Urteil vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 Bf 81/15.HBG
Tenor
Auf die Berufung des Beschuldigten wird das Urteil des Hamburgischen Berufsgerichts für die Heilberufe vom 25. März 2015 aufgehoben. Dem Beschuldigten wird eine Geldbuße von 25.500,- Euro auferlegt. Außerdem wird ihm ein Verweis erteilt. Des Weiteren wird dem Beschuldigten für die Dauer von 5 Jahren ab Verkündung dieses Urteils das aktive und passive Berufswahlrecht entzogen. Im Übrigen wird die Berufung des Beschuldigten zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen der Beschuldigte zu 2/3 und die Freie und Hansestadt Hamburg zu 1/3, mit Ausnahme der dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen, die dieser vollständig selbst trägt.
Für das Berufungsverfahren wird eine Gebühr in Höhe von 400,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
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Der Beschuldigte wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Hamburgischen Berufsgerichts für die Heilberufe (Berufsgericht), mit dem es festgestellt hat, dass er unwürdig sei, seinen Beruf auszuüben, und ihm zugleich eine Geldbuße in Höhe von 25.500,- Euro auferlegt hat.
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Der 1958 geborene, aus …… stammende Beschuldigte ist nach den Angaben der Beteiligten zu 1. seit 1998 in Hamburg als Arzt niedergelassen. Laut eigener Darstellung (vgl. seinen Internetauftritt unter: ……und seine Angaben im berufsgerichtlichen Verfahren erster Instanz) ist er seit Dezember 2003 Facharzt für Allgemeinmedizin und hat er im Jahr 2003 die Zusatz-Weiterbildung für Suchtmedizinische Grundversorgung absolviert. Seit …. hat er eine Zulassung als Kassenarzt und seit …. verfügt er über eine eigene Praxis, nachdem er zuvor klinisch tätig gewesen war. Er ist geschieden und kinderlos. Ein berufsgerichtliches Verfahren wurde zuvor nicht gegen ihn geführt.
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Das vorliegende berufsgerichtliche Verfahren bezieht sich auf die ärztliche Behandlung, die der Beschuldigte vier verschiedenen Patienten in dem Zeitraum von Februar 1999 bis April 2012 zu Teil werden ließ, bzw. auf die diesbezüglich seitens des Beschuldigten erstellten Dokumentationen. Es geht um die Patienten SE (verstorben Ende 2003/Anfang 2004, Behandlungszeitraum Februar 1999 bis Dezember 2003), L. (verstorben am 6.10.2008, Behandlungszeitraum April bis Anfang Oktober 2008), G. (hier maßgeblicher Behandlungszeitraum Januar 2009 bis Frühjahr 2012) und S. (dokumentierter Behandlungszeitraum Ende Mai 2011 bis April 2012). In dem Fall L. geht es lediglich um drei Fehler in dessen ärztlicher Dokumentation, in den anderen drei Fällen hingegen vor allem um (aus der Sicht der Beteiligten zu 1. und des Berufsgerichts) schwerwiegende Fehlmedikationen und Fehlbehandlungen suchtkranker Patienten. Eingeleitet wurde das vorliegende Verfahren durch berufsgerichtliche Ermittlungen der Beteiligten zu 1. gemäß § 16 HeilBG (Az. …..), über die sie den Beschuldigten mit Anhörungsschreiben vom 15. Januar 2013 informierte.
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Die Fälle der vier Patienten stellen sich in chronologischer Abfolge wie folgt dar:
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Unter dem Aktenzeichen ….. ermittelte die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in drei Fällen ehemaliger Patienten (von denen, zwei, u. a. SE, den Beschuldigten als Alleinerben eingesetzt hatten).
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Auslöser war der Fall des Patienten SE (geb. ….), der am 9. Januar 2004 von seiner Haushälterin tot in seinem Reihenhaus in Hamburg gefunden worden war. Diese erschien am 1. März 2004 bei der Kriminalpolizei und erklärte, sie sei seit 15 Jahren seine alleinige Haushälterin gewesen und seit langem etwa einmal pro Woche bei ihm erschienen. In den letzten drei Jahren seien ihre Besuche häufiger gewesen, am Schluss bis zu dreimal täglich. SE sei alkoholkrank, tablettensüchtig und depressiv gewesen. Aufgefallen sei ihr, dass der ihn vorwiegend behandelnde Arzt (nämlich der Beschuldigte) ihm in sehr großer Anzahl Rezepte verschrieben habe, zumeist seien es mehrere Rezepte gleichzeitig gewesen. So habe sie in einem großen Umschlag 10 Rezepte über jeweils Codein ct 50 ml vom 30. Dezember 2003 gefunden. Ebenfalls aufgefallen sei ihr, dass der Beschuldigte die Rezepte aus , wohl seinem zweiten Wohnsitz bei seiner Mutter, in großen Stückzahlen übersendet habe, ohne Herrn SE persönlich zu behandeln. Insbesondere sei ihr aufgefallen, dass der Beschuldigte von Herrn SE als Alleinerbe eingesetzt worden sei, was ihres Erachtens bei einem Hausarzt nicht sein könne. (Der Patient hatte mit notariellem Testament vom 21. Januar 2003 den Beschuldigten als Alleinerben eingesetzt). Sie übergebe außerdem einige Unterlagen, die noch in ihrem Besitz gewesen seien, nämlich Kopien von Anforderungen von Medikamenten des Herrn SE beim Beschuldigten, eingelöste Rezepte und Liquidationen in Rechnung gestellter Besuche, die tatsächlich nicht stattgefunden hätten.
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Der Patient SE war zunächst am 9. Januar 2004 im Institut für Rechtsmedizin einer äußeren Leichenschau unterzogen worden. Am 4. März 2004 wurde sein Leichnam auf Anordnung der Staatsanwaltschaft obduziert. Die Untersuchungen ergaben, dass er an einer Rauchgasvergiftung gestorben war, wobei seine BAK zum Zeitpunkt des Todes 1,9 ‰ betrug. Laut dem Ergebnis einer chemisch-toxikologischen Untersuchung vom 24. Mai 2004 fand sich außerdem im Venenblut, im Kleinhirngewebe und in den Haaren Codein. Offenbar hatte er in diesem Zustand geraucht und war dabei eingeschlafen, woraufhin es zu einem Brand gekommen war, der durch Sauerstoffmangel von selbst erloschen war.
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Im Rahmen der nun gegen den Beschuldigten erfolgenden Ermittlungen befragte die Kriminalpolizei im Frühjahr 2006 verschiedene Personen aus dem näheren Umfeld des Beschuldigten, darunter seine damalige Lebensgefährtin und eine frühere Freundin. Seine damalige Lebensgefährtin Frau erklärte in ihrer Vernehmung vom 10. Februar 2006 u. a., in den Jahren 2003 und 2004 hätten der Beschuldigte und sie nach dem Tod seines Vaters „wohl immer mal 4, 5 Monate“ im familiären Bauernhaus in gelebt und dort u. a. Nachlassangelegenheiten geregelt. Die Wohnung in Hamburg und die Praxis (beides im selben Gebäude) hätten weiter bestanden. Praxisräume könne man dies allerdings nicht so richtig nennen, es habe sich um einen Büroraum und einen weiteren Raum mit einer Liege und einem Sofa gehandelt. Der Beschuldigte sei nur mit Privatpatienten beschäftigt gewesen, Termine habe es nur nach Vereinbarung gegeben und er habe überwiegend über Hausbesuche gearbeitet. Er habe einen Patientenstamm von vielleicht 20 bis 30 Personen, zu denen größtenteils er fahre. Außerdem arbeite er noch bei einem Privatärztlichen Notdienst, dessen Eigentümerin und Geschäftsführerin sie sei. Wie oft der Beschuldigte Hausbesuche beim Patienten SE (von dessen Problemen mit Medikamenten und Alkohol sie gewusst habe) gemacht habe, könne sie nicht beziffern. Sie gehe davon aus, dass der Beschuldigte gar nicht gewusst habe, von Herrn SE als Alleinerbe eingesetzt worden zu sein. Er habe das Erbe gegen ihren Rat nicht ausgeschlagen, sondern angenommen und den diesbezüglichen Nachlass geregelt.
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Außerdem erwirkte die Staatsanwaltschaft in dem Zeitraum von 2005 bis 2008 mehrere gutachterliche Stellungnahmen des UKE, Institut für Rechtsmedizin (i. F.: die Rechtsmedizin), nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Patient in seinen letzten Jahren aufgrund verschiedener Suchtproblematiken und Abhängigkeiten wiederholt in verschiedenen Krankenhäusern stationär aufgenommen worden war. Besonders auffällig war sein Missbrauch von Benzodiazepin-Substanzen (Tranquilizer).
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Mit gutachterlicher Stellungnahme vom 4. Juli 2005 äußerte sich die Rechtsmedizin zu der Frage, ob dem Patienten SE seitens des Beschuldigten über die übliche Norm hinaus Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben worden seien; dabei lagen ihr u. a. Krankenunterlagen zu verschiedenen, auf Einweisungen durch den Beschuldigten zurückzuführenden Krankenhausaufenthalten des Patienten vor. Die Rechtsmedizin führte in dieser gutachterlichen Stellungnahme aus, der Beschuldigte habe dem Patienten insbesondere in großen Mengen die Medikamente Adumbran forte (Wirkstoff Oxazepam, ein Benzodiazepin, hohes Abhängigkeitspotential), Chloraldurat 500 (ein Schlaf- und Beruhigungsmittel) sowie Codeinum phosphoricum forte (gedacht zur Behandlung von Reizhusten, hohes Abhängigkeitspotential) verschrieben. Am Ende führten die Gutachter aus:
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„Nach Durchsicht der Krankenakten und der Ermittlungsakten kann festgestellt werden, dass Herr Dr. X dem Patienten SE in größeren Mengen Präparate mit dem Wirkstoff Codein verschrieben hat. Eine Indikation für dieses Medikament ist nicht zu erkennen. Es ist als ärztlicher Fehler zu werten, dass Herr Dr. X dem ehemals alkoholabhängigen Patienten ohne Indikation ein Sucht förderndes Medikament mit großem Abhängigkeitspotenzial verschrieben hat.
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….
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Zur Frage, ob seitens des Beschuldigten … über die übliche Norm hinaus Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben wurden, ist somit nach der Durchsicht der übersandten Unterlagen festzustellen, dass Herr Dr. X durch seine Verordnung eine schwere Abhängigkeit, insbesondere von... Codein, erzeugt und unterhalten hat. Eine Begründung dafür, die Medikamente aus anderer medizinischer Indikation zuzuordnen, ergibt sich aus den Krankenunterlagen nicht.“
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Mit einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 2005 äußerte sich die Rechtsmedizin auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft zu der Frage, ob und in welcher Weise sinnvolle therapeutische Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Bekämpfung einer Abhängigkeit ergriffen worden seien. Die Gutachter werteten die Krankenunterlagen zahlreicher Krankenhausaufenthalte des Patienten in dem Zeitraum von März 2000 bis November 2001 aus, und hoben zunächst die Ursachen der jeweiligen Einweisung des Patienten hervor (immer wieder Alkohol- und Benzodiazepinmissbrauch). Sodann bewerteten sie die Verschreibungspraxis des Beschuldigten und setzten diese in Beziehung zu der Suchtproblematik des Patienten, die immer wieder Grund für seine stationären Aufenthalte gewesen sei. Zusammenfassend gelangten sie auf die Ausgangsfrage der Staatsanwaltschaft zu folgendem Ergebnis:
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„Als sinnvolle therapeutische Maßnahmen können formal nur die Einweisungen in verschiedene Krankenhäuser angesehen werden. Die dort durchgeführten Entzugsbehandlungen und Therapien wurden von Herrn Dr. X jedoch unterlaufen, indem er den Patienten schon kurz danach wieder mit denselben oder gleichartigen Medikamenten „versorgte“, die dessen Abhängigkeit wiederherstellten oder aufrecht erhielten und förderten, anstatt ihn zur Langzeittherapie seiner Suchtproblematik zu bewegen.
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Trotz der unvollständigen Aktenlage bzgl. der Klinikaufenthalte (keine Unterlagen über angebliche längere Entzugsbehandlung in den USA, im AK E. oder im UKE) und ungeachtet der nicht nachvollziehbaren Vorgehensweise bzgl. der Verordnung bzw. Belieferung mit Rezepten (Rezepte liegen nur für einen Zeitraum von Mitte 2000 bis Ende 2001 vor) und der Abrechnung der ärztlichen Leistungen, ist ersichtlich, dass Herr Dr. X sinnvolle therapeutische Maßnahmen nicht ergriffen hat.“
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Am 2. Januar 2008 äußerte sich die Rechtsmedizin auf Anfrage der Staatsanwaltschaft zu weiteren Fragen im Hinblick auf die Behandlung des Patienten SE durch den Beschuldigten, die erneut darauf hinausliefen, ob die Medikation die Abhängigkeit des Patienten gefördert habe, und ob die Verschreibung der Medikamente und insbesondere deren Häufigkeit als lege artis im Rahmen einer Suchttherapie angesehen werden könnten. Die Gutachter nahmen Bezug auf ihre Stellungnahmen vom 4. Juli 2005 und 5. Dezember 2005 und bestätigten ihre dort getroffenen Wertungen. Unter Auswertung von Unterlagen, die die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich bei der DKV, der früheren privaten Krankenversicherung des Patienten, eingeholt hatte, führten sie aus, daraus ergebe sich, dass der Beschuldigte noch größere Mengen der Medikamente Adumbran, Chloraldurat und Codeinum phosphoricum verschrieben habe, als dies bei der Erstattung des ersten Gutachtens bekannt gewesen sei. Des Weiteren hatte die Staatsanwaltschaft gefragt, ob eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass das Suchtverhalten des Patienten sich bei gebotener Medikation anders entwickelt hätte. Hierzu erklärten die Gutachter, dadurch dass der Beschuldigte den Patienten mit starken, suchtfördernden und bekanntermaßen Abhängigkeit hervorrufenden Medikamenten versorgt habe, sei dessen Abhängigkeit von diesen Medikamenten aufrecht erhalten und möglicherweise erst in diesem Ausmaß erzeugt worden. Das Suchtverhalten des Patienten hätte sich sicher anders entwickelt, wenn der Beschuldigte ein anderes Verschreibungsverhalten gezeigt und eine konsequente Therapie der Suchterkrankung angestrebt hätte. Zusammenfassend führten die Gutachter aus:
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„Herr Dr. X verschrieb Medikamente, die ein hohes Abhängigkeitspotenzial besitzen, ohne nachvollziehbare Indikation in zu hohen Dosen und in sehr großen Mengen. Die stattgehabte Verschreibung vor allem des Medikamentes Codeinum phosphoricum, ….in sehr hoher Dosierung ist keinesfalls als lege artis anzusehen. Es ist als ärztlicher Fehler zu werten, dass Herr Dr. X den ehemals alkoholabhängigen Patienten ohne Indikation dieses suchtfördernde Medikament mit bekannt hohem Abhängigkeitspotenzial eindeutig missbräuchlich in großen Mengen zur Verfügung stellte. Hierdurch … hat der Arzt die Abhängigkeit des Patienten aufrecht (erhalten), gefördert und möglicherweise erst in diesem Ausmaß erzeugt, anstatt ihn zur Langzeittherapie seiner Suchtproblematik zu bewegen, was von einem umsichtigen und pflichtbewussten Arzt zu erwarten wäre.“
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Die Kriminalpolizei hatte zwischenzeitlich mit einer Aufstellung vom 8. August 2007 die von der Staatsanwaltschaft bei der beigezogenen Unterlagen ausgewertet und die Verschreibungen aufgelistet, die der Beschuldigte in der Zeit von Februar 1999 bis Oktober 2001 im Fall des Patienten SE ausgestellt hatte und die von diesem eingelöst und bei der eingereicht worden waren; hinzu kamen die in der Wohnung des Patienten nach seinem Tod gefundenen 10 Rezepte vom 30. Dezember 2003 für Codein.
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Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2008 reichte der damalige Verteidiger des Beschuldigten ein Privatgutachten des Arztes für Psychiatrie, Forensische Psychiatrie und Suchtmedizinische Grundversorgung Dr. B. vom 15. Mai 2008 ein und erklärte, dieses Gutachten erweise, dass den gutachterlichen Stellungnahmen der Rechtsmedizin nicht zu folgen sei. In diesem 20 seitigen Gutachten wurden zunächst („I.“) über 14 Seiten die dem Gutachter vorgelegten Akten ausgewertet. Sodann („II.“) gelangte der Gutachter zu der Beurteilung, dass der Vorwurf, der Beschuldigte habe bei dem Patienten eine Abhängigkeit erzeugt bzw. unterhalten, nicht nachvollziehbar sei. Der Patient habe unter einer polivalenten Abhängigkeitserkrankung im Bereich von Alkohol, Opiaten und Benzodiazepinen gelitten, die bis in sein 16. Lebensjahr zurückreiche; demnach könne nicht von einer Erzeugung einer Abhängigkeit durch den Beschuldigten gesprochen werden. Der Patient sei nach entsprechenden Entzugsbehandlungen immer wieder rückfällig geworden. Es habe sehr wohl eine Indikation für die Verordnung solcher Substanzen bei einem Abhängigkeitserkrankten bestanden, gleichzeitig habe er konsequenterweise den Patienten immer wieder erneut zur Entzugsbehandlung in diverse Krankenhäuser eingewiesen. Aus suchtmedizinischer Sicht werde das Vorenthalten einer entsprechend notwendigen Medikation für völlig unsinnig gehalten, da es gerade bei einem Suchtkranken darauf ankomme, den Patienten in die ärztliche Behandlung aufzunehmen, eine Vertrauensbasis zu schaffen und davon ausgehend den suchtkranken Patienten für weitergehende therapeutische Schritte zu motivieren. Die Medikation mit Benzodiazepinen und dem Opioid Codein stellten einen Versuch dar, den Patienten auch psychisch zu stabilisieren bei vorhandener psychiatrischer Erkrankung (Depression). Hinzu komme, dass der Patient bei fehlender Versorgung mit der entsprechenden Medikation in ein lebensbedrohliches Delir oder in einen status epilepticus geraten könne. Der Vorwurf, dass der Beschuldigte die Abhängigkeit unterhalten habe, wäre nur nachzuvollziehen, wenn er anders als tatsächlich geschehen nicht versucht hätte, den Patienten immer wieder zu erneuten Entzugsbehandlungen zu motivieren. Diese Motivation habe insofern Erfolg gehabt, als der Patient sich wiederholt in stationäre Behandlung begeben habe. Auch habe er sich bemüht, dem Patienten einen Therapieplatz zur Langzeitentwöhnung in der Klinik O. zu besorgen; jedoch habe sich der Patient letztendlich offensichtlich nicht für diesen Schritt motivieren lassen.
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Die Staatsanwaltschaft holte daraufhin ein psychiatrisches Gutachten bei dem Konsiliar-Psychiater Dr. P. ein, das dieser am 29. August 2008 unter Berücksichtigung der bisherigen Gutachten und der sonstigen Unterlagen erstattete. Er schloss sich den Ausführungen in den Gutachten der Rechtsmedizin an und trat dem Gutachten des Dr. B. entgegen. Er führte aus, bei einer Tablettenabhängigkeit sei wie bei Alkoholsucht eine Abstinenz anzustreben; die diesbezügliche Stoffgruppe erneut zu verordnen, sei kontraproduktiv. Die Behandlung einer Depression mit Benzodiazepin und Codein (Gutachten Dr. B. , S. 18) sei aus seiner Sicht nicht nachvollziehbar. Die Gefahr eines lebensbedrohlichen Delirs oder eines status epilepticus könne durch die Verordnung von Benzodiazepin in hoher Dosierung eher noch verstärkt werden. Zusammenfassend führte Dr. P. aus:
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„Die Behandlung einer Depression mit Benzodiazepin und Codein (Gutachten Dr. B. , Seite 18) ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, bei Depressionen kommen vorwiegend Antidepressiva zum Einsatz, wie z.B. Aponal.
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…
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Gutachterlicherseits wurde die Verordnung von Dr. X nicht als umsichtig und pflichtbewusst angesehen. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Benzodiazepin, Codein und Chloraldurat erneut und in so hoher Dosis gegeben wurden.
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…
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Laut Unterlagen war Herr SE schon mehr oder minder von Benzodiazepinen und Codein abhängig gewesen. Die erneute Verordnung dieser Präparate nach den stationären Aufenthalten war aber in der Lage, die Medikamentenabhängigkeit erneut zu fördern.
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…
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Die Auswahl der Präparate sowie die Dosierung war aus meiner Sicht nicht als lege artis anzusehen.“
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Die zuständige Staatsanwältin fasste das Ergebnis der Ermittlungen gegen den Beschuldigten in einem Vermerk vom 19. November 2008 zusammen. Sie führte aus, bei allen drei verstorbenen Patienten lasse sich im Hinblick auf die jeweilige Todesfolge kein strafrechtlicher Tatbestand nachweisen; bei den beiden anderen Patienten sei überhaupt kein strafrechtlich relevanter Tatbestand nachweisbar. Im Fall des Patienten SE habe allerdings mit Hilfe von dessen Krankenversicherung durch Auswertung der beigezogenen Rezepte und die gutachterlichen Stellungnahmen nachgewiesen werden können, dass der Beschuldigte durch die Art und Häufigkeit der verschriebenen Medikamente eine vorsätzliche Körperverletzung begangen habe.
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Das Amtsgericht ….. erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 29. Mai 2009 gegen den Beschuldigten einen Strafbefehl in Höhe von 70 Tagessätzen (von je 80,- Euro) wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zum Nachteil des Patienten SE , da er mit seinen Verschreibungen dessen schwere Medikamentenabhängigkeit unterhalten bzw. gefördert habe. Der Beschuldigte legte dagegen durch seinen damaligen Verteidiger am 10. Juni 2009 Einspruch ein. Die Sache kam beim Amtsgericht ….. für längere Zeit nicht zur Bearbeitung; schließlich wurde auf den 27. Januar 2012 die Hauptverhandlung terminiert. Der Beschuldigte machte dort von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen und die Fortsetzung auf den 17. Februar 2012 bestimmt; die Richterin lud am 9. Februar 2012 für diesen Termin vier Zeugen. Am 14. Februar 2012 vermerkte eine Oberstaatsanwältin, ein weiterer Verteidiger des Beschuldigten habe sie am Tag zuvor angerufen und sich nach der Möglichkeit erkundigt, das Verfahren gemäß § 153 a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags einzustellen. Sie habe diese Frage daraufhin mit zwei Kollegen sowie mit dem ersten Verteidiger des Beschuldigten besprochen und man habe sich auf diese Lösung gegen Zahlung eines Geldbetrags von 2.500,- Euro verständigt. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht ….., das Verfahren gemäß § 153 a Abs. 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von 2.500,- Euro zugunsten der Staatskasse einzustellen. Das Amtsgericht stellte sodann antragsgemäß das Verfahren mit Beschluss vom 14. Februar 2012 zunächst vorläufig und nach Eingang des Geldbetrags mit Beschluss vom 2. März 2012 endgültig ein.
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Die Beteiligte zu 1. forderte mit Schreiben vom 20. März 2012 bei der Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakten zur Einsichtnahme zwecks Überprüfung eines berufsrechtlichen Überhangs an, was die Staatsanwaltschaft entsprechend verfügte. Zuvor hatte sich die Beteiligte zu 1. seit Dezember 2008 wiederholt bei der Staatsanwaltschaft nach dem Sachstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten erkundigt und um zeitweilige Überlassung der Ermittlungsakte nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zwecks Überprüfung eines berufsrechtlichen Überhangs gebeten; sie war Ende November 2008 gemäß Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass des Strafbefehls informiert worden.
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Der bei der Beteiligten zu 1. mit dem Vorgang befasste Referent wies den Beschuldigten mit Schreiben vom 16. April 2012 darauf hin, dass die Beteiligte zu 1. von dem Ausgang des nach § 153 a StPO eingestellten Strafverfahrens erfahren habe und einen berufsrechtlichen Überhang prüfe, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 übersendete der Beschuldigte der Beteiligten zu 1. die Patientendokumentation im Original. Auf zunächst mehrfach unbeantwortet gebliebene Anforderung erhielt die Beteiligte zu 1. schließlich von der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 18. September 2012 die Beweismittelordner zugeschickt, welche u. a. zahlreiche asservierte Rezepte, darunter die o. g. 10 Rezepte vom 30. Dezember 2003 enthielten. Am 27. September 2012 fertigte der Referent eine Beschlussvorlage für den Vorstand der Beteiligten zu 1. Dort führte er aus, die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft verdeutlichten, dass der Beschuldigte über mehrere Jahre in erheblichen Mengen Medikamente mit Suchtpotential verschrieben habe. Die Rezepte seien zum Teil ohne weitere Untersuchungen nach Anforderung des Patienten per Post übersendet worden. Die Medikamentenverordnung setze auch unmittelbar nach stationären Entzugsbehandlungen wieder ein. Dieses Verordnungsverhalten berühre die Frage der ärztlichen Sorgfalt und der gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Außerdem sei es fraglich, ob die Verordnungsweise einer missbräuchlichen Verwendung der Verschreibung Vorschub geleistet habe.
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Der Vorstand beschloss am 15. Oktober 2012, gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 7 Abs. 8 BO (Verordnungsverhalten) und § 32 Abs. 1 BO (Erbeinsetzung) berufsgerichtliche Vorermittlungen einzuleiten.
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Auf den Fall des (bereits am 6. Oktober 2008 verstorbenen, schwer alkohol- und zuckerkranken) Patienten L. wurde die Beteiligte zu 1. laut ihren Angaben aufmerksam im Zusammenhang mit dem o. g. gegen den Beschuldigten geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in Sachen des Patienten SE . Sie forderte bei der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 12. April 2012 und 9. Mai 2012 die Ermittlungsakten an, die sie daraufhin erhielt und am 24. Mai 2012 zurücksendete. Sie schrieb unter gleichem Datum den Beschuldigten an und bat um kurzfristige Überlassung der Patientendokumentation. Der Beschuldigte übersendete der Beteiligte zu 1. daraufhin mit mehreren Schreiben eine Dokumentation über seine Behandlung des Patienten vom 16. April 2008 bis zum 1. Oktober 2008 sowie diverse Arztbriefe über stationäre Aufenthalte des Patienten.
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Aus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte ergab sich, dass der Patient L. tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, nachdem die Feuerwehr auf Ersuchen des Vermieters die Tür geöffnet hatte, und dass auf deren Betreiben der Beschuldigte als „Hausarzt“ des Patienten herbeigerufen wurde, um den Toten zu untersuchen; er hielt offenbar einen Suizid durch Einnahme von Schlafmitteln für möglich oder wahrscheinlich. Der Leichnam wurde daraufhin in die Rechtsmedizin verbracht, wo eine Ärztin eine äußere Leichenschau vornahm, ohne eine Todesursache feststellen zu können. Da es aus ihrer Sicht keine Hinweise auf fremdes Verschulden gab, wurde der Leichnam zur Feuerbestattung freigegeben.
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Der bei der Beteiligten zu 1. mit dem Vorgang befasste Referent analysierte die vom Beschuldigten übersendete Patientendokumentation und die weiteren Unterlagen und gelangte zu der vorläufigen Einschätzung, dass es zweifelhaft sei, ob der Beschuldigte bei der Behandlung des Patienten die erforderliche Sorgfalt gewahrt habe. Anamnestische Annahmen seien der Dokumentation nicht zu entnehmen, ebenso wenig, welche Untersuchungen der Beschuldigte durchgeführt habe, ggf. mit welchem Befund. Auch fehle es an einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Die im dortigen Kopfbereich erfolgte Aufzählung von Dauerdiagnosen lasse es im Unklaren, wann und auf welcher Grundlage der Beschuldigte jeweils welche Diagnose gestellt habe. Zudem habe er auf Nachfrage der Beteiligten zu 1. eingeräumt, dass die Eintragungen für den 29. August 2008 („Cialis“) und den 1. September 2008 („Erektile Dysfunktion“) mit dem Patienten L. nichts zu tun gehabt und er diese Eintragungen daher wieder gelöscht habe. Das Referat Berufsordnung empfehle, berufsgerichtliche Vorermittlungen zu beschließen. Der Vorstand beschloss in seiner Sitzung vom 20. August 2012 die Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen. Der Beschuldigte habe nicht die erforderliche Sorgfalt bei der Behandlung des suchtabhängigen und diabeteskranken Patienten eingehalten. Auch weise seine Dokumentation Mängel auf.
