Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 LB 197/18
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Januar 2018 – 2 A 2316/17 HGW – wird teilweise geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 7. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kommunalen Sozialverbandes Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Oktober 2017 wird aufgehoben, soweit die Klägerin zu 1. zur Erstattung der für den Monat Januar 2017 erbrachten Unterhaltsleistung herangezogen wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. in beiden Rechtszügen zu 1/8. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zu 1. zu 7/16 und die Klägerin zu 2. zu 1/2. Im Übrigen tragen alle Beteiligten ihre Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
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Die am 2. August 2008 geborene Klägerin zu 2. ist die Tochter der Klägerin zu 1. und des Herrn A.. Die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht. Sie leben seit November 2015 getrennt. Am 25. Januar 2016 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dabei gab sie an, die Klägerin zu 2. lebe bei ihr und sei an zehn bis zwölf Tagen im Monat bei ihrem Vater. Der Beklagte gewährte der Klägerin zu 2. daraufhin mit Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2016 ab dem 1. Januar 2016 eine monatliche Unterhaltsleistung in Höhe von 194 Euro. Die Bewilligung galt bis auf weiteres, aber längstens bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres des Kindes und für einen Zeitraum von insgesamt 72 Monaten. Mit Bescheid vom 4. Januar 2017 setzte der Beklagte die Unterhaltsleistung ab Januar 2017 auf 201 Euro monatlich fest. Am 10. Januar 2017 wurde dem Beklagten bekannt, dass die Eltern des Kindes am 20. Dezember 2016 vor dem Amtsgericht Pasewalk eine Umgangsvereinbarung geschlossen hatten. Danach erhielt der Kindsvater in jeder zweiten Woche Umgang im Zeitraum von Donnerstagnachmittag bis Dienstagmorgen und in den dazwischenliegenden Wochen im Zeitraum von Freitagnachmittag bis Samstagmorgen. Für den Umgang mit Feiertagen und in den Ferien sollte eine gesonderte Regelung getroffen werden. Der Beklagte zahlte daraufhin die Unterhaltsleistung ab Februar 2017 nicht mehr aus und hörte die Klägerin zu 1. zur beabsichtigten Einstellung und Erstattung der Unterhaltsleistung an.
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Mit Bescheid vom 7. März 2017 stellte der Beklagte die Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab Februar 2017 ein und forderte die Leistung für den Monat Januar 2017 in Höhe von 201 Euro von der Klägerin zu 1. zurück. Die Klägerinnen legten gegen den Bescheid Widerspruch ein. Der Kommunale Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern erließ am 4. Oktober 2017 einen Widerspruchsbescheid. Nach dem Tenor des Widerspruchsbescheides wurde der Bescheid des Beklagten vom 7. März 2017 aufgehoben, soweit er den Bescheid vom 18. Februar 2016 mit Wirkung vor dem 1. April 2017 aufgehoben hatte. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die rückwirkende Aufhebung der Leistungsgewährung für den Zeitraum vor April 2017 betreffe die Klägerin zu 2. und sei nicht gerechtfertigt. Es bestehe jedoch für die für Januar 2017 gewährte Unterhaltsleistung in gleicher Höhe ein Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin zu 1. aus § 5 Abs. 1 UVG. Hätte der Beklagte die Unterhaltsleistungen für Februar und März 2017 an die Klägerin zu 2. noch erbracht, hätte die Klägerin zu 1. diese gleichfalls zurückzahlen müssen.
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Die Klägerinnen haben am 6. November 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Greifswald erhoben. In der mündlichen Verhandlung haben sie beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 7. März 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des kommunalen Sozialverbandes Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Oktober 2017 aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Januar 2018 – 2 A 2316/17 HGW – abgewiesen. Ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab April 2017 bestehe nicht, weil sich nicht feststellen lasse, dass das Kind nur bei einem Elternteil lebe. Auf den Antrag der Klägerinnen hat der Senat mit Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 LZ 197/18 OVG – die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Der Beschluss ist den Klägerinnen am 13. Mai 2019 zugestellt worden. Der Vorsitzende hat die Berufungsbegründungsfrist mit Verfügung vom 14. Juni 2019 um einen Monat verlängert. Am 15. Juli 2019 (Montag) haben die Klägerinnen die Berufung begründet.
