Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 128/07
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt vom 12. April 2007 – 4 A 2807/99 – wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 32.789,15 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt ist – nach Zustellung des Urteils am 9. Mai 2007 – am 16. Mai 2007 bei dem Verwaltungsgericht und damit frist- und formgerecht eingegangen (§ 124a Abs. 4 Sätze 1 und 2 VwGO). Mit am 9. Juli 2007 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ist auch fristgerecht eine Antragsbegründung vorgelegt worden (§ 124a Abs. 4 Sätze 4 und 5 VwGO). Der Antrag bleibt jedoch ohne Erfolg, Die von der Beklagten dargelegten Berufungszulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Dies gilt zunächst für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss sich ein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gestützter Antrag im Hinblick auf das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Erforderlich dafür ist, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des gesamten bisherigen Prozessstoffes – vorbehaltlich späterer Erkenntnisse – eine hinreichend verlässliche Aussage dahingehend ermöglichen, das noch zuzulassende Rechtsmittel werde voraussichtlich zum Erfolg führen (vgl. zum Ganzen etwa Beschl. v. 15.10.2008 – 1 L 104/05 –).
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In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift – gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz – Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen.
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Dem Einwand der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass die Gültigkeit des notariellen Kaufvertrages vom 11. Oktober 1994 an § 246 a BauGB und nicht an §§ 124, 133 BauGB habe gemessen werden müssen, den Gemeinden sei durch § 246 a BauGB, § 54 Bauplanungs- und Zulassungsverordnung ein weiter vertraglicher Gestaltungsspielraum eingeräumt worden, ist nicht zu folgen. Nach Art. 1 Nr. 27 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes (BGBl. 1993, Teil I, 466), das am 01. Mai 1993 in Kraft getreten ist, ist die von der Beklagten herangezogene Bestimmung des § 246 a Nr. 11 BauGB, wonach anstelle von § 124 BauGB § 54 Bauplanungs- und Zulassungsverordnung der DDR anzuwenden gewesen ist, gestrichen worden. § 246 a Nr. 11 BauGB ist damit auf den hier dem Streit zugrunde liegenden Vertrag vom 11. Oktober 1994, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen hat, nicht anwendbar. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht seine Prüfung nicht auf § 54 Bauplanungs- und Zulassungsverordnung erstreckt hat.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen auch nicht – wie die Beklagte es vertritt - deshalb, weil das Verwaltungsgericht allenfalls dazu berechtigt gewesen wäre, eine Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten Zug um Zug gegen Rückgewähr des geleisteten Grundstückes durch den Kläger auszusprechen. Es kann offen bleiben, ob die Feststellung der Nichtigkeit von § 9 des Vertrages („Erschließung und Erschließungskostenbeitrag“) zur Annahme der Unwirksamkeit des gesamten Kauvertrages vom 11. Oktober 1994 zwingt. Denn selbst wenn das der Fall wäre, käme eine Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung des geforderten Betrages (64.130,00 DM = 32.789,15 Euro) nur Zug um Zug gegen Rückgewähr des Eigentums an dem veräußerten Grundstück i.S.v. §§ 273, 274 BGB, § 62 Satz 2 VwVfG nicht in Betracht. Die Beklagte ist als Gemeinde bei hoheitlichem Tätigwerden dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet. Daher ist sie gehalten, rechtswidrige Vermögensverschiebungen rückgängig zu machen und so den der Rechtsordnung entsprechenden Zustand wiederherzustellen. Aus diesen Gründen wird die Anwendung von § 818 Abs. 3, 4 und § 819 Abs. 1 BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch für unzulässig gehalten. Gleiches gilt für § 817 Satz 2 BGB (BVerwG, 26.03.2003 - 9 C 4/02 -, juris). Wendete man die genannten Bestimmungen mit ihrer Rechtsfolge eines Ausschlusses des Herausgabeanspruches an, so würde in Konflikt mit der Gesetzesbindung der Verwaltung der durch die gesetzeswidrige