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Gegenstand des vorliegenden berufsgerichtlichen Verfahrens geworden sind gemäß der Anschuldigungsschrift der Beteiligten zu 1. vom 18. November 2013 allerdings nur noch die fehlerhaft dokumentierte Diagnose vom 1. September 2008 („Erektile Dysfunktion“) und die für den 1. August 2008 bzw. den 29. August 2008 fehlerhaft dokumentierten Verordnungen einer Insulinspritze bzw. von Cialis 20 mg. Zuvor war der Vorstand der Beteiligten zu 1. in seiner 1.056. Sitzung am 19. August 2013 zu der Einschätzung gelangt, dass der Vorwurf der Fehlbehandlung im Fall des Patienten L. nicht aufrechterhalten werden solle, da diese Behandlung ihrer Dokumentation nach zwar Defizite, insbesondere hinsichtlich der Diagnostik, aufweise, aber gerade noch als vertretbar gewertet werden könne; es bleibe bei dem Verstoß gegen die ärztliche Dokumentationspflicht durch die fehlerhaften Eintragungen.
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Auf den Fall des Patienten G. wurde die Beteiligte zu 1. aufmerksam gemacht durch ein Schreiben des Amtsgerichts P. vom 26. August 2011, dem ein fachpsychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. BR. (Chefarzt der A-Klinik ) vom 7. April 2011 und ein psychiatrisches Gutachten des Landrats des Kreises P. (Fachdienst Gesundheit) vom 24. August 2011 beigefügt waren; das Amtsgericht übersendete diese Gutachten „mit der Bitte um Prüfung, ob im Hinblick auf die Medikamentenverordnung des Dr. X aus dortiger Zuständigkeit Maßnahmen zu ergreifen sind“. Der Patient war bei dem Beschuldigten in Behandlung ab April 2008; die Substitutionsbehandlung des Patienten mit Suboxone/Subutex übernahm der Beschuldigte im Januar 2009.
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Anlass für das im Auftrag des Amtsgerichts P. von Dr. Br. erstattete Gutachten war die Frage der weiteren Notwendigkeit, des Umfangs und der Dauer der für den Patienten G. (geb. ) bestehenden gesetzlichen Betreuung. Für ihn bestand laut dem Gutachten seit dem 31. Januar 2007 eine gesetzliche Betreuung für die Bereiche Gesundheitssorge, Vermögenssorge sowie Vertretung „gegenüber dem Träger“, und zwar vor dem Hintergrund einer schweren Borderline-Persönlichkeitsstörung und eines polivalenten Drogenkonsums. Dr. BR. erstattete sein Gutachten auf der Grundlage eines Gesprächs mit dem Patienten und eines Betreuers in der Übergangseinrichtung (mit der Zielgruppe psychisch erkrankter Menschen) „S“ in P..., in der der Patient seinerzeit seit Juni 2009 (bis Oktober 2011) lebte. Der Betreuer berichtete laut dem Gutachten, er sehe den „massiven Subutex-Konsum“ des Patienten sehr kritisch. Der Gutachter gab dies so wieder: „Das Zeug werde Herrn G. von einem ihm offensichtlich wohlgesinnten Arzt in diesen horrenden Dosen verschrieben, und das seit Ewigkeiten. Es habe keinerlei Versuch gegeben, die Menge zu reduzieren. Zusätzlich konsumiere Herr G. Schmerzmittel, die er ebenfalls vom Arzt verordnet bekomme“. Am Schluss des Gutachtens führte Dr. BR. unter „Zusammenfassung und Diskussion“ Folgendes aus:
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„Betrachtet man die (wenngleich spärlichen) medizinischen Unterlagen über den Betroffenen, so ist in den vergangenen vier bis fünf Jahren kaum eine grundlegende Stabilisierung erfolgt, sondern allenfalls eine zeitweise und milde Beruhigung der Symptomatik.
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Herr G. nimmt eine Menge an Substitutionsmedikamenten zu sich (26 mg Subutex, Wirkstoff Buprenorphin; die Menge wurde durch Herrn V. bestätigt), die weit jenseits der Dosierung liegt, die man gemeinhin als angemessen für selbst schwer polyvalent Drogenabhängige erachtet. Klinisch wirkt sich die hohe Dosis offensichtlich in Müdigkeit aus, gegen die der Betroffene, offenbar ebenfalls ärztlich angeordnet, ein Amphetamin („Aufputschmittel“) einnimmt. Hier stellt sich die Frage nach der Verantwortung einer solchen Kombination. Herr G. hat es offensichtlich geschafft, einen ärztlichen Kollegen zu finden, den er Borderline-Typisch „um den Finger gewickelt“ hat und der in den von Herrn G. vorgegebenen Mengen (und nicht in den medizinisch notwendigen und vertretbaren) die Stoffe verordnet. Dies ist m. E. als sehr bedenklich anzusehen. Herr G. nutzt die Stoffe offensichtlich dazu, seine eigene Gefühlswelt zu regulieren oder erträglicher zu machen. Der Einsatz solcher Wirkstoffe mit dieser Indikation ist fragwürdig.“
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Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, es müsse abgewartet werden, inwieweit der Patient in der aktuellen Einrichtung noch weiter tragbar sei; unverzichtbar sei jedoch der weitere Einsatz des gesetzlichen Betreuers in unverändertem Umfang.
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Das ebenfalls vom Amtsgericht P. in Auftrag gegebene Gutachten des Kreises P... sollte zu der Frage Stellung nehmen, ob eine geschlossene Unterbringung des Patienten zur Heilbehandlung gemäß § 1906 BGB angeordnet werden solle. Der Gutachter (Kreisobermedizinalrat M., ein Nervenarzt) stützte sich u. a. auf einen Besuch bei dem Patienten und auf das Studium des o. g. Gutachtens von Dr. BR.. Er gelangte zu der diagnostischen Einschätzung einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, emotional-instabilen und wohl auch abhängigen und dissozialen Anteilen auf Borderline-Niveau. Darüber hinaus bestehe ein Multi-Substanzmissbrauch und eine Opiatabhängigkeit, „möglicherweise auch iatrogen (durch ärztliches Handeln ausgelöst) mitbedingt, mindestens aber sicherlich iatrogen fixiert“. Die Steuerungsfähigkeit des Patienten sei jedoch grundsätzlich erhalten. Eine Krankenhausbehandlung sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, da der Patient sie ablehne und er nach Ablauf der Unterbringung die Substanzeinnahme mit größter Wahrscheinlichkeit fortsetzen werde. Anhaltspunkte für eine Unterbringung nach dem PsychKG hätten sich zu keinem Zeitpunkt ergeben. In dem Gutachten hieß es sodann abschließend:
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„Der gesetzliche Betreuer von Herrn G. , Herr D., sollte nach meiner Einschätzung beauftragt werden, Herrn G. den Behandlungskontakt zu dem verordnenden Arzt, Dr.X,, am besten ganz, mindestens aber was die Suchtmittelverordnung und Verordnung psychotroper Substanzen betrifft zu untersagen. Ein rein hausärztlicher Kontakt könnte m. E. eventuell sogar beibehalten werden. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass bei Herrn G. eine psychiatrische Erkrankung vorliegt, somatische Erkrankungen sind nicht bekannt. Der Hausarzt Dr. X ist Allgemeinmediziner und hat die Zusatzbezeichnung „Suchtmedizinische Grundversorgung“, aber nicht die erforderliche Qualifikation für eine Versorgung eines psychiatrisch erkrankten Patienten, hier mit dem offensichtlichen Schwerpunkt der Versorgung mit Substanzen auf Rezept ohne jegliche medizinisch validierte Indikation.
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Ob hier ein Behandlungsfehler vorliegt, möchte ich aus Gutachtersicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten, allerdings sollte es nicht dabei bleiben, dass dieser Patient, Herr G., mit dem Wissen aller beteiligten Personen (Richter, Betreuer, Verfahrenspfleger, Gutachter, etc.) in nicht sachgerechter Weise mit ihm an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schadenden Substanzen versorgt wird.“
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Mit einem weiteren Schreiben vom 26. August 2011 wendete das Amtsgericht Pinneberg sich auch an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht I. mit der Bitte um Prüfung, „ob im Hinblick auf die Medikamentenverordnung des Dr. aus dortiger Zuständigkeit Maßnahmen zu ergreifen sind“, und fügte die beiden o. g. Gutachten bei. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht I. gab den Vorgang am 9. September 2011 weiter an die Staatsanwaltschaft Hamburg mit der Bitte um Übernahme des Verfahrens, weil der Beschuldigte seine Praxis in Hamburg habe.
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Die Staatsanwaltschaft Hamburg übernahm das Verfahren und wurde aktiv. Am 1. November 2011 beantragte sie beim Amtsgericht Hamburg den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen bezüglich der Praxisräume des Beschuldigten und der Betriebsräume der Einrichtung „S“ in P. , jeweils mit dem Zusatz, dass die Durchsuchung durch die freiwillige Herausgabe der den Patienten G. betreffenden Patientenakte und sonstiger Unterlagen bzw. der den Bewohner G. betreffenden Unterlagen abgewendet werden könne. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, der Beschuldigte sei verdächtig, in Hamburg und anderen Orts in der Zeit vor dem 4. April 2011 durch eine bislang unbekannte Vielzahl selbständiger Handlungen entgegen § 2 Abs. 1 BtMVV für einen Patienten innerhalb von 30 Tagen mehr als ein Betäubungsmittel verschrieben zu haben, indem er dem Zeugen G. im Rahmen einer Substitutionsbehandlung bei einer noch zu ermittelnden Zahl von Gelegenheiten „Subutex“ mit einer Tagesdosis von 26 mg und gleichzeitig ein noch nicht ermitteltes Amphetamin verschrieben habe. Der zuständige Richter beim Amtsgericht Hamburg vermerkte dazu am 9. November 2011, ein Verstoß gegen §§ 2 Abs. 1 a), 16 Nr. 2 BtMVV liege entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht vor, da es an Anhaltspunkten dafür fehle, dass durch die Medikation bereits ein Gesundheitsschaden bei G. eingetreten sei. Es bestünden aber zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen §§ 5 Abs. 1, 16 Nr. 2 a) BtMVV, wonach Substitutionsmittel wie Subutex nur mit dem Ziel der schrittweisen Wiederherstellung der BtM-Abstinenz verordnet werden dürften. Auf dieser Grundlage erließ das Amtsgericht Hamburg am 9. November 2011 die beantragten Durchsuchungsbeschlüsse, allerdings mit der Begründung, der Beschuldigte sei verdächtig, entgegen § 5 Abs. 1 Nr.1 a) BtMVV ein Betäubungsmittel unter Nichteinhaltung der vorgegebenen Bestimmungszwecke verschrieben zu haben, indem er dem G. „… seit Jahren Subutex mit einer gleichbleibenden Tagesdosis von 26 mg verschreibt, ohne das Ziel einer schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz zu verfolgen“.
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Die beiden Durchsuchungen fanden am 9. Februar 2012 statt. Der Beschuldigte gab laut dem Durchsuchungsbericht der Kriminalpolizei freiwillig die Patientenakte G. in Papierform und als Ausdruck der zugleich elektronisch vorhandenen Akte heraus; gegen die Sicherstellung dieser Unterlagen legte er Widerspruch ein. Auch in der Einrichtung „S.“ erfolgte laut dem diesbezüglichen Durchsuchungsbericht eine freiwillige Herausgabe der Patientenakte G. durch den Unterkunftsleiter, der bei dieser Gelegenheit mitteilte, dass der Patient seit dem 24. Oktober 2011 nicht mehr dort wohnte, sondern in das Haus in der Klinik verlegt worden war. Das Amtsgericht Hamburg bestätigte mit Beschluss vom 14. Juni 2012 die Beschlagnahme der bei dem Beschuldigten sichergestellten Unterlagen.
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Mit Verfügung vom 21. Juni 2012 gab die Staatsanwaltschaft Hamburg beim Institut für Rechtsmedizin eine gutachterliche Äußerung zu insgesamt sechs Fragen in Auftrag. Die erste Frage lautete, ob sich Anhaltspunkte für ein ärztliches Fehlverhalten des Beschuldigten ergäben, insbesondere für eine fehlerhafte Medikation unter dem Gesichtspunkt des Bestimmungszwecks der Substitution, nämlich der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Patienten G. . Die weiteren Fragen galten für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen sei, und gingen dahin, welche Behandlungsfehler vorlägen, ob die Behandlungsfehler bei der zu verlangenden Sorgfalt zu vermeiden gewesen wären, ob durch das Fehlverhalten ein pathologischer Zustand des Patienten G. hervorgerufen, gesteigert, nicht beseitigt oder nicht gemindert worden sei, ob Letzteres vorhersehbar gewesen sei und wie groß der dem Beschuldigten zu machende Schuldvorwurf aus medizinischer Sicht sei.
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Die Rechtsmedizin erstattete daraufhin am 23. Juli 2012 ein diesbezügliches Gutachten; sie stützte sich dabei auf die Ermittlungsakte, die beim Beschuldigten beschlagnahmte Patientenakte und die seitens der Einrichtung „S“ übergebenen Unterlagen. Die Gutachter (der Institutsleiter und zwei forensische Toxikologinnen) werteten als kritisch einerseits die hohe und so nicht nachvollziehbare Dosis des Subutex (Substitutionsmittel bei Abhängigkeit von Opioden/Opiaten) von 24 mg ab dem 22. Juni 2009, wobei der Beschuldigte die Dosierungen von 6 mg täglich, als er die Substitutionsbehandlung des G. im Anfang Januar 2009 übernommen habe, zunächst auf 10 mg täglich (ab 29.1.2009) und dann auf 16 mg täglich (ab 30.4.2009) gesteigert habe. Die Dosierung sei (nach kurzfristigen zwischenzeitlichen Verringerungen) ab dem 14. September 2010 sogar noch auf 26 mg täglich erhöht worden, was bis zum 31. Oktober 2011 angehalten habe; ab dann habe die Dosierung wieder 24 mg betragen. Der Beschuldigte habe nicht dokumentiert, welchen Grund diese starke Dosissteigerung gehabt habe. Zum anderen bewerteten es die Gutachter als kritikwürdig, dass der Beschuldigte zusätzlich noch Opioide/Opiate wie Tramadol (von dem die ursprüngliche Abhängigkeit bestanden habe), Oxycodon und Codein, aber auch amphetaminähnliche Stimulanzien verordnet habe, was eher förderlich für das Suchtverhalten sei. Andererseits gaben die Gutachter zu bedenken, dass die Behandlung des Patienten G. , bei dem bereits seit dem Jahr 2000 eine psychische Erkrankung vorgelegen und sich im Laufe der folgenden Jahre bis 2008 ein schwerwiegender Drogen- und Medikamentenmissbrauch entwickelt habe, eine sehr schwierige Aufgabe für den Beschuldigten gewesen sei, zumal es der Patient im Laufe der Jahre wiederholt gegen ärztlichen Rat abgelehnt habe, sich auf stationäre Entzugsbehandlungen einzulassen (Doppelabhängigkeit von Benzodiazepinen und Opioiden bei gleichzeitiger schwerer psychischer Erkrankung). Insgesamt liege aus medizinisch-toxikologischer Sicht kein grundsätzliches ärztliches Fehlverhalten oder eine fehlerhafte Medikation seitens des Beschuldigten vor. Auch das Therapieziel der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz sei vor dem Hintergrund der Stabilisierung bzw. Vermeidung der Destabilisierung des psychischen Gesundheitszustandes des Patienten G. vor dem Hintergrund der zuvor aufgetretenen Probleme bei dem Entzug von Benzodiazepinen als nachrangig zu bewerten. Da die Frage 1 nicht zu bejahen sei, erübrigten sich die Fragen 2 bis 6.
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Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte daraufhin am 21. September 2012 das Verfahren gegen den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO ein. In einem begleitenden Vermerk führte der Staatsanwalt aus, eine Strafbarkeit des Beschuldigten nach § 2 Abs. 1 BtmVV lasse sich trotz der massiv gehäuften (in dem Vermerk im Detail aufgeführten) Verordnung u. a. von „Suboxone“ bzw. „Subitex“ in der Zeit von Januar 2009 bis Oktober 2011 sowie von „Lorazepam Dura“ in der Zeit von Januar 2009 bis November 2011 nicht mit Sicherheit feststellen. Zwar habe der Beschuldigte damit die in § 2 Abs. 1 BtmVV normierten Höchstverschreibungsmengen von 800 mg Buprenorphin (Suboxone bzw. Subitex) binnen 30 Tagen wiederholt und zum Teil erheblich überschritten; außerdem habe der Beschuldigte jeweils binnen 30 Tagen auch Medikamente mit in der Anlage III zum BtMG genannten Wirkstoffen wie „Tavor“ und „Lorazepam Dura“ in zum Teil erheblichem Umfang verschrieben. Jedoch sei nach dem Gutachten der Rechtsmedizin vom 23. Juli 2012 davon auszugehen, dass die stattgehabte Medikation insbesondere vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankungen des Patienten G. nicht als fehlerhaft, wenn auch als kritikwürdig angesehen werden könne, so dass ein „begründeter Einzelfall“ im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 BtMVV, der eine Abweichung hinsichtlich der Zahl der verschriebenen Betäubungsmittel und der festgesetzten Höchstmengen zulasse, nicht ausgeschlossen werden könne (auch wenn sich Letzteres anhand der vom Beschuldigten durchgeführten Dokumentation nicht unmittelbar erschließe). Auch lasse sich eine Strafbarkeit des Beschuldigten nach § 5 Abs. 1 BtMVV, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Ziels der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes (Nr. 2) nicht mit Sicherheit feststellen, denn laut dem Gutachten der Rechtsmedizin vom 23. Juli 2012 sei dieses Ziel vor dem Hintergrund der Stabilisierung bzw. Vermeidung der Destabilisierung des psychischen Gesundheitszustandes des Patienten G. und der zuvor aufgetretenen Probleme bei dem Entzug von Benzodiazepinen als nachrangig zu betrachten. In Betracht komme allerdings eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 6 BtMG i. V. m. § 17 Nr. 2 BtMVV, da laut dem letztgenannten Gutachten die von dem Beschuldigten vorgenommene Dokumentation suboptimal sei und es nicht erlaube, die Gründe für die Dosissteigerungen bzw. für das Nicht-In-Betracht-Ziehen von Dosisreduktionen nachzuvollziehen.
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Das daraufhin von der Staatsanwaltschaft angestoßene Ordnungswidrigkeitsverfahren nahm den folgenden Verlauf: Mit Schreiben vom 18. Januar 2013 reichte die Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, der Staatsanwaltschaft Hamburg die ihr zuvor zum Zweck der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 32 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Nr. 8 BtMG i. V. m. § 17 Nr. 2 BtMVV übersendeten Akten zurück. Nach der einschlägigen Zuständigkeitsanordnung seien die Bezirksämter zuständig. Das sodann von der Staatsanwaltschaft befasste Bezirksamt W. reichte die Akten ebenfalls (mit Schreiben vom 18.3.2013) zurück: Die Bezirksämter seien laut der Zuständigkeitsanordnung lediglich für die Überwachung und daraus resultierende Anordnungen nach § 19 Abs. 1 bzw. § 22 Abs. 4 BtMG zuständig, nicht aber für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten; diese Zuständigkeit liege bei der Fachbehörde. Nunmehr verfügte die Staatsanwaltschaft am 26. März 2013 die erneute Übersendung der Akten an die Gesundheitsbehörde zur weiteren Veranlassung hinsichtlich des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit. Die Gesundheitsbehörde gab den Vorgang mit Schreiben vom 6. Juni 2013 ein weiteres Mal an die Staatsanwaltschaft zurück. Nach erneuter Prüfung sei man dort nach wie vor der Auffassung, dass die Bezirksämter für die Ahndung derartiger Ordnungswidrigkeiten zuständig seien. Das Bezirksamt sendete daraufhin die Akten mit Schreiben vom 30. Januar 2014 an die Staatsanwaltschaft zurück und teilte dabei (ohne weitere Erläuterungen) mit, dass das Verfahren eingestellt worden sei.
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Die Beteiligte zu 1. (Referat Berufsordnung) hatte nach Erhalt des o. g. Schreibens des Amtsgerichts P. vom 26. August 2011 den Beschuldigten mit Schreiben vom 1. September 2011 um Stellungnahme und Übersendung der Patientendokumentation gebeten und ihn mit weiteren Schreiben vom 30. September 2011 und 18. Oktober 2011 an dieses Anliegen erinnert, ohne dass der Beschuldigte darauf reagiert hatte. Das Referat Berufsordnung der Beteiligte zu 1. empfahl daraufhin mit einer Beschlussvorlage für den Vorstand vom 1. Dezember 2011 die Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen: Der Vorgang berühre die Berufspflicht zur gewissenhaften Berufsausübung. Es bestehe der Verdacht, dass der Beschuldigte die Verordnung unkritisch vorgenommen und das Suchtverhalten des Patienten unterstützt bzw. unterhalten habe.
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Der Vorstand beschloss in seiner Sitzung vom 12. Dezember 2011, gegen den Beschuldigten berufsgerichtliche Vorermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die allgemeinen Berufspflichten aufzunehmen.
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Auf den Fall des Patienten S. wurde die Beteiligte zu 1. durch eine anonyme (zugleich an die Ärztekammer in B. gerichtete) Anzeige aufmerksam, die am 14. Mai 2012 einging. In dem Schreiben hieß es, der Beschuldigte schicke diesem in L. wohnenden Patienten seit mindestens einem Jahr immer wieder auf telefonische Anfrage Diazepam-Rezepte zu und kassiere dafür jedes Mal Geld. Der Patient sei noch nie bei dem Beschuldigten in der Praxis gewesen. „Aber hier in B. “ kriege der Patient diese Mittel wohl nicht, wie er/sie (der/die Anzeigende) gehört habe. Er/sie bitte um Überprüfung. Die Beteiligte zu 1. bat daraufhin den Beschuldigten mit Schreiben vom 16. Mai 2012 um Übersendung der gesamten Patientenunterlagen im Original. Der Beschuldigte antwortete darauf mit zwei identischen Schreiben vom 19. Mai 2012, denen ein zweiseitiger bzw. ein einseitiger Ausdruck der elektronischen Karteikarte beigefügt war. Er führte aus, er habe dem Patienten seit dem 8. Dezember 2011 „in circa monatlichen oder sogar längeren Abständen“ eine Packung Diazepam (50 St., 10 mg) verordnet, was einem Tagesgebrauch von 0-2 Tabletten entspreche. Diese Dosis halte er für vertretbar. Insbesondere lägen ihm keine psychiatrischen Berichte vor, die eine solche Verordnung verbieten würden. Er sei weder von Anverwandten (z. B. Ehefrau) noch von Berufskollegen, insbesondere von einem ortsansässigen Hausarzt, kontaktiert worden. Auf Nachfrage der Beteiligten zu 1. erklärte er, zutreffend sei der längere, zweiseitige Ausdruck.
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Aus dem beigefügten Ausdruck der zweiseitigen Patientenkarteikarte ergab sich ein Behandlungszeitraum seit dem 27. Mai 2011. Unter diesem Datum war als Diagnose „Psychovegetative Dysregulation“ notiert, verordnet worden war Diazepam Stada 10, Größe N 3 (50 Stück); außerdem war dort vermerkt: „50,- € Honorar eingegangen“. Entsprechende Verordnungen folgten den Eintragungen in dem Zeitraum bis zum 19. April 2012 in etwa zwei- bis maximal sechswöchigen Abständen. Der Eintrag „50,- € Honorar eingegangen“ findet sich außerdem unter dem 5. Juli 2011, 5. August 2011, 19. September 2011 und 18. Oktober 2011; unter dem 17. Dezember 2011 ist vermerkt „100,- € wie gefordert eingegangen“. Mit Schreiben vom 28. Mai 2012 an die Beteiligte zu 1. ergänzte der Beschuldigte, der Patient S. habe zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form auffällig auf ihn gewirkt; unter Befund hätte er maximal notieren können: „Örtlich, zeitlich und psychisch völlig unauffällig wirkender Patient, der angeblich ohne Diazepam nicht schlafen kann aufgrund seiner vielfältigen Außendiensttätigkeit und schlafen in anderen Betten (Schiffbau-Ingenieur, pendelt zwischen B. und R. u. a.)“. Der Patient habe angegeben, mit 0-2 Tabletten Diazepam pro Nacht gut auszukommen, und er habe auch nie mehr verlangt, sondern auch weniger, es habe sogar ganze Pausen gegeben. Die Beteiligte zu 1. fragte den Beschuldigten mit Schreiben vom 1. Juni 2012 unter Bezugnahme auf die Patientendokumentation, was es mit den Einträgen über eingegangene Honorare auf sich habe. Da der Patient offenbar gesetzlich versichert und eine ärztliche Leistung nicht dokumentiert worden sei, sei eine Grundlage für die Honorarforderung nicht ersichtlich; dem Schreiben fügte sie eine Kopie der anonymen Anzeige bei. Der Beschuldigte nahm daraufhin mit Schreiben vom 31. Juli 2012 abschließend Stellung. Er habe den Patienten mehrfach auf die Gefahr einer Gewöhnung an Diazepam hingewiesen, aber keine Abhängigkeitsentwicklung erkennen können, da es keine Dosissteigerungen gegeben habe. Er habe mit dem Patienten von Anfang an mündlich eine rein privatärztliche Behandlung vereinbart; der Erstkontakt habe über den privatärztlichen Notdienst in H. stattgefunden. Er habe dem Patienten erklärt, dass die gesetzlichen Krankenkassen derlei Schlafmittel nur im absoluten Ausnahmefall und dann auch nur in kleinen Mengen und für kurze Zeit finanzierten, und sie ihm dies später als Regress in Rechnung stellen würden. Die aufgeführten Privathonorare habe er für die laufenden Untersuchungen, Beratungen und das Ausstellen der Rezepte vereinnahmt. Zu der anonymen Anzeige sei festzuhalten, dass entgegen der dortigen Behauptung der Patient in regelmäßigen Abständen in seiner Hamburger Praxis zur Untersuchung und Beratung erschienen sei, wenn er auf dem Weg von L. bei B. nach R. gewesen sei und er in Hamburg einen Zwischenstopp eingelegt habe.
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Der mit der Sache befasste Referent der Beteiligten zu 1. erstellte daraufhin am 12. August 2012 eine Beschlussvorlage für den Kammervorstand. Er empfahl, in dieser Angelegenheit berufsgerichtliche Vorermittlungen zu beschließen. Fraglich sei zunächst die ärztliche Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten. Offenbar habe eine Untersuchung des Patienten nicht stattgefunden; möglicherweise vorhandene Kontraindikationen der Diazepam-Verordnungen seien nicht geklärt worden. Fraglich sei auch, ob Diazepam zur Behandlung von Einschlafproblemen überhaupt indiziert sei. Des Weiteren sei die Darstellung des Beschuldigten, dass es keine Dosissteigerungen gegeben habe, nicht nachvollziehbar. Zwar sei zu Beginn der Behandlung ein Zwei-Monatsabstand zwischen den Verordnungen dokumentiert, die Verordnungsabstände seien aber mit zunehmender Dauer immer geringer geworden. Es bestehe der Verdacht, dass eine vorhandene, möglicherweise auch erst durch die Verordnung induzierte Sucht unterhalten worden sei. Ebenso bestehe der Verdacht, dass die Darstellung in der anonymen Anzeige über Verordnungen auf telefonische Anfrage zutreffend sei. Hinsichtlich der Honorarzahlungen des Patienten sei nicht erkennbar, wie die Pauschalbeträge mit der ärztlichen Gebührenordnung in Einklang zu bringen seien. Rechnungen habe der Beschuldigte nicht vorgelegt. Insofern bestehe der Verdacht, dass hier die Berufspflicht zur Abrechnung nach der Gebührenordnung nicht beachtet worden sei. Davon abgesehen sei die Zulässigkeit der privaten Inrechnungstellung an sich fraglich, da die Erbringung von privatärztlichen Leistungen bei gesetzlich Versicherten gemäß § 3 Abs. 1 BMV-Ä einer schriftlichen Vereinbarung bedürfe. Schließlich ließen die unterschiedlichen Versionen der vom Beschuldigten übersandten Dokumentationen es als fraglich erscheinen, ob er die Pflicht zur Sicherung und zum Schutz der elektronischen Dokumentation gegen Veränderungen (§ 10 Abs. 5 BO) hinreichend beachtet habe.
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Der Vorstand der Beteiligten zu 1. beschloss am 20. August 2012, berufsgerichtliche Vorermittlungen einzuleiten. Er sehe in der Verordnung von Diazepam auf bloße telefonische Anforderung die ärztliche Sorgfalt verletzt. Er bewerte es als kritisch, dass eine Untersuchung nicht stattgefunden habe und die Verordnung von Diazepam auf Privatrezept erfolgt sei. Er könne sich der Stellungnahme des Beschuldigten, dass keine Abhängigkeitsproblematik vorliege, nicht anschließen.