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Zur Begründung der Berufung tragen die Klägerinnen im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG seien erfüllt. Die Klägerin zu 2. lebe bei der Klägerin zu 1., ein Wechselmodell sei zwischen den Eltern nicht vereinbart worden. Die Klägerin zu 1. sei kindergeldberechtigt. Bei ihr liege auch die Hauptverantwortung für Fürsorge und Erziehung. Die Klägerin zu 1. regele sämtliche schulische Angelegenheiten einschließlich Essensgeld. Sie kümmere sich allein um die Kleidung des Kindes, behördliche Angelegenheiten und die Gesundheitssorge.
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Die Klägerinnen beantragen,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Januar 2018 – 2 A 2316/17 HGW – zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 7. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kommunalen Sozialverbandes Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Oktober 2017 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts. Auch nach den Angaben der Klägerseite erreiche der Betreuungsanteil des Kindsvaters fast 40 Prozent. Dies sei ein Maß an Mitbetreuung des Kindes, das der Annahme von Alleinerziehung entgegenstehe. Das Kriterium der Kindergeldberechtigung sei nicht relevant. Es sei nicht zu erkennen, dass die Kindergeldstelle selbst geprüft habe, zu welchem Haushalt das Kind in welchem Umfang gehöre.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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1. Die Berufung ist zulässig. Die Berufung ist innerhalb der Frist nach § 124a Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 VwGO begründet worden. Die Begründung enthält auch einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO).
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2. Die Berufung ist aber nur zum Teil begründet.
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Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 7. März 2017 enthält zwei Regelungen. Zum einen hebt er mit Wirkung vom 1. Februar 2017 die mit Bescheid vom 4. Januar 2017 ausgesprochene fortlaufende Bewilligung von Unterhaltsleistungen an die Klägerin zu 2. auf. Insoweit ist der angefochtene Bescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2017 geändert worden. Die Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 2017 (der maßgebliche Bewilligungsbescheid ist im Tenor des Widerspruchsbescheides offenkundig unrichtig bezeichnet worden) tritt nach der Änderung des Ausgangsbescheides durch den Widerspruchsbescheid erst mit Wirkung vom 1. April 2017 ein. Der Senat weist zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits darauf hin, dass sich deshalb für die Monate Februar und März 2017 aus dem Bescheid des Beklagten vom 4. Januar 2017 für die Klägerin zu 2. noch ein Zahlungsanspruch ergibt. Die Klägerinnen können ihr auf Weitergewährung von Unterhaltsleistungen ab April 2017 gerichtetes Rechtsschutzbegehren in statthafter Weise mit der Anfechtungsklage verfolgen. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheides würde die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung des Beklagten wieder aufleben (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17 –, juris Rn. 15). Streitgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung ist dabei der Zeitraum zwischen dem begehrten Leistungsbeginn und dem Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.2017 – 5 C 36.16 –, juris Rn. 12 ff.). Die Aktivlegitimation der Klägerin zu 1., die selbst nicht Leistungsempfängerin ist, folgt insoweit aus § 9 UVG (OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17 –, juris Rn. 17 m.w.N.).
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Zum anderen bestimmt der Bescheid vom 7. März 2017 eine Ersatzpflicht der Klägerin zu 1. für die an die Klägerin zu 2. für den Monat Januar 2017 erbrachte Unterhaltsleistung. Insoweit ist der Widerspruch der Klägerin zu 1. im Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2017 zurückgewiesen worden. Die Klägerin zu 1. kann ihr auf Aufhebung dieser Verfügung gerichtetes Rechtsschutzbegehren gleichfalls mit einem Anfechtungsantrag verfolgen.
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Die so verstandene Anfechtungsklage der Klägerinnen ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Einstellung der Unterhaltsleistungen zum April 2017 geschah rechtmäßig, die Klägerinnen sind dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin zu 1. ist jedoch in ihren Rechten verletzt, soweit sie auf Ersatz der Unterhaltsleistung für Januar 2017 in Anspruch genommen wurde. Nur insoweit sind die angefochtenen Bescheide aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Gegen die Entscheidung des Beklagten, die Unterhaltsleistungen für den Zeitraum ab April 2017 einzustellen, ist rechtlich nichts zu erinnern. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz waren im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr gegeben. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG kann Unterhaltsleistungen nach diesem Gesetz nur beanspruchen, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt. Daran fehlte es vorliegend.
