktenzeichens machte der Kläger Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend. Die Beklagte zu 2) verteidigte sich u. a. damit, es habe sich um ein manipuliertes Unfallgeschehen gehandelt, für das sie nicht einstandspflichtig sei. Mit der Klageerwiderung (Anl. B3) legte sie ein von ihr in Auftrag gegebenes Privatgutachten des Prof. Dr.-Ing. ... vor, das sich mit der Unfallanalyse und den Schäden am klägerischen Fahrzeug befasste.
Die Parteien erledigten den Rechtsstreit durch Prozessvergleich (Bl. 155), in dem eine Kostenquote von 62,5% zu Lasten des Klägers vereinbart wurde. Beide Parteien beantragten Kostenausgleichung, die Beklagte zu 2) dabei u. a. die Festsetzung des Honorars für den Privatgutachter in Höhe von 8.794,77 EUR.
Die Rechtspflegerin setzte mit Beschluss vom 27.09.2018 (Bl. 174) die von dem Kläger an die Beklagte zu 2) zu erstattenden Kosten auf 2.480,91 EUR fest. Die Privatgutachterkosten hielt es nur zu einer Quote von 1/4 (= 2.198,69 EUR) für festsetzungsfähig, weil die Beklagte zu 2) es noch in drei anderen Verfahren verwendet habe:
LG Hechingen
pan="1" rowspan="1" valign="top">
1 O 63/11
(... ./. ...)
AG Hechingen
pan="1" rowspan="1" valign="top">
2 C 160/11
(... ./. ...)
AG Hechingen
1" rowspan="1" valign="top">
5 Ls 15 Js 4930/11
(Strafsache ...)
Gegen diesen ihr am 10.10.2018 zugestellten (Bl. 181) Beschluss wendet sich die Beklagte zu 2) mit ihrer am 18.10.2018 vorab per Telefax (Bl. 182) bei dem Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der sie die antragsgemäße Berücksichtigung der Privatgutachterkosten erstrebt.
Sie ist der Auffassung, die erforderliche Prozessbezogenheit sei in diesem - und nur in diesem - Rechtsstreit zu bejahen. Eine quotale Berücksichtigung müsse sich - wenn überhaupt - nicht an der Zahl der Verfahren orientieren, sondern an deren Streitwert. Das Strafverfahren und das PKH-Prüfverfahren müssten bei einer Quotierung jedenfalls außer Betracht bleiben.
Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat mit Beschluss vom 20.12.2018 (Bl. 188) dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht vorgelegt.
Im Beschwerdeverfahren bestand Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.
10 
Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 29.01.2019 (Bl. 199) die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
11 
</tr>
Die gem. § 104 Abs. 3 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) ist begründet. Die von der Beklagten zu 2) geltend gemachten Privatgutachterkosten sind in vollem Umfang erstattungsfähig.
1.
12 
12"/>Im Verfahren nach §§ 103ff. ZPO können nur „Prozesskosten“ festgesetzt werden (§ 103 Abs. 1 ZPO). Zu diesen gehören - neben den Gerichtskosten - insbesondere die Gebühren, die die Parteien für ihre Prozessbevollmächtigten aufwenden müssen (§ 91 ZPO).
a)
13 
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Festsetzungsfähigkeit von Privatgutachterkosten nicht selbstverständlich. So werden Gutachten, die zur Klärung des materiell-rechtlichen Rechtsverhältnisses (etwa der Einstandspflicht einer Versicherung) eingeholt werden, nicht für erstattungsfähig gehalten (Schulz, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl., Rdnr. 158 zu § 91), auch nicht wenn ein solches Gutachten später Eingang in einen Schriftsatz findet oder gar vom Gericht verwertet wird.
b)
<table>
14 
Die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten prüft der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung anhand des Merkmals der R22;Prozessbezogenheit“. Maßgeblich ist die inhaltliche Nähe der Gutachteneinholung zum sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit (BGH, Beschl. v. 23.05.2006, VI ZB 7/05). Ein zeitlicher Zusammenhang wird die Prozessbezogenheit - wenn er vorliegt - zusätzlich indizieren, kann aber jedenfalls nicht für alle Fälle vorausgesetzt werden (siehe etwa BGH, Beschl. v. 14.10.2008, VI ZB 16/08, zu Fällen sich aufdrängenden Versicherungsbetrugs).
