Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 L 397/05

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 3. Kammer - vom 25.08.2005 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

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Die Klägerin wendet sich gegen das Ergebnis ihrer erfolglosen Wiederholungsprüfung zum Ersten Juristischen Staatsexamen. Von ihren acht gefertigten Aufsichtsarbeiten wurden fünf mit weniger als 4,00 Punkten bewertet, darunter auch die Aufsichtklausur Ö II, deren Bewertung die Klägerin im vorliegenden Verfahren angreift. Der Erstkorrektor bewertete die Bearbeitung mit drei, der Zweitkorrektor mit vier Punkten. Mit ihren im Rahmen des Widerspruchsverfahrens abgegebenen Stellungnahmen hielten beide Korrektoren an ihrem Bewertungsergebnis fest.

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Das Verwaltungsgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Klage der Klägerin abgewiesen.

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Auch der Zulassungsantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit sie gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO hinreichend geltend gemacht sind, nicht vor.

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Dies gilt zum einen für den geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

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Ein auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützter Zulassungsgrund muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstliche Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Die Begründung des Zulassungsantrag muss an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb sich diese aus der Sicht des Zulassungsantragstellers als nicht tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Zulassungantragsteller muss sich insofern an der Begründungsstruktur des angefochtenen Urteils orientieren. Geht er auf eine Erwägung nicht ein, kann das Oberverwaltungsgericht diese nicht von sich aus in Zweifel ziehen. Diese Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrags sind für den Zulassungsantragsteller auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist sichergestellt, dass Zulassungsantragsteller - in aller Regel durch einen Rechtsanwalt - rechtskundig vertreten sind (vgl. Beschl. des Senats vom 21.12.2007 - 2 L 198/06 - m.w.N.).

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung können zwar schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens nicht abschließend übersehen lassen, die Begründung des Zulassungsantrags aber die Einsicht vermittelt, der beabsichtigten Berufung seien durchaus hinreichend Erfolgsaussichten zuzusprechen. Die Zulassung ist aber zu versagen, wenn sich die vom Zulassungsantragsteller geäußerten Zweifel ohne weiteres ausräumen lassen (vgl. Beschl. des Senats v. 09.08.2007 - 2 L 108/07 -, m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall.

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Die mit dem Zulassungsantrag angegriffene Bewertung des Erstgutachters der Aufsichtsarbeit Ö II weist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dadurch einen Beurteilungsfehler auf, dass der Erstgutachter u.a. bemängelt hat, dass die Klägerin in ihrer Aufsichtsarbeit im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung die Behördenfunktion des verfügenden Innenministers nicht schon bei der Prüfung der Anfechtungsklage als gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Klageart, sondern erst bei der Prüfung der Entbehrlichkeit der Durchführung eines Vorverfahrens erörtert hat. Der Erstgutachter hat zu diesem Punkt in seinem Gutachten ausgeführt, dass bei Prüfung der Anfechtungsklage als statthafte Klageart erwähnenswert gewesen sei, dass der Innenminister als Behörde handelte und dazu in seiner Nachbeurteilung vom 17.10.2003 näher erläutert:

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"Hinsichtlich des Ansprechens des Handelns des Innenministers als Behörde hätte dies kurz im Rahmen der Klageart erwähnt werden müssen, da ein Innenminister auch staatsleitend tätig werden kann. Ein Erwähnen im Rahmen des Punktes "Vorverfahren" erfolgt damit aufbautechnisch zu spät. Durchaus können auch (gutachten-)stilistische Aspekte in die Bewertung einer Arbeit des ersten Staatsexamens einfließen, was vorliegend geschehen ist und auch bleiben soll. Die Note allein tragen diese Gesichtspunkte indes nicht ausschlaggebend, sondern runden vielmehr das mangelhafte Gesamtbild der Arbeit ab."

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Dass stilistisch in einem Gutachten Fragen dort zu klären sind, wo sie sich aufbautechnisch erstmals stellen und die Bearbeitung der Klägerin insoweit den durch den Prüfer festgestellten aufbautechnischen Fehler enthält, wird auch von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt. Der zugrunde gelegte Bewertungsmaßstab als "nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr das ... Gesamtbild abrundend" ist gleichfalls nicht zu beanstanden.

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Kein Beurteilungsfehler ist auch die Kritik des Erstbeurteilers an dem Ergebnis der durch die Klägerin in ihrer Bearbeitung durchgeführten strafrechtlichen Bewertung. Nach dem Aufgabentext war ein fiktiver Fall zu begutachten, in dem ein Verein seine Mitglieder aufforderte, "krank oder verkrüppelt" geborene Kinder nach der Geburt in einen nahe gelegenen Wald zu verbringen und dort "dem Naturgesetz" zu überlassen. Wörtlich ist in der Aufgabenstellung dazu ausgeführt: "Ob es bisher tatsächlich zu einer solchen Handlung gekommen ist, ist nicht bekannt."

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Die Klägerin hat diesen zugrunde zu legenden Sachverhalt in ihrer Bearbeitung dahingehend ausgewertet, dass sie in der Aufforderung des Vereins den Straftatbestand einer Anstiftung zur Aussetzung von Schutzbefohlenen nach den §§ 26, 221 StGB verwirklicht sah. Dazu hat der Erstbeurteiler in seiner Bewertung ausgeführt: "Ob die Tätigkeit des Vereins wirklich schon Strafgesetzen zuwider läuft ist indes fraglich und hängt vom unerwähnten § 30 StGB ab" und hat in seiner Nachbeurteilung erläuternd darauf verwiesen, dass die Annahme einer - verwirklichten - Anstiftung aufgrund des nach dem Klausursachverhalt fraglichen Konkretisierungsgrad einer möglichen Haupttat wenig überzeuge. Dies lässt im Hinblick auf die oben zitierte Passage des Aufgabentextes ("Ob es bisher zu einer solchen Handlung ... ") weder den geltend gemachten Beurteilungsfehler eines der Bewertung zugrunde gelegten unzutreffenden Sachverhalts, noch einen sonstigen Beurteilungsfehler erkennen.