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Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen. Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist als ein wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, welcher Elternteil zum vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt wurde (BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20/11 –, juris Rn. 20 f. m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben konnte der Senat unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht feststellen, dass die Klägerin zu 2. im streitgegenständlichen Zeitraum im Sinne des Gesetzes allein bei der Klägerin zu 1. gelebt hat. Zwar liegt eine die Gewährung von Unterhaltsleistungen rechtfertigende Alleinerziehung nicht erst dann vor, wenn sich der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, gar nicht an der Betreuung und Versorgung des Kindes beteiligt. Umgekehrt betrachtet ist eine Alleinerziehung aber auch nicht erst dann ausgeschlossen, wenn Pflege und Erziehung des Kindes zwischen den Elternteilen in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleichwertig verteilt sind. Entscheidend ist, ob die Betreuungsleistung des anderen Elternteils bereits ein solches Maß erreicht hat, dass nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass der Unterhaltsleistungen beantragende Elternteil die Verantwortung für Sorge und Erziehung des Kindes weit überwiegend allein erfüllen muss (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 13.12.2018 – OVG 6 B 9.17 –, juris Rn. 21, OVG Münster, Urt. v. 15.12.2015 – 12 A 1053/14 –, juris Rn. 29, VGH München, Beschl. v. 14.01.2013 – 12 C 12.2737 –, juris Rn. 10). So liegt es hier.
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Der Betreuungsanteil des Vaters ist bei einer quantitativen Betrachtungsweise zwar nicht gleichwertig zu dem der Mutter der Klägerin zu 2., er hat jedoch einen so erheblichen Umfang, dass von einer wesentlichen Entlastung der Klägerin zu 1. gesprochen werden muss. Der Senat geht dabei von der Annahme aus, dass die Umgangsvereinbarung vom 20. Dezember 2016 zwischen den Elternteilen auch vollzogen worden ist. Die Klägerinnen tragen etwas anderes nicht vor. Aus dieser Vereinbarung ergibt sich, dass der Kindsvater die Klägerin zu 2. in einem zeitlichen Umfang von deutlich mehr als einem Drittel betreut hat. Das gilt unabhängig davon, ob man die Zeiten, in denen das Kind in der Schule und im Hort betreut wurde, einrechnet oder nicht. Bei einem solchen Betreuungsumfang durch den anderen Elternteil kann regelmäßig nicht mehr angenommen werden, dass der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei dem Elternteil liegt, bei dem das Kind lebt. Das gilt auch dann, wenn in qualitativer Hinsicht eingestellt wird, dass die Klägerin zu 1. in bestimmten Bereichen der elterlichen Sorge wie der Regelung der schulischen und behördlichen Angelegenheiten und der Gesundheitssorge die Hauptverantwortung getragen hat. Auch aus den Angaben der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich nicht, dass der Kindsvater insoweit sein Sorgerecht gar nicht wahrgenommen hätte.
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Eine andere rechtliche Betrachtung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum kindergeldberechtigt war. Die Klägerin zu 1. hat in ihrem Antrag auf Unterhaltsleistungen vom 25. Januar 2016 angegeben, dass sie diese Leistung bereits seit August 2008 erhält. Die Klägerinnen tragen nicht vor, dass die Kindergeldstelle nach der Trennung der Eltern und erst recht nicht für den streitgegenständlichen Zeitraum in der Sache geprüft hätte, ob die Voraussetzungen von § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG zugunsten der Klägerin zu 1. weiter vorliegen. Es ist deshalb nicht zu erkennen, dass die Entscheidung der Kindergeldstelle über die Kindergeldberechtigung von maßgeblicher Aussagekraft für die Beantwortung der Frage ist, ob die Klägerin zu 2. im unterhaltsvorschussrechtlichen Sinne bei einem Elternteil gelebt hat (vgl. OVG Münster, Urt. v. 15.12.2015 – 12 A 1053/14 –, juris Rn. 44). Eine Aufnahme in den Haushalt setzt kindergeldrechtlich zudem nur voraus, dass das Kind bewusst und auf einen längeren Zeitraum zur Betreuung und Erziehung in die Obhut der Familiengemeinschaft aufgenommen wird. Das Kind muss sich in diesem Haushalt überwiegend aufhalten und dort seinen Lebensmittelpunkt haben. Eine annähernd gleichwertige Haushaltsaufnahme bei beiden Elternteilen, die die Anwendung von § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausschließt, liegt erst dann vor, wenn keinem der Aufenthalte ein eindeutiges Übergewicht zukommt (vgl. BFH, Urt. v. 18.04.2013 – V R 41/11 –, juris Rn. 17 f. m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin zu 2. hat ihren Lebensmittelpunkt durchaus im Haushalt ihrer Mutter. Der Aufenthalt im Haushalt des Vaters ist nicht annähernd gleichwertig. Aus der Kindergeldberechtigung der Klägerin zu 1. lässt sich mithin für das geltend gemachte Leistungsbegehren nichts Maßgebliches herleiten.
