Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 212/16

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 6. April 2016 – 2 A 512/15 HGW – wird, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, geändert:

Der Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2015 wird insgesamt aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme einer Namensänderung.

2

Der Kläger und seine Ehefrau schlossen am 28. Juni 2014 vor dem Standesamt Ribnitz-Damgarten die Ehe. Bei der Eheschließung bestimmten sie den Geburtsnamen des Klägers „Schmidt“ zum Ehenamen. Die Ehefrau des Klägers fügte durch Erklärung gegenüber dem Standesamt Ribnitz-Damgarten mit Wirkung vom 7. Juli 2014 dem Ehenamen ihren Geburtsnamen an und trägt seitdem den Familiennamen „Schmidt-A.“.

3

Der Kläger beantragte am 5. August 2014 die Änderung seines Familiennamens von „Schmidt“ in „Schmidt -A.“. Zur Begründung berief sich der Kläger auf die Verwechslungsgefahr durch einen Sammelnamen und darauf, dass er denselben Familiennamen wie seine Ehefrau tragen und seinen Geburtsnamen nicht vollständig ablegen wolle. Der Beklagte gab dem Antrag mit Bescheid vom 1. September 2014 statt und änderte den Familiennamen des Klägers mit Urkunde vom selben Tag. Die Namensänderung wurde am 9. September 2014 wirksam.

4

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Rücknahme seines Bescheides vom 1. September 2014 an. Mit Bescheid vom 5. März 2015 nahm der Beklagte seinen Bescheid vom 1. September 2014 über die Änderung des Familiennamens des Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Bescheid sei rechtswidrig ergangen. Der vorgenommenen Änderung des Familiennamens stehe der Zweck der Regelung in § 1355 BGB zur Bestimmung des Ehenamens entgegen. Dahinter müsse das schutzwürdige Interesse des Klägers an der Ablegung eines zu Verwechslungen führenden Sammelnamens zurücktreten. Aus dem Verfahrensablauf ergebe sich, dass die beantragte Namensänderung den Zweck gehabt habe, die Wertung des Gesetzgebers in § 1355 BGB zu umgehen, der mit dieser Regelung das Vorkommen von Doppelnamen habe zurückdrängen wollen. Der Verwechslungsgefahr hätte der Kläger auch dadurch begegnen können, dass bei der Eheschließung der Geburtsname der Ehefrau zum Ehenamen bestimmt worden wäre.

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Auf den Antrag des Klägers stellte das Verwaltungsgericht Greifswald mit Beschluss vom 31. März 2015 – 2 B 248/15 HGW – die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen diesen Bescheid wieder her.

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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2015 zurück. Der begünstigende Bescheid sei rechtswidrig und werde in Ergänzung pflichtgemäßen Ermessens unter Abwägung der persönlichen Interessen des Klägers an der Beibehaltung der Namensänderung und der öffentlichen Interessen an der Rücknahme zurückgenommen. Die öffentlichen Interessen überwiegten, da die Namensänderung die für die Allgemeinheit geltende Bestimmungen des Namensrechtes umgangen und der Kläger die Beseitigung der für die Namensänderung angeführten Umstände selbst in der Hand gehabt habe. Durch die Wahl des Geburtsnamens der Ehefrau des Klägers als Ehenamen und die anschließende Voranstellung des Geburtsnamens des Klägers hätte der angeführte Zweck der Namensänderung bereits auf bürgerlich-rechtlichem Wege erreicht werden können. Angesichts der Kurzfristigkeit der Rücknahme sei noch keine Kontinuität oder Verfestigung der Namensführung des Klägers eingetreten, die eine Rücknahme unverhältnismäßig erscheinen ließe. Es bestehe vielmehr ein öffentliches Interesse an Namenskontinuität. Interessen Dritter seien nicht betroffen, da sich die Änderung des Familiennamens nur auf den Kläger erstrecke.

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Am 15. Juni 2015 hat der Kläger dagegen Klage zum Verwaltungsgericht Greifswald erhoben. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. April 2016 – 2 A 512/15 HGW – den Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2015 insoweit aufgehoben, als die Wirkung der Rücknahme auch für die Vergangenheit ausgesprochen worden war und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Namensänderung sei unter Aushändigung einer Namensurkunde mit rechtsgestaltender Wirkung erfolgt. Die Beseitigung rechtsgestaltender Wirkungen sei rechtlich allein mit Wirkung für die Zukunft durch einen erneuten rechtsgestaltenden Akt möglich. Im Übrigen sei die Rücknahmeentscheidung des Beklagten rechtmäßig und insbesondere frei von Ermessensfehlern. Das Urteil ist dem Kläger am 19. April 2016 zugestellt worden.

