Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 160/19

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Amtsgerichts Böblingen - Grundbuchamt - vom 02.04.2019 (Az.: BOE24 GRG 32/2019) aufgehoben.

2. Das Grundbuchamt wird angewiesen, den Eintragungsantrag nicht aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.

Gründe

 
I.
Die am … .2017 verstorbene, im Grundbuch als Eigentümerin des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragene … … hatte ihren Kindern, den Beteiligten, am 14.06.2005 - je einzeln - eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt, welche ausdrücklich über den Tod hinaus fortwirken sollte.
Nach dem vorgelegten Erbschein des Amtsgerichts Aalen - Nachlassgericht - vom 19.06.2018 sind die Beteiligten nicht befreite Vorerben ihrer Mutter zu je 1/4, Nacherben sind nach dem Ableben eines Vorerben die leiblichen Kinder des jeweiligen Vorerben; sämtliche Nachlassgegenstände mit Ausnahme des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes stehen den Vorerben als Vorausvermächtnis zu.
Am 08.02.2019 hat die Beteiligte zu 4 vor Notar … in Schwäbisch Gmünd auch im Namen der übrigen Beteiligten Grundbuchberichtigung dahingehend beantragt, dass die Beteiligten als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes eingetragen werden. Gleichzeitig hat sie namens der Nacherben den Grundbesitz aus der Nacherbschaft frei gegeben und die Löschung des Nacherbenvermerks im Wege der Grundbuchberichtigung bewilligt und beantragt. Der Notar hat den Antrag mit Schreiben vom 14.02.2019 bei dem Grundbuchamt eingereicht.
Mit Beschluss vom 02.04.2019 hat das Grundbuchamt im Wege der Zwischenverfügung beanstandet, dass dem Vollzug des Antrags vom 08.02.2019 Eintragungshindernisse entgegenstehen. Da die transmortal erteilte Vollmacht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur zur Vertretung der Vorerben und nicht zur Vertretung der Nacherben berechtige, bedürfe es der Freigabe durch die Nacherben in der Form des § 29 GBO. Für die noch unbekannten Nacherben sei ein Pfleger zu bestellen, die Freigabe auch von diesem zu erklären und von dem Nachlassgericht zu genehmigen. Bezüglich der bekannten Nacherben sei die Stellung als leibliches Kind durch Vorlage einer Geburtsurkunde nachzuweisen, außerdem sei eine eidesstattliche Versicherung des jeweiligen Vorerben vorzulegen, aus welcher sich ergebe, dass derzeit keine weiteren leiblichen Kinder bekannt seien. Zur Erledigung hat das Grundbuchamt Frist gesetzt bis zum 06.05.2019.
Gegen diese Entscheidung hat der vertretungsbefugte Notar mit Schriftsatz vom 06.05.2019 Beschwerde eingelegt, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 15.05.2019 nicht abgeholfen hat.
II.
Die nach §§ 71 ff. GBO zulässige Beschwerde der Beteiligten hat auch in der Sache Erfolg.
Die von dem Grundbuchamt in der angegriffenen Entscheidung aufgezeigten Eintragungshindernisse liegen nicht vor. Aufgrund der von der Beteiligten zu 4 in Vollmacht auch für die Nacherben erklärten Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks sind die Voraussetzungen für die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung der Beteiligten als Eigentümer ohne Nacherbenvermerk gegeben.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine über den Tod hinaus wirkende Vollmacht des Erblassers nach dessen Ableben bis zum Eintritt des Nacherbfalls den Bevollmächtigten auch zur Vertretung des Nacherben legitimiert.