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b) Die angefochtenen Bescheide waren jedoch aufzuheben, soweit die Klägerin zu 1. darin zum Ersatz der für den Monat Januar 2017 erbrachten Unterhaltsleistung verpflichtet worden war. Die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 UVG sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat (Nr. 1) oder gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren (Nr. 2), wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben.
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Zwar waren die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung im Januar 2017 entfallen, weil der Tatbestand von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht mehr erfüllt war. Der Klägerin zu 1. kann aber kein Vorwurf des schuldhaften Handelns gemacht werden.
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§ 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG sanktioniert vorsätzliche oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben. Die Norm lässt ihrem Wortlaut entsprechend den Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit genügen. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 – 5 C 20/11 –, juris Rn. 23). Die Anforderungen an die Sorgfalt sind dem Unterhaltsvorschussrecht entsprechend auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.06.2006 – 5 B 42/06 –, juris Rn. 7). Vom betreffenden Elternteil kann dabei nicht verlangt werden, dass Einzelheiten der gesetzlichen Grundlagen bekannt sein müssen. Andererseits wird man aber verlangen können, dass die Verpflichtungen, die sich aus einem ausgehändigten Merkblatt ergeben, eingehalten werden (Conradis, UVG, 2. Auflage, § 5, Rn. 4).
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Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin zu 1. nicht fahrlässig gehandelt, als sie dem Beklagten die Unterhaltsvereinbarung vom 20. Dezember 2016 nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Dabei ist zunächst einzustellen, dass das Sitzungsprotokoll zunächst ausgefertigt und ihrer Verfahrensbevollmächtigten zugestellt werden musste, ehe die Klägerin zu 1. dem Beklagten die Vereinbarung durch Vorlage einer Unterlage nachweisen konnte. Auch der Vater des Kindes, der ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Einstellung der Unterhaltsleistungen an seine Tochter hatte, hat sich erst am 10. Januar 2017 deswegen an den Beklagten gewandt. Ungeachtet dessen hat die Klägerin die Leistungserheblichkeit (§ 6 Abs. 4 UVG) der Umgangsvereinbarung nicht in fahrlässiger Weise verkannt. Sie hatte in ihrem Leistungsantrag vom 25. Januar 2016 angegeben, dass sich das Kind circa zehn bis zwölf Tage im Monat beim Vater aufhält. Der Beklagte hatte daraufhin die Sach- und Rechtslage näher geprüft, die Einzelheiten der Betreuung bei den Eltern des Kindes geklärt und Unterhaltsleistungen bewilligt. An dem im Antrag angegebenen Betreuungsumfang hatte sich durch die Vereinbarung nichts geändert, wenn man davon ausgeht, dass anteilige Betreuungszeiten des Vaters als halbe Tage gerechnet werden. Auch eine besonnene und gewissenhafte Leistungsempfängerin musste deshalb nicht damit rechnen, dass der veränderte Umgang des Vaters Einfluss auf die Leistungsgewährung haben kann. Die Rechtslage musste ihr nicht bekannt sein, zumal die betreffende Frage rechtlich komplex und im vorliegenden Fall in tatsächlicher Hinsicht auch nicht einfach zu beantworten ist. Einen Hinweis darauf, dass jede Veränderung des Umgangs durch den anderen Elternteil mitzuteilen ist, enthielten auch die Bewilligungsbescheide des Beklagten nicht.
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Liegen die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG nicht vor, hat die Klägerin zu 1. auch nicht fahrlässig verkannt, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
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