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Der Senat ordnete mit Beschluss vom 28. Juli 2016 – 1 M 261/16 – die Fortdauer der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 31. März 2015 wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Klägers vom 13. März 2015 gegen den Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 an, soweit dieser nicht durch das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. April 2016 aufgehoben worden war. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Senat auf den Antrag des Klägers die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 6. April 2016 zugelassen, soweit die Klage abgewiesen worden war. Der Beschluss ist dem Kläger am 3. August 2016 zugestellt worden. Am 16. August 2016 hat der Kläger die Berufung begründet.

9

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, der Bescheid vom 3. September 2014 sei nicht rechtswidrig. Nr. 54 NamÄndVwV erlaube im Falle eines Sammelnamens auch die Hinzufügung eines unterscheidenden Zusatzes. Es gebe keinen sachlichen Grund, als einen solchen Zusatz nicht den Geburtsnamen der Ehefrau zu wählen. Die Vorschrift des § 1355 BGB solle die Bildung von Doppelnamen erschweren, schließe diese aber nicht vollkommen aus oder untersage einen bestimmten Doppelnamen. Zu berücksichtigen sei, dass der Gesetzgeber die Bildung von Doppelnamen nicht vollständig unterbinde, etwa in den Fällen von §§ 1617 Abs. 1, 1617a BGB oder dann, wenn ein Ehegatte einen Doppelnamen führe, der zum Ehenamen bestimmt werde. Es gebe keinen Rechtsatz, der die Änderung eines Sammelnamens ausschließe, wenn dieser zum Ehenamen gemacht worden sei. Die Funktion des Ehenamens in der Generationenfolge solle vorliegend dadurch gewahrt werden, dass auch der Ehename in den von den Eheleuten geführten Familiennamen geändert werde. Er habe gemeinsam mit seiner Ehefrau einen solchen Antrag beim Beklagten gestellt.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 6. April 2016 – 2 A 512/15 HGW – teilweise zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2015 insgesamt aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt unter Berufung auf deren Begründung die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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1. Die Berufung ist zulässig. Sie wurde insbesondere innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO unter Darlegung der Berufungsgründe begründet. Die Berufungsbegründung enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 5 VwGO i.V.m. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO).

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2. Die Berufung ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 5. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

18

Die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung des Beklagten beurteilt sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG M-V. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der zurückgenommene Verwaltungsakt war zwar rechtswidrig. Der Beklagte hat jedoch von seinem Rücknahmeermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide, da das Gericht die Entscheidung des Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch auf Ermessensfehler hin zu prüfen hat.

19

a) Der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2014, mit dem der Familiennamen des Klägers in den Familiennamen seiner Ehefrau geändert worden war, ist rechtswidrig. Gemäß § 3 Abs. 1 NamÄndG darf ein Familienname nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt. Ein wichtiger Grund für die Namensänderung liegt vor, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden schutzwürdigen Belange ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt (BVerwG, Beschl. v. 13.09.2016 – 6 B 12/16 –, juris Rn. 12 m.w.N.). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung haben die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte auch die gesetzlichen Wertungen im Familienrecht zu berücksichtigen, die grundsätzlich umfassend und abschließend sind (Habermann, in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2013, § 12, Rn. 223).