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Mit Anhörungsschreiben an den Beschuldigten vom 15. Januar 2013 informierte die Beteiligte zu 1. den Beschuldigten, dass der Vorstand beschlossen habe, in Sachen der vier o. g. Patienten gegen ihn berufsgerichtliche Vorermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen §§ 34 Abs. 4 und 1, 2 Abs. 2, Abs. 7, 12 Abs. 1 und 10 Abs. 1 der Berufsordnung für Hamburger Ärzte und Ärztinnen (BO) i. V. m. § 17 Nr. 2, § 5 Abs. 10 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) einzuleiten. Sie gab den sich aus ihrer Sicht ergebenden Ermittlungsstand in den Fällen der vier Patienten wieder und nahm daran anknüpfend eine rechtliche Bewertung vor: In den Fällen der Patienten SE, S. und G. bestehe der Verdacht, dass der Beschuldigte gegen § 34 Abs. 4 BO verstoßen habe. Im Fall S. bestehe der Verdacht, dass er entgegen § 34 Abs. 1 BO unzulässige Honorare für die Verordnung von Arzneien gefordert habe. In allen Fällen bestehe der Verdacht eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 Satz 1 BO, wonach der Arzt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen habe; so habe er den Patienten Medikamente verschrieben, ohne dass erkennbar sei, dass diese Verordnungen auf medizinischen Erwägungen beruht hätten. Außerdem bestehe in allen Fällen der Verdacht des Verstoßes gegen § 10 Abs. 1 BO, wonach der Arzt über die getroffenen Feststellungen und Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen habe. Im Fall G. sei er darüber hinaus gemäß § 10 Abs. 1 BO i. V. m. § 17 Nr. 2, § 5 Abs. 10 BtMVV verpflichtet gewesen, seine Beweggründe für die extremen Dosissteigerungen nachvollziehbar zu dokumentieren. Ferner bestehe der Verdacht des Verstoßes gegen § 12 Abs. 1 BO, wonach die Honorarforderung angemessen sein müsse, also der der GOÄ zu entsprechen habe; dies sei im Fall S. nicht geschehen. Schließlich bestehe der Verdacht eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 7 BO i. V. m. § 27 Abs. 2 Nr. 2 HmbKGH, wonach der Arzt verpflichtet sei, der Beteiligten zu 1. auf Anforderung seine Aufzeichnungen und Unterlagen vorzulegen. Er sei bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 auf diese Verpflichtung hingewiesen worden (Anm.: im Fall G. ), ihr aber trotzdem nicht nachgekommen. Er erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15. Februar 2013 (…).
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Daraufhin legitimierte sich für den Beschuldigten ein Rechtsanwalt, der nach Akteneinsichtnahme und mehrfacher Fristverlängerung mit mehreren Schriftsätzen Stellung nahm und die Vorwürfe zurückwies.
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Die stellvertretende Justiziarin der Beteiligte zu 1. fertigte am 12. August 2013 eine Beschlussvorlage für den Vorstand, in der sie anregte, in den Fällen aller vier Patienten einen Antrag auf Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens wegen Verstoßes gegen §§ 34 Abs. 1, 2 Abs. 2 und 10 Abs. 1 BO zu stellen.
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Der Vorstand beschloss in seiner Sitzung vom 19. August 2013, entsprechend der Empfehlung der Rechtsabteilung, in allen Behandlungsfällen die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu beantragen, im Fall des Patienten L. allerdings mit der bereits erwähnten Einschränkung, dass insoweit lediglich die drei Verstöße gegen die Dokumentationspflicht zum Gegenstand der Anschuldigung gemacht werden sollten. In seiner Sitzung vom 28. Oktober 2013 beschloss der Vorstand sodann, den ihm von der Rechtsabteilung vorgelegten Entwurf einer Anschuldigungsschrift beim Hamburgischen Berufsgericht für die Heilberufe einzureichen.
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Am 18. November 2013 hat die Beteiligte zu 1. mit der vorliegenden Anschuldigungsschrift beim Berufsgericht die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten beantragt.
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Sie wirft ihm vor, gegen das Gebot, erstens einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen keinen Vorschub zu leisten (§ 34 Abs. 4 BO), zweitens seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen sowie weder sein eigenes noch das Interesse Dritter über das Wohl des Patienten zu stellen (§ 2 Abs. 2 BO), und drittens über die in Ausübung seines Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen (§ 10 Abs. 1 BO), verstoßen zu haben.
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Gegen § 34 Abs. 4 BO habe er mit seinem Verordnungsverhalten in den Fällen S. , G. und SE verstoßen. Seine Verordnungen seien nicht von einem Behandlungskonzept getragen und ihrer Höhe und Dauer nach nicht indiziert gewesen. In jedem der Fälle sei sein Verordnungsverhalten geeignet gewesen, eine Abhängigkeit des Patienten zu fördern, zu stützen oder auch zu verursachen.
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Im Fall S. sei die Verordnung von Diazepam nicht indiziert gewesen; Grundlage der Verordnungen seien keine medizinischen Indikationen gewesen, sondern allein der Wunsch des Patienten. Schon aufgrund dessen Angabe, ohne Diazepam nicht schlafen zu können, sei eine Medikamentenabhängigkeit zu erwägen gewesen. Die kontinuierliche Versorgung des Patienten mit einer Tagesdosis von knapp 2 mg sei geeignet gewesen, eine Abhängigkeit zu verursachen bzw. ggf. zu stützen. Der Umstand, dass der Beschuldigte sich seine Verordnungen in der Regel mit 50,- Euro habe vergüten lassen (einmal auch mit 100,- Euro), wobei er andere Maßnahmen als das Ausstellen von Rezepten nicht dokumentiert habe, zeige deutlich, dass den Verordnungen keine medizinischen, sondern wirtschaftliche Erwägungen zugrunde gelegen hätten. Diese Vergütungen seien nach den Maßstäben der GOÄ deutlich überhöht. Außerdem sei der Patient gesetzlich versichert gewesen. Entgegen der Behauptung des Beschuldigten gehöre Diazepam zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen, vorausgesetzt die Einnahme sei indiziert.
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Im Fall G. habe der Beschuldigte Subutex in einer regelmäßigen Tagesdosis von 26 mg sowie zusätzlich als Regelmedikation Tramadol, Codein, Tavor, Oxycodon sowie Reaktine Duo bzw. Rhinopront verordnet, ohne dass dies, insbesondere der Höhe nach, indiziert gewesen wäre. Jedes dieser Medikamente weise ein Abhängigkeits- bzw. Missbrauchspotential auf, und die Wechselwirkungen dieser Medikamente hätten das Suchtverhalten des Patienten gefördert. Bei Subutex habe der Beschuldigte den Patienten im Januar 2009 mit einer Tagesdosis von 6 mg übernommen und diese Dosis bis Juni 2009 auf 24 mg und ab September 2010 auf 26 mg gesteigert, ohne dass diese Steigerung nachvollziehbar sei. Dieser Bewertung des Verordnungsverhaltens stehe auch nicht der Umstand entgegen, dass sich im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eine Strafbarkeit nach der BtMVV nicht mit Sicherheit habe feststellen lassen. Gegenstand der im Zusammenhang mit Subutex erhobenen Anschuldigungen sei nicht die eigentliche Verordnung, sondern die in der Höhe medizinisch nicht nachvollziehbare Tagesdosis sowie das fehlende Therapiekonzept. Dementsprechend habe auch das rechtsmedizinische Gutachten diese Punkte als kritisch bewertet. In allen drei Gutachten sei die verordnete Tagesdosis Subutex als medizinisch nicht nachvollziehbar und deren Höhe als therapeutisch nicht begründbar bewertet worden. In diesem Zusammenhang sei dem Gutachten von Dr. BR. besonderes Gewicht beizumessen, der anders als die beiden Toxikologinnen des Instituts für Rechtsmedizin sowohl Arzt als auch Facharzt für Psychiatrie sei und damit über besondere Kompetenzen bezogen auf die Behandlung abhängigkeitskranker Patienten verfüge. Die Verordnungen seien auch nicht wegen der zusätzlich vorliegenden psychischen Erkrankung des Patienten gerechtfertigt; diese möge zwar besondere Anforderungen an eine Suchtbehandlung stellen, entbinde den Beschuldigten aber nicht davon, nur indizierte, in ein Behandlungskonzept eingebundene Verordnungen auszustellen. Die missbräuchliche Verwendung der Medikamente sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass deren Abgabe durch eine Apotheke oder einen Pflegedienst erfolge. Die Entscheidung, zu welchen Medikamenten in welchem Umfang der Patient Zugang erhalte, habe gleichwohl der Beschuldigte getroffen.
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Im Fall SE -Erni habe der Beschuldigte die Abhängigkeit des Patienten durch sein Verordnungsverhalten gefördert. Er habe ihm langjährig und in hohen Dosen Medikamente mit Abhängigkeitspotential, insbesondere Codein, Adumbran und Chloraldurat verordnet, ohne dass diese Verordnungen indiziert und in ein Verhandlungskonzept eingebettet gewesen seien. Zudem habe er die Abhängigkeit des Patienten noch gefördert, indem er ihm dabei geholfen habe, seinen missbräuchlichen Konsum vor Dritten zu verbergen, etwa indem er der Bitte des Patienten entsprochen habe, die Verordnungen unter Umgehung einer bestimmten Apotheke auszustellen, bzw. selbst den Hinweis vermerkt habe: „Benutze eine andere Apotheke“. Sein Vortrag, er habe die Sedativa verordnet, um den Patienten vom Alkohol fernzuhalten, und eine Medikamentenabhängigkeit sei für das tägliche Leben und die Arbeit weniger belastend gewesen als die Alkoholabhängigkeit, sei weder überzeigend noch könne er die Verordnungspraxis rechtfertigen. Den Behandlungsunterlagen sei zu entnehmen, dass der Patient auch während der Behandlungszeit durch den Beschuldigten immer wieder Alkohol in großen Mengen konsumiert habe; zu seinem Todeszeitpunkt habe er einen BAK-Wert von 1,9 ‰ aufgewiesen. Seinen Arbeitsplatz habe der Patient im Verlauf der Behandlung verloren.
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Das Verordnungsverhalten des Beschuldigten verstoße auch gegen die Pflicht aus § 2 Abs. 2 BO, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen; es habe nicht dem gesundheitlichen Wohl der Patienten entsprochen.
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Des Weiteren habe der Beschuldigte in den Fällen S. , SE und L. gegen die Pflicht des § 10 Abs. 1 BO verstoßen, über die in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Im Fall S. habe er zwei Patientendokumentationen gefertigt, von denen zumindest eine inhaltlich nicht zutreffend sei. Daneben habe er auch falsche Eintragungen vorgenommen (einen wohl nicht erfolgten „Notfall“, EBM-Nummern für Laborleistungen, die tatsächlich nicht erhoben worden seien). Im Fall SE habe er nicht sämtliche Verordnungen notiert; es ergäben sich Abweichungen zwischen den vorliegenden Rezepten und den Eintragungen in der Patientendokumentation. Im Fall L. sei zu Gunsten des Beschuldigten unterstellt worden, dass es zu fehlerhaften Einträgen gekommen sei und er nicht sämtliche der notierten Medikamente verordnet habe. Damit sei jedoch ein nachlässiger Umgang des Beschuldigten mit in Bezug auf seine Dokumentationspflichten festzustellen.
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Die im Zusammenhang mit dem Patienten SE vorgeworfenen Verfehlungen seien in zeitlicher Hinsicht weiterhin verfolgbar. Der Sachverhalt liege nicht, wie der Beschuldigte vorgetragen habe, 13 Jahre zurück, denn die letzte Verordnung sei am 30. Dezember 2003 erfolgt. Vor allem aber fänden über die Verweisung des § 13 HeilBG disziplinarrechtliche Grundsätze ergänzend Anwendung. Dazu gehöre der Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens, wonach sich bei Feststellung mehrerer Einzelverfehlungen die Frage der Verjährung nach dem gesamten Dienstvergehen richte. Somit sei hier für die Frage der Verjährung nicht auf den Zeitpunkt der einzelnen Pflichtverletzungen abzustellen, sondern auf das Berufsvergehen insgesamt. Dem Beschuldigten werde insbesondere vorgeworfen, einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verordnungen Vorschub geleistet zu haben. Entsprechende Pflichtverletzungen habe er nicht nur im Zusammenhang mit der Behandlung des Patienten SE begangen, sondern auch bei den Patienten G. und S. , zuletzt also im Jahr 2012.
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Schließlich stehe auch die Bestimmung des § 14 Abs. 4 HeilBG der Verfolgung der mit der Behandlung des Patienten SE vorgeworfenen Pflichtverletzungen nicht entgegen. Gegen den Beschuldigten sei in diesem Zusammenhang keine Strafe oder Ordnungsmaßnahme verhängt, sondern das Strafverfahren nach § 153 a StPO eingestellt worden.
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Mit Beschluss vom 4. April 2014 hat das Berufsgericht das berufsgerichtliche Verfahren gegen den Beschuldigten in Übereinstimmung mit der Anschuldigungsschrift vom 18. November 2013 eröffnet.
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Das Berufsgericht hat am 25. März 2015 in der Sache mündlich verhandelt und dabei den Beschuldigten angehört; wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Die Beteiligten zu 1. und 2. haben jeweils beantragt,
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1. für den Beschuldigten die Berufsunwürdigkeit festzustellen,
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2. eine Geldbuße auszusprechen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde.
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Der Beschuldigte hat beantragt,
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auf eine Geldbuße in Höhe von 1.000,- Euro zu erkennen.
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Das Berufsgericht hat sodann am 25. März 2015 das vorliegend angefochtene Urteil verkündet. Damit hat es dem Beschuldigten wegen eines Berufsvergehens nach § 58 HmbKH, § 2 HeilBG, §§ 34 Abs. 4 und 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 BO i. V. m. der GOÄ, 10 Abs. 1 BO, § 27 Abs. 1 HmbKG eine Geldbuße von 25.500,- Euro auferlegt und festgestellt, dass er unwürdig sei, seinen Beruf auszuüben.
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Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beschuldigte habe in den Fällen der Patienten S. , G. und SE durch sein Verschreibungsverhalten jeweils schuldhaft gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung und gegen das Verbot, einer missbräuchlichen Anwendung der Verschreibung Vorschub zu leisten, verstoßen. Dies ergebe sich in den Fällen G. und SE nicht zuletzt aus den jeweiligen Gutachten der Rechtsmedizin. Dem Gutachten des Dr. B. vom 10. Mai 2008 zum Fall SE sei hingegen nicht zu folgen; es befasse sich weder mit dem Umfang und der Komposition der Medikamente noch mit dem Verschreibungsverhalten seitens des Beschuldigten im unmittelbaren Anschluss an die einzelnen Klinikaufenthalte des Patienten. Des Weiteren habe der Beschuldigte in den Fällen der Patienten S. , L. und SE gegen die Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 BO verstoßen.
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Der berufsgerichtlichen Sanktionierung dieser Verfehlungen stünden weder eine Verjährung noch eine überlange Verfahrensdauer entgegen. Einer Verjährung der Vorgänge des insoweit allein zu betrachtenden Falles SE stehe der ergänzend anwendbare disziplinarrechtliche Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens entgegen, wonach die Verfolgungsverjährung hier einheitlich an dem Tag begonnen habe, an dem die letzte Verordnung ausgestellt worden sei; dies sei der 1. Mai 2012 gewesen, als der Beschuldigte für den Patienten S. ein Diazepamrezept ausgestellt habe. Angesichts der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 4 Abs. 1 HeilBG) und des Ruhens der Verjährung für längstens fünf Jahre während der Dauer des berufsgerichtlichen Verfahrens (§ 4 Abs. 3 HeilBG) sei somit keine Verjährung eingetreten. Es sei auch nicht nach Art. 6 EMRK geboten, das Verfahren einzustellen. Nach dieser Bestimmung habe jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem Gericht binnen angemessener Frist verhandelt werde. Das vorliegende berufsgerichtliche Verfahren falle jedoch nicht in den so bezeichneten Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK. Schließlich sei auch nicht gemäß § 14 Abs. 4 HeilBG von einer berufsgerichtlichen Ahndung abzusehen; die im Fall SE erfolgte Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO habe zwar Sanktionscharakter, komme aber einer Strafe nicht gleich.
- 83
Bei der Bemessung der zu verhängenden Sanktion sei zum einen angesichts der Häufigkeit und der Dauer der pflichtwidrigen Verschreibungen von Medikamenten mit hohem Abhängigkeitspotential eine Geldbuße in Höhe von 25.500,- Euro schuldangemessen und erforderlich; dabei sei das Gericht von geordneten Vermögensverhältnissen des Beschuldigten ausgegangen. Zum anderen halte das Gericht die Feststellung für erforderlich, dass der Beschuldigte unwürdig sei, den Beruf des Arztes auszuüben. Eine solche Unwürdigkeit liege vor, wenn der Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitze, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig sei. Hierfür erforderlich sei im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes, das unter Würdigung aller Umstände eine weitere Ausübung des ärztlichen Berufs als untragbar erscheinen lasse. Sei diese Voraussetzung gegeben, so sei der dem Ausspruch der Berufsunwürdigkeit innewohnende, schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt, ohne dass es noch einer zusätzlichen Abwägung mit individuellen Umständen des Beschuldigten bedürfe. Nach diesem Maßstab liege bei dem Beschuldigten Berufsunwürdigkeit vor. Die Verfehlungen des Beschuldigten beträfen nicht nur Sekundärpflichten der Berufsausübung, sondern den Kern ärztlicher Tätigkeit, und der Grad des Verschuldens sei in einem weit oberen Bereich anzusiedeln. Insbesondere in den Fällen der Patienten SE und G. habe er durch seine Verschreibungen deren Sucht nicht entgegengewirkt, sondern sie erzeugt und unterhalten. Außerdem habe er im Fall SE diesen Patienten direkt nach dessen Entlassungen aus stationären Entzugsaufenthalten durch sein Verschreibungsverhalten in die Lage versetzt, sofort Zugriff auf die Medikamente zu erhalten, bzgl. derer zuvor der Entzug versucht worden sei. Dies widerspreche in jeglicher Hinsicht genauso dem verantwortungsvollen Handeln eines Arztes wie die Verschreibung von Codein neben dem Substitutionsversuch durch Suboxone/Subitex.
- 84
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen.
- 85
Nach Zustellung des Urteils am 8. April 2015 hat der Beschuldigte am 6. Mai 2015 gegen das Urteil Berufung eingelegt, diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 8. Juni 2015 begründet und diese Begründung mit mehreren weiteren Schriftsätzen ergänzt und vertieft. Er trägt u. a. vor:
- 86
Der Fall SE sei entgegen der Auffassung des Berufsgerichts zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils im März 2015 bereits verjährt gewesen. Die letzte Verfehlung in diesem Zusammenhang sei die Verordnung vom 30. Dezember 2003 gewesen. Die Regelung in § 4 Abs. 3 HeilBG über das Ruhen der Verjährung für insgesamt längstens fünf Jahre beziehe sich auf alle dort genannten Verfahrensarten. Somit sei ein Ruhen der Verjährung während der Dauer des berufsgerichtlichen Verfahrens nicht möglich gewesen, da die fünf Jahre bereits während der Dauer des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens verbraucht worden seien. Diese Rechtsfolge werde auch nicht über die Rechtskonstruktion des einheitlichen Dienstvergehens überwunden. Es bestehe jedenfalls kein innerer Zurechnungszusammenhang zwischen den hier maßgeblichen Tathandlungen. Der Beschuldigte habe die Qualifizierung in dem Bereich Suchtmedizin erst nach dem Ende der Behandlung des Patienten SE erlangt, nämlich im Frühjahr 2003. Danach habe er den Patienten SE nur noch sporadisch behandelt, so dass davon auszugehen sei, dass der Beschuldigte den Patienten in dem relevanten Zeitraum noch nicht mit der Expertise für Suchtmedizin behandelt habe. Diese Qualifikation habe er erst gehabt, als er fünf Jahre danach den Patienten G. behandelt habe. Um die Erfahrungen mit der Behandlung des Patienten SE und dessen tragisches Ende im Januar 2004 zu verarbeiten, habe er von Oktober 2008 bis September 2009 eine insgesamt 84 Fortbildungsstunden andauernde Weiterbildung im Bereich der psychosomatischen Grundversorgung absolviert, bei der es Schwerpunkt auch um den Missbrauch von Drogen und Alkohol gegangen sei. Damit seien die beiden fünf Jahre auseinander liegenden Behandlungen der Patienten SE und G. unter gänzlich verschiedenen Voraussetzungen abgelaufen, was den Ausbildungsstand und die Expertise im Bereich Suchtmedizin angehe. Der Fall G. sei darüber hinaus unter medizinischen Handlungsaspekten auf einer gänzlich anderen Ebene angesiedelt als der Fall SE. G. habe einer Substitutionsbehandlung bedurft und sei psychisch krank gewesen, während SE nach einer steilen Karriere im IT-Bereich über den beruflichen Stress sowie durch das Scheitern seiner Ehe alkoholabhängig geworden sei. Hinsichtlich der von der Beteiligten zu 1. hervorgehobenen Verordnung vom 30. Dezember 2003 von 10 Rezepten über jeweils 50 ml Codein bedürfe es einer Richtigstellung. Tatsächlich habe sich Folgendes zugetragen: Den letzten Kontakt zwischen ihm und dem Patienten SE habe es am 20. Dezember 2003 gegeben. Im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung sei an diesem Tag vereinbart worden, dass der Beschuldigte dem Patienten fünf Rezepte über jeweils 50 ml Codein ausstellen solle. Im Verlauf des Behandlungstermins habe er dies jedoch vergessen. Daraufhin habe er aus seinem Urlaub dem Patienten das Rezept mit dem bekannten Ausstellungsdatum übersendet. Der Patient habe ihm dann mitgeteilt, dass er kein Rezept erhalten habe; daraufhin habe er postalisch ein neues Rezept übersendet.
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Im Fall L. hätten die Beteiligte zu 1. und das Berufsgericht sein rechtliches Gehör verletzt, weil er zu Recht habe davon ausgehen dürfen, dass die Ärztekammer das Verfahren hinsichtlich dieses Falls vollständig, also auch hinsichtlich der ihm nunmehr vorgehaltenen Dokumentationsmängel, eingestellt habe. Der Beschluss des Vorstands der Ärztekammer vom 19. August 2013 über die Fortführung des Verfahrens hinsichtlich der Dokumentationsmängel sei ihm nicht zugestellt worden.
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Im Fall G. werfe das Berufsgericht ihm zu Unrecht vor, in der Zeit von Januar 2009 bis Juli 2012 bei der Medikamentenverordnung nicht einer gewissenhaften Berufsausübung entsprochen sowie der missbräuchlichen Anwendung der Verschreibungen Vorschub geleistet zu haben. Die vorgenommenen Dosissteigerungen bei dem Substitutionsmedikament Suboxone habe er zwar in der Patientendokumentation nicht begründet. Es sei aber bekannt, dass psychiatrisch komorbide Opiatabhängige bei der Substitutionsbehandlung höhere Dosierungen benötigten als psychiatrisch gesunde Opiatabhängige. Das Abhängigkeitspotential eines Medikaments spiele bei einem Patienten, der bereits von einer Substanz dieser Gruppe abhängig sei, keine Rolle. Selbst die Tagesdosis von 26 mg sei medizinisch vertretbar. Insoweit nehme der Beschuldigte Bezug auf eine von ihm (als Anlage zur Berufungsbegründungsschrift) eingereichte Stellungnahme des Arztes Dr. U. (einem Allgemeinmediziner, mit Zusatzausbildung für suchtmedizinische Grundversorgung) vom 1. Juni 2015 zu der Behandlung des Patienten G. . In dieser nach Auswertung von Gutachten und Krankenhausberichteten erstellten Stellungnahme gelange Dr. U. zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Substitutionsbehandlung auch mit sehr hohen Dosen Buprenorphin nicht kunstfehlerhaft gewesen sei und dem Patienten nicht geschadet habe.
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Soweit ihm vorgeworfen werde, neben Subutex auch Medikamente wie Tramadol, Oxycodon und Talvosilen sowie Reactine Duo bzw. Rhinopront verschrieben zu haben, sei zunächst anzumerken, dass die beiden letztgenannten Medikamente nicht verschreibungspflichtig, sondern frei verkäuflich seien; er habe diese Medikamente dem Patienten nicht verschrieben. Die dem Patienten verschriebenen Medikamente Oxycodon und das codeinhaltige Talvosilen seien entgegen der Annahme des Berufsgerichts nicht zur Behandlung der Abhängigkeit des Patienten verschrieben worden, sondern zur Behandlung des Verdachts auf Interkostalneuralgie und Migräne.
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Insgesamt sei festzuhalten, dass er bei der Verschreibung von Suboxone bzw. Subutex an den Patienten G. in der Zeit von Januar 2009 bis Juli 2012 seinen Beruf gewissenhaft ausgeübt und er auch nicht einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub geleistet habe. Vorzuwerfen sei ihm unter berufsrechtlichen Aspekten lediglich, dass er die Behandlungsdokumentation nicht vollständig bzw. nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe.
- 91
Im Fall S. habe er zugegebenermaßen den Fehler begangen, nicht die Zustimmung des Patienten dafür einzuholen, seine Verordnungen mit der Therapie des behandelnden Arztes zu koordinieren. Jedoch habe der Patient einen Hausarzt trotz Nachfrage nicht benannt. Bei einer fortdauernden Weigerung hätte er die Verordnung beenden müssen. Allerdings habe für ihn der Versuch im Vordergrund gestanden, dem Patienten in dessen Situation gerecht zu werden. Dabei habe er sich, was er auch als Fehler erkenne, zu lange von der Hoffnung leiten lassen, der Patient werde sich nach Reduzierung der beruflichen Belastung einer Entwöhnungsbehandlung stellen.
- 92
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die ggf. vorliegenden berufsrechtlichen Verfehlungen nicht die Feststellung der Berufsunwürdigkeit rechtfertigten; sie seien vielmehr mit einem Verweis und einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Geldbuße zu ahnden.
- 93
Der Beschuldigte beantragt,
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das Urteil des Hamburgischen Berufsgerichts für die Heilberufe vom
25. März 2015 aufzuheben und dem Beschuldigten einen Verweis zu erteilen und ihm eine angemessene in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellte Geldbuße aufzuerlegen.
- 95
Die Beteiligte zu 1. beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 97
Sie trägt u. a. vor:
- 98
Im Fall SE seien die Verfehlungen des Beschuldigten nicht verjährt. Zu Recht habe das Berufsgericht den disziplinarrechtlichen Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens angewendet. Die dagegen vom Beschuldigten vorgetragenen Argumente seien unzutreffend. Die Verfehlungen des Beschuldigten wiesen im Hinblick auf das Verordnungsverhalten bei den Patienten SE, G. und S. durchaus einen inneren Zusammenhang auf: In all diesen Fällen habe der Beschuldigte Medikamente mit Abhängigkeitspotential verordnet, ohne dass dies auf einem Therapiekonzept beruht habe.
- 99
Im Fall L. liege der behauptete Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nicht vor. Dem Beschuldigten habe der insoweit angeschuldigte Sachverhalt klar sein müssen; dies ergebe sich schon daraus, dass er in der Anschuldigungsschrift bereits im Anschuldigungssatz genannt und dann auf Seite 18 und 19 ausführlich dargestellt werde.
- 100
Im Fall G. habe der Beschuldigte gegen seine Berufspflichten verstoßen. Er habe nahezu jegliche Sorgfaltsanforderung, die an die Betreuung Suchtkranker gestellt werde, missachtet. Der Beschuldigte habe keinerlei Therapiekonzept und keinen Therapieplan gehabt; dementsprechend liege auch keine Vereinbarung mit dem Patienten über die Ziele der Substitution vor. Das Verordnungsverhalten im Fall G. habe zu einem deutlich erhöhten Konsum von Buprenorphin und zu einer missbräuchlichen Anwendung des Substitutionsmittels geführt. Die Argumente des Beschuldigten, aus denen sich eine gewissenhafte Berufsausübung ergeben solle, überzeugten nicht. Ob psychiatrisch komorbide Opiatabhängige einer höheren Dosierung bedürften als psychisch gesunde Opiatabhängige, sei unerheblich. Es bleibe dabei, dass der Patient bei der Behandlungsübernahme durch den Beschuldigten nur 6 mg Buprenorphin täglich benötigt habe und sein Bedarf binnen 10 Monaten rasant um 20 mg angestiegen sei, und zwar ohne diesbezügliche medizinische Indikation. Auch die Verordnung von Oxycodon und Talvosilen habe nicht den ärztlichen Sorgfaltspflichten entsprochen; sie sei ohne Indikationsstellung erfolgt. Aus welchen Gründen der Beschuldigte Tramadol verordnet habe, das Medikament, zu dem die originäre Abhängigkeit des Patienten bestanden habe, erschließe sich nicht. Das mit der Berufungsbegründung vorgelegte Gutachten des Dr. U. vermöge die Vorwürfe gegen den Beschuldigten nicht zu entkräften. Es beschränke sich im Wesentlichen auf allgemeine Ausführungen zur Substitutionsbehandlung, ohne auf den konkreten Einzelfall einzugehen.
