Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 Bs 136/19

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 15. Mai 2019 wird, soweit darin der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist, zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller.

2. Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Frau Rechtsanwältin ... zur Vertretung beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

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Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen ihre länderübergreifende Verteilung nach Sachsen.

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Die Antragsteller sind venezolanische Staatsangehörige. Die ... Jahre alte Antragstellerin ist die Mutter des sechs Jahre alten Antragstellers.

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Die Antragsteller reisten, ohne im Besitz eines Visums zu sein, am 26. September 2018 über Lissabon kommend nach Hamburg. Am 25. Januar 2019 meldeten sie sich bei der Antragsgegnerin und beantragten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen bzw. die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Bis zur Entscheidung hierüber solle ihr Aufenthalt geduldet werden.

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Die Antragsgegnerin erteilte den Antragstellern eine Meldeauflage und hörte die Antragstellerin am 27. März 2019 an. Hierbei gab die Antragstellerin ausweislich des Anhörungsprotokolls u.a. an: Sie sei wegen ihrer Gesundheitsprobleme eingereist. Sie vermute, dass sie eine Lungenkrankheit habe. Sie sei in Deutschland bei mehreren Ärzten gewesen und weiter in Behandlung. Eine medizinische Behandlung in Venezuela sei nicht möglich. Hinzu komme, dass ihr in Hamburg lebender Bruder Magenkrebs habe. Er sei in Behandlung und sie – die Antragstellerin – sei hier, um ihn zu unterstützen. Sie habe ursprünglich einen Rückflug für Dezember gehabt, habe aber hier bleiben wollen, um sich dauerhaft behandeln zu lassen. Bei ihrer Einreise habe sie ca. 200,-- Euro bis 300,-- Euro bei sich gehabt. Sie habe für die ursprüngliche Dauer ihres Aufenthalts eine Auslandskrankenversicherung gehabt. Gegenwärtig sei sie nicht krankenversichert. Den Lebensunterhalt bestreite sie über ihren Bruder und mithilfe von Freunden und Bekannten. Sie wohne bei verschiedenen Freunden.

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Die Antragsgegnerin veranlasste daraufhin die Verteilung der Antragsteller durch die zentrale Verteilungsstelle. Diese benannte als Zielland das Land Sachsen und als zuständige Aufnahmeeinrichtung die Aufnahmeeinrichtung in Leipzig. Die Antragsgegnerin wies die Antragsteller daraufhin mit zwei Bescheiden vom 27. März 2019 dem Land Sachsen zu und ordnete an, dass sich die Antragsteller unverzüglich zu der Aufnahmeeinrichtung Leipzig begeben sollten. Ferner kündigte sie an, ggf. Zwangsmittel anzuwenden. Hiergegen haben die Antragsteller am 28. März 2019 Klage erhoben.

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Mit ihrem gleichzeitig gestellten Eilantrag haben die Antragsteller geltend gemacht, sie seien nicht unerlaubt eingereist, und haben auf die Notwendigkeit zur Unterstützung des Bruders der Antragstellerin sowie zur Behandlung der Antragstellerin selbst verwiesen. Sie haben u.a. ein Attest betreffend die ärztliche Behandlung des Bruders der Antragstellerin vom 17. Januar 2019 vorgelegt. Danach sei es wünschenswert, wenn die Antragstellerin ihren Bruder unterstützen könne. Ferner haben die Antragsteller Nachweise über Arztbesuche und medizinische Behandlungen der Antragstellerin in Hamburg vorgelegt.

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Den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2019 abgelehnt: Voraussichtlich zu Recht habe die Antragsgegnerin gemäß § 15a AufenthG die Verteilung der Antragsteller nach Sachsen verfügt. Die Antragsteller seien unerlaubt eingereist. Als venezolanische Staatsangehörige könne sie zwar für einen Kurzaufenthalt visumfrei einreisen. Sie hätten indes keinen Kurz-, sondern einen dauerhaften Aufenthalt beabsichtigt. Dies folge aus den Angaben der Antragstellerin anlässlich ihrer Anhörung. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller ursprünglich ein Rückflugticket gehabt hätten, weil sie ein solches – was nahegelegen hätte – nicht vorgelegt hätten. Einen der Verteilung nach Sachsen entgegenstehenden zwingenden Grund i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG hätten sie nicht nachgewiesen. Die Erkrankung der Antragstellerin müsse nicht in Hamburg, sondern könne auch in Sachsen behandelt werden. Die Betreuung des Bruders der Antragstellerin müsse nicht notwendigerweise durch diese selbst erfolgen. Emotionaler Beistand könne auch durch Fernkommunikationsmittel geleistet werden. (Sonstige) schützenswerte Bindungen hätten die Antragsteller nicht (rechtzeitig) geltend gemacht. Auch die Aufforderung, sich zur Aufnahmeeinrichtung in Leipzig zu begeben, und die Zwangsmittelandrohung seien voraussichtlich rechtmäßig.

