Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 U 86/20

Tenor

1. Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2020, Az. 11 O 538/19, wird zurückgewiesen.

2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Streitwert: 10.000,00 EUR

Gründe

 
I.
Der Verfügungskläger begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Unterlassung einer Äußerung der Verfügungsbeklagten in einem Interview vom 20. Oktober 2019 in der Tageszeitung „Augsburger Allgemeine“.
1.
Der Verfügungskläger ist Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer der T... E... GmbH, die unter dem Namen „T... E...“ u. a. eine Online- und Videoplattform betreibt und ein Monatsmagazin herausgibt. Der Verfügungskläger entscheidet über die Veröffentlichung von Beiträgen auf der Online-Plattform. Die Verfügungsbeklagte ist Angehörige der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Deutschen Bundestages und dessen Vizepräsidentin.
Am 20. Oktober 2019 erschien in der „Augsburger Allgemeinen“ ein Interview u. a. mit der Verfügungsbeklagten unter dem Titel: „Künast und Roth im Doppel-Interview: ‚Manches geht nicht spurlos an dir vorbei‘“, in dem die Verfügungsbeklagte von Anfeindungen im Internet ihr gegenüber erzählt. Die Verfügungsbeklagte äußerte im Interview:
„Auch ich versuche immer wieder, gegen Drohungen und Beleidigungen juristisch vorzugehen. Oft können die Täter nicht ermittelt werden, manchmal habe ich Erfolg. Dann kostet der Aufruf, mich aufzuhängen, gern auch mal 4800 Euro. Der juristische Weg ist aber nur einer von vielen. Wir dürfen nicht aufhören, das Thema in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Wir müssen die Stichwortgeber benennen, all diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht – von R... T... über H... M. B... bis hin zu eindeutig rechtsradikalen Blogs. Und ja, die Brandbeschleuniger sitzen zum Teil auch in unseren Parlamenten. Also: dagegenhalten, laut und deutlich. Denn zuerst kommt das Sagbare, dann das Machbare. Dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen.“
Der Verfügungskläger hat die Verfügungsbeklagte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 25. Oktober 2019 (Anlage JS 3, Blatt 14 f) aufgefordert, bis zum 1. November 2019 eine strafbewehrte Erklärung dahin abzugeben, dass sie sich zur Unterlassung der Äußerung verpflichte, das Geschäftsmodell des Verfügungsklägers beruhe auf Hetze und Falschbehauptungen. Die Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger gegenüber auf das Schreiben nicht reagiert. Am 8. November 2019 hat der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung beantragt, bezogen allerdings nur auf die Äußerung „ ... deren Geschäftsmodell auf ... Falschbehauptungen beruht“.
Der Verfügungskläger hatte geltend gemacht, die beanstandete Äußerung verletze ihn in seinem Persönlichkeitsrecht. Die Äußerung stelle eine unwahre Tatsachenbehauptung dar. Bei dem Ausdruck „Falschbehauptung“ handle es sich um eine Übertragung des englischen Begriffs „fake news“, der „gezielt verbreitete, manipulative Falsch- und Fehlinformationen“ bedeute. Mit ihrer Äußerung werfe die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger nicht eine einzelne, ggf. versehentliche Falschbehauptung vor, sondern mache ihm den Vorwurf, dass Falschbehauptungen das grundlegende, tragende Prinzip seiner publizistischen Tätigkeit darstellten. Selbst wenn man von einer Meinungsäußerung ausginge, sei diese nicht auf eine hinreichende tatsächliche Grundlage gestützt und deshalb unzulässig. Der Kläger werde pauschal herabgesetzt, die Diffamierung seiner Person stehe im Vordergrund. Es gebe weder einen erkennbaren Bezug zu einem vom Verfügungskläger angeblich verfolgten Geschäftsmodell noch eine sachliche Auseinandersetzung mit einer konkreten Veröffentlichung des Verfügungsklägers. Die Verfügungsbeklagte sei deshalb unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zur Unterlassung der Äußerung zu verurteilen, das Geschäftsmodell des Verfügungsklägers beruhe auf Hetze und Falschbehauptungen, wie im Interview vom 20. Oktober 2019 geschehen.
Die Verfügungsbeklagte hatte beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Sie hatte vorgetragen, die angegriffene Äußerung beziehe sich bereits nicht auf den Verfügungskläger als Person, sondern auf die unter seinem Namen betriebene Online-Plattform. Die Äußerung sei so substanzarm, dass sie nicht als Tatsachenbehauptung anzusehen sei. Die Äußerung enthalte keinen konkreten Vorwurf einer Falschbehauptung und sei dem Beweis nicht zugänglich. Es handle sich um eine Bewertung im politischen Meinungskampf dergestalt, dass Provokationen genutzt würden, um auf sich aufmerksam zu machen und Leser zu attrahieren.
2.
Mit Urteil vom 20. Februar 2020 hat das Landgericht den Antrag auf einstweilige Verfügung als unbegründet zurückgewiesen.
Dem Verfügungskläger stehe gegen die Verfügungsbeklagte kein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 (analog) BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Allerdings sei der Verfügungskläger von der streitgegenständlichen Äußerung, in der er namentlich genannt sei, unmittelbar und individuell betroffen und damit aktivlegitimiert. Dies gelte auch, soweit in dem Beitrag von „Plattformen“ und „Blogs“ die Rede sei. Die Äußerung stehe jedenfalls in enger Beziehung zu der journalistischen Tätigkeit des Verfügungsklägers auf der unter seinem Namen betriebenen Online-Plattform. Die angegriffene Äußerung beeinträchtige den Verfügungskläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Mit ihrer Aussage, der Verfügungskläger betreibe ein auf Falschbehauptungen beruhendes Geschäftsmodell, kritisiere die Verfügungsbeklagte die Geschäftstätigkeit des Verfügungsklägers in erheblichem Maße und greife in den sozialen Geltungsanspruch des Verfügungsklägers ein, insbesondere in seine berufliche Ehre als Teil der Sozialsphäre.