- 101
Im Fall S. sei festzuhalten, dass keine der Diazepam-Verordnungen auf einer medizinischen Indikation beruht habe. Der Beschuldigte habe hier gleich einem Dealer gehandelt. Grund der Verordnungen seien nicht die gesundheitlichen Probleme des Patienten gewesen, sondern allein die Tatsache, dass er Vergütungen in Höhe von 50,- bzw. 100,- Euro erhalten habe.
- 102
Die Verfehlungen des Beschuldigten zeigten, dass er nicht würdig sei, den ärztlichen Beruf auszuüben.
- 103
Die Beteiligte zu 2. beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 105
Sie schließt sich den Ausführungen der Beteiligten zu 1. an und betont ihrerseits, die Beharrlichkeit und das Ausmaß der Pflichtverstöße des Beschuldigten ließen keine andere Maßnahme als die Feststellung der Berufsunwürdigkeit zu.
- 106
Das Berufsgerichtshof hat in der Berufungsverhandlung vom 11. April 2017 den Beschuldigten angehört; der ihn als ärztlicher Beistand begleitende Dr. U. hat hinsichtlich des Falls des Patienten G. eine Stellungnahme abgegeben. Mit einem in der Berufungsverhandlung verkündeten Beschluss hat der Berufungsgerichtshof nach Erörterung mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten den angeschuldigten Vorwurf im Hinblick auf den Fall des Patienten L. gemäß § 53 Abs. 1 HmbDG i. V. m. § 13 HeilBG aus dem berufsgerichtlichen Verfahren ausgeschieden.
- 107
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsverfahrensakte sowie auf die von der Beteiligten zu 1. überreichten Sachakten (6 Aktenordner) Bezug genommen, die zum Gegenstand der Berufungsverhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat Erfolg hinsichtlich der vom Berufsgericht vorgenommenen Feststellung der Berufsunwürdigkeit; im Übrigen bleibt sie erfolglos. Des Weiteren erteilt der Berufsgerichtshof dem Beschuldigten einen Verweis und entzieht ihm für die Dauer von fünf Jahren ab Verkündung des vorliegenden Urteils das aktive und passive Berufswahlrecht.
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I. Die Beschuldigte hat bei der Behandlung der Patienten SE, G. und S. Verfehlungen begangen, die als Berufsvergehen einzustufen sind.
- 110
1. Ein Berufsvergehen ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 HmbHeilBG ein schuldhafter Verstoß eines Berufsangehörigen gegen seine Berufspflichten (vgl. ergänzend die fast identische Definition in § 58 Satz 1 des Hamburgischen Kammergesetzes für die Heilberufe – HmbKGH).
- 111
a) Die Verpflichtung, den ärztlichen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem im Zusammenhang mit der Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, ist unmittelbar gesetzlich normiert in § 27 Abs. 1 HmbKGH (HmbGVBl. 2005 S. 495, in Kraft seit dem 21.12.2005). Gleiches gilt für die Pflicht zur Dokumentation der in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 HmbKGH). Wegen näherer Bestimmungen zu den Berufspflichten verweist § 28 Abs. 1 Satz 1 HmbKGH auf die als Satzung zu erlassende Berufsordnung. Bis zum Inkrafttreten des HmbKGH regelte das Hamburgische Ärztegesetz vom 22. Mai 1978 (HmbGVBl. S. 152) die ärztlichen Pflichten. Die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung zur Dokumentation der erhobenen Befunde und getroffenen Maßnahmen ergab sich dort aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3; in § 5 nahm das Ärztegesetz auf die weitere Regelung von Berufspflichten durch die Berufsordnung Bezug.
- 112
b) Die im hier maßgeblichen Zeitraum geltenden Berufspflichten der hamburgischen Ärzte sind geregelt in der Berufsordnung der Hamburger Ärzte und Ärztinnen vom 27. März 2000 (BO), in Kraft getreten am 1. September 2000 (vgl. § 36 Abs. 1 BO: Inkrafttreten am ersten Tag des Monats, der auf die Verkündung im Hamburger Ärzteblatt folgt; die Verkündung der BO erfolgte in einer Sonderbeilage zum Heft 8/2000 des Hamburger Ärzteblatts). Soweit im Fall SE (vergleichsweise weniger) auch der vor dem 1. September 2000 liegende Zeitraum betroffen ist, ist die Berufsordnung vom 2. September 1996 (in Kraft gewesen ab dem 1.2.1997) maßgeblich (verkündet im Heft 1/1997 des Hamburger Ärzteblatts, S. 30); die neue Berufsordnung 2000 hat bei den hier interessierenden Bestimmungen aber lediglich zu redaktionellen Änderungen, nicht hingegen zu (relevanten) inhaltlichen Änderungen geführt. Die Pflicht zur gewissenhaften Ausübung des Berufs ist in der BO 2000 geregelt in § 2 Abs. 2, in der BO 1996 in § 1 Abs. 3 (die BO 2000 hat allerdings als Anhang ein zusätzliches Kapitel C über „Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung“ aufgenommen, auf das in § 2 Abs. 3 verwiesen wird). Die Pflicht, über die in Ausübung des Berufs gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen, ist in der BO 2000 in § 10 Abs. 1, in der BO 1996 in § 15 Abs. 1 geregelt. Das Verbot, einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub zu leisten, ist in der BO 2000 in § 34 Abs. 4, in der BO 1997 in § 30 Abs. 3 geregelt.
- 113
Am 11. Mai 2012 ist eine erneute Änderung der Berufsordnung in Kraft getreten (verkündet im Heft 5/2012 des Hamburger Ärzteblatts vom 10.5.2012), die wieder zu Verschiebungen einzelner Regelungen geführt hat; so ist das Verbot, einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub zu leisten, nunmehr in § 7 Abs. 8 geregelt (§ 34 wurde gestrichen). Das o. g. Kapitel C ist gestrichen worden. Diese Änderungen sind allerdings im vorliegenden Fall nicht maßgeblich, weil sie erst nach Abschluss der Behandlung des vierten Patienten S. erfolgten und somit in dem hier maßgeblichen Behandlungszeitraum noch nicht galten. Dem entspricht es, dass die Beteiligte zu 1. im vorliegenden gerichtlichen Verfahren stets § 34 Abs. 4 BO anführt und nicht die (identische, seit dem 11.5.2012 geltende) Norm des § 7 Abs. 8 BO.
- 114
Im Folgenden bezieht sich der Berufsgerichtshof daher ebenfalls im Wesentlichen auf die bis zum 10. Mai 2012 geltende Fassung der Berufsordnung vom 27. März 2000.
- 115
2. Im Fall des Patienten SE hat der Beschuldigte ein (schweres) Berufsvergehen begangen. Die insoweit von der Beteiligten zu 1. erhobene Anschuldigung ist vollen Umfangs begründet.
- 116
a) Der Verfolgung dieses Falls steht nicht bereits § 14 Abs. 4 HeilBG entgegen. Danach ist dann, wenn durch ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde rechtskräftig eine Strafe oder Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist, von einer berufsgerichtlichen Ahndung wegen desselben Sachverhalts abzusehen, wenn nicht wegen besonderer Umstände eine berufsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Berufsangehörigen zur Erfüllung seiner Berufspflichten anzuhalten.
- 117
Gegen den Beschuldigten ist im Fall SE weder eine Strafe noch eine Ordnungsmaßnahme verhängt worden. Die in seinem Fall erfolgte Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von 2.500 Euro,- zugunsten der Staatskasse war weder eine Strafe noch eine Ordnungsmaßnahme. Der Umstand, dass demgegenüber die entsprechende Regelung in § 16 Abs. 1 HmbDG auch Einstellungen nach § 153 a StPO erfasst, ist unerheblich, da § 14 Abs. 4 HeilBG insoweit spezieller und damit vorrangig gegenüber der ergänzenden Verweisung auf das HmbDG in § 13 HeilBG ist.
- 118
§ 14 Abs. 4 HeilBG ist auch nicht entsprechend auf Einstellungen nach § 153 a StPO anzuwenden. Insoweit nimmt der Berufsgerichtshof Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der bis Ende 2001 geltenden Regelung in § 14 BDO, die das dortige (relative) Verfolgungsverbot ebenfalls nur an Strafen oder Ordnungsmaßnahmen knüpfte (erst die Nachfolgebestimmung des am 1.1.2002 in Kraft getretenen § 14 Abs. 1 BDG hat auch Einstellungen nach § 153 a StPO mit als Verfolgungshindernis aufgenommen); § 14 Abs. 4 HeilBG entspricht insoweit im Wesentlichen dem § 14 BDO. Zu § 14 BDO hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass der dortige Katalog nicht analogiefähig sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.1990, 1 D 13.90, BVerwGE 86, 379, juris Rn. 20 ff.; Urt. v. 24.11.1976, I D 27.76, BVerwGE 53, 211, juris Rn. 18 f.). Es hat zur Begründung ausgeführt, dass es an einer Vergleichbarkeit von Strafen oder Ordnungsmaßnahmen einerseits und der freiwilligen Befolgung einer Auflage andererseits fehle, und dass es auch kein praktisches Bedürfnis für eine solche Analogie gebe, weil die Verfolgung eines Dienstvergehens gemäß § 3 BDO im Ermessen des Dienstherrn stehe und sich „dasselbe Ergebnis“ (also keine Verfolgung) auch vor diesem Hintergrund erreichen lasse.
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Angesichts dessen scheidet nach der Auffassung des Berufsgerichtshofs eine entsprechende Anwendung des Verfolgungsverbots in § 14 Abs. 4 HeilBG auf Einstellungen nach § 153 a StPO aus. Die Argumente des Bundesverwaltungsgerichts zu § 14 BDO lassen sich ohne weiteres auf § 14 Abs. 4 HeilBG übertragen (auch bzgl. § 3 BDO: im berufsgerichtlichen Verfahren steht die Verfolgung eines Berufsvergehens ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Beteiligten zu 1., vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 HeilBG). Hinzu kommt, dass der Hamburgische Gesetzgeber es ohne weiteres in der Hand hatte (bzw. nach wie vor hat), in Kenntnis der o. g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur fehlenden Analogiefähigkeit des § 14 BDO den Katalog in § 14 Abs. 4 HeilBG entsprechend zu erweitern, wie er dies auch bei der Schaffung des Hamburgischen Disziplinargesetzes (HmbDG) und dem dortigen § 16 Abs. 1 getan hat; dieses Gesetz datiert vom 18. Februar 2004 und ist am 1. März 2004 in Kraft getreten (die Vorgängerregelung in § 4 HmbDO erfasste - wie hier nach wie vor § 14 Abs. 4 HeilBG - keine Einstellungen nach § 153 a StPO). Spätestens als der Hamburgische Gesetzgeber mit dem letzten HeilBG-Änderungsgesetz vom 1. September 2005 (HmbGVBl. S. 387; zur Begründung des Gesetzentwurfs des Senats siehe Bü-Drs. 18/1884 v. 1.3.2005, S. 2) die Verjährungsvorschrift des § 4 HeilBG (in einem durchaus großzügigen Sinne gegenüber den betroffenen Berufsangehörigen) änderte, hätte es nahegelegen, auch den Katalog des § 14 Abs. 4 zu erweitern und diesen insoweit an die entsprechende Bestimmung des § 16 Abs. 1 HmbDG anzupassen. Dies gilt umso mehr, als mit diesem Änderungsgesetz auch die Verweisungsnorm des § 13 an die neue disziplinarrechtliche Lage angepasst wurde (Verweisung auf die Bestimmungen des Hamburgischen Disziplinargesetzes anstatt auf die Bestimmungen des abgeschafften „förmlichen Disziplinarverfahrens“). Hier hätte es sich bei einem entsprechenden gesetzgeberischen Willen angeboten, § 14 Abs. 4 HeilBG mit § 16 Abs. 1 HmbDG zu synchronisieren, da die allgemeine ergänzende Verweisung in § 13 HeilBG auf das HmbDG insoweit nicht weiter führt.
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b) Die Behandlung des Patienten SE durch den Beschuldigten verstieß, wie die Beteiligte zu 1. dies zutreffend in ihrer Anschuldigungsschrift vom 18. November 2013 (S. 24 f., 28 und 29) ausgeführt hat, gegen mehrere ärztliche Berufspflichten.
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aa) Mit der Behandlung des Patienten SE hat der Beschuldigte gegen die Pflicht verstoßen, seinen ärztlichen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BO 1996 bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 BO 2000). In der seit dem 1. September 2000 geltenden BO 2000 wird diese Pflicht in § 2 Abs. 3 dahin konkretisiert, dass zur gewissenhaften Berufsausübung auch die im Kapitel C (einem Anhang zur BO 2000) angeführten Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung zählen. Dort heißt es unter „2. Behandlungsgrundsätze“, dass „Übernahme und Durchführung der Behandlung … die gewissenhafte Ausführung der gebotenen medizinischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ erfordern. Diese Konkretisierung hat allerdings keine konstitutive Bedeutung. Vielmehr hat die gewissenhafte Ausübung des Arztberufes es seit jeher erfordert, Behandlungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführen.
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aaa) Der Beschuldigte hat mit der Behandlung des Patienten SE in den Jahren 2000 und 2001, aber auch noch am 30. Dezember 2003 (als er dem Patienten insgesamt zehn, laut seinen Angaben zweimal fünf, Rezepte über je 50 ml Codein-Tropfen postalisch zuschickte) die Regeln der ärztlichen Kunst verletzt. Insoweit nimmt der Berufsgerichtshof Bezug auf die seitens der Staatsanwaltschaft Hamburg erwirkten gutachterlichen Stellungnahmen der Rechtsmedizin vom 4. Juli 2005, 5. Dezember 2005 und 2. Januar 2008 sowie auf das psychiatrische Gutachten des Dr. P. vom 29. August 2008. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die gutachterliche Stellungnahme vom 5. Dezember 2005, in der die zahlreichen stationären Klinikaufenthalte des Patienten mit den jeweiligen Anlässen und Verläufen dargestellt sind und die gleichwohl durchgehend massiv hohen Verschreibungsmengen durch den Beschuldigten bei den Medikamenten Adumbran Forte (Benzodiazepin, Wirkstoff Oxazepam) und Codeinum Phosphoricum, deren Missbrauch wiederholt der Anlass für die Einweisung des Patienten gewesen war, plastisch beschrieben werden.
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Die Auswertung der Akten ergibt insbesondere für das Benzodiazepin-Medikament Adumbran Forte und für das Codeinum phosphoricum im Jahr 2001 sehr große Verschreibungsmengen:
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So verschrieb der Beschuldigte dem Patienten an Adumbran forte: In der Zeit vom 5. Mai bis zum 4. Juni 2001 insgesamt 4 Rezepte á 50 mg, in der Zeit vom 10. Juni bis zum 18. Juni dreimal 50 mg und in dem Zeitraum vom 26. Juni bis 15. September insgesamt 17 Rezepte á 50 mg, was für den gut viermonatigen Zeitraum zu einer Gesamtmenge von 1.190 Tabletten a 50 mg geführt hat (das entspricht 8,95 Tabletten pro Tag). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der Patient in diesem Zeitraum bzw. kurz davor bzw. kurz danach wiederholt vom Beschuldigten in stationäre Aufenthalte eingewiesen wurde, die auf seinen Benzodiazepin-Missbrauch zurückzuführen waren. Im Einzelnen handelte es sich dabei um Aufenthalte im Klinikum N. (vom 27.4.2001 bis 28.4.2001 wegen Herzbeschwerden, dort Feststellung eines Benzodiazepin-Missbrauchs, was dem Beschuldigten mit Arztbrief vom 28.4.2001 mitgeteilt wurde, sowie vom 28.7.2001 bis 7.8.2001 wegen Alkohol- und Benzodiazepinmissbrauchs), im A-Krankenhaus (vom 23.9.2001 bis 14.10.2001, wegen Missbrauchs von Benzodiazepin, Codein und Alkohol (Whisky)) und im I. Krankenhaus (vom 12.11.2001 bis 23.11.2001, wegen Benzodiazepin-Intoxikation mit suizidaler Absicht). Beispielhaft mag herangezogen werden die Verschreibung von zweimal 50 mg am 8. August 2001, nachdem der Patient am 7. August 2001 nach elftägigem Aufenthalt aus dem Klinikum N. entlassen worden war, in das ihn der Beschuldigte zuvor wegen Benzodiazepin-Missbrauchs eingewiesen hatte.
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An Codeinum phosphoricum verschrieb der Beschuldigte dem Patienten in der Zeit vom 14. Februar bis zum 16. Oktober 2001 insgesamt 940 Tabletten (3 mal 20, 19 mal 40, 2 mal 60). Die letzte Verschreibung von 60 Tabletten vom 16. Oktober erfolgte genau zwei Tage, nachdem der Patient nach 21-tägigem Aufenthalt aus dem A.-Krankenhaus entlassen worden war, in das ihn der Beschuldigte zuvor wegen Missbrauchs von Codein (sowie Benzodiazepin und Alkohol) eingewiesen hatte.
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Aus alldem ergibt sich, dass der Beschuldigte die Entzugsbemühungen der Kliniken dadurch konterkarierte, dass er dem Patienten teilweise unmittelbar nach dessen Entlassung eben die Wirkstoffe in hohen Mengen verschrieb, die Anlass für den stationären Aufenthalt gewesen waren. Nicht zu bezweifeln ist insbesondere die Regelwidrigkeit der (in sehr hohen Dosierungen erfolgten) Verschreibung von Codein, für die es keinerlei ärztliche Indikation gab, und der nicht nachvollziehbaren, im Jahr 2001 erfolgten Verschreibungskombination von Adumbran und Codein, die bereits für sich genommen jeweils ein hohes Abhängigkeitspotential aufweisen.
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Alle o. g. Gutachter (bis auf Dr. B.) haben sich dezidiert dahingehend geäußert, dass der Beschuldigte mit dieser Behandlung die Regeln der ärztlichen Kunst verlassen hat. Das von dem damaligen Verteidiger des Beschuldigten vorgelegte Gutachten des Dr. B. vom 15. Mai 2008 vermag dies nicht in Frage zu stellen. Es beginnt erst auf Seite 14 (von 20) mit der eigentlichen Stellungnahme, die allerdings teilweise wiederum aus einer Darstellung der Krankengeschichte besteht, dann aber (S. 18) zu der kaum nachvollziehbaren These gelangt, die Kombination aus Benzodiazepin und Codein sei der Depression des Patienten geschuldet gewesen und es habe die Gefahr bestanden, „bei Nichtversorgung mit der entsprechenden Medikation“ könne der Patient „dann unversorgterweise in ein lebensbedrohliches Delir geraten … und/oder in einen Status epilepticus“. Dem ist der psychiatrische Gutachter Dr. P. (Gutachten vom 29.8.2008, S. 11 oben) zu Recht entgegengetreten.
- 128
bbb) Auch die massive Verschreibung des Schlafmittels Chloraldurat 500 hat nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen, vgl. dazu die gutachterliche Stellungnahme der Rechtsmedizin vom 4. Juli 2005 (S. 3 f.). Dies gilt insbesondere für den Zeitraum ab Mai 2001, in dem der Beschuldigte dem Patienten außerdem, wie oben ausgeführt, die beträchtlichen Mengen an Adumbran verschrieben hat. Nach Auswertung der … Unterlagen hat der Beschuldigte in der Zeit ab dem 10. Mai bis zum 25. Juni 2001 (am 26.6.2001 erfolgte die nächste Verordnung über 60 Kapseln) dem Patienten 6 Verordnungen über insgesamt 270 Kapseln ausgestellt, was pro Tag rechnerisch 5,74 Kapseln (270 : 47 Tage, das entspricht knapp 2.900 mg) ergibt. In der gutachterlichen Stellungnahme der Rechtsmedizin vom 4. Juli 2005 heißt es, laut den Anwendungshinweisen zu diesem Medikament dürfe eine maximale Tagesdosis von 2000 mg (das entspricht vier Kapseln) nicht überschritten werden; in der von der Beteiligten zu 1. überreichten Fachinformation, Ziff. 4.2 (Bl. 102 d. A.), steht, eine Tagesdosis von 1.500 mg solle nicht überschritten werden. Damit hat diese Medikation in dem besagten Zeitraum schon für sich genommen die Höchstgrenzen deutlich überschritten. Die Kombination mit Adumbran macht sie noch fragwürdiger.
- 129
bb) Der Beschuldigte hat in diesem Fall außerdem gegen das Verbot verstoßen, einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub zu leisten (§ 30 Abs. 3 BO 1996 bzw. § 34 Abs. 4 BO 2000).
- 130
Auch wenn ein Arzt nach der Rechtsauffassung des Berufsgerichtshofs nicht schon dadurch gegen dieses Verbot verstößt, dass er überhaupt Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial verschreibt, die ärztlich nicht indiziert sind, oder er ein (möglicherweise an sich indiziertes) Medikament in einer zu hohen Dosierung verordnet (vgl. dazu die nachstehenden Ausführungen zum Fall des Patienten G. ), kommt es zum Vorschubleisten einer missbräuchlichen Anwendung einer Verschreibung dann, wenn der Arzt einem abhängigen oder suchtgefährdeten Patienten Medikamente in überhöhter Menge (Packungsgröße) verschreibt und es dem Patienten selbst überlässt, die ihm überlassenen Bestände zu „verwalten“; dies gilt insbesondere dann, wenn dieser Patient binnen (zu) kurzer Zeit erneut die Verschreibung des Medikaments begehrt und der Arzt dem entspricht.
- 131
Letzteres ist im Fall SE eindeutig der Fall gewesen. Auch insoweit nimmt der Berufsgerichtshof Bezug auf die gutachterlichen Stellungnahmen der Rechtsmedizin vom 5. Dezember 2005 (insbesondere S. 6 f.) und vom 2. Januar 2008 (S. 3 f.). Unterstrichen wird dies noch dadurch, dass der Beschuldigte und der Patient darin zusammenwirkten, die Verschreibungen in verschiedenen Apotheken einzulösen, damit der extrem hohe Konsum nicht allzu sehr auffiel (vgl. die o. g. gutachterliche Stellungnahme vom 5.12.2005, S. 7 f.).
- 132
Bemerkenswert in dieser Hinsicht sind auch die von dem Beschuldigten am 30. Dezember 2003 ausgestellten 10 Rezepte über je 50 ml Codein-Tropfen. Seine dazu erst im Berufungsverfahren (vgl. den Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15.9.2015, S. 4) erfolgte „Richtigstellung“, er habe am 20. Dezember 2003 mit dem Patienten vereinbart, ihm fünf Rezepte über je 50 ml Codein-Tropfen auszustellen, dies dann im Laufe des Behandlungstermins „vergessen“, daraufhin aus seinem Urlaub „das Rezept mit dem bekannten Ausstellungsdatum“ postalisch versendet, dann von dem Patienten erfahren, dass dieser keine Rezepte erhalten habe und daraufhin „ein neues Rezept“ ausgestellt, welches er ebenfalls postalisch versendet habe, ist kaum nachvollziehbar. Es verwundert bereits, dass alle 10 Rezepte dasselbe Datum (30.12.2003) tragen, wenn zwischen den „fünf und fünf“ Rezepten eine gewisse Pause gelegen haben müsste, denn der Beschuldigte will die zweiten fünf Rezepte ja erst übersendet haben, nach dem der Patient reklamiert habe, die (ersten) fünf Rezepte nicht erhalten zu haben. Letzten Endes kommt es darauf aber nicht entscheidend an. Bereits fünf Rezepte dieses „Kalibers“ auf einmal zu versenden, ist verantwortungslos bei einem derart abhängigen Patienten. Dies gilt nicht weniger für ein unkritisches Nachsenden weiterer fünf Rezepte auf die schlichte Behauptung dieses abhängigen Patienten hin, die ersten fünf Rezepte nicht erhalten zu haben.
- 133
Die in diesem Zusammenhang zuletzt von dem Beschuldigten erstmals vorgetragene Ergänzung, die Haushälterin N. , die nicht bloß eine Reinigungskraft, sondern selbständige Altenpflegerin gewesen sei, habe den Auftrag gehabt, dem Patienten die Medikamente zuzuteilen, so dass dieser bei deren Dosierung nicht sich selbst überlassen gewesen sei, vermag an der o. g. rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Beschuldigten nichts zu ändern. Selbst wenn Frau N. pflegerisch qualifiziert gewesen sein sollte, war sie jedenfalls nicht in einer solchen Funktion bei dem Patienten beschäftigt, sondern eben als Haushälterin. Sie war in dieser Funktion gegenüber dem Patienten weisungsgebunden und (im Umfang ihrer Beschäftigung) wirtschaftlich abhängig, was es ihr ggf. schwer gemacht hätte, dem Patienten gegen dessen Willen Medikamente vorzuenthalten, wenn dies objektiv angezeigt gewesen wäre. Angesichts dessen durfte sich der Beschuldigte nicht darauf verlassen, dass Frau N. schon für eine angemessene Zuteilung der in hohen Dosen im Haus des Patienten vorhandenen Medikamente sorgen werde.
- 134
cc) Außerdem hat der Beschuldigte im Fall SE gegen die Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 BO 2000 verstoßen. Die von der Staatsanwaltschaft im Jahr 2007 bei der … (dem privaten Krankenversicherer des Patienten) beigezogenen Unterlagen ergaben offenbar eine deutlich größere Anzahl von Rezepten des Beschuldigten, als dessen eigene Dokumentation erkennen ließ. Diese Diskrepanz ergibt sich aus einem Vergleich zwischen den in dem Beweismittelordner der Staatsanwalt im Abschnitt 8 … enthaltenen Rezepten und der Auswertung der …-Unterlagen seitens der Kriminalpolizei (vgl. die Auflistung in der StA-Ermittlungsakte Bl.).
- 135
Die Auswertung der …-Unterlagen ergibt allein 14 Codein-Rezepte in der Zeit vom 14. Februar 2001 bis zum 13. September 2001, die nicht im o. g. Abschnitt 8 enthalten sind. Hinzu kommen 14 Adumbran-Rezepte (Zeitraum 5.5.2001 bis 13.9.2001) und 18 Chloraldurat 500 Rezepte (Zeitraum 18.5.2000 bis 20.8.2001).
- 136
dd) Am Verschulden des Beschuldigten hinsichtlich der o. g. Verfehlungen bestehen keine Zweifel. Die nicht bloß vereinzelten Dokumentationsmängel beruhen zumindest auf einem nicht geringen Maß an Fahrlässigkeit und lassen auf grundlegende Mängel bei der damaligen Dokumentation schließen. Die Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Verstoß gegen das Verbot, einer missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub zu leisten, hat der Beschuldigte mindestens bedingt vorsätzlich begangen. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welche Indikation bzw. welches Behandlungskonzept eine solche Vorgehensweise hätte stützen können. Indizielle Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Einstellung des gegen den Beschuldigten wegen Körperverletzung zum Nachteil des Patienten SE geführten Strafverfahrens nach § 153 a StPO: Gemäß Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung setzt eine solche Einstellung nämlich voraus, dass „die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“. Damit steht also die Schuld als solche fest, zu erwägen bleibt lediglich der Grad ihrer Schwere. Dies unterscheidet die Einstellung nach § 153 a StPO etwa von dem Absehen von der Verfolgung nach § 153 StPO, für die es darauf ankommt, ob „die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“ (Hervorhebung durch das Gericht).
- 137
Der Beschuldigte selbst hat hinsichtlich des Falls SE fast ausschließlich formal-juristische Argumente vorgebracht (Verjährung, Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Berufsvergehens, vgl. die Berufungsbegründung vom 8.6.2015, S. 5 ff.). Im Übrigen hat er (wie hinsichtlich aller Patienten) allgemein vorgetragen, im Vordergrund habe sein Bemühen gestanden, den Patienten in seinem Lebensumfeld zu halten und ihm durch die eingesetzten abhängigkeitsfördernden Medikamente ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (a. a. O., S. 19), auch wenn ihm dabei Fehleinschätzungen und Versäumnisse unterlaufen seien (a. a. O., S. 2). Damit vermag er keine Zweifel an seinem Verschulden zu begründen.