20

Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung zugunsten der vom Kläger beantragten Namensänderung außer Acht gelassen, dass der Gesetzgeber mit der am 1. April 1994 in Kraft getretenen Neuregelung des Ehenamensrechtes durch das Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts vom 16. Dezember 1993 (BGBl. I 2054) die Möglichkeit ausschließen wollte, einen aus beiden Namen der Eheleute zusammengesetzten Ehedoppelnamen zu wählen. Ehename kann bürgerlich-rechtlich nur der Geburtsname oder der zur Zeit der Erklärung über die Bestimmung des Ehenamens geführte Name eines der Ehegatten werden (§ 1355 Abs. 2 BGB), lediglich der andere Ehegatte kann dem so gebildeten Ehenamen seinen Geburtsnamen oder den geführten Namen beifügen (§ 1355 Abs. 4 Satz 1 BGB). Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass diese Entscheidung des Gesetzgebers, eine das Namensrecht prägende, grundgesetzkonforme gesetzliche Wertung darstellt, die unabhängig von den persönlichen Verhältnissen der Ehegatten zu beachten ist. Daher kann das Verbot der aus den Namen der Ehegatten zusammengesetzten Ehedoppelnamen nur dann im Wege der Abwägung nach § 3 Abs. 1 NamÄndG überwunden werden, wenn den Namensträgern durch die Führung eines eingliedrigen Ehenamens individuelle Beeinträchtigungen von einigem Gewicht entstehen, die nur durch die Zulassung des Ehedoppelnamens beseitigt werden können. Dies gilt auch dann, wenn die Ehegatten den häufig vorkommenden Namen (Sammelnamen) eines von ihnen zum Ehenamen bestimmt haben. Könnte bereits das Führen eines solchen Ehenamens als wichtiger Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG einen Anspruch auf Führung eines Ehedoppelnamens begründen, würde die allgemeine gesetzliche Wertentscheidung, diese Namen nicht als Ehenamen zuzulassen, keine Geltung für alle Ehegatten beanspruchen, die einen Sammelnamen als Ehenamen führen. Diese Ehegatten könnten das Doppelnamenverbot stets umgehen, indem sie den Sammelnamen eines Ehegatten als Ehenamen bestimmen und anschließend ein öffentlich-rechtliches Namensänderungsbegehren geltend machen. Hierfür besteht schon deshalb kein Anlass, weil es den Ehegatten freigestellt ist, ob sie den sogenannten Sammelnamen eines von ihnen zum Ehenamen bestimmen. Auch kann die Führung eines solchen Namens für sich genommen von vornherein keine zur Namensänderung nach § 3 Abs. 1 NamÄndG berechtigende individuelle Unzuträglichkeit darstellen, weil alle Träger derartiger Namen unabhängig von ihrer persönlichen Situation gleichermaßen betroffen sind (vgl. BVerwG, Beschl. vom 03.02.2017 – 6 B 50/16 –, juris Rn. 9 zur öffentlich-rechtlichen Namensänderung eines Ehenamens).

21

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Deren Wertungen sind auf den hier zu beurteilenden Fall der Änderung eines Familiennamens eines Ehegatten in den vom anderen Ehegatten geführten Doppelnamen übertragbar. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Kläger und seine Ehefrau den Unannehmlichkeiten, die mit dem Führen eines Sammelnamens, der an Unterscheidungskraft verloren hat verbunden sind, auch dadurch hätten begegnen können, dass sie den Geburtsnamen der Ehefrau zum Familiennamen bestimmt und der Kläger seinen Geburtsnamen vorangestellt hätte. Dadurch wäre der vom Kläger begehrte Familienname bürgerlich-rechtlich entstanden.

22

b) Gleichwohl ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten insgesamt aufzuheben. Der Bescheid beruht auf einer fehlerhaften Ermessensausübung, die der Prüfungskompetenz des Gerichts unterliegt.

23

aa) Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Zwar ist im Falle einer Anfechtungsklage gegen eine behördliche Rücknahmeentscheidung in der Regel der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (hier also des Widerspruchsbescheides) entscheidend. Aus dem zugrunde liegenden materiellen Recht können jedoch abweichende Maßgaben folgen (vgl. Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Auflage, § 48, Rn. 128a). So liegt es hier. Auch der gegenwärtig geführte Familienname des Klägers ist verfassungsrechtlich geschützt. Der Rücknahmebescheid des Beklagten ist deshalb auch im Hinblick auf die während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens eingetretenen Umstände zu beurteilen. Das ergibt sich aus nachfolgenden Erwägungen:

24

Der Streitgegenstand beschränkt sich in diesem Berufungsverfahren nach Eintritt der Rechtskraft des stattgebenden Teils des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf die Rücknahme der öffentlich-rechtlichen Namensänderung mit Wirkung für die Zukunft. Der Bescheid des Beklagten vom 1. September 2014 hatte eine Gestaltungsfunktion. Er ist bis zur Berufungsverhandlung ununterbrochen wirksam geblieben. Die Vollziehbarkeit des Rücknahmebescheides vom 5. März 2015 war in diesem Zeitraum durch den Widerspruch des Klägers gehemmt, da das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt und der Senat deren Fortdauer angeordnet hat. Der Kläger trägt den geänderten Familiennamen seit dem 9. September 2014. Mit Eintritt der Bestandskraft der Rücknahmeentscheidung würde dieser Rechtszustand für den Kläger mit Wirkung nur für die Zukunft enden, was in der rechtlichen Wirkung zu einer erneuten Änderung des Familiennamens des Klägers führen würde.