10 
Der Eingriff sei aber nicht rechtswidrig, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG nicht das Recht der Verfügungsbeklagten auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG überwiege. Die Aussage, der Verfügungskläger betreibe ein auf Falschbehauptungen beruhendes Geschäftsmodell, stelle eine Meinungsäußerung dar. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert würden, geschehe die wesentliche Prägung von Werturteilen und Meinungsäußerungen anhand der subjektiven Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung sei demnach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich sei. Dies scheide bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen ließen. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengten, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sei, werde sie als Meinung vom Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Bei der Deutung sei ausgehend vom Wortlaut der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung stehe, zu berücksichtigen. Der Aussagegehalt sei ausgehend vom Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang zu erfassen, in dem die Äußerung gefallen sei. Eine Aussage, die auf Werturteilen beruhe, könne sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen werde. Die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts könne selbst dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bediene, unrichtige Tatsachen enthalten. Anders liege es aber, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm bleibe, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktrete, etwa wenn eine unternehmensbezogene Kritik im wesentlichen Kern keine auf ihre Richtigkeit überprüfbare substantiierte Aussage enthalte, sondern lediglich eine pauschale subjektive Bewertung des geschäftlichen Verhaltens. Sei eine Äußerung derart substanzarm, dass sich ihr eine konkret greifbare Tatsache nicht entnehmen lasse und sie ein bloß pauschales Urteil enthalte, trete der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung zurück und beeinflusse die Abwägung nicht.
11 
Gemessen an diesen Grundsätzen sei die Äußerung, der Verfügungskläger betreibe ein „auf Hetze und Falschbehauptungen beruhendes Geschäftsmodell“, eine allgemeine, dem Wahrheitsbeweis aufgrund ihrer Substanzarmut nicht zugängliche Wertung der Verfügungsbeklagten, unter der sich ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum keine konkreten, dem Wahrheitsbeweis zugänglichen Vorgänge vorstellen könne. Sie sei wesentlich durch die Elemente der Stellungnahme, des Meinens und Dafürhaltens geprägt und sei einer Beurteilung als „wahr“ oder „unwahr“, etwa im Wege des Zeugenbeweises, nicht zugänglich, sondern könne allenfalls als „richtig“ oder „falsch“ angesehen werden. Zwar könne die Äußerung ausgehend vom Wortlaut abhängig vom jeweiligen Kontext, in dem sie falle, sowohl eine Tatsachenbehauptung als auch eine Meinungsäußerung darstellen. Der Begriff „falsch“ könne im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl „unwahr“ als auch „unrichtig“ bedeuten und sei nicht von vornherein einer Tatsachenbehauptung oder einer Meinungsäußerung zuzuordnen. Der Kläger selbst setze den Begriff „Falschbehauptungen“ dem englischen Begriff „fake news“ gleich, bei dem es sich nach der vom Kläger beigebrachten Definition u. a. um die „Dekontextualisierung oder bewusst falsche Interpretation wahrer Informationen“ und damit um eine Meinungsäußerung handeln könne. Auch der Begriff des „Geschäftsmodells“ könne je nach Kontext einen Tatsachenkern beinhalten oder Meinungsäußerung sein. Im vorliegenden Fall ergebe sich die Bewertung als Meinungsäußerung aus dem Zusammenhang, in dem die Äußerung gefallen sei. Das Zeitungsinterview habe das Thema „Hetze und Beschimpfungen im Internet“ zum Gegenstand. Die Verfügungsbeklagte berichte in einem ersten Teil von Drohungen und Beleidigungen und ihren juristischen Reaktionen mit Erfolgen und Misserfolgen. Im zweiten Teil ihrer Stellungnahme löse sich die Beklagte vom „juristischen Weg“, der nur einer von vielen sei, und fordere dazu auf, „Stichwortgeber“ zu benennen.
12 
Die Äußerung, das Geschäftsmodell des Klägers beruhe auf Hetze und Falschbehauptungen, stelle sich als eine substanzarme Meinungsäußerung dar. Die Verfügungsbeklagte befasse sich im Interview weder mit dem Verfügungskläger noch mit seiner journalistischen und publizistischen Tätigkeit, sondern nenne seinen Namen eher nebenbei als „Stichwortgeber“, ohne dabei konkrete Vorgänge im Zusammenhang mit der Plattform „T... E...“ oder der journalistischen Tätigkeit des Verfügungsklägers zu schildern oder einen konkreten Artikel zu nennen, in denen der Verfügungskläger angeblich falsche Behauptungen aufgestellt haben sollte. Auch zum Begriff des „Geschäftsmodells“ gebe es keine näheren Informationen, so dass es der Interpretation des Lesers überlassen bleibe, den Begriff mit Leben zu füllen. Die Verknüpfung der Begriffe „Geschäftsmodell“ und „Falschbehauptungen“ mit der Formulierung „beruht auf“ führe nicht zu einer Vorstellung konkreter geschichtlicher Vorgänge. Die Behauptung, etwas „beruhe“ auf etwas Anderem, habe als regelmäßig wertende Schlussfolgerung schon für sich genommen einen stark wertenden, von den Elementen des Meinens und Dafürhaltens geprägten Charakter. Wenn, wie im vorliegenden Fall, keine näheren Informationen dazu geliefert würden, worauf sich dieser Schluss gründe, fehle es an einem überprüfbaren Tatsachenkern. Insoweit unterscheide sich der streitgegenständliche Sachverhalt von der vom Verfügungskläger für seine Ansicht herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 1987 (VI ZR 247/85), in der im Gesamtzusammenhang ein konkreter Vorgang in der Vergangenheit und objektiv beweisbare Einzelfälle beschrieben worden seien.