- 138
3. Auch im Fall des Patienten G. hat der Beschuldigte ein Berufsvergehen begangen. Es beschränkt sich (entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1.) allerdings, anders als in den Fällen der Patienten SE und S. , auf das Verstoßen gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, während ihm (nach der Rechtsauffassung des Berufsgerichtshofs) hier nicht vorzuwerfen ist, der missbräuchlichen Anwendung von Verschreibungen Vorschub geleistet zu haben.
- 139
Maßgeblich im Sinne der Anschuldigung ist hier der Zeitraum vom Januar 2009, als der Beschuldigte die Substitutionsbehandlung des Patienten übernahm, bis zum 9. Februar 2012, als die Patientenakte bei dem Beschuldigten beschlagnahmt wurde; der letzte Medikamentenplan des Beschuldigten in den drei Sonderbänden der Patiententakte G. datiert vom 5. Februar 2012 (Sonderband I, Bl. 50). Die Anschuldigungsschrift selbst verhält sich zu dieser Frage nicht konkret, legt aber jedenfalls keine andere Sichtweise nahe.
- 140
a) Der Beschuldigte hat durch die Behandlung des Patienten G. gegen die Pflicht aus § 2 Abs. 2 und 3 BO 2000 (i. V. m. Kapitel C Nr. 2, 1. Spiegelstrich) verstoßen, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, da diese Behandlung teilweise nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Dies ergibt sich hinreichend deutlich nicht zuletzt aus dem Gutachten der Rechtsmedizin vom 23. Juli 2012 (vgl. dazu die nachstehenden Ausführungen unter „ee)“).
- 141
aa) Als Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst einzustufen ist die massive Erhöhung der Suboxone-Dosis von 6,15 mg auf 24 mg bzw. 26 mg in dem Zeitraum von Anfang Januar 2009 bis zum 22. Mai 2009 bzw. zum 9. Oktober 2009 und das Aufrechterhalten ähnlich oder entsprechend hoher Dosierungen in dem Zeitraum danach.
- 142
So sah der Medikamentenplan vom 29. Januar 2009 (….) eine Suboxone-Dosis von täglich 10 mg, derjenige vom 30. April 2009 (….) eine Dosis von täglich 16 mg, derjenige vom 22. Mai 2009 eine Dosis von 24 mg (….) und derjenige vom 9. Oktober 2009 eine Dosis von täglich 26 mg (3 x 8 mg tagsüber plus 2 mg morgens, a. a. O., …) vor. Diese Dosierung von 26 mg blieb bis Ende Oktober 2011, unterbrochen vom Zeitraum 3. Juli 2010 bis 14. September 2010, in dem die Dosis 20 mg täglich betrug. Hintergrund für die zeitweise Reduzierung war die Bereitschaft des Patienten zur Mitwirkung an einer Studie des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, bei dem ein Teilnahmekriterium eine tägliche Subutexdosis von 14 bis 20 mg war; der Patient G. nahm dann aber doch nicht an der Studie teil (wohl deshalb, weil er wegen seiner Doppelabhängigkeit und seiner psychischen Erkrankung für die Teilnahme an dieser Studie nicht geeignet war).
- 143
Für diese Steigerung hat der Beschuldigte keinen nachvollziehbaren Grund angegeben, ein Therapiekonzept ist insoweit nicht erkennbar. In der Berufungsverhandlung hat der Beschuldigte hinsichtlich eines Therapiekonzepts im Wesentlichen nur auf seine Medikamentenpläne verwiesen. Seine (erstmals) in der Berufungsverhandlung vorgetragene Erklärung, er habe an eine Unterdosierung bei der Substitutionsmenge geglaubt und mit der Dosissteigerung den weiteren Heimaufenthalt für den Patienten ermöglichen wollen, ist schwer nachvollziehbar und nicht überzeugend. Weshalb insoweit bei der Übernahme des Patienten im Januar 2009 mit 6,15 mg täglich eine Unterdosierung vorgelegen haben und die „angemessene“ Dosis etwa viermal so hoch gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Dem widerspricht im Übrigen die Einschätzung des Dr. BR. im o. g. Gutachten vom 7. April 2011, in dem dieser sehr kritisch auf die hohe Dosierung bei Subutex/Suboxone eingeht und gleichwohl zusammenfassend ausführt (S. 7), in den vergangenen vier bis fünf Jahren sei kaum eine grundlegende Stabilisierung erfolgt, sondern allenfalls eine zeitweise und milde Beruhigung der Symptomatik. Auch der Vortrag des Beschuldigten in der Berufungsverhandlung, in der Zeit von Dezember 2011 bis Dezember 2013 sei der Patient im AK O. unter Mitwirkung eines Psychiaters mit gleich hoher Dosis weiter behandelt worden, führt zu keiner anderen Bewertung. Letzteres erklärt nicht die extreme Dosissteigerung durch den Beschuldigten in den wenigen Monaten ab Januar 2009 und die Aufrechterhaltung dieser hohen Dosis bis Oktober 2011; allerdings spricht diese lange Phase hoch dosierter Substitutionsmittel dafür, dass der Patient sich an die hohe Dosis gewöhnt hatte und es auch nach dem Ende der Substitutionsbetreuung durch den Beschuldigten den weiter behandelnden Ärzten lange Zeit nicht möglich oder nicht sinnvoll erschien, die Dosis zu reduzieren.
- 144
Es handelt sich entgegen seiner Darstellung nicht bloß um einen Dokumentationsmangel. Der Mangel liegt vielmehr in der äußerlich nicht indizierten (vgl. den Hinweis in dem Gutachten der Rechtsmedizin, S. 6, dass bei einer bloßen Tramadol-Abhängigkeit im Gegensatz zu einer Heroinabhängigkeit eine solche Dosissteigerung „nicht ohne Weiteres nachvollziehbar“ sei) und auch sonst nicht nachvollziehbaren Behandlung selbst. Dass es möglicherweise irgendwelche Gründe für diese Vorgehensweise geben könnte, die der Beschuldigte aber weder dokumentiert noch sonst mitgeteilt hat, kann es nicht rechtfertigen, hier bloß von einem (tatsächlich auch nicht angeschuldigten) Dokumentationsmangel auszugehen. Die von dem Beschuldigten eingereichte Stellungnahme des Dr. U. vom 1. Juni 2015 und die diesbezüglichen, in den Schriftsätzen des Beschuldigtenvertreters vom 15. September 2015 (S. 7 ff.) und vom 16. Januar 2017 (S. 4 ff.) wörtlich zitierten Ergänzungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Sie halten zwar in eher allgemeiner Weise fest, dass derartig hohe Dosen von Buprenorphin bei psychisch-kranken Patienten nicht regelwidrig sind und angebracht sein können; sie erklären aber ebenfalls nicht, worin gerade beim Patienten G. der einleuchtende Grund für die enorme Steigerung der Dosis innerhalb weniger Monate liegen soll.
- 145
bb) Ebenfalls zu beanstanden ist die Verordnung des Psychostimulantiums Vigil ab Juni 2011. Der Beschuldigte hat dem Patienten (laut der Aufstellung) in der Zeit vom 22. Juni 2011 bis zum 16. Januar 2012 sieben Mal das Psychostimulansmittel Vigil 1,0 (Wirkstoff Modafinil) verordnet. Modafinil ist zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit exzessiver Schläfrigkeit, die mit Narkolepsie einhergeht. Laut den Präparatinformationen darf es nicht angewendet werden bei Patienten mit anamnestisch bekannten Abhängigkeitserkrankungen und nur mit Vorsicht bei Patienten mit psychotischen Vorerkrankungen. Diese Verordnungen sind möglicherweise erfolgt zur Bekämpfung der stark sedierenden Wirkung, die von den hohen Dosen Subutex und der gleichzeitigen Verordnung von Lorazepam ausgeht (zu letzterem vgl. das Gutachten der Rechtsmedizin vom 23.7.2012, S. 6 unten); gleichwohl waren sie angesichts der Abhängigkeiten und Vorerkrankungen des Patienten nicht lege artis.
- 146
cc) Ebenfalls nicht arte legis war die - nach den obigen Auswertungen in dem hier maßgeblichen etwa dreijährigen Zeitraum insgesamt elfmal erfolgte - gleichzeitige Verordnung von opiathaltigen Schmerzmitteln angesichts des Umstands, dass der Patient gerade aus einer Opiatabhängigkeit kam und eben das der Grund für die Substitution mit Suboxone/Subutex war (vgl. dazu das Gutachten der Rechtsmedizin, S. 7). Zusätzlich zu Suboxone/Subutex und Lorazepam, die laut den Medikamentenplänen zur Dauermedikation zählten, verordnete der Beschuldigte laut den Medikamentenplänen als „Bedarfsmedikation“ zeitweise auch die opiathaltigen Schmerzmittel Tramadol und Oxycodon (bei Migräne) sowie Talvosilen forte (Bestandteile: 1000 mg Paracetamol, 60 mg Codein, laut dem Medikamentenplan einzunehmen „bei Fußschmerzen“). Die Aufstellung der eingelösten Rezepte (….) ergibt fünf Rezepte für Tramadol in der Zeit von Januar bis August 2009 und weitere fünf Rezepte für Talvosilen forte in der Zeit November 2009 bis April 2011. Für Oxycodon findet sich dort ein Rezept am 8. Juni 2010.
- 147
dd) Hinsichtlich der Verordnung des Benzodiazepins Lorazepam in ebenfalls hoher Dosis (fast durchweg 4 mg pro Tag) ist dagegen kein Verstoß gegen die Regeln ärztlicher Kunst anzunehmen. Diese Dosis hatte der Patient bereits erhalten, bevor der Beschuldigte seine Behandlung übernahm; eine Herunterdosierung war von der Klinik AK N. .zumindest im Jahr 2008 wegen einer Verschlechterung der psychischen Symptome nicht für sinnvoll erachtet worden (vgl. das Gutachten der Rechtsmedizin, S. 6).
- 148
ee) Das Gutachten der Rechtsmedizin vom 23. Juli 2012 steht - entgegen der Darstellung des Beschuldigten - der Wertung, dass der Beschuldigte im o. g. Umfang ein Berufsvergehen begangen hat, nicht entgegen, sondern bestätigt diese Einschätzung. Dieses Gutachten ist vor dem Hintergrund des spezifisch betäubungsmittelrechtlichen Ermittlungsansatzes der Staatsanwaltschaft einzuordnen. Der Staatsanwaltschaft ging es darum, ob der Beschuldigte die Betäubungsmittel-Verschreibungshöchstgrenzen überschritten hatte, ohne gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV das Ziel einer schrittweisen Wiederherstellung der BtM-Abstinenz zu verfolgen, bzw. darum, ob für eine solche Überschreitung ein „begründeter Einzelfall“ im Sinne des § 2 Abs. 2 BtmVV vorlag. Die erste Frage in dem Gutachtenauftrag der Staatsanwaltschaft („Ergeben sich Anhaltspunkte für ein ärztliches Fehlverhalten des Beschuldigten, insbesondere für eine fehlerhafte Medikation namentlich unter dem Gesichtspunkt des Bestimmungszwecks der Substitution, nämlich der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz … (vgl. § 5 I Nr. 1 BtMVV)?“) ist dementsprechend nicht dahin zu verstehen, dass damit jegliches ärztliches Fehlverhalten im Sinne des § 2 Abs. 2 (bzw. § 34 Abs. 4 BO 2000) angesprochen und geprüft werden sollte; vielmehr dürfte der mit „insbesondere“ eingeleitete Halbsatz den eigentlichen Prüfungsgegenstand umschrieben haben. Diese Frage haben die Gutachter der Rechtsmedizin (a. a. O., S. 7, unter „Zusammenfassung“) mit dem einleitenden Satz beantwortet, es ergäben sich „keine Anhaltspunkte für ein grundsätzliches ärztliches Fehlverhalten oder eine fehlerhafte Medikation mit Subutex“, und dazu (S. 8) ergänzend ausgeführt, das Therapieziel der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz sei vor dem Hintergrund der Stabilisierung bzw. der Vermeidung der Destabilisierung des psychischen Gesundheitszustandes des Patienten vor dem Hintergrund der aufgetretenen Probleme bei dem Entzug von dem Benzodiazepin als nachrangig zu betrachten.
- 149
Im gleichen Atemzuge haben die Gutachter aber die „extremen“ und „nicht nachvollziehbaren“ Dosissteigerungen kritisiert und dazu abschließend ausgeführt, diese seien ebenso wie die zusätzliche Verordnung von Opioden/Opiaten sowie die zusätzliche Verordnung von Stimulanzien „als kritikwürdig und eher fördernd für das Suchtverhalten einzuschätzen“. Damit haben sie ärztliche Behandlungsfehler gekennzeichnet, die allerdings von den Kategorien des Betäubungsmittel-Strafrechts nicht erfasst wurden. Der andere – den Beschuldigten im strafrechtlichen Sinne entlastende – Satz, dass bei dem Beschuldigten aus rechtsmedizinisch-toxikologischer Sicht „kein grundsätzliches ärztliches Fehlverhalten“ vorliege, ist nach dem Dafürhalten des Berufsgerichtshofs unter besonderer Betonung des Worts „grundsätzliches“ (im Sinne von „grundlegendes“ oder „erhebliches“) Fehlverhalten zu verstehen. Ein teilweises ärztliches Fehlverhalten jenseits der strafrechtlichen Maßstäbe wird dadurch nicht ausgeschlossen.
- 150
ff) Die Frage, ob und ggf. wie stark der Patient im Ergebnis gesundheitlich geschädigt worden ist (was der Beschuldigte in diesem Fall bestreitet), ist für die tatbestandliche Prüfung, ob ein Verstoß gegen die Pflicht aus § 2 Abs. 2 und 3 BO 2000 (i. V. m. Kapitel C Nr. 2, 1. Spiegelstrich) vorliegt, unerheblich.
- 151
gg) Die von dem Beschuldigten eingereichte Stellungnahme des Dr. U. vom 1. Juni 2015 bestätigt, soweit es nicht um die Verordnung von Suboxone/Subutex, sondern anderer Medikamente geht, ausdrücklich fehlerhafte Behandlungen. Er führt dort (S. 5) zusammenfassend aus, die Verordnung verschiedener Amphetaminderivate sei zu lange und ohne Konzept durchgeführt worden, vor der Verordnung von Schmerzmitteln (Analgetika) seien diagnostische Maßnahmen nicht dokumentiert worden und die Verordnung sei nicht auf die Substitutionsbehandlung mit Buprenorphin abgestimmt worden.
- 152
b) Die zweite Anschuldigung, der missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibungen Vorschub geleistet zu haben (§ 34 Abs. 4 BO 2000), ist dagegen nach dem Verständnis des Berufsgerichtshofs im Fall des Patienten G. nicht begründet.
- 153
aa) Die o. g., nicht nachvollziehbar hohen Dosissteigerungen bei dem Medikament Suboxone/Subutex und die sonstigen o. g. kritikwürdigen Verordnungen erfüllen diesen Tatbestand nicht.
- 154
Der Berufsgerichtshof folgt nicht der Auffassung der Beteiligten zu 1., dass ein Arzt schon dadurch gegen dieses Verbot verstößt, dass er überhaupt Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial verschreibt, die ärztlich nicht indiziert sind, oder er ein (möglicherweise an sich indiziertes) Medikament in einer zu hohen Dosierung verordnet. Dies mag zwar dazu führen, dass der Patient zu „Medikamentenmissbrauch“ veranlasst und damit bei ihm eine Medikamentenabhängigkeit gefördert oder gar erzeugt wird; dann ist die Verschreibung als solche (also die eigentliche Behandlung) nicht lege artis und verstößt gegen das Gebot gewissenhafter Ausübung des ärztlichen Berufs, was bereits ein erhebliches Berufsvergehen darstellen kann. Allein dies führt jedoch noch nicht (zusätzlich) zum „Vorschubleisten“ einer „missbräuchlichen Anwendung der Verschreibung“ im Sinne von § 34 Abs. 4 BO 2000.
- 155
Bei dem „Vorschubleisten“ einer „missbräuchlichen Anwendung der Verschreibung“ im Sinne von § 34 Abs. 4 BO 2000 handelt es sich um etwas Anderes als die ärztliche Richtigkeit oder Vertretbarkeit der Verschreibung selbst. Die Besonderheit dieses Fehlverhaltens liegt vielmehr darin, dass der Arzt (vorsätzlich oder zumindest leichtfertig) die Kontrolle über den Patienten aus der Hand gibt, indem er diesem die Möglichkeit eröffnet, ein Medikament zu Zwecken zu verwenden, die ärztlich nicht indiziert sind (und die der Verordnung nicht entsprechen), oder das Medikament (wiederholt und über längere Zeiträume) in deutlich höheren Dosen einzunehmen, als es die Verordnung vorsieht. So liegt es aber nicht in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein Patient gerade die ihm verschriebene Dosis des ihm verschriebenen Medikaments unter der Aufsicht von Pflegepersonal in einer Einrichtung einnimmt. Dann mag die Verschreibung als solche gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen, aber die „Anwendung“ dieser Verschreibung ist dann nicht „missbräuchlich“, sondern ordnungsgemäß.
- 156
bb) Ein Ansatz für den Tatbestand des Vorschubleistens im o. g. Sinn könnte allerdings im Hinblick auf die im August 2009 ohne weitere eigene Kontrollen seitens des Beschuldigten erfolgte Umstellung von Suboxone auf Subutex zu erkennen sein. Seinerzeit (vgl. die Rezeptaufstellung ) wurde „auf Wunsch (des) Patient(en)“ (vgl. die vom Beschuldigten erstellte Verlaufsdokumentation vom 27.4.2010, …) das Mittel Suboxone durch das Mittel Subutex ausgetauscht. Der Wirkstoff (Buprenorphin) ist bei beiden Mitteln derselbe, jedoch enthält Suboxone im Gegensatz zu Subutex den weiteren Wirkstoff Naloxon, einen Opiatantagonisten, der eine missbräuchliche nasale Anwendung verhindern soll, da er erst bei dieser Anwendungsform seine opiat-antagonistischen Eigenschaften entfaltet (vgl. das Gutachten der Rechtsmedizin vom 23.7.2012, S. 6). Diese Umstellung hat sich offenbar nachteilig in dem Sinne ausgewirkt, dass der Patient das neue Mittel geschnupft statt geschluckt hat, was, wie der Beschuldigte in seiner o. g. ärztlichen Anweisung vom 13. Oktober 2011 es selbst formuliert hat, „den Zug der Anwendung eines Suchtmittels (trägt)“. Somit hat das Schnupfen des Subutex in der Tat eine missbräuchliche Anwendung der Verschreibung dargestellt.
- 157
Unklar ist allerdings, unter welchen Umständen und wie oft der Patient das Subutex überhaupt missbräuchlich anwenden, also schnupfen konnte. Denn die Einnahme des Substitutionsmittels erfolgte laut dem nicht zu widerlegenden Vortrag des Beschuldigten morgens und abends direkt in der betreffenden Apotheke in P. unter Aufsicht des dortigen Personals; lediglich an den Wochenenden war es offenbar so, dass der Patient den betreffenden Vorrat in der Apotheke ausgehändigt bekam und diesen mit in die Einrichtung nahm. Dies hat der Beschuldigte auch in der Berufungsverhandlung so dargestellt.
- 158
Im Übrigen gibt es keine hinreichend greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte einem solchen Missbrauch durch den Patienten „Vorschub geleistet“ hätte. Die Umstellung von Suboxone auf Subutex als solche war insofern nicht völlig unmotiviert, als der Patient bereits vor der Übernahme der Substitutionsbehandlung durch den Beschuldigten zeitweise mit Subutex behandelt worden war (vgl. die Entlassungsberichte der Klinik N.-O. vom 22.1.2008, ……, bzgl. der jeweiligen Entlassungsmedikation), so dass dieser Wunsch des Patienten nicht aus der Luft gegriffen erschienen sein mag. Gegen Vorsatz oder Leichtfertigkeit des Beschuldigten in diesem Zusammenhang spricht schließlich seine ärztliche Anweisung vom 13. Oktober 2011 (….), mit er gegen das missbräuchliche Schnupfen des Subutex eingeschritten ist, unmittelbar nachdem er (laut seiner nicht zu widerlegenden Darstellung) durch die Heimleitung davon erfahren hatte.
- 159
cc) Ein weiterer Ansatz für ein „Vorschubleisten“ im Sinne des § 34 Abs. 4 BO 2000 könnte sich noch aus einer jahrelangen Verordnung der Stimulanzien enthaltenen, aber bedarfsweise für Erkältungen bzw. Rhinitis indizierten Mittel Reactine Duo bzw. Rhinopront ergeben. Eine Verordnung dieser Mittel ist für die in den Medikamentenplänen genannte Indikation (allergische Rhinitis) an sich nicht regelwidrig. Bei einem suchtkranken und stark sedierten Patienten wie G. mit einem entsprechenden Stimulanzbedarf mag es allerdings nahe liegen, dass dieser solche Mittel zweckwidrig zur Stimulation, also „missbräuchlich“ anwendet.
- 160
Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass der Beschuldigte dem Patienten diese - rezeptfreien - Mittel überhaupt verordnet hätte. Der Beschuldigte bestreitet dies, und entsprechende privatärztliche Rezepte sind nicht aktenkundig. Er trägt vor, dass der Patient sich diese Medikamente nur selbst besorgt haben könne. Die seit April 2010 durchweg erfolgte Aufnahme dieser Mittel als Bedarfsmedikation in die Medikamentenpläne sei nur nachrichtlicher Natur gegenüber der Einrichtung bzw. für Notärzte gewesen. Dies ist dem Beschuldigten nicht zu widerlegen; somit ist auch insoweit ein (schuldhafter) Verstoß gegen § 34 Abs.4 BO 2000 nicht erwiesen.
- 161
c) Der Beschuldigte hat auch dieses Berufsvergehen schuldhaft begangen (§ 2 Abs. 1 HeilBG).
- 162
Die laut dem o. g. Gutachten der Rechtsmedizin „kritikwürdige“ und „suchtfördernde“ Medikation (extreme Dosissteigerung bei Suboxone/Subutex, gleichzeitige Verordnung von Opiaten und Stimulanzien) muss der Beschuldigte in ihrer Kritikwürdigkeit und ihrem Suchtförderungspotential zumindest „bedingt vorsätzlich“ erkannt und die potentiell gravierenden Folgen billigend in Kauf genommen haben. Seine diesbezüglichen Einlassungen sind vage und allgemein geblieben (bzgl. der Dosissteigerung) bzw. sie haben sich zu dem Thema gar nicht verhalten (gleichzeitige Verordnung von Opiaten und Stimulanzien).
- 163
Schuldvermindernd ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Patient einerseits doppelt suchtkrank (Opiate und Benzodiazepin) und andererseits schwer psychisch krank war (schweres Borderline-Syndrom). Die Behandlung dieses Patienten ist damit außerordentlich schwierig gewesen (vgl. das Gutachten der Rechtsmedizin, S. 7 unten: „… sehr schwierige Ausgangssituation …“), was diese Behandlung von vornherein besonders fehleranfällig gemacht haben dürfte.
- 164
4. Im Fall des Patienten S. hat der Beschuldigte entsprechend der von der Beteiligten zu 1. erhobenen Anschuldigung in dreierlei Hinsicht ein Berufsvergehen begangen.
- 165
a) Der Beschuldigte hat durch die Behandlung des Patienten gegen die Pflicht aus § 2 Abs. 2 und 3 BO 2000 (i. V. m. Kapitel C Nr. 2, 1. Spiegelstrich) verstoßen, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, da diese Behandlung nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprach. Zudem hat er durch das wiederholte Kassieren von jeweils 50,- Euro bzw. einmal von 100,- Euro im Rahmen der Rezeptgaben sein eigenes wirtschaftliches Interesse über das Wohl des Patienten gestellt und damit gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 BO 2000 verstoßen.
- 166
aa) Der Beschuldigte hat laut seiner der Beteiligten zu 1. am 19. Mai 2012 übersandten Dokumentation (…..) dem Patienten in der Zeit vom 27. Mai 2011 bis zum 19. April 2012 unter insgesamt 11 Daten 12 Mal das Medikament Diazepam Stada 10, Packungsgröße N3 (50 Stück), verschrieben (unter dem 8.12.2011 verschrieb er gleich zweimal eine Packung der Größe N3). Für den genannten Zeitraum mit einer Dauer von insgesamt 327 Tagen ergibt sich, wenn man die letzte Verschreibung außer Acht lässt (es ist unbekannt, wie lange der Patient mit diesen letzten 50 Tabletten ab dem 19.4.2012 ausgekommen ist), eine Gesamtmenge von 550 Tabletten (11 x 50), was einer Tagesdosis von 1,68 Tabletten (also 16,8 mg des Wirkstoffs) entspricht. Bis zu dem Termin vom 8. Dezember 2011 errechnet sich (ohne die an diesem Tag erfolgte Doppelverschreibung) für einen Zeitraum von 195 Tagen eine Gesamtmenge von 300 Tabletten, was einer Tagesdosis von 1,54 Tabletten (15,4 mg des Wirkstoffs) entspricht.
- 167
Die Verschreibung erfolgte auf Grund der Diagnose „Psychovegetative Dysregulation“ (vgl. dazu die Einschätzung in der Studie „Medikamentenabhängigkeit“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen - DHS – August 2015, S. 18: „Verlegenheitsdiagnose ohne wirkliche medizinische Grundlage“, im Internet frei veröffentlicht unter: http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Broschueren/Suchtmed_Reihe_5_Medikamente.pdf), tatsächlich geklagt hatte der Patient offenbar über Schlafstörungen. Laut der Fachinformation des Herstellers zu Diazepam AbZ 10 mg (überreicht von der Beteiligten zu 1. mit Schriftsatz vom 28.1.2015 an das Berufsgericht) sind Anwendungsgebiete für dieses Medikament Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände, Zustände mit erhöhtem Muskeltonus (etwa nach schweren epileptischen Anfällen) sowie die Prämedikation für diagnostische oder chirurgische Eingriffe. Weiter heißt es dort unter „Anwendungsgebiete“: „Der Einsatz von Diazepam AbZ 10 mg als Schlafmittel ist nur dann gerechtfertigt, wenn gleichzeitig die Diazepam-Wirkungen am Tage erwünscht sind.“ Für die Behandlung von Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen (dies dürfte den Beschwerden des Patienten S. noch am nächsten kommen) bei ambulanter Therapie heißt es dort unter „4.2 Dosierung und Art der Anwendung“, die Behandlung sollte in der Regel mit einer halben Tablette am Tag (also 5 mg) begonnen werden; bei fehlendem Erfolg könne die Dosis auf eine Tablette pro Tag (10 mg) erhöht werden. Weiter wird dort ausgeführt: „Höhere Dosierungen sind nur in seltenen Fällen notwendig (z. B. psychiatrische oder neurologische Erkrankungen) und sollten in der Regel nur stationär verabreicht werden“. Zur „Art und Dauer der Anwendung“ heißt es dort, bei akuten Krankheitsbildern sei die Anwendung auf Einzelgaben oder wenige Tage zu beschränken. Bei chronischen Krankheitsbildern solle nach zweiwöchiger täglicher Einnahme vom Arzt durch eine schrittweise Verringerung der Dosis geklärt werden, ob eine weitere Behandlung mit Diazepam angezeigt sei; „Jedoch sollte die Behandlungsdauer 4 Wochen nicht übersteigen“.
- 168
Soweit der Beschuldigte in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen hat, dass laut dem „Kompendium der Psychiatrischen Pharmakologie“ (2011) von Benkert/Hippius bei der Diagnose Schlafstörung oder Angstzustände bis zu 20 mg täglich zulässig sein könnten, vermag ihn dies nicht zu entlasten. Eine derartig massive Überschreitung der von dem Hersteller selbst gegebenen Dosierungsempfehlungen könnte allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen lege artis sein und bedürfte jedenfalls einer eingehenden Begründung sowie einer besonders sorgfältigen Kontrolle. Davon kann hier nicht die Rede sein.