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Die mit dem Zulassungsantrag ebenfalls angegriffene Bewertung der Aufsichtsarbeit Ö II durch den Zweitkorrektor ist unter Einbeziehung der im Widerspruchsverfahren erfolgten Stellungnahme des Zweitkorrektors vom 11.07.2003 beurteilungsfrei erfolgt. Der Zweitkorrektor hat mit seiner Stellungnahme dargelegt, dass seine erfolgte Anmerkung, wonach ein Prüfungsteil "zumindest sprachlich als Einleitung in die Problematik fehlerhaft" sei, ausschließlich eine sprachliche Fehlleistung der Bearbeitung kennzeichne, die sich auf die Bewertung nicht auswirke, da sprachliche Fehlleistungen von ihm nicht bewertet würden. Eine Beanstandung in der Sache sei mit seiner Formulierung "zumindest sprachlich" nicht verbunden.

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Ob mit dieser Erläuterung das Vorliegen eines Beurteilungsfehlers ausgeräumt ist, kann dahingestellt bleiben, denn der Korrektor hat mit seiner Stellungnahme im letzten Absatz ausgeführt:

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"Nach nochmaliger Durchsicht der o.g. Unterlagen und der Berücksichtigung der im Widerspruch vorgebrachten Einwendungen stellt sich für mich erneut die Frage, ob die Bearbeitung mit mangelhaft (3 Punkte) zu bewerten ist, da sie an der eigentlichen Problematik vorbeigeschrieben ist .... (wird ausgeführt) .... oder ob hier noch ein `mit großen Bedenken noch schwach ausreichend' gerechtfertigt ist. Ich bewerte die Arbeit erneut mit `mit großen Bedenken noch schwach ausreichend' .... Eine Bewertung mit 5 Punkten scheidet .... eindeutig aus."

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Damit hat der Zweitkorrektor im Widerspruchsverfahren eine erneute vollständige Bewertung der Aufsichtsarbeit ohne Berücksichtigung der in der Begründung der ursprünglichen Bewertung festgestellten "sprachlich fehlerhafter Einleitung" durchgeführt und den Anspruch der Klägerin auf beurteilungsfehlerfreie (Nach-)bewertung erfüllt.

16

Aufgrund welcher sonstigen, durch das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigten Beurteilungsfehler die Bewertungen ihrer Klausuren fehlerhaft sein könnten, hat die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht dargelegt und ist daher durch den Senat aufgrund der die Klägerin nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO treffenden Darlegungspflicht nicht zu prüfen.

17

Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen. Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht davon abgesehen hatte, den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter zu übertragen, nicht aus, um den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu begründen (Kopp, VwGO, 15. Aufl. § 124 Anm. 8; VGH Mannheim, Beschl. v. 23.01.1998 - 5 S 2053/97 -, NVwZ 1998, 975 < 976 >; OVG Münster, Beschl. v. 26.01.1999 - 3 B 2861/97 -, NVwZ-RR 1999, 696 < 697 >). Ein Automatismus in dem Sinne, dass immer dann, wenn das Verwaltungsgericht von einer Übertragung auf den Einzelrichter nach § 6 VwGO abgesehen hat, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO als erfüllt angesehen werden kann, besteht nicht. Abgesehen davon, dass die Übertragung auf den Einzelrichter nach § 6 VwGO unter den in § 6 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 und Satz 2 genannten weiteren Voraussetzungen auch in Fällen ausscheiden kann, in denen die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die maßgeblichen Zeitpunkte für die Beurteilung der Rechtssache für die Entscheidungen nach § 6 und § 124 VwGO unterschiedlich sind, sieht § 6 VwGO die Übertragung auf den Einzelrichter bei Erfüllung der Voraussetzungen zwar als Regel, aber lediglich fakultativ vor. Dem Verwaltungsgericht ist damit insbesondere und unter anderem die Möglichkeit eingeräumt, einer besonderen Bedeutung einer Rechtssache für den Kläger - wie beispielsweise der Entscheidung über die Feststellung des endgültigen Nachbestellen eines Staatsexamens - durch Beibehalt der Kammerzuständigkeit auch bei fehlender tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeit Rechnung zu tragen. Insofern kommt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Nichtübertragung auf den Einzelrichter ungeachtet der fehlenden Bindungswirkung für die Zulassungsentscheidung des Rechtsmittelgerichts auch keine Indizwirkung zu.

18

Der vorliegende Fall weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Die durch die Klägerin aufgeworfene und als besonders rechtlich schwierig erachtete Frage, inwieweit das Gericht Ausführungen eines Korrektors selbst auslegen darf, ohne den Prüfer danach zu fragen, wie er die eine Formulierung denn tatsächlich gemeint hat, stellt sich hier nicht. Der Bedeutungsinhalt der Formulierung "zumindest sprachlich als Einleitung der Problematik fehlerhaft" und den möglichen Einfluss dieser Feststellung auf die ursprüngliche Bewertung der Aufsichtsarbeit Ö II durch den Zweitkorrektor ist aufgrund der erneuten Bewertung des Zweitkorrektors vom 11.07.2003 nicht entscheidungserheblich.

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Mit der vorliegenden Entscheidung ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 71 Abs. 1 Satz 2 GKG n.F. und legt die Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli 2004 zugrunde.

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