25

Der hier zu beurteilende Rücknahmebescheid berührt daher eine verfassungsrechtlich geschützte Position des Klägers. Es ist verfassungsgerichtlich geklärt, dass dem Namen eines Menschen nicht nur eine Ordnungsfunktion als Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmal zukommt. Der Name ist auch Ausdruck seiner Identität und Individualität und wird daher als Teil seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Daraus folgt zugleich, dass sich der Name einer Person nicht beliebig austauschen lässt. Der Einzelne kann grundsätzlich verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und schützt. Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Der verfassungsrechtliche Schutz umfasst Vornamen und Familiennamen gleichermaßen (vgl. BVerfG, Urt. v. 18.02.2004 – 1 BvR 193/97 –, BVerfGE 109, 256, Rn. 22; BVerfG, Beschl. v. 11.04.2001 – 1 BvR 1646/97 –, juris Rn. 8, 10).

26

Dieser materiell-rechtliche Umstand führt zu einer Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage für den Rücknahmebescheid. So entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, durch den eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.2010 – 1 C 10/09 –, juris Rn. 11 f.). Das Bundesverwaltungsgericht begründet diese Annahme mit der potentiellen Grundrechtsrelevanz aufenthaltsbeendender Maßnahmen, die es gebiete, der gerichtlichen Entscheidung eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage zugrunde zu legen. Das Bundesverwaltungsgericht geht auch davon aus, dass im Rahmen einer baurechtlichen Nachbarklage inzwischen ergangene Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn berücksichtigt werden müssen, da es nicht sinnvoll und mit der verfassungsmäßigen Garantie des Eigentums nicht vereinbar wäre, eine (bei ihrem Erlass fehlerhafte) Baugenehmigung aufzuheben, obwohl sie sogleich nach der Aufhebung wiedererteilt werden müsste (BVerwG, Beschl. v. 22.04.1996 – 4 B 54/96 –, juris Rn. 4). Diese Rechtsprechung ist auf den Fall der Rücknahme einer Baugenehmigung übertragen worden. Die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung soll sich bei dem Bauherrn günstigen Änderungen nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beurteilen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 27.06.1996 – 7 A 3590/91 –, juris Rn. 13).

27

Der Senat schließt sich diesen Erwägungen an. Diese lassen sich auf den hier zu beurteilenden Fall der Rücknahme einer im gerichtlichen Verfahren wirksam gebliebenen öffentlich-rechtlichen Namensänderung übertragen, da auch insoweit eine verfassungsrechtlich geschützte Position des (ursprünglich rechtswidrig) Begünstigten berührt ist. Aus dem Umstand, dass die Aufhebungsentscheidung im Ermessen der Behörde steht, folgt prozessrechtlich nichts anderes. Der Beklagte hatte die Möglichkeit, im Rahmen seiner Verpflichtung zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle seine Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO im laufenden Verfahren zu aktualisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.2010 – 1 C 10/09 –, juris, Rn. 24).

28

bb) Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V hat die Behörde im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme abzuwägen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.2003 – 2 B 10/03 –, juris Rn. 5). Die Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen durch den Beklagten geschah ermessensfehlerhaft.

29

Der Beklagte stützt seine Entscheidung zugunsten einer Rücknahme im Wesentlichen auf folgende Überlegungen: Es bestehe ein öffentliches Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände und der Schaffung von Namenskontinuität. Die Rücknahme verhindere eine negative Vorbildwirkung. Der Kläger habe bereits im Zuge der Bestimmung des Ehenamens den Interessen am Ausdruck ehelicher Zusammengehörigkeit und an einer Namensidentität Rechnung tragen können. Das öffentliche Rücknahmeinteresse überwiege, wenn die Bestimmungen des bürgerlich-rechtlichen Namensrechts umgangen wurden und der Einzelne es selbst in der Hand gehabt hätte, die Beseitigung der der Namensänderung zugrunde liegenden Umstände selbst vorzunehmen. Eine Verfestigung der Namensführung sei nicht eingetreten, da dem Kläger die beabsichtigte Rücknahme schon kurze Zeit nach der Namensänderung mitgeteilt worden sei. Der Kläger habe die überwiegende Zeit seines Lebens seinen Geburtsnamen geführt. Schutzwürdige Interessen Dritter seien nicht ersichtlich.