- 169
Angesichts dessen bleibt festzuhalten, dass der Beschuldigte hier durch seine Verschreibungen sowohl die vom Hersteller empfohlene Dauer der Anwendung („nicht länger als vier Wochen“) als auch die vom Hersteller empfohlene Tagesdosis (bei Spannungszuständen in der Regel eine halbe, ausnahmsweise maximal eine ganze Tablette am Tag) massiv überschritten hat. Dies ist geschehen, ohne dass der Beschuldigte hierfür nachvollziehbare Gründe genannt hätte (laut seinem Schreiben an die Beteiligte zu 1. vom 31.7.2012, ….., hielt er allerdings die „vorgeschlagene medizinische Hilfe mit 0 – 2 Diazepam pro Nacht für absolut indiziert“), und dies ohne dokumentierte oder sonst nachvollziehbare regelmäßige Untersuchungen des Patienten. Der von ihm an die Beteiligte zu 1. gesendeten Dokumentation sind keine Untersuchungen zu entnehmen. Ansonsten hat er insoweit mit Schreiben seines späteren Bevollmächtigten vom 15. Mai 2013, S. 2 (…), gegenüber der Beteiligten zu 1. im Rahmen der dortigen Vorermittlungen vortragen lassen, er habe den Patienten dreimal untersucht; der erste Kontakt habe am 18. Februar 2011 in Form eines Hausbesuchs stattgefunden, darüber hinaus sei der Patient am 5. Oktober 2011 und 8. Dezember 2011 in der Praxis des Beschuldigten behandelt worden (die von ihm überreichte Dokumentation beginnt allerdings erst am 27.5.2011). Mit weiterem Schreiben des damaligen Bevollmächtigten vom 12. September 2013, S. 5 (….), hat er dies dahingehend bestätigt, „über den bereits erwähnten Hotelbesuch“ hinaus sei der Patient zweimal in seiner Praxis gewesen. Davon ausgehend, dass es diese drei Untersuchungen gegeben hat, ist dies angesichts der hier erfolgten, mit einer hohen Gefahr der Unterhaltung oder Schaffung einer Diazepam-Abhängigkeit des Patienten verbundenen Medikation allerdings völlig unzureichend gewesen. Somit hat der Beschuldigte mindestens unter neun von den seinerseits dokumentierten elf Daten in der Zeit vom 27. Mai 2011 bis zum 19. April 2012 dem Patienten Diazepam 10 mg in der Packungsgröße N3 verschrieben, ohne ihm dabei persönlich begegnet zu sein; offenbar ist dies auf schlichte telefonische Anforderung des Patienten geschehen (für den „22.02.2012“ ist dort auch ausdrücklich vermerkt: „Wie telefonisch am 17.02.2012 erbeten“).
- 170
Diese Vorgehensweise war angesichts des hohen Abhängigkeitspotentials dieses Wirkstoffs unverantwortlich. In der Berufungsbegründung (S. 19 unten) hat der Beschuldigte vortragen lassen, dass der Patient S. „bereits abhängig“ gewesen sei von Benzodiazepin; demnach bestand die Abhängigkeit bereits bei Beginn des ärztlichen Kontakts. Jedenfalls am Ende des hier maßgeblichen Zeitraums war der Patient S. offenbar tatsächlich in eine Diazepam-Abhängigkeit hineingeraten. In den Akten (…) befindet sich die Kopie eines Schreibens des Beschuldigten an diesen Patienten vom 28. Mai 2012, mit dem er die o. g. Anfrage der Beteiligten zu 1. vom 16. Mai 2012 und sein Antwortschreiben „zur Information und Durchsicht“ übersendete. Auf dem Schreiben hat der Beschuldigte handschriftlich vermerkt: „1. ÜW-Schein für die Psychiatrie liegt bei“. Dabei handelte es sich um einen Überweisungsschein vom 28. Mai 2012 (kein Privat-, sondern ein Kassenrezept), mit einer „kurativen“ Überweisung „an Psychiatrie“, gültig für das zweite Quartal 2012; unter „Diagnose/Verdachtsdiagnose“ hieß es: „V.a. Diazepam-Abhängigkeit“ (Anm.: „V.a.“ bedeutet „Verdacht auf“). In der Verhandlung vor dem Berufsgericht hat der seinerzeitige Verteidiger das (allerdings nicht vom Beschuldigten unterschriebene) Original eines Überweisungsscheins vom 28. Mai 2012 überreicht, das der o. g. Kopie im Wesentlichen entspricht (Sitzungsprotokoll vom 25.3.2015, S. 5).
- 171
bb) Der Beschuldigte hat laut seiner eigenen Dokumentation jedenfalls dadurch gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 BO 2000 (Verbot, sein eigenes wirtschaftliches Interesse über das des Patienten zu stellen) verstoßen, dass er von dem Patienten insgesamt fünfmal ein „Honorar“ von 50,- Euro und einmal ein „Honorar“ von 100,- Euro kassiert hat, ohne dass es hierfür Rechnungen bzw. nachvollziehbare Berechnungen gäbe. Sein damaliger Bevollmächtigter hat dies in dem o. g. Schriftsatz an die Beteiligte zu 1. vom 12. September 2013, S. 5, so bestätigt: „Auch gegenüber dem Patienten S. wurde niemals privat liquidiert. Derartige Rechnungen sind nie geschrieben worden und daher nicht existent.“ Rezeptgebühren für Privatpatienten hätten niemals diese Höhen erreicht (und wären auch nicht auf diese glatten Beträge hinausgelaufen). Der Beschuldigte hat dem (gesetzlich krankenversicherten) Patienten S. das Diazepam aber auch nicht auf Rezepten für Kassenpatienten verordnet (vgl. sein o. g. Schreiben an die Beteiligte zu 1. vom 31.7.2012).
- 172
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein vom seinerzeitigen Verteidiger des Beschuldigten in der Verhandlung vor dem Berufsgericht in Kopie zur Akte gereichtes Schreiben des Patienten an den Beschuldigten vom 19. April 2012 (vgl. Sitzungsprotokoll S. 5. Dort schreibt der Patient: „… vielen Dank für das Rezept. Anbei die Versichertenkarte, 10 € und das Honorar.“ (Außerdem schreibt er noch: „Bei der nächsten Verordnung werde ich dann aber wirklich mal wieder persönlich vorbeikommen.“) Demnach hat der Beschuldigte den Patienten einerseits als gesetzlich Versicherten behandelt (Versichertenkarte, 10 Euro Praxisgebühr), andererseits aber auch noch ein „Honorar“ entgegengenommen (das allerdings in der mit Schreiben vom 19.5.2012 übersendeten „vollständigen“ Dokumentation nicht aufgeführt ist).
- 173
Angesichts dessen kann es sich bei den o. g. „Honoraren“ nur um „Schwarzgelder“ gehandelt haben, für die es keine rechtliche Grundlage gab. Sie waren offenbar der Preis, den der Patient zahlen musste, um über den Beschuldigten das Diazepam zu bekommen, von dem er wahrscheinlich bereits abhängig war und das ein verantwortungsvoller Arzt (etwa der ihn eigentlich behandelnde Arzt in B. ) nicht verordnet hätte. Damit hat der Beschuldigte sich selbst unzulässige wirtschaftliche Vorteile verschafft und zugleich das gesundheitliche Wohl des Patienten beeinträchtigt.
- 174
b) Der Beschuldigte hat im Fall S. auch gegen das Verbot des § 34 Abs. 4 BO 2000 verstoßen, einer missbräuchlichen Anwendung der Verschreibung Vorschub zu leisten.
- 175
Die zahlreichen Verschreibungen mit jeweils der größten Packungsgröße N3 ohne begleitende Untersuchungen und Patientengespräche haben es dem Patienten ermöglicht, die in der Fachinformation zu Diazepam 10 mg enthaltenen Empfehlungen zur Tagesdosis (bei Spannungszuständen etc. maximal 1 Tablette pro Tag) deutlich zu überschreiten und damit das Medikament in einer missbräuchlichen Menge einzunehmen. Es ist zwar nicht aktenkundig, welche ärztliche Anweisung an den Patienten zur Tagesdosis den jeweiligen Verschreibungen zu Grunde lag. Es ist aber nicht anzunehmen, dass der Beschuldigte eine Überschreitung der an sich maximalen Tagesdosis von einer Tablette um mehr als 50 v. H. (die durchschnittliche Tagesdosis nach Maßgabe der Verordnungen betrug, wie oben bereits ausgeführt, 1,54 Tabletten für den Zeitraum vom 27.5.2011 bis 7.12.2011 und 1,68 Tabletten für den Zeitraum vom 27.5.2011 bis 18.4.2012) angeordnet hat.
- 176
c) Der Beschuldigte hat hier außerdem gegen die Dokumentationspflicht des § 10 Abs. 1 BO 2000 verstoßen.
- 177
Dies ergibt sich zum einen aus dem (kuriosen) Verlauf, dass er der Beteiligte zu 1. auf deren Anforderung hin mit jeweiligen Schreiben vom 19. Mai 2012 zwei verschiedene Dokumentationsausdrucke übersendet hat (….), von denen der zweite nur einen kleinen Teil der ersten enthielt, und er auf Nachfrage der Beteiligten zu 1. erklärte, dass „die längere Fassung die vollständige Fassung“ sei (……). Wie die Beteiligte zu 1. in ihrer Anschuldigungsschrift (S. 29) ausführt, enthielt allerdings die „vollständige“ Fassung auch unzutreffende Eintragungen; auf diese Ausführungen nimmt der Berufsgerichtshof Bezug (der dort von der Beteiligten zu 1. erwähnte Screenshot befindet sich im Aktenordner…….. Hinzu kommen noch der angebliche Untersuchungstermin vom 18. Februar 2011, der in der „vollständigen“ Fassung der Dokumentation nicht vorkommen kann, weil diese erst am 27. Mai 2011 beginnt, und das nicht dokumentierte „Honorar“, das der Patient seinem Schreiben vom 19. April 2012 beigefügt hatte (….).
- 178
d) Am Verschulden des Beschuldigten besteht hinsichtlich aller o. g. Verstöße angesichts der dargelegten Umstände kein Zweifel.
- 179
Der Beschuldigte hat zu dem Fall S. nichts Entlastendes vorgebracht. In der Berufungsbegründung (S. 19) hat er ausschließlich eine vermeintlich falsche Berechnung des Berufsgerichts hinsichtlich der Gesamtzahl der verordneten Tabletten gerügt (vgl. dazu die zutreffende Berufungserwiderung der Beteiligte zu 1., S. 12 vorletzter Absatz). In seiner Replik vom 15. September 2015 (S. 9) räumt er ausdrücklich (allerdings in eher allgemeiner Weise) ein, Fehler bei der Behandlung des Patienten S. begangen zu haben, etwa im Hinblick darauf, nicht die Zustimmung des Patienten dafür eingeholt zu haben, seine Verordnungen „mit der Therapie des behandelnden Arztes in B. zu koordinieren“; demnach wusste er, dass der Patient eigentlich in B. therapiert wurde und dort offenbar kein Diazepam erhielt, was er mit seinen Verschreibungen konterkariert hat. Im Übrigen hat er ausgeführt, der Vorwurf der Beteiligten zu 1., „wie ein Dealer gehandelt“ zu haben, sei falsch, weil sich kein Vorsatz seinerseits beweisen lasse, die Verordnung der Medikamente von der Zahlung der Geldbeträge abhängig gemacht zu haben. Mit all diesem Vorbringen kann er keine Zweifel an seiner Schuld begründen.
- 180
II. Der Fall des Patienten SE ist trotz des seitdem verstrichenen Zeitraums weiterhin verfolgbar. Dem stehen nicht die heilberufsgerichtlichen Bestimmungen zur Verjährung entgegen.
- 181
Gemäß § 4 Abs. 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe (i. F.: HeilBG) vom 20. Juni 1972 in der Fassung vom 1. September 2005 verjährt die Verfolgung von Berufsvergehen in fünf Jahren; die Verjährung beginnt gemäß § 4 Abs. 2 HeilBG „mit dem Tage, an dem die Verfehlung begangen worden ist“. Gemäß § 4 Abs. 3 HeilBG ruht die Verjährung „für insgesamt längstens fünf Jahre“ während der Dauer des berufsgerichtlichen Verfahrens, beginnend mit der Stellung des Antrages auf Einleitung des Verfahrens (§ 17), während der Dauer eines strafgerichtlichen oder anderen gerichtlichen Verfahrens (§ 14) sowie während der Dauer eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens.
- 182
1. Der Fall SE wäre demnach für sich allein betrachtet inzwischen nicht mehr verfolgbar, weil dem der Eintritt der Verjährung entgegenstünde. In diesem Fall fand die letzte von der Anschuldigung umfasste Pflichtverletzung des Beschuldigten am 30. Dezember 2003 statt (Ausstellung der 10 bzw. 2 x 5 Rezepte über Codein ct 50 ml). Somit hat er im Sinne des § 4 Abs. 2 HeilBG im Fall SE „die Verfehlung“ am 30. Dezember 2003 begangen, und die Verjährung wäre gemäß § 4 Abs. 1 HeilBG am 30. Dezember 2008 eingetreten. Die Verjährung hat allerdings in jedem Fall gemäß § 4 Abs. 3 HeilBG geruht für eine Dauer von insgesamt längstens fünf Jahren ab Anfang März 2004, als die Staatsanwaltschaft nach der am 1. März 2004 erfolgten Anzeige der Haushälterin Nebelung ihre Ermittlungen aufnahm; „ruhen“ bedeutet in Anlehnung an die Begrifflichkeit des § 78 b StGB, dass der Weiterlauf der Verjährung gehemmt (nicht: unterbrochen) wird (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 78 b Rn. 2). Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten verblieb im Bereich der Staatsanwaltschaft bis zu dem dort am 28. November 2008 beantragten Strafbefehl; ab dann handelte es sich um ein strafgerichtliches Verfahren, wodurch die „insgesamt längstens fünf Jahre“ im März 2009 ausgeschöpft waren und ab dann die Verjährung weiterlief. Die insgesamt 10 Jahre (5 Jahre Verjährung plus 5 Jahre Ruhenszeit) bis zum Eintritt der Verjährung wären am 30. Dezember 2013 abgelaufen, also mehr als ein Jahr vor dem hier angefochtenen Urteil des Berufsgerichts. Die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens am 18. November 2013 hätte nicht etwa zu einem erneuten Ruhen der Verjährung geführt, da wegen derselben Verfehlung die Verjährung durch die in § 4 Abs.3 HeilBG angeführten verschiedenen Verfahrensarten nur „für insgesamt längstens fünf Jahre“ zum Ruhen gebracht werden kann und diese fünf Jahre hier schon durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das sich daran anschließende strafgerichtliche Verfahren verbraucht waren.
- 183
2. Der Fall des Patienten SE ist aber gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der „Einheitlichkeit des Berufsvergehens“ verfolgbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Grundsätzen der „Einheitlichkeit des Dienstvergehens“ im Disziplinarrecht ist dort die Bedeutung der Verjährung deutlich eingeschränkt (a). Diese Grundsätze sind auf das berufsgerichtliche Verfahren zu übertragen (b). Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass der Beschuldigte bei den hier streitgegenständlichen drei Fällen ein einheitliches Berufsvergehen begangen hat, weil zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht (c).
- 184
a) Das Bundesverwaltungsgericht steht beim Disziplinarrecht der Beamten bereits seit über 40 Jahren auf dem Standpunkt, dass es dort nicht darum gehe, Verfehlungen als solche einzeln zu sanktionieren, sondern bei mehreren Verfehlungen das Gesamtverhalten des Beamten zu bewerten und auf dieser Grundlage (sofern er nicht bereits für das Beamtenverhältnis untragbar geworden ist) erzieherisch auf ihn einzuwirken, damit er sich künftig pflichtgemäß verhalte. Der Beamte werde nicht disziplinarisch gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt habe, sondern weil er dadurch Persönlichkeitsmängel offenbare, die eine Pflichtenmahnung oder eine Beendigung des Beamtenstatus für geboten erscheinen ließen. Aus der gebotenen einheitlichen Betrachtungsweise seien nur solche Verfehlungen auszunehmen, die mit den anderen weder in einem äußeren (zeitlichen) noch in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang stünden. Damit verbunden sei eine relativ geringe Bedeutung des Zeitablaufs seit den jeweils begangenen Verfehlungen, in den auch der Verjährungsgedanke „einzubetten“ sei. So hat es ausgeführt (BVerwG, Urt. v. 22.6.1978, I D 46.77, BVerwGE 63, 88, juris Rn. 18):
- 185
„Der auch auf der Vorstellung sühnender oder heilender Kraft des Zeitablaufs beruhende Verjährungsgedanke setzt begrifflich fest umrissene Tatbestände voraus, an denen es im Disziplinarrecht fehlt. Zudem wird ein Beamter bei richtigem Verständnis des Disziplinarrechts nicht dienstlich gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt und dadurch das Erfordernis für einen Ausgleich der gestörten sittlichen Wertordnung begründet hätte, sondern weil er durch die Pflichtverletzung Persönlichkeitsmängel offenbart hat, die ihn für den öffentlichen Dienst untragbar erscheinen oder die eine Erziehungsmaßnahme geboten sein lassen. Gegenstand disziplinarrechtlicher Beurteilung ist mithin nicht eine bestimmte Tat, sondern die durch die Tat offenbar werdende Persönlichkeit des Beamten, orientiert an der Frage, ob und inwieweit er für den öffentlichen Dienst noch tragbar sei. Für den Verlust des disziplinarrechtlichen "Strafanspruchs" kann hiernach nicht der bloße Zeitablauf bestimmend sein, sondern allein das Wissen darum, ob das Verhalten des Beamten in seiner Persönlichkeit wurzelt oder nur als ein wesensfremdes Versagen zu werten sei. Der Zeitablauf dient in diesem Zusammenhang nur als Beweisanzeichen dafür, ob ein bestimmtes Missverhalten ein von der Täterpersönlichkeit weitgehend unabhängiges, dieser vielmehr wesensfremdes, situationsbedingtes, einmaliges Versagen darstellt. Diese Einbettung des Verjährungsgedankens in das das Disziplinarrecht beherrschende Prinzip von der Einheit des Dienstvergehens führt dazu, dass auch lange zurückliegende Pflichtverletzungen, die für sich alleine betrachtet die in § 4 BDO aufgezählten Disziplinarmaßnahmen wegen Zeitablaufs nicht gerechtfertigt hätten, erneut in die disziplinare Betrachtung einbezogen werden können und müssen, wenn weitere Pflichtverletzungen hinzutreten, die für sich allein oder zusammen mit den älteren eine nicht der "Verjährung" unterliegende Disziplinarmaßnahme notwendig machen. Die spätere Wiederholung ähnlicher Pflichtverletzungen zeigt nämlich, dass die an die ursprüngliche Nichtverfolgung geknüpfte Vorstellung, es handele sich um persönlichkeitsfremdes Missverhalten, nicht gerechtfertigt war, das Verhalten vielmehr doch in der Persönlichkeit des Beamten wurzelte. Folgerichtig sind aus der einheitlichen Betrachtungsweise nur solche Pflichtverletzungen auszuscheiden, die mit den übrigen, später hinzugetretenen in keinem inneren oder äußeren Zusammenhang stehen.“
- 186
Die Rechtsfigur der Einheitlichkeit des Dienstvergehens führt demnach dazu, dass auch solche Verfehlungen mit zu berücksichtigen und in die Maßnahmenbemessung einzubeziehen sind, die für sich genommen eigentlich bereits verjährt waren. Anders als im Strafrecht wirkt eine disziplinarrechtliche „Verjährung“ somit nicht absolut und endgültig, sondern sie steht unter dem Vorbehalt, dass der Beamte nicht später erneut Verfehlungen begeht, die mit der früheren Verfehlung in einem inneren oder äußeren Zusammenhang stehen. Denn geschieht Letzteres, so verliert der Zeitablauf seit der früheren Verfehlung seine Qualität als „Beweiszeichen“ dafür, dass die frühere Verfehlung sich als wesensfremdes Versagen des Beamten darstellt, und es zeigt sich, dass diese frühere Verfehlung eben doch wesenstypisch war und daher bei der Bemessung der „Erziehungsmaßnahme“ zu berücksichtigen ist (sofern der Beamte denn überhaupt noch „erzogen“ werden kann). Zugleich führt dies dazu, dass für das gesamte einheitliche Dienstvergehen ab der zeitlich letzten Pflichtverletzung eine neue (dem Gewicht dieser Verfehlung entsprechende) Verjährungsfrist zu laufen beginnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1988, 1 D 70.87, DokBer B 1989, 21, juris Rn. 76).
- 187
Der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die „Einbettung“ des Verjährungsgedankens in den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens und die damit verbundene Relativität der Bedeutung des Zeitablaufs nach Verfehlungen bis zuletzt betont (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 14.11.2007, 1 D 6.06, NVwZ 2008, 1375, juris Rn. 58). Der mittlerweile seit der Ablösung der früheren Disziplinarordnung (BDO) durch das Bundesdisziplinargesetz (BDG) für die nach diesem Gesetz geführten Disziplinarverfahren zuständige 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich speziell dazu bisher nicht ausdrücklich positioniert; den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens an sich hat aber auch der 2. Senat immer wieder hervorgehoben (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 11.2.2014, 2 B 37.12, juris Rn. 17). Im neueren Schrifttum hält man diese Grundsätze auch unter Geltung von § 15 BDG („Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs“) für einschlägig (vgl. Hermann in: Hermann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, 2014, Rn. 348 ff.).
- 188
Bei mehreren Tatkomplexen, die sich über einige Jahre verteilen und teilweise bei isolierter Betrachtung bereits verjährt wären, ist der innere Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Wirken sich bestimmte Charakterschwächen oder Pflichtvergessenheiten des Beamten wiederholt in Gestalt von Dienstvergehen aus, die auch teilweise dienstlich und teilweise außerdienstlich begangen worden sein mögen, so bilden sie wegen des „inneren“ Zusammenhangs eine disziplinarrechtlich eine Einheit. So hat das Bundesverwaltungsgericht etwa ein einheitliches Dienstvergehen angenommen bei einem Beamten, der einerseits in einer Vielzahl von Fällen dem Dienst unerlaubt ferngeblieben war und der andererseits außerdienstlich als Fahrer eines PKW im Zustande alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit den Tod eines Schülers verursacht hatte, weil bei allen Verfehlungen (also auch dem unerlaubten Fernbleiben) der unkontrollierte Alkoholkonsum eine wesentliche Rolle beim Verhalten des Beamten gespielt habe (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.4.1981, 1 D 7.80, BVerwGE 73, 166, juris Rn. 14). Einen inneren Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls angenommen im Fall eines Beamten (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.2004, 1 D 18.03, NVwZ-RR 2006, 45, juris Rn. 42 – 44), der wegen langjähriger unerlaubter Nebentätigkeit als Versicherungsmakler über Jahre hin seine Mittagspausen mehrmals pro Woche deutlich überzog und der dann auch noch verurteilt wurde wegen Steuerhinterziehung in vier aufeinander folgenden Jahren, weil er die durch die nicht genehmigte Nebentätigkeit erzielten Einkünfte nicht steuerlich deklariert hatte; all diese Dienstvergehen hingen letztlich mit der nicht genehmigten Nebentätigkeit des Beamten zusammen.
- 189
b) Der disziplinarrechtliche Grundsatz der „Einheit des Dienstvergehens“ gilt im berufsgerichtlichen Verfahren entsprechend als „Einheit des Berufsvergehens“.
- 190
aa) Bei der Heilberufsgerichtsbarkeit handelt es sich gleichsam um die Disziplinargerichtsbarkeit für die Heilberufe. Das HeilBG trägt dem dadurch Rechnung, dass es in § 13 ergänzend auf die Bestimmungen des hamburgischen Disziplinarrechts verweist (soweit nicht die Eigenart des berufsgerichtlichen Verfahrens entgegensteht). Darin ist zugleich eine Inkorporierung des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens, entsprechend bezeichnet als Einheit des Berufsvergehens (vgl. „VG Münster“, gemeint ist wohl das Berufsgericht beim VG Münster, Urt. v. 4.2.2015, 17 K 840/11.T, juris Rn. 20, zum Thema Verjährung; Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschl. v. 10.2.2014, 13 E 494/12.T, juris Rn. 23; Urt. v. 7.11.2007, 6t A 3788/05.T, juris Rn. 57; Landesberufsgericht für die Heilberufe München, Urt. v. 20.11.2000, LBG-Ä 10/00, juris Rn. 27; Landesberufsgericht für die Heilberufe Koblenz, Urt. v. 12.5.1993, LBGH A 10094/93, juris Rn. 32, zur Verjährung).
- 191
Der Hamburgische Berufsgerichtshof für die Heilberufe hat bereits bisher angenommen, dass im berufsgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der Einheit des Berufsvergehens gilt, und dabei die Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Disziplinarrecht für die Prüfung des inneren und äußeren Zusammenhangs der einzelnen Pflichtverletzungen übernommen (vgl. Hmb. Berufsgerichtshof für die Heilberufe, Urt. v. 3.1.2006, 6 Bf 82/05, UA S. 7 f., n. v.). Daran hält er fest. Die Verweisung in § 13 HeilBG auf das Disziplinarrecht, „soweit nicht die Eigenart des berufsgerichtlichen Verfahrens entgegensteht“, spricht dafür, auch von einem Grundsatz der Einheit des Berufsvergehens auszugehen. Das HeilBG enthält keine Bestimmung, die dem entgegenstünde. Es handelt sich insoweit nicht um eine Frage, die vom HeilBG gegenüber dem HmbDG spezieller geregelt würde, wie der Berufsgerichtshof dies etwa in seinem Urteil vom 18. Juni 2014 (6 Bf 292/13.HBG, juris Rn. 27) unter Bezugnahme auf § 26 Abs. 3 HeilBG hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit einer auf die Maßnahmenbemessung beschränkten Berufung angenommen hat.
- 192
bb) Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Bestimmung über die Verfolgungsverjährung in § 4 HeilBG. Sie enthält zwar eine relativ großzügige Verjährungsregelung, die in Absatz 3 eine vergleichsweise geringe Einschränkung durch die dortige (auf „insgesamt längstens fünf Jahre“ begrenzte) Ruhensregelung erfährt. Das spricht aber nicht dagegen, vom Grundsatz der Einheit des Berufsvergehens und einer darin liegenden „Einbettung des Verjährungsgedankens“ auszugehen, wie das Bundesverwaltungsgericht dies für den Bereich des Beamten-Disziplinarrechts annimmt (s. o.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch die Disziplinargesetze schon immer Regelungen über Verfolgungsverbote wegen Zeitablaufs enthalten haben (vgl. nunmehr die ausgesprochen differenzierte Bestimmung des § 15 BDG), die für sich genommen (ohne Kenntnis von der Rechtsfigur der Einheit des Dienstvergehens) den Eindruck vermitteln, als ob ein Beamter in den dort geregelten Fällen nach einem bestimmten Zeitablauf seit der „Tatbegehung“ vor Verfolgung absolut sicher wäre, während dies in der Rechtswirklichkeit wegen des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens und der diesbezüglichen „Einbettung“ der Verjährung nur begrenzt der Fall ist. Auch der Wortlaut von § 4 Abs. 2 HeilBG steht insoweit nicht entgegen. Als „Tag, an dem die Verfehlung begangen worden ist“, ist nach den Maßstäben der Einheitlichkeit des Dienst- bzw. des Berufsvergehens der Tag zu verstehen, an dem der Betreffende die letzte der insgesamt zu berücksichtigenden Verfehlungen begangen hat. Dies hat zur Folge, dass (im Rahmen der Einheitlichkeit des Berufsvergehens) mit jeder neuen Verfehlung eine neue Verjährungsfrist zu laufen beginnt, die an die Stelle der durch frühere Verfehlungen ausgelösten Verjährungsfrist tritt und diese früheren Verfehlungen mit umfasst.
- 193
c) Der Fall SE steht im inneren Zusammenhang mit den Fällen G. und S. . In all diesen Fällen hat sich dieselbe oder eine zumindest vergleichbare Persönlichkeitsschwäche und Pflichtvergessenheit des Beschuldigten in ähnlicher Weise ausgewirkt.
- 194
Im Fall SE hat der Beschuldigte das Wohl des Patienten beeinträchtigt, indem er diesem ärztlich gar nicht indizierte Medikamente mit hohem Abhängigkeitspotenzial in hohen Dosen (Codein) bzw. möglicherweise indizierte Medikamente (Adumbran forte), diese aber in viel zu hohen Dosen verordnet und er zudem durch die Art und Weise der Verordnung deren missbräuchlicher Anwendung durch den Patienten Vorschub geleistet hat; zudem hat er die Verordnungen nicht vollständig dokumentiert.
- 195
Im Fall G. hat der Beschuldigte das Wohl des Patienten beeinträchtigt, indem er ihm ein dem Grunde nach indiziertes Substitutions-Medikament (Suboxone/Subutex) ohne nachvollziehbare Gründe in extrem hohen Dosen verschrieben und zugleich weitere Medikamente mit Abhängigkeitspotential (Opiate) verordnet hat, die gerade den Substitutionsbedarf ausgelöst hatten.
