Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 M 8/13
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das erstinstanzliche wie das Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 5000 Euro festgesetzt; insoweit wird Ziff. 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20.12.2012 geändert.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin, eine Gemeinde, wendet sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung an den Beigeladenen. Für das Baugrundstück gilt ein Bebauungsplan der Antragstellerin, der die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebietes trifft. Der Beigeladene begehrt die Baugenehmigung für ein Vorhaben, das der Unterbringung von maximal 8 Personen dient, denen neben der Unterbringung physio- und psychotherapeutische Anwendungen und medizinische Betreuung angeboten werden sollen. Mit Schreiben vom 25.01.2012 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass Vorhaben werde nach wie vor kritisch angesehen, da die Vermutung einer verdeckten Beherbergung naheliege. Sie erteile das Einvernehmen in Verbindung mit den zusätzlichen Beschreibungen der Einrichtung aus den E-Mails vom 02. und 03.01.2012 gemäß § 36 BauGB.
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Gegen die am 03.01.2012 erteilte Baugenehmigung legte die Antragstellerin Widerspruch ein und trug vor, ein Einvernehmen zu der Baugenehmigung nach § 36 BauGB liege im Hinblick auf die tatsächlich erteilte Baugenehmigung nicht vor. Die Baugenehmigung sei schon deswegen rechtswidrig, weil die eingereichte Betriebsbeschreibung zu unbestimmt sei. Aus ihr werde nicht deutlich, dass es sich um eine Anlage für gesundheitliche Zwecke handele. Die mit Schreiben vom 25.01.2012 erteilte Einvernehmenserklärung enthalte Bedingungen, die nicht erfüllt seien. Das Einvernehmen gelte daher als nicht erteilt.
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Dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab das Verwaltungsgericht Schwerin durch Beschluss vom 20.12.2012 statt. Die Antragstellerin könne sich auf die Verletzung der Planungshoheit berufen. Das Einvernehmen nach § 36 BauGB sei erforderlich, weil der zugrundeliegende Bebauungsplan – wie sich aus einem anderen Verfahren ergeben habe - unwirksam sei. Das Verwaltungsgericht lässt dahinstehen, ob die nähere Umgebung als reines oder allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB zu qualifizieren ist. Das Vorhaben stelle keine Anlage für gesundheitliche Zwecke dar, die in einem Wohngebiet (ausnahmsweise) zulässig sei. Es sei schon zweifelhaft, ob das Vorhaben gesundheitlichen Zwecken diene. Jedenfalls erfülle es nicht die notwendige Voraussetzung einer Gemeinbedarfsanlage.
II.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das nach § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO allein maßgebende fristgerechte Beschwerdevorbringen des Beigeladenen rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
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Einer Gemeinde kann entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine Rechtsposition aus § 36 BauGB zugeschrieben werden mit der Erwägung, ihr Einvernehmen sei wegen der Beurteilung des Vorhabens nach § 34 BauGB erforderlich, weil sich der bestehende Bebauungsplan bei inzidenter Prüfung als unwirksam erweise. Die Planungshoheit der Gemeinde umfasst bei erkannter Unwirksamkeit eines eigenen Bebauungsplans nämlich nur die Möglichkeiten, diesen in einem Verfahren nach § 1 Abs. 8 BauGB aufzuheben oder zu ändern und dabei ggf. einen Antrag auf Zurückstellung nach § 15 BauGB zu stellen oder eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB zu erlassen (vgl. OVG Greifswald, B. v. 19.10.2006 - 3 M 63/06 - BauR 2007, 515).
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Eine Gemeinde ist aber gem. § 42 Abs 2 VwGO klagebefugt und kann in ihrer Rechten i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO verletzt sein, wenn die Bauordnungsbehörde ein Bauvorhaben, das den Festsetzungen eines Bebauungsplans widerspricht, genehmigt, ohne die an sich erforderliche Befreiung zu erteilen (VGH Mannheim, B. v. 29.09.1981 - 3 S 1184/81 – juris). Andernfalls könnte sie um ihre Rechtsposition nach § 36 BauGB gebracht werden, die sie erhält, wenn eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wird. Dieser Fall ist dem gleich zu behandeln, in dem bei einer erteilten Befreiung das notwendige Einvernehmen nicht eingeholt worden ist (dazu BVerwG, U. v. 11.08.2008 - 4 B 25/08 - NVwZ 2008, 1347).
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Die Antragstellerin hat durch ihre Erklärung im Genehmigungsverfahren vom 25.01.2012 das Rechtsschutzbedürfnis nicht verloren. Es liegt kein Fall der Entscheidung nach §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB vor, sodass das Einvernehmen nicht erforderlich ist. Die Versagung des Einvernehmens in einem solchen Fall hat nicht die Rechtsfolgen des § 36 BauGB (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 36 BauGB Rdn. 18); das muss auch für die Erteilung des Einvernehmens gelten. Eine Gemeinde muss ihre Planungshoheit verteidigen können, wenn sie in der irrtümlichen Annahme, ihr Einvernehmen sei nach § 36 BauGB erforderlich, dieses erteilt, obwohl tatsächlich das Vorhaben mangels Antrags auf Befreiung nach § 31 Abs. 1 BauGB nach § 30 Abs. 1 BauGB zu beurteilen ist, und es genehmigt wird, obwohl es den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht. Auf die Frage, ob die Erklärung vom 25.01.2012 als Versagung des Einvernehmens ausgelegt werden kann, weil es sich um eine unklare oder mehrdeutige Erklärung der Gemeinde handeln könnte, kommt es daher nicht an.