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG überwiege vorliegend nicht das Recht der Verfügungsbeklagten auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG. Die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts müsse aufgrund seiner Eigenart als Rahmenrecht, dessen Reichweite nicht absolut festliege, durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen seien. Nach diesem Maßstab handle es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung der Verfügungsbeklagten um eine zulässige Meinungsäußerung, die insbesondere keine Schmähkritik darstelle. Zwar übe die Verfügungsbeklagte mit der streitgegenständlichen Äußerung scharfe Kritik am Verfügungskläger. Die Äußerung stehe aber im sachlichen Kontext zu dem die Öffentlichkeit aktuell wesentlich berührenden Thema „Hetze und Beschimpfung im Internet“. Die streitgegenständliche Äußerung stelle einen eigenen Beitrag der Verfügungsbeklagten zu ihrem Appell dar, „das Thema in die breite Öffentlichkeit zu tragen“ und die „Stichwortgeber“ zu benennen. Die Äußerung sei im Rahmen des politischen Meinungskampfes gefallen, an dem sich auch der Verfügungskläger mit Veröffentlichungen auf seiner Online-Plattform beteilige. Dieser könne sich in gleichem Maße wie die Verfügungsbeklagte auf den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG berufen, müsse sich als Akteur der öffentlichen Meinungsbildung andererseits aber auch überspitzte Äußerungen wie die der Verfügungsbeklagten grundsätzlich gefallen lassen. Die streitgegenständliche Äußerung erfolge nicht um ihrer selbst willen zur alleinigen Diffamierung des Klägers und sei weder grundlos noch willkürlich, von einer Schmähkritik sei deshalb nicht auszugehen. Die Kritik erhalte zwar eine besonders scharfe Wirkung dadurch, dass sie den Verfügungskläger und H... M. B... namentlich nenne. Es werde aber deutlich, dass es sich um eine beispielhafte Aufzählung handle und die beiden Genannten nicht allein herausgegriffen und kritisiert würden.
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Die Verfügungsbeklagte habe aus Sicht der Kammer genügend Anhaltspunkte dafür vorgetragen, aus denen geschlossen werden könne, dass sie ihre sachbezogene Meinung nicht aus ihrer Sicht willkürlich, ohne jeden Grund, geäußert habe. Dabei genüge es, wenn die konkreten Anknüpfungspunkte nicht in der Äußerung selbst, sondern im Streitfall dargelegt würden. Im Februar 2019 sei auf der Plattform „T... E...“ behauptet worden, die Verfügungsbeklagte habe die Rechtswidrigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan mit einer frei erfundenen Zahl von Todesopfern begründet. Die Verfügungsbeklagte habe hierzu vorgetragen, sie habe sich auf eine Zahl des „Armed Conflict Location and Event Data Project“ ACLED bezogen. Die Behauptung, die Zahl sei frei erfunden, sei deshalb falsch. Dem sei der Verfügungskläger nicht entgegengetreten. Weiter sei im August 2019 auf der Plattform „T... E...“ behauptet worden, die Verfügungsbeklagte habe erklärt, fast alle Deutsche seien Rassisten. Die Auffassung der Verfügungsbeklagten, dabei sei ein Zitat von ihr sinnentstellend missinterpretiert worden, sei durchaus vertretbar. Dieses habe gelautet: „In Form eines mal lauten, mal leisen Grundrauschens war und ist kultureller, ethnischer, auch antimuslimischer Rassismus für viele Menschen in Deutschland alltägliche Erfahrung.“ Auch hiergegen habe sich der Verfügungskläger nicht gewandt. Die Verfügungsbeklagte habe weiter unbestritten vorgetragen, auf der Plattform des Klägers sei im Juni 2018 die unwahre Meldung verbreitet worden, der Generalbundesanwalt ermittle gegen eine deutsche Seenothelfer-Organisation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Es lägen damit hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, die es aus Sicht der Verfügungsbeklagten als vertretbar erscheinen ließen, der Verfügungskläger verbreite Falschbehauptungen. Unerheblich sei, ob die Beiträge vom Verfügungskläger selbst oder von Dritten stammten, da der Verfügungskläger nach eigenen Angaben über die Veröffentlichungen entscheide. Zudem sei im Kontext der angegriffenen Äußerung von „Plattformen“ die Rede, so dass die dort getätigten Äußerungen nicht zwingend dem Verfügungskläger als Autor zugeschrieben würden.
3.
15 
Der Verfügungskläger macht mit seiner Berufung geltend, die Entscheidung des Landgerichts beruhe auf Fehlschlüssen und Rechtsfehlern.
16 
Die Einschätzung, bei der angefochtenen Äußerung handle es sich um eine Meinungsäußerung, sei überraschend, laufe der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zuwider und sei nicht einmal von der Verfügungsbeklagten vertreten worden. Zwar habe sich diese darauf berufen, es handle sich um eine Meinungsäußerung, ihren eigenen Vortrag aber selber nicht geglaubt, nachdem sie sich in zwei Dritteln ihres Zurückweisungsantrages vom 20. Januar 2020 mit nichts anderem als dem erkennbar gescheiterten Versuch beschäftigt habe, dem Verfügungskläger „Falschbehauptungen“ nachzuweisen, um ihre Äußerungen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Das Landgericht sei von dem Grundsatz ausgegangen, die angegriffene Äußerung könne sowohl eine Tatsachenbehauptung als auch eine Meinungsäußerung darstellen, nachdem der Begriff „falsch“ im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl „unwahr“ als auch „unrichtig“ bedeuten könne. Die Schlussfolgerung auf eine Meinungsäußerung sei jedoch unzutreffend. Auch eine Tatsachenbehauptung könne man ohne Weiteres ebenso als „unwahr“ wie als „unrichtig“ bezeichnen. Soweit das Landgericht davon ausgehe, die Verfügungsbeklagte befasse sich im Interview gar nicht mit dem Verfügungskläger und seiner journalistischen und publizistischen Tätigkeit, sei dies offenkundig falsch. Er sei einer von nur zwei namentlich genannten „Brandbeschleunigern“, welche die Grundlage für den von der Verfügungsbeklagten beklagten Missstand lieferten. Auch sei es unzutreffend, aus der Unterstellung, der Verfügungskläger stelle „Falschbehauptungen“ auf, könnten keine konkreten Schlüsse auf ein etwaiges vergangenes Verhalten des Verfügungsklägers gezogen werden.
17 
Das Landgericht habe die Begriffe „Falschbehauptungen“, „Geschäftsmodell“ und die Verknüpfung „beruht auf“ künstlich getrennt. Inwieweit das Geschäftsmodell eines Publizisten und Journalisten noch weiterer Erläuterung bedürfe, erschließe sich nicht. Dieses ergebe sich unmittelbar aus der Berufstätigkeit selbst und bestehe in der marktwirtschaftlichen Verwertung journalistischer und publizistischer Leistungsergebnisse.
18 
Das Landgericht hätte die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs GRUR 1988, 402 – ‚Mit Verlogenheit zum Geld‘ auch auf den vorliegenden Fall anwenden müssen. Der Durchschnittsleser erblicke in Erklärungen, wie sie die Verfügungsbeklagte abgegeben habe, keine subjektiven Werturteile oder Meinungsäußerungen – jedenfalls nicht in erster Linie –, sondern den zusammenfassenden Ausdruck objektiv beweisbarer Einzelfälle, deren tatsächlicher Charakter auch in der gewählten Form der verallgemeinernden Zusammenfassung zum Ausdruck gelange. Dies lasse sich auch aus der Formulierung der Verfügungsbeklagten schließen, welche die Begriffe „Hetze und Falschbehauptungen“ nicht redundant verwende, sondern bewusst als Paar Meinungsäußerung / Tatsachenbehauptung benutzte, mithin als von ihr politisch zutiefst abgelehnte Meinungsäußerungen („Hetze“) einerseits und die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten („Falschbehauptungen“) andererseits. Während die Bewertung einer Meinungsäußerung als Hetze ihrerseits eine Meinungsäußerung darstelle und deswegen vom Verfügungskläger nicht angegriffen werde, sei die Frage, ob der Verfügungskläger geschäftsmodelltragend bewusst Unwahrheiten verbreite, als Tatsachenbehauptung dem Beweis zugänglich.
19 
Der Verfügungsbeklagten, die als Bundestagsvizepräsidentin bekannt sei und im Artikel auch als solche vorgestellt werde, seien die streitgegenständlichen Äußerungen jedenfalls dann von Verfassungs wegen verwehrt, wenn sie als Bundestagsvizepräsidentin auftrete. Soweit ein Staatsorgan am politischen Meinungskampf teilnehme, sei es dem Neutralitätsgebot unterworfen und müsse sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibe.
20 
Der Verfügungskläger bezweifle im Übrigen, dass der Verfügungsbeklagten die im Schriftsatz vom 20. Januar 2020 erwähnten „Falschbehauptungen“ im Zeitpunkt ihrer Äußerung bekannt gewesen seien, diese seien wohl nach Zugang der Abmahnung „in höchster Not“ von Mitarbeitern aus Partei und Bundestag (dann zu Lasten des Steuerzahlers) ermittelt worden, um noch irgendwelches Belegmaterial für die von der Verfügungsbeklagten aufgestellte Behauptung zusammenzutragen. Im Kern sei jedoch von den von der Verfügungsbeklagten auf 12 Seiten vorgebrachten angeblichen „Falschbehauptungen“ nichts übriggeblieben.
21 
Der Verfügungskläger beantragt:
22 
das landgerichtliche Urteil abzuändern und nach den Schlussanträgen des Verfügungsklägers aus der ersten Instanz zu erkennen und die beantragte einstweilige Verfügung antragsgemäß zu erlassen.
23 
Der erstinstanzliche Antrag lautet:
24 
Im Wege der einstweiligen Verfügung [- der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung -] wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
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verboten,
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in Bezug auf den Antragsteller zu äußern, dessen Geschäftsmodell beruhe auf Hetze und Falschbehauptungen,
27 
wie in dem Interview gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“: „Künast und Roth: ‚Manches geht nicht spurlos an dir vorbei‘“ vom 20.10.2019 geschehen.
28 
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
29 
die Berufung zurück zu weisen.
30 
Die Verfügungsbeklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Sie macht geltend, es fehle an einem Eilbedürfnis und damit an einem Verfügungsgrund, da die Berufungsbegründung zwar fristgemäß, aber erst nahezu ein halbes Jahr nach dem Ereignis eingegangen sei. Die Verfügungsbeklagte habe mit der angegriffenen Äußerung eine Gruppe von Online-Portalen und deren Wirk- und Wahrnehmungsmechanismen bewertet und sich nicht direkt zum Kläger geäußert. Der Verfügungskläger habe die streitgegenständlichen Äußerungen inzwischen in einem Beitrag vom 24. Januar 2020 ebenfalls verbreitet (Anlage BE 1) und dürfe dies der Äußernden deshalb nicht verbieten. Die Verfügungsbeklagte sei nicht Teil der Bundesregierung und habe den Verfügungskläger auch nicht in dieser Eigenschaft beleidigt, so dass eine weitere Falschbehauptung vorliege. Zutreffend habe auch das OLG Dresden in einer Parallelsache des in der angegriffenen Äußerung ebenfalls benannten Herrn B... gegen die Verfügungsbeklagte am 28. April 2020 zu ihren Gunsten entschieden (Az. 4 W 3/20).
4.
31 
Zum Sachverhalt und dem weiteren Vortrag der Parteien wird ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen sowie die tatbestandlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil, zum mündlichen Vorbringen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung in I. Instanz am 23.01.2020 (Bl. 67 ff.) verwiesen.
II.
32 
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
33 
Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2020 beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die streitbefangene Äußerung der Verfügungsbeklagten vom 20. Oktober 2019 stellt sich als Meinungsäußerung dar, die keinen Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers auf Unterlassung rechtfertigt.
1.
34 
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen wird auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen, die der Senat in jeder Hinsicht teilt.
2.
35 
Die streitbefangene Äußerung ist nach ihrem Aussagegehalt und dem Kontext, in dem sie gefallen ist, nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung einzustufen. Das Recht des Verfügungsklägers auf Unversehrtheit seiner Sozialsphäre in Form seiner beruflichen Ehre als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, 8 EMRK überwiegt im vorliegenden Fall nicht das Recht der Verfügungsbeklagten auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG, 10 EMRK. Ein Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, 186 StGB oder aus anderen Vorschriften besteht deshalb nicht.
a)
36 
Aus dem Gesamtzusammenhang der streitgegenständlichen Äußerung ergibt sich für einen unvoreingenommenen Durchschnittleser, dass die Äußerung der Verfügungsbeklagten über „all diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht - von R... T... ...“ insgesamt eine Meinungsäußerung darstellt, die von den Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens der Verfügungsbeklagten geprägt ist. Der Verfügungsbeklagten kam es mit der hier beanstandeten Äußerung in der „Augsburger Allgemeinen“ erkennbar inhaltlich nicht auf einzelne Aussagen konkreter Plattformbetreiber an, sondern darauf, dass man „Hetze und Falschbehauptungen“ gerade dann, wenn sie wiederholt auftreten, ihrer Auffassung nach nicht unwidersprochen hinnehmen, sondern auch unter Nennung des Urhebers öffentlich angehen solle.
37 
Der Zeitungsleser als Durchschnittsadressat versteht die streitgegenständliche Äußerung nicht - wie die Berufung geltend macht - in dem Sinne, die Verfügungsbeklagte habe bewusst ein Begriffspaar gewählt, mit dem sie einerseits auf Meinungsäußerungen (mit dem Begriff der „Hetze“ umschrieben) und andererseits auf Tatsachenbehauptungen (mit dem Begriff der „Falschbehauptungen“ bezeichnet) habe abstellen wollen. Der unbefangene Leser konnte die Äußerung der Verfügungsbeklagten durchaus dahin verstehen, die in der Aussage der Verfügungsbeklagten genannten „Plattformen“ hätten aus Sicht der Verfügungsbeklagten nicht nur unsachliche, verunglimpfende Aussagen getroffen, sondern ihrer Meinung nach auch fehlerhafte Behauptungen aufgestellt. Wie der Verfügungskläger zutreffend ausgeführt hat, wird im allgemeinen Sprachgebrauch die im Äußerungsrecht übliche Differenzierung zwischen den Begriffen „wahr“ und „unwahr“ für Tatsachenbehauptungen und „richtig“ und „falsch“ für Meinungsäußerungen nicht in gleicher Weise vorgenommen, stattdessen werden die Begriffe „wahr“ und „richtig“ sowie „unwahr“ und „falsch“ häufig synonym verwendet. Entgegen des Berufungsvorbringens folgt aus der angegriffenen Äußerung deshalb aber nicht, der durchschnittliche Rezipient werde den verwendeten Begriff der „Falschbehauptungen“ gerade dahin interpretieren, die Verfügungsbeklagte habe sich auf nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen beziehen wollen. Der Begriff der „Falschbehauptung“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch - jedenfalls bisher - nicht regelmäßig in dem vom Verfügungskläger für den englischen Begriff „fake news“ vorgetragenen Sinn verwendet, dass damit „gezielt verbreitete, manipulative Falsch- und Fehlinformationen“ gemeint wären.