15 
Dass das Gutachten in einem (irgendeinem) Rechtsstreit verwendet wird, ist hingegen nicht ausreichend; es muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und mit Rücksicht auf den konkreten Rechtsstreit in Auftrag gegeben worden sein (BGH, a. zuletzt a.O.).
c)
16 
Hiervon ausgehend, hat die Rechtspflegerin die grundsätzliche Festsetzungsfähigkeit der Gutachterkosten zu Recht angenommen.
17 
Das Gutachten war inhaltlich auf den Gegenstand des hiesigen Rechtsstreits bezogen, indem die Ergebnisse der Untersuchung des klägerischen Fahrzeugs unter den Aspekten der Unfallanalytik und der Schadenshöhe dargestellt wurden; zudem zeichnete sich der Rechtsstreit bereits konkret ab: Die Beklagte zu 2) gab das Gutachten im März 2011 in Auftrag, kurz nachdem sie der Bevollmächtigte des Klägers (am 07.02.2011, Anl. K6 zur Klageschrift) unter Klagandrohung zur Schadensregulierung aufgefordert hatte (zeitliche Nähe). Zudem läge hier anhand des naheliegenden Verdachts eines fingierten Verkehrsunfalls die o.g. Konstellation vor, bei der das Erfordernis zeitlicher Nähe der Gutachteneinholung zum Rechtsstreit nicht zwingend erscheint.
18 
Hiergegen wendet sich auch der Kläger im Grunde genommen nicht, zumal er die ihm nachteilige teilweise Berücksichtigung dieser Kosten im Kostenfestsetzungsbeschluss nicht seinerseits mit Rechtsmittel angegriffen hat.
2.
19 
Damit wird relevant, wie der Umstand zu bewerten ist, dass das von der Beklagten zu 2) eingeholte Gutachten Eingang in insgesamt vier Verfahrensakten gefunden hat.
a)
20 
"20"/>In der Kommentarliteratur wird hierzu vertreten, dass in solchen Fällen die Gutachterkosten im Verhältnis der Streitwerte zu quoteln sind (Schulz, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl., Rdnr. 164 zu § 9; Herget, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., Rdnr. 13 zu § 91, Stichwort „Privatgutachten“).
21 
Zum Beleg wird dabei teilweise auf eine Entscheidung des OLG Bamberg (Beschl. v. 18.02.1971, 71 1 W 77/70 = JurBüro 71, 624) Bezug genommen; diese setzt den Schwerpunkt allerdings etwas anders: Hiernach käme es auf die Bedeutung des Gutachtens für den Rechtsstreit an, wobei das Verhältnis der Streitwerte zu berücksichtigen wäre.
b)
22 
Nach der Auffassung des Senats ist die rechtliche Fragestellung zu präzisieren. Während in einem ersten Schritt zu hinterfragen ist, ob (aa) und ggf. unter welchen Voraussetzungen (bb) eine solche Quotelung überhaupt in Betracht kommt, kann erst danach (cc) geprüft werden, wie sachgerecht zu quotieren wäre.
aa)
23 
Dem Senat erschließt sich schon im Ausgangspunkt nicht, dass der prozessuale Kostenerstattungsanspruch einer Partei wegen eines gleichartigen Anspruchs gegen eine dritte Partei zu reduzieren sein soll. Damit würde das Insolvenz- und sonstige Uneinbringlichkeitsrisiko - ohne sachlichen Grund - auf die erstattungsberechtigte Partei verlagert. Die Partei kann vielmehr die Erstattung in voller Höhe verlangen, aber nur insgesamt einmal durchsetzen. Die mehreren Kostenschuldner können und müssen sich ggf. intern ausgleichen. Das ist dann aber keine Frage der Kostenfestsetzung.
bb)
24 
Jedenfalls könnte aber nach obigen Ausführungen eine quotale Berücksichtigung nur insoweit in Betracht kommen, als auch für die anderen Verfahren Prozessbezogenheit zu bejahen wäre. Soweit die Partei mangels Prozessbezogenheit keinen Erstattungsanspruch hat, muss sie sich auch keine Quotierung entgegenhalten lassen, sondern kann die Kosten in dem Verfahren geltend machen, in dem sie entstanden sind.
25 
Wie oben ausgeführt gilt, dass die bloße Verwendung des Gutachtens in einem Verfahren die Prozessbezogenheit nicht belegt. Dies erst recht, wenn das Gutachten nicht von der Partei zur Akte gebracht, sondern - wie z.B. in einem Strafverfahren - in sonstiger Weise aktenkundig wird.
26 
Hiervon ausgehend, ist Prozessbezogenheit für keines der drei anderen Verfahren dargetan oder sonst ersichtlich. Es steht lediglich fest, dass das Gutachten dort aktenkundig wurde, nicht aber dass es zum Zwecke der auf das jeweilige Verfahren bezogenen Rechtewahrnehmung der Beklagten zu 2) eingeholt wurde.