- 196
Im Fall S. hat der Beschuldigte dem Patienten ein Medikament von zweifelhafter Indikation (Diazepam zur Behandlung von Schlafstörungen) mit hohem Abhängigkeitspotenzial in viel zu großer Menge, in zu großen Packungsgrößen (N3) und für einen viel zu langen Zeitraum verordnet; damit hat er das Wohl des Patienten beeinträchtigt und der missbräuchlichen Anwendung der Verschreibungen durch den Patienten Vorschub geleistet. Zudem hat er (auch) in diesem Fall keine vollständige bzw. uneingeschränkt zutreffende Dokumentation vorgelegt.
- 197
Damit hat sich in allen drei Fällen die Neigung des Beschuldigten ausgewirkt, das Wohl des Patienten zu beeinträchtigen, indem er nicht indizierte Medikamente bzw. Medikamente mit vielleicht oder zweifelhaft gegebener Indikation in viel zu hoher Dosis verordnete und damit eine Medikamentenabhängigkeit der Patienten unterhielt, förderte oder sogar verursachte. Dies genügt nach den vom Bundesverwaltungsgericht im Disziplinarrecht geformten Maßstäben ohne weiteres für die Annahme eines inneren Zusammenhangs zwischen diesen Fällen.
- 198
Die insoweit von dem Beschuldigten vorgetragenen Argumente greifen nicht durch. Sie verhalten sich gar nicht zum Fall S. , der mindestens ebenso große Ähnlichkeiten mit dem Fall SE aufweist wie der Fall G. und der bereits für sich genommen zur Aufnahme des Falls SE in das einheitliche Berufsvergehen genügt. Aber auch die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Argumente zum Fall G. im Vergleich zum Fall SE sind unzutreffend. Für die Annahme des inneren Zusammenhanges ist es unerheblich, dass diese beiden Patienten sehr unterschiedliche Lebensläufe aufwiesen, ihre jeweiligen Abhängigkeiten unterschiedliche Ursachen hatten, sie nicht unter genau denselben Abhängigkeiten litten und dementsprechend auch nicht dieselben Behandlungen und Medikationen indiziert waren. Es genügt in diesem Zusammenhang, wie oben ausgeführt, dass der Beschuldigte bei diesen Patienten durch massiv überhöhte Dosierungen von Medikamenten mit Abhängigkeitspotential die jeweiligen Abhängigkeiten der Patienten gefördert bzw. verursacht hat.
- 199
d) Folglich ist mit dem Ende der Behandlung des Patienten S. (19.4.2012) auch eine neue fünfjährige Verjährungsfrist angelaufen (§ 4 Abs. 1 und 2 HeilBG), die das gesamte einheitliche Berufsvergehen einbezieht.
- 200
Diese Frist ist wiederum gemäß § 4 Abs. 3 HeilBG (für längstens 5 Jahre) zum Ruhen gelangt durch die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens am 18. November 2013. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 4 Abs. 3 HeilBG bereits die Verjährung der Verfolgung im Fall SE durch die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen im März 2004 und die Beantragung des Strafbefehls im Dezember 2008 zum Ruhen gelangt war, und in dieser Bestimmung von einem „insgesamt längstens fünf Jahre“ dauernden Ruhen der Verjährung die Rede ist: Dies hat nicht etwa dazu geführt, dass das Ruhen „verbraucht“ wäre und dass die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens kein erneutes Ruhen der Verjährung mehr hätte bewirken können. Wird mit jeder neuen Verfehlung eine neue, das gesamte einheitliche Berufsvergehen betreffende Verjährungsfrist ausgelöst, so muss auch die Ruhensbestimmung des § 4 Abs. 3 HeilBG jeweils neu zur Anwendung gelangen. Es wäre inkonsequent, im Hinblick auf eine neu ausgelöste Verjährungsfrist kein Ruhen durch – neue – Verfahrensakte im Sinne des § 4 Abs. 3 HeilBG mehr zulassen zu wollen, weil eine durch eine frühere Verfehlung ausgelöste (nunmehr überholte) Verjährungsfrist bereits durch einen (anderen) Verfahrensakt im Sinne des § 4 Abs. 3 HeilBG geruht hatte. Vielmehr kann sich das Ruhen einer Verjährung immer nur auf eine durch eine bestimmte Verfehlung ausgelöste Verjährungsfrist beziehen. Ist eine früher ausgelöste Verjährungsfrist durch eine neue Verfehlung mit neuer Verjährungsfrist überholt, so haben bezüglich der alten Verjährungsfrist eingetretene Ruhensphasen ebenso ihre Bedeutung verloren wie diese Verjährungsfrist selbst. Dem entspricht es, dass die durch den neuen Akt des einheitlichen Dienst-/Berufsvergehens ausgelöste Verjährungsfrist sogar solche früheren Akte mit umfasst, die für sich genommen bereits verjährt gewesen waren.
- 201
IV. Der Verfolgbarkeit des vorliegenden einheitlichen Berufsvergehens steht nicht das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Gebot einer Entscheidung innerhalb angemessener Frist entgegen. Zwar ist diese Bestimmung - entgegen der Auffassung des Berufsgerichts - auch im berufsgerichtlichen Verfahren anzuwenden (1.). Die seit den vom Beschuldigten im Fall SE begangenen Verfehlungen bis zum Erlass des vorliegenden Urteils verstrichene Zeit und die Verfahrensführung durch die Beteiligte zu 1. bzw. durch das Berufsgericht und den Berufsgerichtshof führen jedoch nicht zu einer Verletzung des aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Gebots der Entscheidung innerhalb angemessener Frist (2.).
- 202
1. Es handelt sich bei einem berufsgerichtlichen Verfahren um eine „Streitigkeit in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK.
- 203
a) Der Anwendungsbereich dieser Tatbestandsvariante ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), welcher der Berufsgerichtshof insoweit folgt, sehr weit zu fassen. So fallen nach dessen neuerer Rechtsprechung seit seinem Urteil vom 19. April 2007 (vgl. EGMR, Urt. v. 19.4.2007, 63235/00, Eskelinen gegen Finnland, NJOZ 2008, 1188, Rn. 62 f.) auch beamtenrechtliche Streitigkeiten darunter, und zwar unabhängig davon, ob der Beamte funktionell im Kernbereich hoheitlichen Handelns tätig oder seine Funktion mit der eines Angestellten vergleichbar ist. Dies gilt (in Anlehnung an arbeitsrechtliche Streitigkeiten, bei denen die Einordnung als „zivilrechtlich“ ohnehin unzweifelhaft ist) namentlich für Streitigkeiten über Gehalt, Zulagen oder ähnliche Rechte; bei anderen Streitigkeiten spricht eine Vermutung für die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Diese Vermutung kann der betreffende Staat nur widerlegen, in dem er darlegt, dass die betreffende Streitigkeit für den Angehörigen des öffentlichen Dienstes nach dem innerstaatlichen Recht nicht justiziabel ist und es für den Ausschluss der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK ausnahmsweise tragfähige Gründe gibt, weil sich der Gegenstand des Streits auf die Ausübung von staatlicher Gewalt bezieht oder das Vertrauensverhältnis gefährdet (EGMR. Urt. v. 19.4.2007, a. a. O.). In dem betreffenden Urteil hat der EGMR diese Kriterien auf die folgende (schlichte) Weise angewendet: „Im vorliegenden Fall hatten die Bf. unstreitig nach finnischem Recht Zugang zu einem Gericht. Also ist Art. 6 Abs. 1 EMRK anwendbar.“ (a. a. O., Rn. 63). Damit hat der EGMR von seiner früheren, im Bereich der beamtenrechtlichen Streitigkeiten restriktiveren Rechtsprechung (vgl. etwa EGMR, Entscheidung vom 9.2.2006, ZBR 2007, 409, 410; Urt. v. 8.12.1999, 28541/95, Pellegrin gegen Frankreich, NVwZ 2000, 661) Abstand genommen.
- 204
Daran anknüpfend hat der EGMR den Anwendungsbereich der „zivilrechtlichen“ Streitigkeiten im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf beamtenrechtliche Disziplinarverfahren ausgedehnt (vgl. EGMR, Urt. v. 16.7.2009, 8453/04, NVwZ 2010, 1015, juris Rn. 37 ff.). Er hat auch insoweit (in dem Fall einer auf die Entfernung aus dem Dienst gerichteten, vom hessischen Dienstherrn erhobenen Disziplinarklage) entscheidend darauf abgestellt, dass das innerstaatliche (hier: deutsche) Recht dem Beschwerdeführer das Recht gibt, „die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vor zwei verwaltungsgerichtlichen Instanzen anzufechten“, und dann gefolgert: „Daraus folgt, dass Artikel 6 in seiner zivilrechtlichen Bedeutung für das folgende Verfahren anwendbar ist“. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist wiederum das Bundesverfassungsgericht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen getretenen, das bis dahin davon abgesehen hatte, Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren anzuwenden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.10.2011, 2 BvR 754/10, juris Rn. 17).
- 205
Der EGMR hatte im Übrigen den Bereich der „zivilrechtlichen Streitigkeiten“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK schon in früheren Zeiten auf verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten von Ärzten gegen Gesundheitsbehörden wegen Widerrufs der Approbation erweitert (vgl. EGMR, Urt. v. 28.6.1978, EuGRZ 1978, 406, 416, Rn. 93 ff., König gegen Deutschland). Zur Begründung hatte er ausgeführt, der Beruf des Arztes sei in Deutschland ein freier Beruf, auch ein Kassenarzt sei kein Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Die Verantwortung, die der Arzt gegenüber der Allgemeinheit habe, ändere nichts am privaten Charakter seiner Tätigkeit. Der Umstand, dass der Widerruf der ärztlichen Approbation ein Verwaltungsakt sei und von deutschen Behörden in Ausübung hoheitlicher Gewalt verfügt werde, sei demgegenüber von geringer Bedeutung. Da somit die von dem Approbationswiderruf berührten Rechte privatrechtlicher Natur seien, betreffe das dagegen gerichtete verwaltungsgerichtliche Verfahren „zivilrechtliche Ansprüche“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK.
- 206
b) Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EGMR hat der Berufsgerichtshof keine Zweifel an der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf berufsgerichtliche Verfahren wie das Vorliegende in dem Sinne, dass dieses „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ betrifft (vgl. auch: Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 6 Rn. 17). Es geht hier um die Ausübung des Arztberufs, der als solcher privatrechtlicher Natur ist (vgl. EGMR, Urt. v. 28.6.1978, a. a. O., Rn. 93). Diese Ausübung eines privaten Rechts durch den Beschuldigten soll durch berufsgerichtliche Sanktionen (Bußgeld und Feststellung der Berufsunwürdigkeit) „erzieherisch“ beeinflusst werden, und das Verfahren soll mittelbar den Weg für den Widerruf der Approbation bereiten. Die Feststellung der Berufsunwürdigkeit hätte zudem den Verlust des aktiven und passiven Berufswahlrechts des Beschuldigten für mindestens fünf Jahre zur Folge (§ 3 Abs. 5 HeilBG). Das sind Sanktionen, die ohne Weiteres mit solchen im Beamtendisziplinarrecht vergleichbar sind, dessen Verfahren nach der neueren Rechtsprechung des EGMR ebenfalls den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK unterfallen. Im Übrigen dürfte es nach der oben dargestellten neueren Rechtsprechung des EGMR bereits maßgeblich sein, dass das hamburgische (also staatliche) Recht für die Entscheidung über heilberufsgerichtliche Sanktionen ein förmliches, bei staatlichen, organisatorisch den Verwaltungsgerichten angegliederten Gerichten durchzuführendes Gerichtsverfahren vorsieht, das sich an den Regelungen des HmbDG und der VwGO orientiert. Damit sichert die staatliche Rechtsordnung das Recht des betroffenen Arztes auf ein Gericht zu; „daraus folgt, dass Artikel 6 in seiner zivilrechtlichen Bedeutung für das folgende Verfahren anwendbar ist“ (vgl. EGMR, Urt. v. 16.7.2009, a. a. O., Rn. 39).
- 207
2. Das vorliegende berufsgerichtliche Verfahren leidet aber nicht unter einer unangemessen langen Dauer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK.
- 208
a) Das eigentliche Verfahren hat begonnen mit der Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Berufsgericht am 18. November 2013 (§ 17 HeilBG).
- 209
Das unter dem Blickwinkel des Art. 6 Abs. 1 EMRK mit einzubeziehende Vorverfahren (§ 16 HeilBG) hatte die folgenden zeitlichen Abläufe: Im Fall SE erfuhr die Beteiligte zu 1. im November 2008 von dem seitens der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl und im März 2012 von der endgültigen Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 a StPO. Daraufhin forderte sie bei der Staatsanwaltschaft mehrfach die Akten an, die sie schließlich im September 2012 erhielt. Am 15. Oktober 2012 beschloss der Kammervorstand die Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen. Von dem Fall G. erfuhr die Beteiligte zu 1. durch das Hinweisschreiben des Amtsgerichts P. vom 26. August 2011, dem die Gutachten von Dr. BR. vom 7. April 2011 und von M. vom 24. August 2011 beigefügt waren. Am 12. Dezember 2011 beschloss der Vorstand (nachdem der Beschuldigte auf mehrere Aufforderungen zur Stellungnahme nicht reagiert hatte) die Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen. Von dem Fall S. erfuhr die Beteiligte zu 1. durch den Eingang der anonymen Beschwerde am 14. Mai 2012. Sie forderte umgehend bei dem Beschuldigten die Patientendokumentation an. Nach deren Erhalt und weiterem Schriftwechsel mit dem Beschuldigten beschloss der Vorstand am 20. August 2012 die Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen. Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 teilte die Beteiligte zu 1. dem Beschuldigten die Einleitung der Vorermittlungen mit und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme, die dessen damaliger Bevollmächtigter nach mehrfacher Fristverlängerung mit Schreiben vom 17. Mai 2013 und 12. September 2013 wahrnahm. Am 19. August 2013 beschloss der Vorstand, die Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens in den vier Fällen zu beantragen.
- 210
Insbesondere angesichts der Komplexität der Fälle hat die Beteiligte zu 1. das Verfahren relativ zügig betrieben; dort ist keine zögerliche Bearbeitung erkennbar. Der Zeitraum von der Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen im Fall G. (insoweit erging der erste aller Vorstandsbeschlüsse am 12.12.2011) bis zur Berufungsverhandlung im April 2017 beträgt gut fünf Jahre. Auch dies erreicht längst nicht die Dimension anderer Fälle, in denen der EGMR - unter zusätzlicher Berücksichtigung längerer Phasen behördlicher Untätigkeit – eine unangemessene Verfahrensdauer angenommen hat (zu einem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren vgl. EGMR, Urt. v. 16.7.2009, 8453/04, a. a. O., Rn. 49 ff.: insgesamt gut dreizehn Jahre bis zur Berufungsentscheidung, bei mehrjähriger nicht nachvollziehbarer Untätigkeit der disziplinarrechtlichen Ermittlungsbehörde). Im Fall G. ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 1. zunächst wegen der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Beschuldigten bis zur Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft im September 2012 die Ermittlungen nicht fortführen durfte (§ 16 Abs. 3 HeilBG).
- 211
Auch die Dauer des Verfahrens vor dem Berufsgericht und dem Berufsgerichtshof ist noch nicht unangemessen lang (knapp dreieinhalb Jahre für zwei Tatsacheninstanzen in einem sehr komplexen Fall).
- 212
b) Die Dauer des strafrechtlichen Ermittlungs- bzw. des strafgerichtlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten im Fall SE (März 2004 bis März 2012), dessen Erkenntnisse erst die später im Oktober 2012 erfolgte Einleitung berufsgerichtlicher Vorermittlungen durch die Beteiligte zu 1. veranlasst haben, ist dem vorliegenden berufsgerichtlichen Verfahren nicht als eigene Verfahrensdauer zuzurechnen. Es handelt sich dabei um zwei selbständige Verfahren mit grundlegend unterschiedlichen Verfahrenszielen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.12.2007, 1 BvR 2536/07, juris Rn. 12 f.). Dem entspricht es, dass der EGMR auch die Dauer der Aussetzung eines Disziplinarverfahrens wegen eines sich auf denselben Sachverhalt beziehenden Strafverfahrens als angemessenen Teil des disziplinarrechtlichen Verfahrensverlaufs bewertet hat (vgl. EGMR, Urt. v. 16.7.2009, a. a. O., Rn. 53: dort wird die jahrelange Untätigkeit der Behörde nach Abschluss des Strafverfahrens beanstandet). Der Beteiligten zu 1. ist auch nicht etwa vorzuhalten, dass sie im Fall SE frühzeitiger selbst hätte ermitteln sollen. Als sie im November 2008 von dem Fall durch den von der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht … gegen den Beschuldigten beantragten Strafbefehl erfuhr, war sie gemäß § 16 Abs. 3 HeilBG an der Einleitung eigener Vorermittlungen gehindert; dieser Zustand dauerte an bis zur Einstellung des Strafverfahrens Anfang März 2012.
- 213
V. Der Berufsgerichtshof verhängt gegen den Beschuldigten die Maßnahmen der (höchstmöglichen) Geldbuße, des Verweises und der Entziehung des aktiven und passiven Berufswahlrechts für die Dauer von fünf Jahren ab Verkündung des vorliegenden Urteils; er gelangt jedoch nicht dazu, die Berufsunwürdigkeit des Beschuldigten festzustellen.
- 214
1. Die bei der Verhängung der Maßnahmen anzulegenden Maßstäbe ergeben sich nicht unmittelbar aus dem HeilBG, das insoweit keine Regelungen enthält. Der Berufsgerichtshof zieht daher gemäß § 13 Satz 2 HeilBG ergänzend den Katalog in § 11 Abs. 1 HmbDG bzw. einzelne dort genannte Kriterien heran. Als Kriterium übertragbar ist etwa das Maß der Pflichtwidrigkeit und der Grad des Verschuldens (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 HmbDG). Das Kriterium in der dortigen Nr. 2 (das Ausmaß des Vertrauensschadens und des außerdienstlichen Ansehensverlustes) lässt sich dahin entsprechend anwenden, dass auch auf das Ausmaß der Beeinträchtigung des gesundheitlichen Wohls der Patienten bzw. auf das Ausmaß gesundheitlicher Schäden (im Extremfall bis zur Todesfolge) bzw. auf das Ausmaß anderer Schäden abzustellen ist.
- 215
Für die Prüfung der Feststellung der Berufsunwürdigkeit zieht der Berufsgerichtshof, wie noch näher auszuführen sein wird, die von der Rechtsprechung zum Widerruf der Approbation wegen berufsunwürdigen Verhaltens (§ 5 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO) entwickelten Maßstäbe heran.
- 216
2. Zur Einstufung der drei Fälle je nach dem Maß der Pflichtwidrigkeit, dem Grad des Verschuldens und dem Ausmaß des gesundheitlichen Schadens bei den Patienten bzw. anderer Schäden, ist folgendes festzuhalten:
- 217
a) Das Berufsvergehen des Beschuldigten im Fall SE ist in all den genannten Hinsichten als schwerwiegend einzuschätzen. Sowohl die Pflichtwidrigkeiten als solche (vor allem die Verstöße gegen § 2 Abs. 2 und 3 sowie gegen § 34 Abs. 4 BO 2000) als auch der Grad des Verschuldens sind erheblich; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Die Aufrechterhaltung bzw. Förderung bzw. (beim Codein) sogar Verursachung der Abhängigkeiten des Patienten von den Wirkstoffen Oxazepam, Codein und Chloraldurat, ohne dass es „dadurch“ gelungen wäre, die Alkoholkrankheit des Patienten in den Griff zu bekommen, hat das gesundheitliche Wohl des Patienten stark beeinträchtigt, wie sich nicht zuletzt aus seinen wiederholten Klinikaufenthalten, die einige Male wegen Missbrauchs der genannten Wirkstoffe veranlasst waren, ergibt. Auch zum Zeitpunkt seines Todes Ende 2003 / Anfang 2004, in dem seine BAK 1,9 ‰ betrug, fand sich laut dem Ergebnis der chemisch-toxikologischen Untersuchung im Venenblut, im Kleinhirngewebe und in den Haaren Codein.
- 218
b) Das Berufsvergehen des Beschuldigten im Fall G. ist als weniger schwerwiegend einzustufen.
- 219
Das Maß der Pflichtwidrigkeit (Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Medikation, begrenztes Vorschubleisten für eine missbräuchliche Anwendung der Verschreibungen) ist zwar nicht geringfügig, aber längst nicht so gravierend wie im Fall SE. Die nicht nachvollziehbare Steigerung der Dosis beim Substitutionswirkstoff Buprenorphin ist kritikwürdig, erscheint angesichts der besonderen Schwierigkeiten dieses Falles (Doppelabhängigkeit des Patienten von Benzodiazepin und Opiaten, bei gleichzeitiger schwerer psychischer Erkrankung) aber als nicht schon vom Ansatz her kontraproduktiv, wobei laut dem Gutachten der Rechtsmedizin vom 23. Juli 2012 (S. 6) Dosierungen bis zu 16 mg pro Tag „typisch“ sind, bei einem Maximum von 24 mg pro Tag. Die ebenfalls kritikwürdige Verschreibung von Opiaten (u. a. Tramadol, dessen Abhängigkeit des Patienten gerade den Substitutionsbedarf ausgelöst hatte) ist in dem hier zu beurteilenden etwa dreijährigen Zeitraum quantitativ nicht allzu sehr ins Gewicht gefallen. So gab es fünf Verordnungen von Tramadol 150 mg (1 x 20 St., 4 x 50 St., empfohlene Dosis max. 2 St. täglich) im Zeitraum 9. Januar bis 7. Juli 2009, fünf Verordnungen von Talvolsilen forte (je 100 St., maximale Tagesdosis 4 Zäpfchen) in der Zeit vom 23. November 2009 und dem 4. April 2011 sowie eine Verordnung für Oxycodon 10 mg am 8. Juni 2010 (50 St., Anfangsdosis für nicht-opoid gewöhnte Patienten: 1 Tablette für ca. 12 Stunden). Die ebenfalls kritikwürdige Verschreibung von Stimulansmitteln (sieben Mal Vigil im Zeitraum vom 11.7.2011 bis 16.1.2012), die wohl die sedierende Wirkung der überhöhten Buprenorphin-Dosis kompensieren sollte, betrifft ebenfalls nur einen begrenzten Abschnitt des hier zu beurteilenden Zeitraums; es hat den Anwendungshinweisen nach (vgl. etwa http://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Modafinil) kein spezifisches Abhängigkeits-potenzial.
- 220
Der Grad des Verschuldens ist, wie bereits ausgeführt, in diesem Fall vermindert durch die außergewöhnliche Schwierigkeit der Behandlung dieses Patienten (vgl. das Gutachten der Rechtsmedizin vom 23.7.2012, S. 7: „sehr schwierige Ausgangssituation“).
- 221
Der ggf. bei dem Patienten angerichtete Schaden ist schwer zu bestimmen. Für eine nachhaltige Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch die kritikwürdigen Verschreibungen ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte. Es scheint über das Jahr 2013 hinaus keine Buprenorphin-Abhängigkeit auf dem hohen Niveau von 24 mg pro Tag entstanden zu sein: Der Beschuldigte trägt (insoweit ohne Widerspruch seitens der Beteiligten zu 1.) vor, er habe die Dosis in der Zeit von Mai 2013 bis April 2014 von 24 mg auf 16 mg täglich reduziert (Berufungsbegründung vom 8.6.2015, S. 18, und Stellungnahme Dr. U. vom 1.6.2015, S. 2 oben). Laut dem im Rahmen der Vorermittlungen vom Beschuldigten bei der Beteiligte zu 1. eingereichten Medikamentenplan vom 18. Juli 2013 (…….) betrug die täglich Subutex-Dosis zu jenem Zeitpunkt 18 mg (morgens 2 mg, mittags und abends je 8 mg).
- 222
c) Das vom Beschuldigten im Fall S. begangene Berufsvergehen wiegt ebenfalls nicht so schwer wie im Fall SE , aber doch schwerer als im Fall G. .
- 223
Das Maß der Pflichtwidrigkeit ist gekennzeichnet durch den Verstoß gegen drei Berufspflichten (s. o.), wobei der Beschuldigte anders als im Fall G. auch den Tatbestand des „Vorschubleistens“ (§ 34 Abs. 4 BO 2000) verwirklicht hat. Die verglichen mit den Empfehlungen in den Anwendungshinweisen deutlich überhöhte Dauer der Anwendung bei zugleich ebenfalls deutlich überhöhter Menge des Wirkstoffs begründet insbesondere angesichts dessen schon nach relativ kurzer Anwendungsdauer bestehenden Abhängigkeitspotenzials ein erhöhtes Maß an Pflichtwidrigkeit. Außerdem hat er mit den sog. „Honoraren“ für die Rezeptausstellung offenbar Schwarzgelder kassiert und damit sein wirtschaftliches Interesse über das Wohl des Patienten gestellt (sowie zusätzlich gegen § 34 Abs. 1 BO 2000 verstoßen).
- 224
Der Grad des Verschuldens ist nicht gering. Anders als der Fall G. war dieser Fall nicht durch besondere Schwierigkeiten gekennzeichnet. Es handelte sich um einen, laut Angaben des Beschuldigten (Berufungsbegründung, S. 19 unten), bereits bei den ersten Kontakten benzodiazepinabhängigen Patienten, der offenbar diesen Wirkstoff bei seinem eigentlich therapierenden Arzt in B. nicht (mehr?) erhielt, und dessen Behandlung er mit seinen Diazepam-Verordnungen (unter Annahme der o. g. Schwarzgelder) konterkariert hat (vgl. den Schriftsatz vom 15.9.2015, S. 9). Die regelmäßige Versendung der Rezepte auf bloße telefonische Anforderung des Patienten bei insgesamt gerade einmal drei persönlichen Untersuchungen in einem Zeitraum von mindestens 15 Monaten in einer insgesamt deutlich überhöhten Menge war sehr leichtfertig und damit unverantwortlich.
- 225
Das Behandlungsverhalten des Beschuldigten dürfte den Patienten gesundheitlich geschädigt haben. Unterstellt man zugunsten des Beschuldigten, dass er die Abhängigkeit des Patienten nicht erzeugt, sondern „nur“ unterhalten oder gefördert hat, so hat er gleichwohl dessen Abhängigkeit verfestigt durch die Verschreibung des Mittels in deutlich überhöhter Menge in einem massiv überlangen Zeitraum, womit er zugleich dem Versuch des Kollegen in Bremen entgegengewirkt haben dürfte, die Schlafstörungen des Patienten ohne Diazepam zu behandeln. Damit hat er die Aussichten verringert, den Patienten von seiner Diazepamabhängigkeit zu heilen.
- 226
3. Der Berufsgerichtshof hält die Verhängung der einleitend (unter „V.“) genannten Maßnahmen für tat- und schuldangemessen.
- 227
a) Eine empfindliche Geldbuße ist angebracht.
- 228
aa) Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 HeilBG kann die Geldbuße bis zu 25.500,- Euro betragen. Für die Festsetzung der konkreten Höhe bietet das HeilBG keinen Maßstab, der somit durch eine etwas weiter greifende Auslegung zu ermitteln ist. Insoweit nimmt der Berufsgerichtshof Bezug auf sein bereits erwähntes Urteil vom 18. Juni 2014 (a. a. O., Rn. 31 f.), in dem Folgendes ausgeführt ist:
- 229
„Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 HeilBG kann eine Geldbuße bis zum Betrag von 25.500 Euro verhängt werden, ohne dass das HeilBG weitere Anhaltspunkte für die mit der Berufung vom Beschuldigten aufgeworfene Frage enthält, ob und in welcher Weise die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten neben der Schwere des Berufsvergehens bei der Bemessung der Höhe der Buße zu berücksichtigen sind. § 3 Abs. 4 HeilBG entspricht insoweit in seiner Struktur - eines bloßen Strafrahmens ohne weitere Konkretisierung zur Bedeutung der Verfehlung, der Schuld und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - weiterhin im Prinzip der Regelung des § 27 Abs. 2 Nr. 1 StGB zur Geldstrafe in der bis Ende 1974 geltenden Fassung. Diese Vorschrift sah bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls keine Differenzierung zwischen der Schwere der Tat und der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Über die notwendige Berücksichtigung beider Elemente bei der Festlegung der Höhe einer Geldstrafe bestand jedoch auch für diese Fassung der Vorschrift Einigkeit (vgl. z.B. Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 15. Aufl. 1970, § 13 Rn. 54, § 27 b Rn. 6; Horn, Das Geldstrafensystem des neuen Allgemeinen Teils des StGB und die Ratenzahlungsbewilligung, NJW 1974, S. 625 ff.). Die seit 1975 im Strafrecht geltende ausdrückliche Differenzierung zwischen der Berücksichtigung der Schwere einer Tat in der Anzahl der Tagessätze und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten bei der Bemessung ihrer Höhe, hat dieses Zusammenspiel nur deutlicher gemacht (vgl. Horn, a. a. O., S. 625 f.).