Vermögensverschiebung erreichte Zustand festgeschrieben. Überbürdet aber die Gemeinde Erschließungskosten auf einen Grundstückskäufer ohne Beachtung wirksamer Ablösungsbestimmungen und ohne Offenlegung des auf ihrer Grundlage ermittelten Ablösungsbetrages, verstößt sie gegen das aus § 127 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 132 BauBG herzuleitende gesetzliche Verbot vertraglicher Abwälzung von Erschließungskosten (BVerwG, 01.12.1989 – 8 C 44.88 -, BVerwGE 84, 183, 191) und handelt insoweit gesetzeswidrig. Auch dieser Zustand würde gewissermaßen fortgeschrieben, wenn die Gemeinde das aufgrund einer unwirksamen vertraglichen Erschließungskostenabrede Erlangte behalten dürfte, bis der Käufer eine andere – womöglich in ihrem rechtlichen Bestand erst noch zu klärende – Rückabwicklungspflicht erfüllt hätte. Angesichts des zuvor angesprochenen gesetzlichen Verbotes kann daher ein Zurückbehaltungsrecht durch die aufgrund eines öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruchs verpflichtete Gemeinde nicht ausgeübt werden. Nach § 273 Abs. 1 BGB besteht das Zurückbehaltungsrecht nur, soweit sich aus dem Schuldverhältnis nicht ein anderes ergibt. Eben dies ist hier der Fall (so auch Bayerischer VGH, 23.07.2004 - 6 B 00.1402 -, juris).
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2. Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Erforderlich sind Darlegungen (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) dazu, dass die Rechtssache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist und deren Klärung der Weiterentwicklung des Rechts förderlich ist. Hierzu gehört, dass die klärungsbedürftige konkrete Rechtsfrage bezeichnet und dargestellt wird, woraus sich die grundsätzliche Bedeutung dieser speziellen Rechtsfrage ergibt. Der Antragsbegründung muss entnommen werden können, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer bestimmten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen und es deshalb erforderlich ist, dass sich das Berufungsgericht noch einmal klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt. Dazu bedarf es einer substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen ein von dem Verwaltungsgericht eingenommener Rechtsstandpunkt bzw. die vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen zweifelhaft geworden sind (ständige Rspr. des Senats, vgl. Beschl. v. 20.11.2007 – 1 L 195/07 – und zuletzt etwa Beschl. v. 11.01.2011 – 1 L 145/07 –).
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Die von der Beklagten formulierte Frage
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ob es einer Gemeinde unter Berücksichtigung der §§ 4 Abs. 1, 44 Abs. 2 KV M-V „erlaubt ist“, ein in ihrem Eigentum stehendes Grundstück in eigener Regie baureif zu machen und als baureife Grundstücke zu veräußern zu einem von der Gemeinde gebildeten Gesamtpreis,
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erfordert nicht die Durchführung eines Berufungsverfahrens. Sie kann ohne weiteres anhand der in der Rechtsprechung bereits herausgearbeiteten Grundsätze des Erschließungsbeitragsrechts beantwortet werden. Danach sind die Gemeinden verpflichtet, zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für Erschließungsanlagen Erschließungsbeiträge zu erheben (§ 127 Abs. 1 i.V.m. § 132 BauGB). Sie dürfen Erschließungskosten nicht durch vertragliche Vereinbarungen mit den Anliegern auf diese abwälzen. Eine Ausnahme von diesem gesetzlichen Verbot besteht nach § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB einzig für Ablösungsvereinbarungen aufgrund von Ablösungsbestimmungen. Aus der Pflicht der Gemeinden zur Beitragserhebung für ihren Erschließungsaufwand folgt eine Pflicht zum Erlass einer Erschließungsbeitragssatzung. Diese Verpflichtung und die Pflicht zur Beitragserhebung dient einer möglichst gleichartigen Behandlung der Grundstückseigentümer in allen Gemeinden und dem Zweck, die Gemeinden mit Mitteln zu versehen, die sie in die Lage versetzen, ihre Erschließungspflicht (§ 123 Abs. 1 BauGB) kontinuierlich und zügig erfüllen zu können (vgl. BVerwG, 01.12.1989 – 8 C 44.88 -, BVerwGE 84, 183, 190; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 10 Rn. 1 ff.).
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Die genannten Verpflichtungen und Bindungen der Gemeinden bestehen nicht, wenn sie ihre Aufgabe der Erschließung (§ 123 Abs. 1 BauGB) nach § 124 Abs. 1 BauGB mittels Erschließungsvertrag auf einen Dritten übertragen haben, der dann die technische Durchführung und finanzielle Abwicklung einschließlich der Refinanzierungskosten übernimmt. In diesen Fällen hat die Gemeinde selbst keinen umlagefähigen Erschließungsaufwand.
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Erschließt die Gemeinde ihr selbst gehörende Grundstücke, so wird der Erwerber eines solchen gemeindeeigenen Grundstückes beitragspflichtig, wenn er das Eigentum an dem Grundstück im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten (§ 133 Abs. 2 BauGB) schon erlangt hatte. Gehörte es in diesem Zeitpunkt noch der Gemeinde, so entsteht die Beitragspflicht, wenn und sobald das Eigentum übertragen wird (BVerwG, 05.07.1985 – 8 C 127.83 -, NVwZ 1985, 912 f.).
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Aus alldem folgt, dass die Gemeinde ihr selbst gehörende Grundstücke in eigener Regie erschließen („baureifmachen“) darf, über die dafür entstehenden oder schon entstandenen Erschließungskosten aber keine Vereinbarung mit den Käufern und zukünftigen Eigentümern dieser Grundstücke treffen darf, die keine zulässigen Ablösungsvereinbarungen (§ 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB) sind. Denn auch diese Grundstücke unterliegen – wenn auch womöglich erst zu einem späteren Zeitpunkt – der Beitragspflicht.
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Die von der Beklagten vertretene Auffassung, wonach es in der erschließungsbeitragsrechtlichen Literatur für zulässig angesehen werde, dass die Gemeinde die Erschließungsaufgabe selbst unter Einsatz privatrechtlicher Organisationsstrukturen (Eigengesellschaft) erfülle, die gemeindliche Eigengesellschaft die Erschließungsanlagen herstelle und ihre Aufwendungen „über den Markt“ finanziere, indem sie erschlossene Grundstücke veräußere und mit Grundstückseigentümern Kostenerstattungsverträge abschließe (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand Februar 2008, § 124, Rn. 1), begründet nicht die Klärungsbedürftigkeit der von ihr für grundsätzlich erachteten Frage. Denn die herangezogene Literaturauffassung behandelt den hinsichtlich der Zulässigkeit einer solchen Konstellation kontrovers diskutierten Fall, dass die Gemeinde mit einer Eigengesellschaft einen Erschließungsvertrag im Sinne des § 124 Abs. 1 BauGB abgeschlossen hat (Schmidt-Eichstaedt, Baulanderschließung durch kommunale Eigengesellschaften – Möglichkeiten und Grenzen -, ZfBR 2007, 316 ff.; Grziwotz, Probleme des Erschließungsvertrags, DVBl. 2005, 471 ff.; Weber, Gemeinden als „Dritte“ im Sinne von § 124 Abs. 1 BauGB, VBlBW 2001, 95 ff.). Eine freie Vermarktung von durch die Gemeinde erschlossenen Grundstücken seitens einer gemeindlichen Eigengesellschaft wird hier nicht diskutiert. Dass im vorliegenden Fall die Beklagte die ihr obliegende Erschließung auf eine Eigengesellschaft durch Vertrag nach § 124 Abs. 1 BauGB übertragen hätte, ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht Inhalt des Zulassungsvorbringens.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG .
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