27 
Bereits aus den Gründen zu aa) und bb) wären die Privatgutachterkosten in voller Höhe festzusetzen gewesen.
cc)
28 
Auf die Frage, wie die Quote in solchen Fällen zu ermitteln ist, kommt es somit nur hilfsweise an. Nur quotale Festsetzungsfähigkeit und Prozessbezogenheit auch bei den anderen Verfahren unterstellt, ist der Argumentation der Beschwerde in folgenden Punkten zu folgen:
29 
α)
30 
Vor dem Hintergrund, dass im Verfahren nach §§ 103ff. ZPO der prozessuale Kostenerstattungsanspruch tituliert werden soll, können nur solche Verfahren in die Betrachtung einbezogen werden, aus denen sich ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch der Partei ergeben hat oder zumindest ergeben kann.
31 
Aus einem Strafverfahren, an dem die Partei nicht als Adhäsionsklägerin o.ä. beteiligt ist, kann sich ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch nicht ergeben. Gleiches gilt für ein PKH-Prüfverfahren, dem kein streitiger Rechtsstreit folgt.
32 
β)
33 
Die ggf. konkret auszuwerfende Quote kann nicht - wie es das Landgericht getan hat - anhand der Zahl der betroffenen Verfahren ermittelt werden. Diese Methode hat zwar den Vorteil, leicht handhabbar zu sein, führt aber mangels wertender Gesichtspunkte allenfalls zufällig zu adäquaten Ergebnissen.
34 
Das vom OLG Bamberg (a.a.O.) erwogene Kriterium der Bedeutung für das Verfahren, ist umgekehrt überhaupt nicht handhabbar. Dem Senat erschließt sich nicht, nach welchem Maßstab die Bedeutung des Gutachtens für das Verfahren vom Kostenfestsetzungsbeamten ermittelt und ggf. gewichtet werden soll, insbesondere (aber nicht nur) wenn es wegen Klagrücknahme, übereinstimmender Erledigungserklärungen, Prozessvergleich o.ä. nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt. In all diesen Fällen findet aber trotzdem eine Kostenfestsetzung und ggf. eine Verteilung der Privatgutachterkosten auf mehrere Prozessgegner statt.
35 
Der Senat schließt sich vielmehr der zitierten Literaturmeinung an, dass die Quotelung nach der Relation der Streitwerte zu erfolgen hätte. Diese Methode ist auch im formalisierten Kostenfestsetzungsverfahren mit überschaubarem Aufwand handhabbar und liefert sachgerechte an wertenden Gesichtspunkten orientierte Ergebnisse.
3.
36 
Sonstige Einwände - insbesondere hinsichtlich der Höhe - werden gegen die geltend gemachten Privatgutachterkosten nicht erhoben.
4.
37 
Somit war die Kostenausgleichung unter Berücksichtigung der Privatgutachterkosten in (voller) Höhe von 8.794,77 EUR neu vorzunehmen. Da alle anderen Positionen unverändert bleiben, ergibt sich folgende Berechnung:
38 
Die außergerichtlichen Kosten summieren sich auf insgesamt 17.243,06 EUR, von denen nach der vereinbarten Quote (62,5-37,5%) der Kläger 10.776,91 EUR und die Beklagte zu 2) 6.466,15 EUR zu tragen haben. Somit ergibt sich bei den außergerichtlichen Kosten eine Erstattung in Höhe von 6.774,46 EUR von dem Kläger an die Beklagte zu 2).
39 
d>Von dem so errechneten Betrag sind noch 171,- EUR für die quotale Beteiligung der Beklagten zu 2) an den Gerichtskosten abzuziehen, so dass sich der tenorierte Betrag von 6.603,46 EUR zu Gunsten der Beklagten zu 2) ergibt.
III.
40 
Da die Beschwerde Erfolg hat, war der Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechend abzuändern. Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, da die Beklagte zu 2) obsiegt und der Kläger unterliegt. Einer Wertfestsetzung für die Gerichtskosten bedarf es nicht, da nur eine Festgebühr (Nr. 1812 KV GKG) anfällt. Der Senat misst der Frage, ob und ggf. wie zu quotieren ist, wenn - bei grundsätzlich erstattungsfähigen Privatgutachterkosten - ein Privatgutachten in mehreren Verfahren verwendet worden ist, grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) bei und lässt daher die Rechtsbeschwerde zu (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen