Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 11 WF 141/20

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht – Crailsheim vom 29.09.2020 (2 33 FH 24/20) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdewert beträgt 3.516 EUR.

Gründe

 
I.
Das antragstellende Land ... (im weiteren Antragstellerin genannt) beantragt – vertreten durch die Unterhaltsvorschusskasse ... – die Festsetzung von Unterhalt aus übergegangenem Recht im vereinfachten Verfahren.
Für das am 24.07.2013 geborene Kind ... erbrachte die Unterhaltsvorschusskasse bereits seit 01.09.2013 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. In einem vorangegangenen vereinfachten Verfahren (33 FH 8/14) hat sie vor dem Amtsgericht Crailsheim Unterhaltszahlungen für die Vergangenheit für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.03.2014 und laufend ab 01.04.2014 in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der 1. Altersstufe und ab 01.07.2019 in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der 2. Altersstufe, jeweils abzüglich des vollen Kindergeldes für ein erstes Kind, in einem Beschluss vom 24.06.2014 titulieren lassen. In dem Beschluss wurde ausdrücklich ausgeführt: „Die Festsetzung gilt für Unterhaltsleistungen von längstens 72 Monaten, § 3 UVG“.
Nachdem weitere Unterhaltsvorschussansprüche des Kindes entsprechend der damaligen Rechtslage wegen Erreichens der Höchstbezugsdauer von 72 Monaten entfallen waren, leistet die Antragstellerin nach zwischenzeitlicher Rechtsänderung erneut Unterhaltsvorschuss.
Im vorliegenden Verfahren macht die Antragstellerin für die Vergangenheit im Zeitraum 01.10.2019 bis 30.04.2020 und laufend ab 01.05.2020 übergegangene Unterhaltsansprüche in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der Altersstufen abzüglich anzurechnender Leistungen, derzeit für die 2. Altersstufe und ab 01.07.2025 Mindestunterhalt für die 3. Altersstufe, jeweils vermindert um das für ein erstes Kind zu zahlende Kindergeld, geltend.
Erstinstanzlich hat das Familiengericht durch die Rechtspflegerin darauf hingewiesen, dass dem Antrag nicht vollständig entsprochen werden könne, da er derzeit nur für die 3. Altersstufe zulässig sei. Für die 2. Altersstufe und die Unterhaltsrückstände aus diesem Zeitraum sei der Antrag unzulässig, da bereits ein Unterhaltstitel für die 2. Altersstufe vorliege. Dies hindere eine erneute Titulierung im vereinfachten Verfahren. Die Vollstreckbarkeit des bereits vorhandenen Titels könne im vereinfachten Verfahren nicht geprüft werden.
Die antragstellende Behörde ist der Meinung, dass dem vorhandenen Unterhaltstitel eindeutig zu entnehmen sei, dass dieser längstens 72 Monate gültig sei, weshalb ein vollstreckungsfähiger Titel nach Ausschöpfung dieser 72 Monate nicht mehr zur Verfügung stehe. Das zuständige Vollstreckungsgericht würde eventuelle Anträge auf Vollstreckungsmaßnahmen zurückweisen.
Das Familiengericht hat nach vorheriger Anhörung des Antragsgegners im Beschluss vom 29.09.2020 den von dem Antragsgegner an die Antragstellerin zu zahlenden Unterhalt für die Zeit vom 01.07.2025 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, mithin für die 3. Altersstufe, in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts abzüglich des Kindergeldes für ein erstes Kind, derzeit 304 EUR, festgesetzt und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antrag bezüglich der 2. Altersstufe und der Unterhaltsrückstände für diesen Zeitraum unzulässig sei, da bereits ein Unterhaltstitel vorliege und gemäß § 249 Abs. 2 FamFG das vereinfachte Verfahren nicht statthaft sei, wenn zum Zeitpunkt, in dem der Antrag oder eine Mitteilung über seinen Inhalt dem Antragsgegner zugestellt werde, über den Unterhaltsanspruch des Kindes entweder ein Gericht entschieden habe, ein gerichtliches Verfahren anhängig sei oder ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Schuldtitel errichtet worden sei. Dies gelte unabhängig davon, ob aus dem Titel noch vollstreckt werden könne, da die Vollstreckbarkeit eines Titels nicht im vereinfachten Verfahren geprüft werden könne. Auch auf die Art der bereits getroffenen Entscheidung komme es insoweit nicht an.
Gegen die am 05.10.2020 der Antragstellerin zugestellte Entscheidung richtet sich die am 19.10.2020 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin mit der Begründung, dass der Unterhalt nur für den Zeitraum ab 01.10.2013 bis längstens 72 Monate festgesetzt worden sei und damit der vorhandene Titel spätestens zum 30.09.2019 vollständig ausgeschöpft worden sei.
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Der Antragsgegner hat sich weder erstinstanzlich noch im Beschwerdeverfahren geäußert.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Der von der Antragstellerin begehrten Titulierung von übergegangenen Unterhaltsansprüchen für die 2. Altersstufe steht § 249 Abs. 2 FamFG entgegen. Hiernach ist das vereinfachte Unterhaltsverfahren nicht statthaft, wenn zum Zeitpunkt, in dem der Antrag oder eine Mitteilung über seinen Inhalt dem Antragsgegner zugestellt wird, über den Unterhaltsanspruch des Kindes entweder ein Gericht entschieden hat, ein gerichtliches Verfahren anhängig ist oder ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Schuldtitel errichtet worden ist.
13 
Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens hat bereits ein Gericht über den von der Antragstellerin mit der Beschwerde geltend gemachten Unterhaltsanspruch in Höhe des Mindestunterhalts der 2. Altersstufe in Form des Beschlusses vom 24.06.2014 im Verfahren 33 FH 8/14 entschieden. Dieser Beschluss stellt zusätzlich ein zur Zwangsvollstreckung grundsätzlich geeigneter Schuldtitel dar. Ob und in welcher Höhe der Titel vollstreckbar ist, ist in dem stark schematisierten und auf einen schnellen Abschluss gerichteten vereinfachten Verfahren mit eng begrenztem Prüfungsumfang nicht zu klären (OLG München FamRZ 2011,48; MüKo/FamFG/Macco § 249 Rn. 24; Bumiller/Harders/Schwamb FamFG, 12. Aufl. 2019, § 249 Rn. 7; Keidel/FamFG/Giers, 20. Aufl. 2020 Rn. 14; Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 249). Hierfür spricht schon der Wortlaut der Vorschrift, in dem nur von einem „zur Zwangsvollstreckung geeigneten“ Schuldtitel die Rede ist.
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Sinn und Zweck der Regelung ist unter anderem auch die Verhinderung einer Doppeltitulierung ist. Hieraus schließt das OLG Naumburg (Beschluss vom 27.06.2001, 8 WF 185/00), dass dann, wenn offensichtlich von Anfang an eine Vollstreckungsunfähigkeit des Titels vorliegt, der Zweck der Verhinderung einer Doppeltitulierung nicht berührt sei, weswegen ein weiteres vereinfachtes Verfahren in dem entschiedenen Fall als zulässig angesehen wurde. Der vorliegende Sachverhalt ist mit dem dort entschiedenen aber nicht vergleichbar, da es sich gerade nicht um einen offensichtlich von Anfang an nicht vollstreckbaren Titel handelt. Die Rechtspflegerin müsste nämlich vorliegend unter Berücksichtigung des damals geltenden § 3 UVG prüfen, ob die 72 Monate, auf die die Unterhaltsfestsetzung befristet wurde, insgesamt gezahlt wurden bzw. als nicht gezahlt gelten (§ 3 Abs. 2 UVG). Der Zeitpunkt des Erreichens der 72-monatigen Anspruchshöchstdauer ist aus dem Titel selbst gar nicht feststellbar. Es müssten Feststellungen, die außerhalb des Titels liegen, getroffen werden. Hierfür ist aber das schematische vereinfachte Verfahren, welches dem Sinn und Zweck nach zu einer schnellen Erstfestsetzung des Unterhalts gedacht ist, nicht geeignet.
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Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist das vereinfachte Verfahren nicht eröffnet, wenn zuvor schon ein Unterhaltsverfahren betrieben und entschieden wurde. Dass es nicht darauf ankommt, ob in diesem Verfahren sämtliche Unterhaltsansprüche oder nur ein Teil hiervon behandelt wurden, ergibt sich aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung das Wort „soweit“ durch das Wort „wenn“ ersetzt hat. Bereits die Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 645 Abs. 2 ZPO a.F. (Drucksache 13 /7338, Seite 38, dort zu Abs. 3) lässt erkennen, dass das vereinfachte Verfahren nur für die Erstfestsetzung von Unterhalt eröffnet werden soll. Das vereinfachte Verfahren kommt daher nicht in Betracht, wenn zuvor schon irgendein Unterhaltsverfahren betrieben oder ein Titel, gleich in welcher Höhe, errichtet wurde. Durch die redaktionelle Ersetzung des Wortes „soweit“ durch das Wort „wenn“ sollten mögliche Missverständnisse durch die frühere Formulierung („soweit“) verhindert werden (BT-Dr. 14/7349, S. 24). Das Gericht soll im vereinfachten Verfahren keine komplizierten oder langwierigen Prüfungen inhaltlicher Art vornehmen müssen, sondern sich auf die relativ unkomplizierte Prüfung beschränken können, ob es überhaupt ein anderes Unterhaltsverfahren in Bezug auf dieses Kind gibt. Über die Unterhaltsansprüche des am 24.07.2013 geborenen Kindes ... bis zu dessen 12. Lebensjahr (2. Altersstufe) hat das Amtsgericht Crailsheim durch Feststellungsbeschluss vom 24.06.2014 jedenfalls schon entschieden.
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Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2015, 3659) ein zu Gunsten eines Unterhaltsvorschuss leistenden Trägers gemäß § 7 Abs. 4 UVG erstrittener Unterhaltstitel nach Einstellung der Unterhaltsvorschussleistungen im Wege analoger Anwendung des § 727 ZPO auf das unterhaltsberechtigte Kind umgeschrieben werden kann. Damit hätte das Kind im Falle der Umschreibung einen Titel, den es nach den §§ 238, 239 FamFG an geänderte Verhältnisse anpassen lassen könnte. Im Ergebnis ist auch aus diesem Grund sowohl von einer die erneute Geltendmachung im vereinfachten Verfahren gemäß § 249 Absatz 2 FamFG hindernden gerichtlichen Entscheidung als auch von einem zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel auszugehen.
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Ob hier, wie im Fall des Oberlandesgerichts Celle (Beschluss vom 25. September 2020 – 10 UF 164/20 –, juris), für den gesamten Antrag der Antragstellerin, mithin auch betreffend den Unterhalt für die 3. Altersstufe, die Einleitung eines erneuten vereinfachten Verfahrens gemäß § 249 Abs. 2 FamFG als unstatthaft anzusehen ist, kann vorliegend offen bleiben, da der Antragsgegner kein Rechtsmittel eingelegt hat und die Beschwerde sich lediglich gegen die Teilabweisung durch das Familiengericht richtet.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG
19 
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40, 51 FamGKG.

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