38 
Die Überschrift des Presseartikels (“Künast und Roth im Doppel-Inverwiew: 'Manches geht nicht spurlos an dir vorbei'“) und dessen Einleitung (“Renate Künast und Claudia Roth werden im Internet angefeindet wie nur wenige andere Frauen. Die beiden Grünen-Politikerinnen erzählen, was das mit ihnen macht.“) lassen den unbefangenen Leser erwarten, dass die Interviewten in erster Linie subjektiv ihr Empfinden über abwertende Äußerungen im Internet schildern, von denen sie betroffen sind, und in dem Artikel beschreiben wird, wie sie damit umgehen. Auch die vom Verfügungskläger beanstandete Einzeläußerung nennt keinen konkreten Vorgang und ist nicht durch eine objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert (BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131, 1133 m. w. Nachw.), sondern durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; Beschluss vom 9. Oktober 1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439, 1440; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 Rn. 8 – Hochleistungsmagneten, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, NJW 2011, 2204 Rn. 10 – Bonitätsbeurteilungen; jeweils m. w. Nachw.). Zwar kann, wie schon das Landgericht festgestellt hat, auch die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten, und zwar auch dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bedient. Dies gilt jedoch nicht, wenn der tatsächliche Gehalt einer Äußerung so substanzarm bleibt, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktritt (BGH, Urteil vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, GRUR 2017, 298, 301 Rn. 26), insbesondere dann, wenn eine unternehmensbezogene Kritik im wesentlichen Kern keine auf ihre Richtigkeit substantiierbare Aussage enthält, sondern lediglich eine pauschale subjektive Bewertung des geschäftlichen Verhaltens (BGH, Urteil vom 11. März 2008 - VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110, 2112 Rn. 14 m. w. Nachw.). Genau dies ist vorliegend der Fall:
39 
Die Aussage der Verfügungsbeklagten über „diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen“ beruhe, darunter die des Verfügungsklägers, bleibt substanzarm und auf die zitierten Schlagworte beschränkt. Aus dem Zusammenhang des Textes ergibt sich weiter, dass die Verfügungsbeklagte nicht beabsichtigt, sich mit einzelnen Aussagen zu beschäftigen, zumal gerade solchen des Verfügungsklägers. Vielmehr bezieht sich die Äußerung der Verfügungsbeklagten auf eine Gesamtheit publizistischer Organe („all diese neurechten Plattformen“) und nennt den Verfügungskläger beispielhaft neben einem weiteren Publizisten und einer weiteren Zusammenfassung von Internetpublikationen, von denen sie die namentlich Benannten abgrenzt („von R... T... über H... M. B... bis hin zu eindeutig rechtsradikalen Blogs“). Weder vor noch nach dieser streifartigen Erwähnung geht es in dem beanstandeten Text um konkrete Behauptungen oder Aussagen des Verfügungsklägers (oder anderer der von der Verfügungsbeklagten so bezeichneten „neurechten Plattformen“). Die beanstandete Äußerung steht im weitläufigeren Zusammenhang des Textes innerhalb allgemeiner Aussagen zu Drohungen und Beleidigungen im Internet und der von der Verfügungsbeklagten erhobenen Aufforderung nicht zu schweigen, sondern „die Stichwortgeber“ zu benennen, um vorzubeugen, dass dem „Angriff auf die Menschlichkeit ... der Angriff auf den Menschen“ folge. Auch soweit die Verfügungsbeklagte von einem „Geschäftsmodell“ der „neurechten Plattformen“ spricht (zu den Schwierigkeiten einer Begriffsbestimmung des „Geschäftsmodells“ aufgrund einer bisher fehlenden allgemeinen betriebswirtschaftlichen Definition vgl. den Eintrag bei Gabler, Online-Wirtschaftslexikon, abgerufen am 29. Mai 2020), bleibt es bei einem Schlagwort, ohne dass die Verfügungsbeklagte ein angebliches Konzept unternehmerischen Handelns, einen möglichen Mehrwert für Kunden, die Generierung einer Wertschöpfung oder eines Ertrages oder andere Tatsachen nennen würde – zudem noch übergreifend „all diese neurechten Plattformen“ vereinend –, die einer Beweisführung zugänglich wären. Soweit man die Äußerung, es handle sich um ein „Geschäftsmodell“, so verstehen kann, dass sich eine Vorgehensweise wiederholt, lässt die Aussage der Verfügungsbeklagten auch insoweit jeden konkreten Inhalt vermissen. Vielmehr hat die Verfügungsbeklagte ihre Äußerung beiläufig in einem Kontext fallen lassen, in dem sie sich mit anderen Aspekten befasst hat. Vor der beanstandeten Äußerung hat die Verfügungsbeklagte im Interview ihr Vorgehen gegen Drohungen und Beleidigungen im Internet beschrieben, die erkennbar nicht vom Verfügungskläger ausgegangen waren. Gleich im nächsten Satz spricht die Verfügungsbeklagte wiederum ein neues Thema an, wonach „die Brandbeschleuniger ... zum Teil auch in unseren Parlamenten“ zu finden seien.