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Etwas anders könnte nur dann gelten, wenn in der Stellungnahme vom 25.01.2012 ein Klageverzicht der Antragstellerin zu sehen wäre. Es fehlt indes an der Voraussetzung, dass eine solche Erklärung angesichts seiner prozessualen Tragweite - unter Anlegung eines strengen Maßstabs – sich als eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich darstellen muss (vgl. BVerwG, U. v. 18.05.1990 - 8 C 40/88 - NVwZ-RR 1990, 581).
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Objektiv setzt das Vorhaben der Beigeladenen eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans gem. § 31 Abs. 2 BauGB voraus, denn es ist mit der planerischen Festsetzung des Baugebiets als allgemeines Wohngebiet nicht vereinbar. Es stellt keine Anlage für gesundheitliche Zwecke i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO dar. Ihm fehlt das erforderliche Merkmal der Gemeinbedarfsanlage.
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Entgegen der Einschätzung des Beigeladenen hat das BVerwG an dem Erfordernis der Gemeinbedarfsanlage festgehalten. In dem Urteil des BVerwG vom 02.02.2012 - 4 C 14/10 - BVerwGE 142, 1 = NVwZ 2012, 825 Rdn 10 wird ausgeführt:
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„Eine weite Auslegung der Begriffsgruppe < "Anlagen für kulturelle Zwecke"> führt … nicht zu einer uferlosen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Norm. Die begriffliche Offenheit des Tatbestands wird in zweifacher Hinsicht begrenzt. Aus dem systematischen und historischen Zusammenhang wird deutlich, dass Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke nur die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB definierten Gemeinbedarfsanlagen sind. Die Baunutzungsverordnung hat die Begriffsgruppe von Anfang an auf Gemeinbedarfsanlagen beschränkt gesehen (Urteile vom 12.12.1996 - 4 C 17.95 - BVerwGE 102, 351 <354> und vom 28.04.2004 - 4 C 10.03 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 15 S. 6). Darüber hinaus wirkt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit begrenzend, das vor allem jene Nutzungsarten betrifft, die die Baunutzungsverordnung begrifflich verselbständigt und mehreren der Baugebietstypen in §§ 2 bis 9 BauNVO zugeordnet hat (Beschluss vom 06.12.2000 - 4 B 4.00 - Buchholz 406.12 § 7 BauNVO Nr. 4 S. 2).“
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Indem der Beschluss vom 06.12.2000, wenn auch in anderem Zusammenhang, in der zitierten Passage erwähnt wird, wird deutlich, dass das BVerwG die Ausführungen in jenem Beschluss nicht so versteht, es könne – ausnahmsweise - auf das Merkmal der Gemeinbedarfsanlage verzichtet werden. Wenn das BVerwG mit seinem Satz „In der Regel handelt es sich um Anlagen für den Gemeinbedarf…“, den der Beigeladene zitiert, eine Ausnahme hätte eröffnen wollen, von dieser Voraussetzung abzusehen, hätte der Beigeladene im übrigen darlegen müssen, aus welchen Gründen sein Vorhaben gerade von dem Regelfall abweicht.
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Der Begriff des Gemeinbedarfs wird in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB näher bestimmt (zusammenfassend BVerwG, U. v. 02.02.2012 - 4 C 14/10 - BVerwGE 142, 1 = NVwZ 2012, 825 Rdn 11): Gemeinbedarfsanlagen sind solche baulichen Anlagen und Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen. Beispielhaft werden Schulen und Kirchen sowie sonstigen kirchlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen aufgezählt. Der Allgemeinheit dient eine Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB, wenn sie, ohne dass die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen (vgl. BVerwG, B. v 18.05.1994 - 4 NB 15.94 - NVwZ 1994, 1004 <1005>), einem nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der Bevölkerung zugänglich ist. Gemeint sind Einrichtungen der Infrastruktur, die der Gesetzgeber dem Oberbegriff der "Einrichtungen und Anlagen zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des öffentlichen und privaten Bereichs" zugeordnet hat (BVerwG, U. v. 30.06.2004 - 4 CN 7.03 - BVerwGE 121, 192 <195>). Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es nicht entscheidend an (BVerwG, U. v. 12.12.1996 - 4 C 17.95 - BVerwGE 102, 351 <356>). Die Trägerschaft kann auch in der Hand einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts liegen (BVerwG, U. v. 30.06.2004 - 4 CN 7.03 - BVerwGE 121, 192 <196>).
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Es ist nicht erkennbar, dass hier mit staatlicher oder gemeindlicher Anerkennung eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird, hinter die etwaiges privatwirtschaftliches Gewinnstreben eindeutig zurücktritt (dazu BVerwG, B. v. 18.05.1994 – a.a.O.; BVerwG, B. v. 12.12.1996 – a.a.O., der dies für Arztpraxen verneint).
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Die übrigen Ausführungen der Beigeladenen stellen die weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage; auf die verwiesen wird (§122 Abs. 2 S. 3).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert für eine von der Gemeinde zur Verteidigung ihrer Planungshoheit erhobene Klage gegen eine Baugenehmigung wird danach im Regelfall mit 10.000,-- EUR festgesetzt. Denn die Anfechtungsklage einer Gemeinde gegen eine Baugenehmigung ist im Regelfall höher zu bewerten als die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung (vgl. Nr. II. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - NVwZ 2004, 1327 ff.) (VGH München, B. v. 24.11.2008 - 1 ZB 08.1462 - juris). Dieser Streitwert für die Hauptsache ist zu halbieren, da es vorliegend um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes geht. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.
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Hinweis:
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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
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