- 230
Auch die Höhe der möglichen Geldbuße nach § 3 Abs. 4 HeilBG entsprach im Jahre 1965 bei der Schaffung des HeilBG mit damals 10.000 DM (vgl. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 81 v. 18.5.1965, S. 11), jener der im Regelfall höchstzulässigen Geldstrafe nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.. Durch das Änderungsgesetz zur Änderung des Gesetzes über die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe vom 1. Dezember 1987 (HmbGVBl. S. 210) wurde dieser Betrag 1987 auf 50.000 DM erhöht und im Rahmen der Euro-Einführung wertgleich auf 25.500 Euro umgestellt (Gesetz v. 18.7.2001, HmbGVBl. S. 251, 255). Mit dieser Regelung zur Höhe der Geldbuße bleibt die zulässige Buße inzwischen deutlich hinter den vergleichbaren Heilberufsgerichtsgesetzen in den meisten anderen Bundesländern, insbesondere aber auch hinter der zulässigen Höhe einer Geldstrafe im Strafrecht deutlich zurück. Allerdings wäre es verfehlt, eine Geldbuße nach dem HeilBG mit der Verhängung einer Geldstrafe nach dem Strafgesetzbuch gleichzusetzen. Die Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die Berufspflichten hat disziplinarischen Charakter. Gleichzeitig nimmt § 3 HeilBG allerdings seit jeher nicht die gesetzgeberische Wertung zu den Vorschriften über die Verhängung einer Geldbuße nach den Regelungen des hamburgischen Disziplinarrechts auf. Nach § 5 HmbDG darf die Höhe einer Geldbuße einen Monatsbetrag der Dienstbezüge des jeweiligen Beamten nicht übersteigen. Vor dem Hintergrund der Regelungsgeschichte des § 3 HeilBG ist deshalb trotz des Verweises in § 13 HeilBG davon auszugehen, dass der Gesetzgeber des Heilberufsgesetzes die Höhe der Geldbuße nicht auf dem Betrag der durchschnittlichen Monatseinkünfte eines Beschuldigten beschränkt hat. Gänzlich außer Acht darf dies jedoch nicht bleiben. Denn sowohl das Disziplinarrecht wie das Strafrecht gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Umstände des Strafbetroffenen (bereits) bei der Bemessung der Höhe der Leistungspflicht Berücksichtigung finden müssen. Im Disziplinarrecht kommt dies sowohl in der Anknüpfung an die jeweilige konkrete Besoldungshöhe (§ 5 Satz 1 HmbDG) als auch ausdrücklich in § 3 Abs. 5 Satz 2 HmbDG zum Ausdruck. Die Höchstgrenze der Geldbuße in § 3 Abs. 4 Satz 1 HeilBG ist deshalb sowohl in Bezug zu setzen zur möglichen Schwere zu ahndender Berufsvergehen als auch zu dem Umstand, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten in einer Weise zu berücksichtigen sind, die wirtschaftlich durchschnittlich bis gut gestellte Berufsangehörige bei einer Verfehlung wegen der Höhenbegrenzung der Geldbuße nicht typischerweise bevorteilt.“
- 231
bb) Vor diesem Hintergrund gelangt der Berufsgerichtshof zu der Einschätzung, dass dem Beschuldigten die gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 HeilBG höchstmögliche Geldbuße von 25.500,- Euro aufzuerlegen ist.
- 232
Das aus den drei Fällen bestehende einheitliche Berufsvergehen enthält schwerwiegende und weniger schwerwiegende Verfehlungen. Die von dem Beschuldigten begangenen Verfehlungen im Fall SE sind, wie bereits ausgeführt, besonders schwerwiegend, und würden (die Verjährungsfrage ausgeblendet) bereits für sich genommen eine hohe Geldbuße rechtfertigen. Die Verfehlungen im Fall G. sind zwar nicht marginal, aber deutlich weniger gravierend als im Fall SE ; sie würden für sich betrachtet eine Geldbuße im unteren Bereich veranlassen. Die Verfehlungen im Fall S. sind, wie oben ausgeführt, zwar ebenfalls nicht mit denjenigen im Fall SE vergleichbar, aber doch gravierender als im Fall G. ; sie würden für sich betrachtet eine Geldbuße im mittleren Bereich rechtfertigen.
- 233
Bei der Zuordnung der Verfehlungen zu konkreten Geldbeträgen orientiert sich der Berufsgerichtshof im Fall SE an dem (später durch den Einspruch des Beschuldigten und die Einstellung des Strafverfahrens gegenstandslos gewordenen) Strafbefehl des Amtsgerichts .. vom 29. Mai 2009 in Höhe von 70 Tagessätzen. Tat- und schuldangemessen wären nach dem Dafürhalten des Berufsgerichtshofs im Fall G. jedenfalls 25 Tagessätze und im Fall S. jedenfalls 45 Tagessätze. Aus dem kumulierten Wert (140 Tagessätze) würde der Berufsgerichtshof (in gedanklicher Anlehnung an die Regeln bei der Gesamtstrafenbildung im Strafrecht, vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB) eine einheitliche Geldbuße von jedenfalls 130 Tagessätzen bilden.
- 234
Bei der Berechnung der Höhe der Tagessätze geht der Berufsgerichtshof von dem Jahres-Nettoeinkommen (vgl. § 40 Abs. 2 StGB) aus, das der Beschuldigte laut dem seinerseits (mit Schriftsatz vom 14.2.2017) vorgelegten Bescheid des Finanzamts O. vom 1. Juni 2016 für 2014 über Einkommenssteuer und Solidaritätszuschlag erzielt hat; die von dem Beschuldigten in der Berufungsverhandlung überreichten Unterlagen („Vorjahresvergleich Juni 2015“ etc.) sind demgegenüber weniger belastbar und weniger aussagekräftig. Als somit maßgebliches Jahresnettoeinkommen ergibt sich aus diesem Bescheid ein Betrag in Höhe von 74.227,02 Euro (zu versteuerndes Einkommen i. H. v. 119.775 Euro minus 43.231 Euro Einkommenssteuer und 2.316,98 Euro Solidaritätszuschlag), was zu einem monatlichen Nettoeinkommen von 6.185,58 Euro und damit (dividiert durch „30“) zu einem Tagessatz in Höhe von 206,19 Euro führt. Daraus errechnet sich (mal „130“) ein Gesamtstrafenbetrag von 26.804,70 Euro, der gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 HeilBG auf den dort normierten Höchstgeldbußenbetrag von 25.500,- Euro zu begrenzen ist.
- 235
b) Im Gegensatz zum Berufsgericht gelangt der Berufsgerichtshof nicht gemäß § 3 Abs. 1 lit. c) HeilBG zu der Feststellung, dass der Beschuldigte unwürdig ist, den ärztlichen Beruf auszuüben.
- 236
aa) Für die diesbezügliche Maßstabbildung greift der Berufsgerichtshof zurück auf die seitens der Rechtsprechung zur Versagung bzw. Entziehung der Approbation wegen berufsunwürdigen Verhaltens (zum Approbationswiderruf vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO) entwickelten Kriterien, weil insoweit derselbe Begriff verwendet und dieselbe tatbestandliche Voraussetzung aufgestellt wird (so bereits Hmb. Berufsgerichtshof für die Heilberufe, Urt. v. 1.6.1994, HeilBHof 1/93, auszugsweise wörtlich zitiert in: OVG Hamburg, Urt. v. 23.8.2000, 5 Bf 82/97, juris Rn. 19 – 33, maßgeblich hier: Rn. 30). Gründe für einen eigenen berufsgerichtlichen, vom approbationsrechtlichen Terminus abweichenden „Unwürdigkeitsbegriff“ sind weder von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen noch sonst ersichtlich.
- 237
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Maßstäbe für die Prüfung einer Berufsunwürdigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO zuletzt wie folgt zusammengefasst (BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011, NJW 2011, 1830, juris Rn. 4):
- 238
„Der Widerruf der Approbation stellt einen besonders schweren Eingriff in die Berufsfreiheit dar, der nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig ist. Das gilt auch für den Widerruf wegen Unwürdigkeit. Strafzwecke, auch generalpräventive Zwecke im Sinne einer Abschreckung anderer Angehöriger des Berufsstandes vor ähnlichen Verfehlungen, wären damit nicht vereinbar (vgl. …). Es geht bei einem Widerruf wegen Unwürdigkeit nicht um eine Sanktion, sondern vielmehr darum, das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit zu schützen, dies freilich nicht als Selbstzweck, sondern um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde bzw. Zahnheilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses Vertrauen würde zerstört durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist (vgl. nur Beschlüsse vom … ). Freilich muss der Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit, der nach seiner Zielrichtung keine auf die Person des Betroffenen bezogene Gefahrenprognose erfordert, in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit stehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom … ). Anlass für den Widerruf wegen Unwürdigkeit können deshalb nur gravierende Verfehlungen sein, die geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos, nachhaltig zu erschüttern.“
- 239
Die in der veröffentlichten Rechtsprechung vorhandenen Fälle, in denen ein zur Berufsunwürdigkeit führendes Verhalten angenommen wurde, betreffen verschiedenartige Konstellationen. Sie reichen von sexuellen Übergriffen des Arztes auf Patientinnen (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 23.8.2000, 5 Bf 82/97, juris Rn. 20 ff.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.2.2015, 8 LA 102/14, juris) über schwere Fälle der Veruntreuung, Vorteilsannahme und Betrugs seitens eines Klinik-Chefarztes (vgl. VGH München, Urt. v. 30.9.2010, 21 BV 09.1279, juris Rn. 2 – 7) bis zur Verschreibung von 900 Tabletten des Medikaments Fluninoc (Wirkstoff: Flunitrazepam 1 mg) an einen von diesem Wirkstoff sowie von Heroin und Kokain abhängigen Patienten (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11.5.2015, 8 LC 123/14, juris Rn. 3 ff.); dabei handelt es sich um ein sehr starkes Benzodiazepin, das auch von Räubern und Vergewaltigern als KO-Tropfen eingesetzt und oft von Heroinsüchtigen zur Verstärkung der Opioidwirkung verwendet wird (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Flunitrazepam) und dessen regelhafte Dosis ½ bis 1 Tablette pro Tag beträgt (vgl. http://www.apotheken-umschau.de/Medikamente/Beipackzettel/Fluninoc-1-6151450.html). Die Berufsunwürdigkeit eines Arztes kann sich demnach sowohl aus seinem Verhalten gegenüber Patienten als auch aus seinem sonstigen beruflichen oder außerberuflichem Verhalten ergeben. Dabei gibt es keinen Rechtssatz des Inhalts, dass nur wiederholte oder bekannt gewordene berufliche Verfehlungen oder nur nicht minderschwere Straftaten einen Widerruf wegen Berufsunwürdigkeit rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011, a. a. O., Rn. 3). Ebenso wenig lässt sich ein Rechtssatz aufstellen, dass das Merkmal der Berufsunwürdigkeit die Verhängung eines bestimmten Mindeststrafmaßes voraussetzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.8.2011, 3 B 6.11, juris Rn. 8).
- 240
bb) Von den hier einzubeziehenden drei Fällen hat allein das Verhalten des Beschuldigten im Fall SE das Potential, als berufsunwürdigkeitsbegründend bewertet zu werden. Die Fälle G. und S. sind dagegen von dieser Tragweite deutlich entfernt; man wird kaum annehmen können, dass das Ansehen und der Ruf der Ärzteschaft nachhaltigen Schaden nehmen würden, wenn öffentlich würde, dass der Beschuldigte die Verfehlungen in diesen beiden Fällen begangen hat und er „trotzdem“ weiter praktizieren dürfte. Weniger klar ist, ob Letzteres auch im Hinblick auf den Fall SE gilt (aaa). Jedenfalls aber hat der seitdem verstrichene Zeitraum von mehr als dreizehn Jahren, in denen der Beschuldigte weiter praktiziert hat, ohne weitere Verfehlungen von vergleichbarem Gewicht zu begehen, Auswirkungen auf die vorzunehmende Bewertung, die im Rahmen der gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit das Gewicht dieser Verfehlung maßgeblich verringert (bbb).
- 241
aaa) Das Verhalten des Beschuldigten im Fall SE liegt für sich betrachtet im Grenzbereich dessen, was das Verdikt der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnte. Das Ausmaß der dort begangenen Verfehlungen ist, wie oben ausführlich dargestellt, erheblich. Auch wenn der Tod des Patienten unmittelbar wohl nicht auf die verfehlte, abhängigkeitsfördernde bzw. –begründende Medikation, sondern auf einen Alkoholmissbrauch zurückzuführen war, bleibt festzuhalten, dass der Beschuldigte diesen Patienten in eine polivalente Abhängigkeit gesteuert hat, ohne im Hinblick auf dessen vorgegebene chronische Alkoholkrankheit Fortschritte zu erzielen. Diese Umstände rücken den Fall in die Nähe des bereits erwähnten, vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschiedenen Falls, in dem ein Arzt einem polivalent drogenabhängigem Patienten innerhalb von fünf Tagen 900 Tabletten Flunitrazepam 1 mg verschrieben hatte, was nach den Dosierungshinweisen einem Vorrat für mehrere Jahre entsprach. Damit war jener Fall allerdings noch gravierender als hier der Fall SE , wobei in jenem Fall der Patient sich sofort nach Einlösung eines Teils der Rezepte eine aufgelöste Tablette gemeinsam mit einer Konsumeinheit Heroin spritzte und daraufhin in eine mehrstündige Ohnmacht verfiel (OVG Lüneburg, Urt. v. 11.5.2015, a. a. O., Rn. 4), die unverantwortliche Fehlmedikation des dortigen Arztes sich somit zeitnah und unmittelbar lebensgefährdend auswirkte.
- 242
bbb) Jedenfalls führt nach der Rechtsauffassung des Berufsgerichtshofs der seit dem Ende des Falls SE verstrichene Zeitraum von mehr als dreizehn Jahren (wobei der Schwerpunkt des dem Beschuldigten nachgewiesenen Fehlverhaltens in den Jahren 2000 und 2001 gelegen hat, also mehr als 15 Jahre zurückliegt), in denen der Beschuldigte weiter praktiziert hat, ohne weitere Verfehlungen von vergleichbarem Gewicht zu begehen, dazu, dass hier von der Feststellung der Berufsunwürdigkeit abzusehen ist.
- 243
Dem steht nicht bereits entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Disziplinarrecht weder eine (hier nicht gegebene) überlange Verfahrensdauer noch die Dauer des seit der Verfehlung vergangenen Zeitraums von Bedeutung sind, wenn das Dienstvergehen des Beamten wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauensverhältnisses seine Entfernung aus dem Dienst gebietet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.12.2015, 2 B 21.15, juris Rn. 10; Urt. v. 25.7.2013, BVerwGE 147, 229, juris Rn. 40; Urt. v. 28.2.2013, ZBR 2013, 257, juris Rn. 44 ff.). Auch wenn man annimmt, dass der Entfernung des Beamten aus dem Dienst hier die Feststellung der ärztlichen Berufsunwürdigkeit entspräche (wobei der Entfernung des Beamten aus dem Dienst eher der Widerruf der Approbation als Arzt entspricht, die im berufsgerichtlichen Verfahren aber nicht verhängt werden kann), lässt sich nach der Rechtsauffassung des Berufsgerichtshofs diese Rechtsprechung auf berufsgerichtliche Verfahren nach dem HeilBG nicht übertragen. Zu berücksichtigen ist ein erheblicher Unterschied in den gesetzlichen Konzeptionen des Disziplinarrechts hinsichtlich der Entfernung von Beamten aus dem Dienst einerseits und der Feststellung der Berufsunwürdigkeit nach dem HeilBG andererseits. Dieser Unterschied besteht darin, dass im Disziplinarrecht solche Dienstvergehen, die die Entfernung aus dem Dienst gebieten, nicht verjähren, also zeitlich unbegrenzt verfolgbar sind, während nach § 4 HeilBG alle Berufsvergehen, auch die schwersten, an sich nach fünf Jahren der Verfolgungsverjährung unterliegen und auch bei einer maximal fünfjährigen Ruhensphase jedenfalls nach Ablauf von zehn Jahren nach Vollendung des Berufsvergehens eigentlich nicht mehr verfolgbar sind. Daraus ergeben sich unterschiedliche Wertvorstellungen der jeweiligen Gesetzgeber über die rechtliche Bedeutung des Zeitablaufs nach Vollendung der Verfehlung (vgl. Willems, Das Verfahren vor den Heilberufsgerichten, 2009, Rn. 535). Mit der Verjährungsregelung in § 4 HeilBG hat der Gesetzgeber (im Gegensatz zu der Regelung über das Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs in § 17 HmbDG) die Wertung zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich jede Verfehlung im berufsgerichtlichen Zusammenhang ihre Ahndungswürdigkeit durch 10 Jahre Zeitablauf (5 Jahre Verjährung plus maximal 5 Jahre Ruhen) verliert. Auch wenn über das Rechtskonstrukt des einheitlichen Berufsvergehens die Verfolgbarkeit eines eigentlich schon verjährten Berufsvergehens durch neue Verfehlungen wieder aufleben kann, bedeutet dies nicht, dass man hier auf der Rechtsfolgenseite bei der Maßnahmenbemessung nicht doch berücksichtigen dürfte bzw. müsste, dass dasjenige Verhalten, das allein die Annahme der Berufsunwürdigkeit rechtfertigen könnte, hier bereits vor über 13 Jahren sein Ende gefunden hat, der Arzt seit dem weiter praktiziert hat und er zwar vom Ansatz her ähnliche (daher die Einheitlichkeit des Berufsvergehens begründende), vom Maß der Pflichtwidrigkeit, dem Grad des Verschuldens und dem Ausmaß des bei den Patienten angerichteten Schadens her aber deutlich weniger gravierende Verfehlungen begangen hat.
- 244
Zum Verdikt der Berufsunwürdigkeit darf nur ein außerordentlich schwerwiegendes Fehlverhalten führen, wobei bei der Bewertung dieses Fehlverhaltens dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (wegen der Auswirkungen auf die Berufsfreiheit und der fehlenden Berücksichtigungsmöglichkeit persönlicher, nicht „tatbezogener“ Umstände des Arztes) erhebliche Bedeutung zukommt (vgl. VGH München, Urt. v. 30.9.2010, a. a. O., Rn. 34 - 36). Bringt der Gesetzgeber für die Heilberufsgerichtsbarkeit durch eine Verjährungsregelung zum Ausdruck, dass ein Fehlverhalten durch den Ablauf langer Zeiträume an Gewicht verliert, so ist dies, sofern dieses Fehlverhalten trotz eigentlich gegebener Verjährung wegen des Grundsatzes des einheitlichen Berufsvergehens doch noch verfolgbar ist, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bei der Bemessung der Maßnahme zu berücksichtigen. Ein über 13 Jahre zurückliegendes Fehlverhalten schlägt dann nicht mehr mit derselben „Wucht“ in die Waagschale ein, wie wenn es für sich betrachtet noch nicht verjährt wäre. Gleichwohl kann auch ein so lange zurückliegendes Fehlverhalten je nach den Umständen des Einzelfalls auch unter Berücksichtigung der verstrichenen Zeit weiterhin schwerwiegend genug sein, um die Einschätzung der Berufsunwürdigkeit zu tragen.
- 245
Angesichts dessen genügt das Verhalten des Beschuldigten im Fall SE nicht mehr für die Annahme der Berufsunwürdigkeit. Dieses Fehlverhalten ist nicht von einer Qualität, die - in den Augen der Öffentlichkeit, sofern es dort bekannt würde - auch noch „nach Jahrzehnten“ nichts von ihrer Dramatik eingebüßt hätte, wie dies etwa bei einer Vergewaltigung einer Patientin in der Arztpraxis anzunehmen wäre. Die - gravierende - Fehlbehandlung eines suchtkranken Patienten durch einen Arzt, der seitdem über 13 Jahre lang weiter praktiziert hat, ohne vergleichbare Verfehlungen zu begehen, ist damit nicht zu vergleichen.
- 246
Gleiches gilt auch für das gesamte einheitliche Berufsvergehen des Beschuldigten. Zwar spricht es gegen ihn, dass er in den Fällen G. und S. weitere Verfehlungen begangen hat, die vom Ansatz her eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fall SE aufweisen und ihrerseits nicht bloß geringfügig sind. Jedoch sind diese Verfehlungen gerade der Grund dafür, dass der Fall SE (über die Rechtsfigur des einheitlichen Berufsvergehens) hier überhaupt noch zu in die Prüfung und in die Maßnahmenbemessung einzubeziehen ist; dies spricht dagegen, insoweit gegenüber dem Beschuldigten eine Verschärfung der Maßnahme vorzunehmen, weil er gleichsam ein „Rückfalltäter“ ist.
- 247
c) Der Berufsgerichtshof erteilt dem Beschuldigten neben der Geldbuße noch einen Verweis (vgl. § 3 Abs. 2, 1. Alt. HeilBG). Bei der Kombination aus Geldbuße und Verweis handelt es sich gegenüber dem Urteil des Berufsgerichts (das zwar keinen Verweis enthält, diesen aber wegen der Feststellung der Berufsunwürdigkeit auch nicht enthalten konnte, vgl. § 3 Abs. 2 HeilBG) nicht um eine „Verböserung“, sondern um Milderung. (Das „Verböserungsverbot“ ergibt sich aus § 13 Satz 1 HeilBG i. V. m. § 22 HmbDG i. V. m. § 129 VwGO). Dem entspricht es, dass der Beschuldigte dies selbst so beantragt hat.
- 248
d) Neben den bisher geprüften Maßnahmen sieht § 3 HeilBG noch weitere Sanktionsmöglichkeiten vor. So besteht bei der Verurteilung zu einer Geldbuße die zusätzliche Möglichkeit, dem Beschuldigten für eine Dauer zwischen fünf und zehn Jahren das aktive und passive Berufswahlrecht zu entziehen (§ 3 Abs. 3 HeilBG). Der Berufsgerichtshof macht von dieser Möglichkeit für die gesetzliche Mindestdauer von fünf Jahren Gebrauch.
- 249
Auch angesichts des Umstands, dass hier allein der Beschuldigte Berufung eingelegt hat, stellt dieser Ausspruch im Berufungsurteil keine prozessual unzulässige „Verböserung“ gegenüber dem Urteil des Berufsgerichts dar. Das Urteil des Berufsgerichts enthält zwar keinen Ausspruch über eine Entziehung des Berufswahlrechts, doch war dies auch gar nicht möglich, weil das Berufsgericht auf die Feststellung der Berufsunwürdigkeit erkannt hat und sich daraus unmittelbar kraft Gesetzes ein unbefristeter Verlust des aktiven und passiven Berufswahlrechts ergibt (§ 3 Abs. 5 Satz 1 HeilBG), das ihm frühestens nach fünf Jahren durch Beschluss des Berufsgerichts wieder zuerkannt werden könnte (§ 3 Abs. 5 Satz 1 HeilBG). Eine Kombination aus Geldbuße und Entziehung des Berufswahlrechts für fünf Jahre ist daher gegenüber der Kombination aus Geldbuße und Feststellung der Berufsunwürdigkeit keine schärfere, sondern eine mildere Maßnahme.
- 250
Dem Gesetz lassen sich keine unmittelbaren Maßstäbe dafür entnehmen, unter welchen Voraussetzungen diese Maßnahme angebracht sein soll. Nach dem Dafürhalten des Berufsgerichtshofs ist sie dann geboten, wenn das betreffende Fehlverhalten nahe an die Feststellung der Berufsunwürdigkeit heranreicht, ohne sie ganz zu erreichen, und der Eindruck bleibt, dass die Geldbuße allein noch nicht genügt, um angemessen auf den Arzt einzuwirken. So liegt der Fall hier; auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen.
- 251
e) Schließlich sieht das Gesetz als weitere Maßnahme in § 3 Abs. 6 HeilBG „in besonderen Fällen“ vor, auf die Veröffentlichung des Urteils im Hamburger Ärzteblatt zu erkennen. Entsprechende Regelungen finden sich auch in anderen Bundesländern, u. a. in § 60 Abs. 3 HeilBerG/NRW. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 3. März 2014 (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2014, EuGRZ 2014, 370 ff.; siehe dazu auch die Anmerkung von Bonvie vom 24.4.2014 in juris) die betreffende Regelung aus Nordrhein-Westfalen für verfassungskonform erachtet sowohl im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot als auch hinsichtlich der dadurch ermöglichten Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betreffenden Berufsangehörigen („Prangerwirkung“).
- 252
Im vorliegenden Berufungsverfahren stellt sich diese Frage aber schon deshalb nicht, weil einem solchen „Erkenntnis“ jedenfalls das „Verböserungsverbot“ entgegenstünde. Denn bei der Anordnung der Veröffentlichung des Urteils handelt es sich um eine zusätzliche Sanktion, die auch gegenüber der vom Berufsgericht vorgenommenen Feststellung der Berufsunwürdigkeit einen eigenständigen belastenden Charakter hätte; das Berufsgericht hat auf die Maßnahme der Veröffentlichung nicht erkannt. Dementsprechend hätte der Berufsgerichtshof sie nur auf eine entsprechende Berufung der Beteiligten zu 1. oder der Beteiligten zu 2. hin in Erwägung ziehen dürfen; hier hat aber allein der Beschuldigte Berufung eingelegt.
- 253
VI. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 34 und § 35 HeilBG.
- 254
1. Die Kosten des gesamten Verfahrens sind gemäß §§ 34 Abs. 4 Satz 1 und 4, 34 Abs. 5 Satz 2 HeilBG zwischen dem Beschuldigten und der Freien und Hansestadt Hamburg entsprechend dem Obsiegensanteil des Beschuldigten zu verteilen. Der Berufsgerichtshof veranschlagt diesen Anteil mit einem Drittel, da gegen den Beschuldigten einerseits mehrere einschneidende Maßnahmen verhängt werden, er andererseits aber bei der Frage der Feststellung der Berufsunwürdigkeit in einem wichtigen Punkt obsiegt hat.
- 255
2. Seine eigenen Auslagen hat der Beschuldigte gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 HeilBG trotz des teilweisen Erfolgs seiner Berufung für beide Instanzen vollständig selbst zu tragen, da er weder freigesprochen noch das Verfahren eingestellt worden ist. Insoweit nimmt der Berufsgerichtshof ergänzend Bezug auf sein o. g. Urteil vom 18. Juni 2014 (a. a. O., Rn. 42):
- 256
„Seine notwendigen Auslagen hat der Beschuldigte nach § 35 Abs. 1 HeilBG selbst zu tragen, weil das Berufungsgericht nach den detaillierten Kostenregelungen des Gesetzes und der – im Gegensatz zu § 34 Abs. 5 HeilBG - fehlenden Differenzierung in dieser Vorschrift in Bezug auf ein erfolgreiches Rechtsmittel keine Möglichkeit sieht, die Erstattung dieser Auslagen – jedenfalls für das erfolgreiche Berufungsverfahren – einem anderen Kostenträger aufzuerlegen. Die solches ermöglichende Regelung des § 473 Abs. 3 StPO kann mangels einer erkennbaren Gesetzeslücke nicht analog angewendet werden. Verfassungsrechtlich ist eine Übernahme der notwendigen Auslagen nicht geboten, da der Beschuldigte auch nach dem Erfolg des Berufungsverfahrens in der Sache eines Berufsgehens schuldig bleibt.“
- 257
3. Die Festsetzung der Gebühr für das Berufungsverfahren beruht auf § 34 Abs. 2 HeilBG. Eine für das Berufungsverfahren festzusetzende Gebühr entsteht, sofern die Berufung ganz oder teilweise erfolglos bleibt, § 34 Abs. 2 Satz 2 HeilBG; hier ist die Berufung des Beschuldigten teilweise erfolglos geblieben. Die Höhe der Gebühr hängt vom Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie von der Schwere des Berufsvergehens ab (§ 34 Abs. 2 Satz 3 HeilbG). Sie beträgt für jede Instanz zwischen 50 und 255 Euro (§ 34 Abs. 2 Satz 1 HeilbG), dieser Höchstsatz kann in ungewöhnlich umfangreichen oder schwierigen Sachen bis zum Doppelten überschritten werden (§ 34 Abs. 2 Satz 4 HeilbG). Angesichts der besonderen Komplexität dieses Falles erscheint dem Berufsgerichtshof die tenorierte Gebühr in Höhe von 400 Euro als angemessen; dies entspricht in etwa dem eineinhalbfachen Wert des normalen Höchstbetrags von 255 Euro.
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