Hierzu wird einerseits die Auffassung vertreten, eine vom Erblasser dem Vorerben oder einem Dritten erteilte Vollmacht berechtige bis zum Nacherbfall nur zur Vertretung des Vorerben, so dass auch ein Bevollmächtigter dessen Verfügungsbeschränkungen unterliege (Grunsky in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 10; Hoeren in Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 2112, Rn. 12; Gierl in Kroiß/Ann/Mayer, BGB Erbrecht, 5. Aufl. 2018, § 2112, Rn. 20; Schmidt in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 5; Hamdan in jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2112, Rn. 17; Avenarius in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 2112, Rn. 33 f.; § 2100, Rn. 47; Edenhofer in Palandt, BGB, 67. Aufl., § 2112, Rn. 7; Böttcher, NotBZ 2011, 269, 276). Das Rechtsverhältnis, auf dem die Fortdauer der Vollmacht gemäß § 168 BGB beruhe, bestehe nach Ableben des Vollmachtgebers nur zwischen dem Vollmachtnehmer und dem Vorerben, der Nacherbe sei vor Eintritt des Nacherbfalls an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligt. Ein Widerruf der Vollmacht durch den Nacherben sei daher nicht möglich (Grunsky a.a.O.). Überdies könne es zu einem Widerruf häufig allein aus tatsächlichen Gründen nicht kommen, weil der Nacherbe von der Vollmacht nichts erfahre oder noch nicht lebe und kein Pfleger bestellt wurde (Avenarius a.a.O.). Eine Vertretung des Nacherben würde dessen Schutzrechte gegenüber dem Vorerben aushöhlen, weil dadurch die aus § 2136 BGB folgende Grenze der Befreiungskompetenz des Erblassers überschritten wäre. Der Bevollmächtigte könnte ansonsten über den Kopf des Nacherben ohne dessen Eingriffsmöglichkeit auch unentgeltliche Verfügungen vornehmen. Teilweise wird vertreten, dass die dem Vorerben erteilte Vollmacht mit dem Ableben des Erblassers durch Konsolidation erlösche, niemand könne sich selbst vertreten (Müller-Christmann in BeckOGK, Stand 1.3.2019, BGB § 2112 Rn. 67; Hamdan a.a.O.; Avenarius a.a.O., § 2112, Rn. 33; Gierl a.a.O.; Munzig in KEHE Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, § 51 GBO, Rn. 12; Keim, DNotZ 2008, 175, 181 zu III 1; Böhringer in Meikel, GBO, 11. Aufl., § 51, Rn. 64).
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Der Senat schließt sich indes der Gegenauffassung an, wonach der von dem Erblasser trans- oder postmortal Bevollmächtigte auch den Nacherben wirksam vertreten kann und in seiner vom Erblasser abgeleiteten Verfügungsmacht nur den Beschränkungen unterliegt, die ihm vom Erblasser selbst direkt auferlegt wurden (so auch KG, Beschluss vom 30.03.1908, OLGE 18, 338; OLG Stuttgart/Senat, Beschluss vom 30.01.1973 - 8 W 211/72 [obiter dictum]; Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl., § 2112, Rn. 4; Weidlich, ZEV 2016, 57, 64; Schubert in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 168, Rn. 52; Schilken in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 168, Rn. 33; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 3488). Seine Rechtsmacht, die Erben zu binden, entspricht der Rechtsmacht des prämortal Bevollmächtigten. Durch nach dem Tod des Vollmachtgebers seitens des Bevollmächtigten vorgenommene Rechtsgeschäfte werden sämtliche Erben einschließlich etwaiger Nacherben berechtigt und verpflichtet (Amann, MittBayNot 2013, 367). An die für den Vorerben geltenden Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB ist der Bevollmächtigte auch dann nicht gebunden, wenn er gleichzeitig Vorerbe ist (Weidlich in Palandt a.a.O.; differenziert: Keim, a.a.O., S. 181 zu III 1 und Böhringer a.a.O., wonach die Verfügungsbeschränkungen für den bevollmächtigten Vorerben nicht aber für einen bevollmächtigten Dritten gelten). Zwar tritt in das der Vollmacht zugrundeliegende Rechtsverhältnis nur der Vorerbe und nicht auch der Nacherbe ein. Der Nacherbe kann jedoch als Erbanwärter kraft