30

Diese Erwägungen stellen in mehrfacher Hinsicht einen Fehlgebrauch (§ 40 VwVfG M-V) des dem Beklagten eingeräumten Ermessens dar. Der Beklagte hat in seinen Entscheidungsprozess nicht hinreichend eingestellt, dass das öffentliche Interesse an einer Namenskontinuität auch gegen die Rücknahme einer wirksam erfolgten Namensänderung ins Feld geführt werden kann. Dieses Interesse besteht vornehmlich darin, den Namensträger zu kennzeichnen und sein Verhalten diesem auch in Zukunft ohne weitere Nachforschung zurechnen zu können (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.03.2003 – 6 C 26/02 –, juris Rn. 14). Diese auf das Allgemeinwohl bezogenen Erwägungen gewinnen an Gewicht, je länger der Betreffende den geänderten Namen bereits trägt. Wie oben gezeigt, musste der Beklagte für seine Entscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen auch den Zeitraum bis zur Berufungsentscheidung berücksichtigen. Das ist ausdrücklich und vom Rechtsstandpunkt des Beklagten aus folgerichtig nicht geschehen. Der Beklagte stützt sich vielmehr auf die Tatsache, dass er den Vertrauensschutz des Klägers bereits nach wenigen Wochen durch die Ankündigung der Rücknahmeabsicht zerstört hat. Das trifft zu, gleichwohl trat im Verhältnis zur Allgemeinheit eine Verfestigung der Namensführung des Klägers über diesen Zeitraum hinaus ein.

31

Mit dem genannten öffentlichen Interesse korrespondiert eine im entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits erhebliche Verfestigung der dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unterfallenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition des Klägers. Diese ist vom Beklagten nicht mit der ihr zukommenden Bedeutung eingestellt worden. Die Rücknahme einer bestandskräftigen und wirksamen Namensänderung stellt einen Eingriff in diese Grundrechtsposition dar. Der Senat musste nicht entscheiden, ob dieser Umstand eine Rücknahme gegen den Willen des Betroffenen nach den §§ 48 ff. VwVfG generell ausschließt (in diese Richtung Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage, § 12, Rn. 209; der von Brandhuber, StAZ 1997, 301 für die Möglichkeit einer Rücknahme benannte Fall betrifft eine Aufhebung zugunsten der Betroffenen). Der Beklagte beruft sich jedenfalls vorliegend auf keine öffentlichen Interessen von solchem Gewicht, die einen Entzug des dem Kläger wirksam verliehenen Familiennamens rechtfertigen könnten. Der durch die Namensänderung erzeugte Zustand eines gemeinsamen Doppelfamiliennamens der Eheleute ist zwar rechtswidrig zustande gekommen, aber im Ergebnis der Rechtsordnung nicht von vornherein fremd. Eheleute können etwa dann denselben Doppelnamen als Familiennamen tragen, wenn ein Ehegatte einen sogenannten echten Doppelnamen als Geburtsnamen trägt oder zum Zeitpunkt der Erklärung über die Bestimmung des Ehenamens einen Doppelnamen (auch den im Wege von § 1355 Abs. 4 BGB entstandenen) führt, der zum Ehenamen gemacht wird (vgl. auch BVerfG, Urt. v. 05.05.2009 – 1 BvR 1155/03 –, BVerfGE 123, 90, Rn. 33 f. zu verschiedenen Konstellationen des Entstehens von echten Doppelnamen). Der durch die Namensänderung hervorgerufene Rechtszustand ist „für sich genommen“ nicht rechtswidrig oder in einer Weise unerträglich, dass er zwingend der nochmaligen Änderung bedürfte, etwa weil Rechte Dritter betroffen wären oder die Ordnungsfunktion des Familiennamens eingeschränkt wäre.

32

Der Senat verkennt nicht, dass die erfolgte Änderung des Familiennamens des Klägers nicht ohne weiteres dazu führt, dass sich auch der Ehename und damit die Geburtsnamen von gemeinsamen Kindern (§ 1616 BGB) der Eheleute ändern. Nachträgliche Änderungen des Geburtsnamens, auch nach dem NamÄndG, lassen den Ehenamen grundsätzlich unberührt. Ob dieser Umstand unter den Gesichtspunkten der Namenskontinuität in der Generationenfolge und der Namenseinheit der Familie eine Rücknahmeentscheidung stützen könnte, muss hier jedoch nicht entschieden werden, weil der Beklagte darauf seine Ermessensentscheidung nicht gestützt hat. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger und seine Ehefrau aus den vorgenannten Gründen auch die entsprechende Änderung des Ehenamens anstreben.

33

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Es bestehen keine Gründe, die Revision gemäß § 132 Abs. 1 und 2 VwGO zuzulassen.

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