Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 KM 280/20 OVG
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Der in A-Stadt lebende Antragsteller begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung des § 4 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Mecklenburg-Vorpommern (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfV) vom 3. April 2020 in der Fassung der Ersten Änderungsverordnung vom 08.04.2020 (GVOBl. S. 146).
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§ 4 der Verordnung lautet:
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§ 4 Reisen nach Mecklenburg-Vorpommern
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(1) Alle Reisen in das Gebiet des Landes Mecklenburg-Vorpommern sind untersagt, soweit die folgenden Absätze nichts anderes bestimmen.
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(2) Das Verbot in Absatz 1 gilt nicht für Personen, die ihren ersten Wohnsitz (Haupt- oder alleinige Wohnung nach dem Bundesmeldegesetz) in Mecklenburg-Vorpommern oder im Amt Neuhaus haben oder in Mecklenburg-Vorpommern eine allgemeinbildende Schule, berufliche Schule oder Schule für Erwachsene besuchen oder an einer Hochschule im Sinne des § 1 Landeshochschulgesetz immatrikuliert sind.
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(3) Das Verbot in Absatz 1 gilt nicht für Reisen, die für die Ausübung beruflicher Tätigkeiten zwingend erforderlich sind.
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(4) Das Verbot in Absatz 1 gilt nicht für Anlässe, bei denen die Anwesenheit der reisenden Person zwingend erforderlich ist aus rechtlichen Gründen (Beispiel: Zeugenaussage vor Gericht) oder zur Erfüllung einer moralischen Verpflichtung (Beispiel: Teilnahme an der Beisetzung eines nahen Verwandten).
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(5) Das Verbot in Absatz 1 gilt nicht für Reisen zu privaten Besuchen bei Familienangehörigen (Kernfamilie), die ihren ersten Wohnsitz (Haupt- oder alleinige Wohnung nach dem Bundesmeldegesetz) in Mecklenburg-Vorpommern haben. Familienangehörige (Kernfamilie) sind hierbei Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Lebensgefährten, Kinder, Eltern und Großeltern. Ein solcher Familienbesuch ist jeweils auch zusammen mit dem Ehegatten, eingetragenen Lebenspartner oder Lebensgefährten möglich, sofern häusliche Gemeinschaft besteht.
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(6) Das Verbot in Absatz 1 gilt nicht für Umzüge nach Mecklenburg-Vorpommern, die unaufschiebbar sind.
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(7) Personen, die sich innerhalb der letzten 14 Tage vor dem beabsichtigten Besuch in einem internationalen Risikogebiet oder in einem besonders betroffenen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben, ist für die Dauer von 14 Tagen ab Rückkehr aus diesen Ländern bzw. diesen Gebieten eine Reise nach Absatz 3 und Absatz 5 untersagt. Die Einstufung der Risikogebiete richtet sich nach den tagesaktuellen Festlegungen des Robert-Koch-Instituts.
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(8) Personen, die sich in Mecklenburg-Vorpommern aufhalten und für die keine Ausnahme nach den Absätzen 2 bis 6 gilt, haben unabhängig vom Tag ihrer Einreise das Land Mecklenburg-Vorpommern unverzüglich zu verlassen.
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Der Antragsteller trägt vor, § 4 Abs. 1 der Verordnung sei vorläufig außer Vollzug zu setzen. Er sei – was er durch Vorlage einer Kopie des Jagdpachtvertrags mit dem Verpächter aus dem Jahre 2016 glaubhaft macht – Pächter des in der Stadt Woldegk belegenen gemeinschaftlichen Jagdbezirks G.. Reisen von Jagdpächtern mit erstem Wohnsitz außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns in das Gebiet des Bundeslands zur Jagdausübung im eigenen Pachtrevier würden vom Einreiseverbot dieser Vorschrift nicht in den nachfolgenden Absätzen ausgenommen; ebenso müsste dieser Personenkreis nach Maßgabe des § 4 Abs. 8 der Verordnung ausreisen. Sein Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG werde im Sinne einer temporären Enteignung eingeschränkt. Mit Blick auf Art. 19 Abs. 1 GG werde dieses Grundrecht in § 32 IfSG nicht genannt. Er könne sein Recht und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Hege nicht wahrnehmen, ebenso wenig seiner Pflicht zur Wildschadensbekämpfung und zum Jagdschutz. Auch könne er nicht zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest beitragen.