seines künftigen Erbrechts über Nachlassgegenstände, für welche der Vorerbe allein den Beschränkungen der §§ 2113, 2114 BGB unterliegt, in Gemeinschaft mit dem Vorerben wirksam verfügen. Insoweit er Verfügungen des Vorerben durch seine Zustimmung wirksam werden lassen kann, ist auch seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten zulässig. Die von dem Erblasser für sich und seine Erben erteilte Vollmacht berechtigt den Bevollmächtigten mithin auch, vor Eintritt der Nacherbfolge insoweit im Namen des Nacherben zu handeln, als der Nacherbe selbst vor Eintritt der Nacherbfolge in seiner Eigenschaft als Nacherbe handeln kann. Der Bevollmächtigte kann somit gleichzeitig im Namen des Vorerben und des Nacherben handeln. Erweist sich die Verfügung des Bevollmächtigten für den Nacherben als nachteilig, so kann daraus möglicherweise ein Anspruch des Nacherben gegen den Bevollmächtigten erwachsen, ohne dass deswegen die Gültigkeit der Verfügung des Bevollmächtigten in Frage gestellt wird (KG a.a.O.). Sind Vollmachtnehmer und Vorerbe identisch, mag mit dem Tod des Erblassers die Vollmacht, für den Vorerben zu handeln, durch Konsolidation erloschen sein, die Vertretungsmacht, für den Nacherben zu handeln, bleibt jedoch bestehen. Dass der Nacherbe noch nicht in das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis für den Erblasser eingetreten ist, hindert die Wirksamkeit der Vollmacht, auch für den Nacherben zu handeln, nicht, weil das Abstraktionsprinzip eine wirksame Vollmacht auch ohne Grundverhältnis ermöglicht (Keim a.a.O., S. 179). Der Nacherbe kann eine solche isolierte Vollmacht auch frei widerrufen. Der Einwand, das Widerrufsrecht des Nacherben sei aus tatsächlichen Gründen kaum zu realisieren, mag zutreffen, spricht aber nicht gegen die vom Erblasser abgeleitete und von den Erben hinzunehmende Befugnis des Bevollmächtigten, auch den Nacherben zu vertreten. Der Erblasser könnte dem Nacherben ebenso mittels eines Nacherbenvollstreckers gemäß § 2222 BGB während der Vorerbschaft seine Befugnisse völlig entziehen, ohne dass der Nacherbe die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen (Keim a.a.O., S. 179). Hielte man eine Stellvertretung für den Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls prinzipiell für unzulässig, könnte eine Vertretungsmacht auch nicht über den Rechtsschein des § 172 BGB fingiert werden (Keim a.a.aO. S. 180). Das Grundbuchamt wäre in allen Fällen, in denen ein trans- oder postmortal Bevollmächtigter Verfügungen für den Nachlass vornimmt, gezwungen, sich in der Form des § 29 GBO nachweisen zu lassen, dass der Erblasser keine Nacherben eingesetzt hat oder dass die eingesetzten Nacherben der Verfügung zugestimmt haben. Die trans- oder postmortale Vollmacht wäre damit für den Grundbuchverkehr erheblich entwertet.
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Da die Freigabe des verfahrensgegenständlichen Grundbesitzes aus der Nacherbschaft und die Bewilligung der Löschung des Nacherbenvermerks durch die Beteiligte zu 4 den Nacherben gegenüber wirksam ist, ist das Grundbuch dahin zu berichtigen, dass die Beteiligten entsprechend ihrem Antrag ohne Nacherbenvermerk als Eigentümer in das Grundbuch einzutragen sind (Demharter, GBO, 31. Aufl., § 51, Rn. 15; Haegele, Rpfleger 1971, 121, 129), soweit keine anderen Eintragungshindernisse entgegenstehen.
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Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde ist weder eine Entscheidung bezüglich der Gerichtskosten und der Wertfestsetzung noch zur Zulassung einer Rechtsbeschwerde veranlasst.

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