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In dieser Substanzarmut des in der beanstandeten Äußerung angesprochenen „Geschäftsmodells“ und der „Falschbehauptungen“ liegt - worauf das Landgericht ebenfalls bereits zutreffend hingewiesen hat - der wesentliche Unterschied zu der vom Verfügungskläger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Oktober 1987 (I ZR 247/85, GRUR 1988, 402 – „Mit Verlogenheit zum Geld“). Im dortigen Sachverhalt waren bereits Überschrift und Einleitung der angegriffenen Äußerung in einer Zeitschrift „A.“ auf Tatsachenbehauptungen angelegt, indem das angebliche Fehlverhalten einer Ärztezeitung (“T“) konkret beschrieben worden ist. Unter dem Titel “Die Masche der T: Mit Verlogenheit zum Geld!“) wurde der dort beanstandete Artikel mit dem Vorspann eingeleitet: „Die Methode ist so simpel wie die ausgewählten Themen: Eine Behauptung wird erfunden und als Tatsache mit dem Aufschrei verkündet, die Ärzteschaft sei in Gefahr. Erfolgt der Nachweis, dass die Behauptung unwiderlegbar falsch und unwahr ist, dann lautet die Schlussfolgerung: Nur mit der falschen Behauptung war es möglich, die Ärzteschaft zu retten, weil jetzt die Angelegenheit geklärt sei. Das ist die immer wieder verwendete Masche der T, um die Aufmerksamkeit ärztlicher Leser zu finden und mit dem Hinweis auf diese Aufmerksamkeit die Pharmaindustrie zur Schaltung kostspieliger Anzeigen zu veranlassen, mit deren Einnahmen dann die Gehälter eben jener Journalisten bezahlt werden, deren Artikel sich durch besondere Verlogenheit auszeichnen.“ Im weiteren Artikeltext wurde auf frühere Veröffentlichungen Bezug genommen, in denen sich die Zeitungen „A.“ und „T“ wechselseitig unter Nennung zahlreicher Einzeltatsachen unwahrer Aussagen im Hinblick auf angeblich „dubiose Geldanlagen“ für Ärzte bezichtigt hatten. Im Gegensatz zu der im vorliegenden Fall zu beurteilenden, am 20. Oktober 2019 veröffentlichten substanzarmen Äußerung der Verfügungsbeklagten, die das Thema von „Falschbehauptungen“ auf Internetplattformen (wie der von der GmbH des Verfügungsklägers betriebenen) nur nebenbei gestreift hat und im Übrigen Anfeindungen im Internet gegen Frauen, insbesondere Politikerinnen, zum Thema hatte, war es das zentrale Anliegen der vom Bundesgerichtshof am 22. Oktober 1987 beurteilten Äußerung in Überschrift, Einleitung und Artikelinhalt, mittels Tatsachenbehauptungen ein angeblich unredliches Verhalten der Zeitung „T“ nachzuweisen. In diesem Zusammenhang hatte die dortige Beklagte eine angebliche „Masche“ konkret beschrieben, mittels derer die Zeitung „T“ Einnahmen generiere, nämlich durch das Wecken von Interesse bei Ärzten mittels erfundener, deren Aufmerksamkeit versprechender Themen und der in der Folge darauf basierenden Bereitschaft von Pharmaunternehmen, kostspielige Inserate zu schalten, um hieraus Einnahmen zu generieren. Zutreffend hat das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 20. Februar 2020 darauf hingewiesen, dass der vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. Oktober 1987 entschiedene Sachverhalt, bei dem aufgrund der genannten Umstände und des Gesamtzusammenhangs eine Qualifizierung als Tatsachenbehauptung bejaht worden ist, mit der vorliegenden substanzarmen Aussage der Verfügungsbeklagten nicht vergleichbar ist.
b)
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Eine sogenannte Schmähkritik, welche die Meinungsäußerungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück treten lassen würde (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05; NJW 2008, 358, 359; Beschluss vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04, NJW 2009, 3016, 3017 Rn. 28; BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – III ZR 224/01, NJW 2003, 1308, 1310, jeweils m. w. Nachw.), liegt nicht vor. Der Begriff der „Schmähkritik“ ist eng zu definieren (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12, NJW 2013, 3021 Rn. 15), weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde (BGH, Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872 Rn. 18, Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 – Hochleistungsmagneten – Rn. 18 m. w. Nachw.). Deshalb kann eine Schmähkritik selbst bei einer überzogenen, polemischen oder gar ausfälligen Kritik noch nicht angenommen werden. Vielmehr muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht; die Äußerung muss also jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen, das sachliche Anliegen durch die persönliche Kränkung völlig in den Hintergrund gedrängt werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, AfP 2013, 389 Rn. 21; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, GRUR 2015, 289 – Hochleistungsmagneten – Rn. 18 Urteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 45/05, NJW 2007, 686 Rn. 18, jeweils m. w. Nachw.). Dafür, dass es der Verfügungsbeklagten im vorliegenden Fall nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern auf eine Diffamierung der in ihrer Äußerung neben dem weiteren benannten Publizisten H... M. B... nur beispielhaft angesprochenen Person des Verfügungsklägers angekommen wäre, bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Die Äußerung ist vielmehr sachbezogen, weil sie sich mit der vom Verfügungskläger betriebenen Online-Plattform und deren Inhalten auseinandersetzt.
c)
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Bei der hiernach gebotenen Abwägung überwiegt das Interesse der Verfügungsbeklagten an der freien Äußerung ihrer Meinung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers in Form seiner beruflichen Ehre.
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Liegt wie hier keine Schmähkritik oder Formalbeleidigung vor, ist über die Frage der Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch Interessenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12, NJW 2013, 3021 Rn. 18; Beschluss vom 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358, 359; BGH, Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872 Rn. 22).