II.

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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

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Der beschließende Senat lässt offen, ob die Antragsteller mit ihrer Beschwerdebegründung die entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit beachtlichen Argumenten in Frage gestellt haben. Sie legen nunmehr zwar Flugtickets vor, die nahelegen, dass sie vor ihrer Einreise nach Europa – anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat – bereits einen Rückflug gebucht hatten. Ferner legt die Antragstellerin zu 1) eine „eidesstattliche Erklärung“ vor, mit der sie u.a. sinngemäß geltend macht, sie habe erst nachträglich den Entschluss gefasst, nicht nach Venezuela zurückzukehren. Indes liegen dem beschließenden Senat die Flugtickets nur als Kopie vor und es bestehen Zweifel daran, dass die „eidesstattliche Erklärung“ den gesetzlichen Voraussetzungen für eine eidesstattliche Versicherung i.S.v. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO, § 156 StGB genügt.

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Dessen ungeachtet unterstellt das Beschwerdegericht zu Gunsten der Antragsteller, sie hätten mit ihrer Beschwerdebegründung die entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit beachtlichen Argumenten in Frage gestellt. Auch wenn danach nicht nur die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), sondern der gesamte Streitstoff berücksichtigt werden, gelangt auch der beschließende Senat zu der Einschätzung, dass der Eilantrag abzulehnen ist. Die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 27. März 2019 ist nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anzuordnen. Denn diese Bescheide erweisen sich bei der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig.

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1. Allerdings geht der beschließende Senat, anders als das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung, davon aus, dass Gegenstand des Eilverfahrens nur die in den beiden angefochtenen Bescheiden jeweils enthaltene, auf § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG beruhende und wegen § 15a Abs. 4 Satz 8 AufenthG sofort vollziehbare Aufforderung an die Antragsteller ist, sich zu der bezeichneten Aufnahmeeinrichtung in Leipzig zu begeben. Denn nur bei diesen Aufforderungen handelt es sich um Verwaltungsakte i.S.v. § 35 Satz 1 HmbVwVfG.

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a) Demgegenüber interpretiert das Beschwerdegericht die in den Bescheiden ebenfalls enthaltene „Zuweisung“ an das Land Sachsen als bloße Mitteilung über das Ergebnis der Verteilung nach § 15a Abs. 1 AufenthG, die keine Regelungswirkung i.S.v. § 35 Satz 1 HmbVwVfG hat. Dieses Verständnis beruht darauf, dass für die Ausländerbehörde – hier die Antragsgegnerin – kein Anlass besteht, gegenüber dem Ausländer eine Verteilung förmlich zu verfügen. Das in § 15a AufenthG vorgesehene Verfahren ist vielmehr dahin ausgestaltet, dass die zentrale Verteilungsstelle (vgl. § 15a Abs. 1 Satz 3 AufenthG) der Behörde, die die Verteilung veranlasst hat – hier der Antragsgegnerin –, die zur Aufnahme verpflichtete Aufnahmeeinrichtung benennt (§ 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese „Benennung“ ist ein intrabehördlicher Vorgang, der die adressierte Behörde bindet, jedoch als reines Verwaltungsinternum keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber dem Ausländer entfaltet; sie ergeht nicht gegenüber dem Ausländer, sondern gegenüber der Landesverteilungsstelle. Dem Ausländer gegenüber wird die Verteilung dagegen (nur) durch die Anordnung nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG umgesetzt (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 25.11.2016, 17 A 503/16, juris Rn. 6 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 15a AufenthG Rn. 14). Vor diesem Hintergrund bedarf es einer darüber hinaus gehenden Verteilung oder Zuweisung gegenüber dem Ausländer nicht. Derartiges ist auch nicht zur Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten. Der Ausländer kann auch gegen die Anordnung nach § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG einwenden, die (verwaltungsinterne) Verteilung sei unrichtig, insbesondere ohne zutreffende Berücksichtigung der in § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG genannten Belange vorgenommen worden.

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b) Auch die von dem Verwaltungsgericht angenommene Androhung unmittelbaren Zwangs enthalten die angefochtenen Bescheide nicht. Eine Androhung mit Regelungscharakter i.S.v. § 35 Satz 1 HmbVwVfG wird in den Bescheiden nicht förmlich verfügt. Diese enthalten vielmehr bloße Hinweise (vgl. § 8 Abs. 1 HmbVwVG) auf die Möglichkeit, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Solche Hinweise sind keine Verwaltungsakte i.S.v. § 35 Satz 1 HmbVwVfG (vgl. schon Thomas, DVBl. 1961, 902, 904). Das Hamburgische Verwaltungsvollstreckungsrecht sieht im Übrigen – anders als etwa das Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes (vgl. § 13 VwVG des Bundes) – die Androhung von Zwangsmitteln nicht grundsätzlich vor. Lediglich für die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei ist die Androhung in § 22 HmbSOG, den § 15 HmbVwVG auch im Geltungsbereich des allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrechts für anwendbar erklärt, vorgesehen. Eine solche Androhung muss aber hinreichend bestimmt sein (vgl. § 37 Abs. 1 HmbVwVfG) und kann mit einem Hinweis i.S.v. § 8 Abs. 1 HmbVwVG nicht gleichgesetzt werden.

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2. Die Antragsgegnerin hat die Antragsteller mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht aufgefordert, sich unverzüglich zu der genannten Aufnahmeeinrichtung in Leipzig zu begeben. Rechtsgrundlage hierfür ist § 15a Abs. 4 Satz 1 HS 1 AufenthG. Danach ordnet die Behörde, die die Verteilung veranlasst hat – hier die Antragsgegnerin –, an, dass der Ausländer sich zu der durch die Verteilung festgelegten Aufnahmeeinrichtung zu begeben hat. Die hierfür zu erfüllenden tatbestandlichen Voraussetzungen – Ermessen hat die Behörde nach § 15a Abs. 4 Satz 1 HS 1 AufenthG nicht – sind erfüllt: Die Antragsgegnerin war berechtigt, die Verteilung der Antragsteller zu veranlassen, weil diese unerlaubt eingereist sind i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (hierzu a]) und weil zwingende Gründe i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG einer Verteilung nach Sachsen nicht entgegenstehen (hierzu b]). Bei der Aufnahmeeinrichtung in Leipzig handelt es sich auch um die durch die Verteilung festgelegte Aufnahmeeinrichtung (hierzu c]).

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a) Die Antragsteller sind unerlaubt eingereist i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers (u.a.) unerlaubt, wenn er den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht – von weiteren Ausnahmefällen abgesehen, die vorliegend nicht einschlägig sind – durch Recht der Europäischen Union etwas anderes bestimmt ist.

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Vorliegend sind die Antragsteller ohne das nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 6 AufenthG erforderliche Visum ins Bundesgebiet eingereist. Eine unionsrechtliche Befreiung vom Visumerfordernis greift nicht zu ihren Gunsten ein. Dabei kann offenbleiben, ob sich die Antragsteller als Staatsangehörige von Venezuela auf Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (im Folgenden: EG-VisaVO) i.V.m. Anhang II EG-VisaVO berufen können. Namentlich bedarf keiner Entscheidung, ob die Antragsteller beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten – also bei ihrer Einreise nach Portugal – einen bloßen Kurzaufenthalt i.S.v. Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 EG-VisaVO und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex; im Folgenden: SGK) beabsichtigt haben oder ob sie – was die Anwendung der vorstehend genannten Vorschriften ausschlösse (vgl. hierzu eingehend OVG Hamburg, Beschl. v. 1.6.2018, 1 Bs 126/17, AuAS 2018, 158, juris Rn. 16 [zu Art. 21 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen [im Folgenden: SDÜ] und Art. 5 SGK a.F.]; s. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.2.2019, OVG 11 S 21.18, NVwZ-RR 2019, 535 [Ls], juris Rn. 8 ff.) – von vornherein geplant hatten, sich dauerhaft im Gebiet der Mitgliedsstaaten aufzuhalten.

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Denn gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ ist Voraussetzung dafür, dass sich vom Visumerfordernis befreite Drittausländer in dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien frei bewegen – also ohne Visum von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat einreisen – können, dass sie die nunmehr in Art. 6 Abs. 1 lit. a), c), d), e) SGK aufgeführten (weiteren) Einreisevoraussetzungen erfüllen. Hierzu gehört gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c) SGK, dass der einreisende Drittstaatsangehörige über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügt oder er in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. (Jedenfalls) diese Voraussetzung ist im Falle der Antragsteller nicht erfüllt:

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Nach den Angaben der Antragstellerin hatte sie bei ihrer Einreise lediglich 200,-- Euro bis 300,-- Euro bei sich. Dies entspricht einem maximal verfügbaren Geldbetrag von weniger als 3,50 Euro pro Tag für zwei Personen. Dieser Betrag ist bei jeder denkbaren Betrachtungsweise und ohne dass näher auf die Regelung in Art. 6 Abs. 4 SGK (zur Vorgängervorschrift OVG Hamburg, Beschl. v. 1.6.2018, 1 Bs 126/17, AuAS 2018, 158, juris Rn. 28) oder auf § 2 Abs. 3 AufenthG eingegangen werden muss, nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt für zwei Personen – Mutter und Kind – zu bestreiten. Besonderheiten des Einzelfalls rechtfertigen keine abweichende Einschätzung, im Gegenteil: Nach den Angaben der Antragstellerin haben sie und ihr Sohn mal bei dem Bruder der Antragstellerin, mal bei dessen Freunden, mal bei (eigenen) Bekannten übernachtet und sich auf diese Weise „durchgeschlagen“. Dass sie sonstige Zuwendungen erhalten oder auch nur erwartet haben, hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller in der Lage waren, die erforderlichen Mittel für den eigenen Lebensunterhalt rechtmäßig zu erwerben. Weder ist ersichtlich, dass die Antragstellerin eine Beschäftigungserlaubnis hatte, noch hat sie über ein Beschäftigungsangebot oder sonstige Möglichkeiten, ein Einkommen zu erzielen, berichtet.

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b) Zwingende Gründe i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG stehen einer Verteilung nach Sachsen nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist, wenn der Ausländer vor der Verteilung nachweist, dass zwingende Gründe der Verteilung an einen bestimmten Ort entgegenstehen, dem bei der Verteilung Rechnung zu tragen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

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aa. Soweit die Antragsteller darauf verweisen, der Antragsteller besuche mittlerweile die (Vor-) Schule, habe hier Freunde und soziale Kontakte und sich an sein hiesiges Umfeld gewöhnt, kann dies keine Berücksichtigung finden, weil die Antragsteller diese Belange nicht vor der Verteilung geltend gemacht haben. Für die Frage, ob ein zwingender Grund vorliegt, der der Verteilung an einen bestimmten Ort entgegensteht, kommt es gemäß § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG allein auf die Erkenntnisse an, die der zuständigen Behörde vor Veranlassung der Verteilung vorliegen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27.8.2015, 1 Bs 159/15, NVwZ-RR 2016, 196, juris Rn. 5, m.w.N.). Spätere Erkenntnisse sind ggf. im Verfahren der Umverteilung (vgl. § 15a Abs. 5 AufenthG) zu berücksichtigen.

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bb. Soweit die Antragsteller darauf verweisen, dass die Antragstellerin erkrankt und in ärztlicher Behandlung sei, steht auch dies einer Verteilung nach Sachsen nicht entgegen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass eine ärztliche Versorgung der Antragstellerin ebenso gut in Sachsen gewährleistet ist, und dass keine besonderen Einzelfallumstände ersichtlich – und insbesondere bis zur Veranlassung der Verteilung nicht nachgewiesen worden – sind, die ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen könnten, eine adäquate Versorgung der Antragstellerin sei nur in Hamburg möglich.

22

cc. Der Verteilung der Antragsteller nach Sachsen steht schließlich auch nicht entgegen, dass diese den Bruder der Antragstellerin (und Onkel des Antragstellers) in Hamburg unterstützen müssen. Aus dem hierzu vorgelegten – und auch im Zeitpunkt der Verteilung bereits vorliegenden – Attest vom 17. Januar 2019 ergibt sich nicht, dass die persönliche Anwesenheit der Antragsteller in Hamburg zur Unterstützung des Bruders der Antragstellerin zwingend i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG ist. Vielmehr teilt das Beschwerdegericht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung, dass die in dem vorgelegten Attest genannten Unterstützungsleistungen auch von anderen Personen erbracht werden können und dass emotionaler Beistand durch die Antragsteller nicht zwingend deren Anwesenheit in Hamburg voraussetzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die der beschließende Senat teilt. Neue Aspekte haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht aufgezeigt, weitere Unterlagen haben sie nicht vorgelegt.

23

c) Bei der in den angefochtenen Bescheiden bezeichneten Aufnahmeeinrichtung in Leipzig handelt es sich um die durch die Verteilung festgelegte Aufnahmeeinrichtung i.S.v. § 15a Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass die von der zentralen Verteilungsstelle vorgenommene Festlegung nicht in Übereinstimmung mit den in § 15a Abs. 1 Satz 4 und 5, Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG geregelten Vorgaben steht, hat das Beschwerdegericht nicht. Auch die Antragsteller haben hierzu nichts geltend gemacht.

24

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten, da den Beteiligten zuvor rechtliches Gehör zu gewähren ist.

III.

25

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist ebenfalls abzulehnen. Wie sich aus den Ausführungen unter II. ergibt, hat die Beschwerde keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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