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Soweit mit dem Landgericht davon auszugehen ist, dass ein erheblicher Eingriff der Verfügungsbeklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers in Form seiner Sozialsphäre, der beruflichen Ehre, vorliegt, ist andererseits zu berücksichtigen, dass selbst eine unsachliche, überzogene Kritik nach den dargelegten Grundsätzen nicht dazu führen würde, dass eine Äußerung zu untersagen wäre. Vielmehr dient der grundgesetzliche Schutz der freien Meinungsäußerung des Art. 5 Abs. 1 GG dazu, auch dem Kritisierten unbequeme und unwillkommene Aussagen treffen zu dürfen. Zudem ist für die Berechtigung der Schärfe einer Äußerung weiter zu berücksichtigen, inwieweit es zwischen den Streitparteien bereits früher zu auch kritischen Äußerungen gekommen war und diese in einem Meinungskampf gestanden haben. Wer selbst mit öffentlichen Äußerungen eine Person angegangen hat, muss mit ebenso öffentlicher Erwiderung, auch in scharfer Form, rechnen. Die streitgegenständliche Äußerung der Verfügungsbeklagten in der „Augsburger Allgemeinen“ vom 20. Oktober 2019 steht im vorliegenden Fall nicht isoliert, sondern kann auch als Reaktion auf frühere öffentliche Angriffe des Verfügungsklägers gegen die Verfügungsbeklagte gesehen werden. Der Verfügungskläger hat auf der von der T... E... GmbH betriebenen und nach ihm benannten „Plattform“ als Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer über die Veröffentlichung von Beiträgen entschieden, die in den Monaten vor der streitgegenständlichen Äußerung nach den unwidersprochenen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil wenigstens zwei Mal die Verfügungsbeklagte zum Gegenstand hatten:
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- In einem Beitrag vom Februar 2019 wurde behauptet, die Verfügungsbeklagte habe die Rechtswidrigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan mit einer „frei erfundenen Zahl von Todesopfern“ begründet.
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- Ein Beitrag vom August 2019 enthielt die Äußerung, die Verfügungsbeklagte habe erklärt, „fast alle Deutsche“ seien Rassisten.
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Hinsichtlich der Veröffentlichung vom Februar 2019 hatte der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten somit seinerseits eine unzutreffende Tatsachenbehauptung unterstellt (eine „frei erfundene Zahl von Todesopfern“) und im Beitrag vom August 2019 eine Äußerung der Verfügungsbeklagten interpretiert, die sie wörtlich so nicht getätigt hat. Der Verfügungskläger musste schon deshalb damit rechnen, dass sich die von ihm Angegriffene gegen die von ihm verantworteten Veröffentlichungen wehren und sich kritisch über ihn, seine Online-Plattform und deren Inhalte äußert.
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Das Landgericht hat im Übrigen präzise herausgearbeitet, weshalb die Verfügungsbeklagte hinsichtlich der Inhalte der vom Verfügungskläger verantworteten „Plattform“ davon ausgehen durfte, den Vorwurf ihrer Meinung nach wiederholter Falschbehauptungen erheben zu können. Die Verfügungsbeklagte habe zum Einen die Behauptung des Verfügungsklägers vom Februar 2019 als unvertretbar ansehen dürfen, sie habe im Zusammenhang mit einer Äußerung zu Abschiebungen die Zahl von Todesopfern frei erfunden, da sich die von ihr genannte Zahl aus dem „Armed Conflict Location and Event Data Project“ ACLED ergeben habe. Zum Anderen sei die vom Verfügungskläger aufgestellte Tatsachenbehauptung unzutreffend, die Verfügungsbeklagte „habe erklärt“, fast alle Deutsche seien Rassisten. Tatsächlich habe die Verfügungsbeklagte dies nie gesagt, vielmehr handle es sich um einen (nicht offen gelegten) Rückschluss des Verfügungsklägers aus einer Aussage der Verfügungsbeklagten bezogen auf Menschen, von denen viele alltäglich unter rassistischen Erfahrungen zu leiden hätten. Auf die nähere Darstellung im angefochtenen Urteil - auch im Hinblick auf eine unzutreffende Meldung, der Generalbundesanwalt ermittle gegen eine deutsche Seenothelfer-Organisation -, deren tatsächliche Grundlagen nicht in Frage gestellt worden und schon deshalb auch im Berufungsverfahren der Entscheidung zugrunde zu legen sind, wird verwiesen. Die Offenbarung der tatsächlichen Bezugspunkte der Verfügungsbeklagten für ihre Meinung schon im Zeitpunkt der Äußerung war dabei nicht Voraussetzung ihrer Zulässigkeit (BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 1976 – 1 BvR 163/72, NJW 1976, 1680, 1681).
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Schließlich war die Verfügungsbeklagte in ihrem Äußerungsrecht auch nicht durch ihr Amt als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages eingeschränkt. Es kann dahinstehen, ob die vom Verfügungskläger zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2014 zu einem Neutralitätsgebot für Mitglieder der Bundesregierung (2 BvE 2/14, NVwZ 2015, 209) auf die Verfügungsbeklagte als Mitglied der Legislative übertragbar sind, nachdem die Maßstäbe der Beachtung des Neutralitätsgebots für jedes Staatsorgan gesondert zu bestimmen sind unter Zugrundelegung der ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte und Pflichten (BVerfG a. a. O. Rn. 35). Denn sowohl das Interview der Verfügungsbeklagten vom 20. Oktober 2019 als auch die darin enthaltene konkrete streitgegenständliche Äußerung hatten nach der Betrachtung des unbefangenen Lesers nicht das von der Verfügungsbeklagten bekleidete Amt, sondern Anfeindungen im Internet gegen die Person der Verfügungsbeklagten (und die ebenfalls interviewte Politikerin Renate Künast) als Frau und „Grünen-Politikerin“ zum Gegenstand.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es wegen der sofort eintretenden Rechtskraft nicht, § 542 Abs. 2 ZPO (Götz in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 704 rn. 15).

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