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Der Antragsteller beantragt,
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§ 4 Abs. 1 der SARS-CoV-2-BekämpfV vom 3.04.2020 für Jagdpächter mit Pachtrevier in Mecklenburg-Vorpommern mit erstem Wohnsitz außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns außer Vollzug zu setzen.
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Der Antragsgegner verteidigt die angegriffene Vorschrift dieser Verordnung.
II.
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Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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Der Antragsteller ist antragsbefugt. Soweit er geltend macht, er werde durch § 4 Abs. 1 der Verordnung in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt, dürfte dies zwar rechtlich unzutreffend sein. So kann die Ausübung des Jagdrechts in seiner Gesamtheit an Dritte durch Jagdpachtvertrag verpachtet werden (s. § 11 Abs. 1 Satz 1 BJagdG). Auch wenn dieser ein privatrechtlicher Vertrag ist, auf den die Vorschriften über das Pachtverhältnis (§§ 581 ff. Bürgerliches Gesetzbuch) anzuwenden sind, soweit nicht spezielle jagdrechtliche Bestimmungen oder jagdrechtliche Besonderheiten entgegenstehen (vgl. § 11 BJagdG), ist die Jagdpacht in weiten Teilen öffentlich-rechtlich bestimmt. So gelangt der Jagdpächter anders als bei anderen obligatorischen Rechtsverhältnissen wie z.B. bei der Miete – als Besonderheit des Bundesjagdrechts – mit Abschluss des Jagdpachtvertrages kraft Gesetzes in eine öffentlich-rechtliche Rechte- und Pflichtenposition. Der Jagdpächter erhält – unmittelbar – zum einen die öffentlich-rechtliche Berechtigung zum Jagdschutz und zur Hege. Zum anderen kommt es zu einem vollständigen Einrücken des Jagdpächters in die öffentlich-rechtliche, aus dem Jagdausübungsrecht herrührende Pflichtenstellung, ohne dass es einer einzelnen Aufbürdung dieser Pflichten im Jagdpachtvertrag bedürfte (VG Neustadt [Weinstraße], Urteil vom 12.06.2019 – 5 K 1635/18.NW, juris Rn. 29 m. w. N.). Insofern dürfte der Antragsteller durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot nur in seinen dargestellten öffentlich-rechtlichen Pflichten beeinträchtigt sein, die nicht durch die Eigentumsgarantie geschützt werden dürften.
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Jedenfalls aber wird der Antragsteller durch das (temporäre) Einreiseverbot in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Aufenthaltsverbot) beeinträchtigt. Durch die angegriffene Regelung wird ihm die Einreise und damit der Aufenthalt im Land Mecklenburg-Vorpommern verboten.
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Dem Antragsteller fehlt nicht das Rechtschutzbedürfnis, denn durch die vorläufige Außervollzugsetzung der von ihm angegriffenen Bestimmung der Verordnung verbessert sich seine Rechtsstellung.
III.
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Im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Hierüber entscheidet der Senat auf der Grundlage einer summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten des Antrages in der Hauptsache. Erweist sich dieser als voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Eilrechtsschutz abzulehnen; erweist sich der Antrag in der Hauptsache als voraussichtlich zulässig und begründet, ist dies ein wesentliches Indiz dafür, den Vollzug der Norm bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu suspendieren, wenn die ansonsten dem Antragsteller, betroffenen Dritten oder der Allgemeinheit drohenden Nachteile dies für geboten erscheinen lassen. Bei offenen Erfolgsaussichten verbleibt es bei einer Folgenabwägung (BVerwG, Beschl. v. 30.04.2019 – 4 VR 3.19, juris Rn. 4 für einen Bebauungsplan; auf Rechtsvorschriften nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erweiternd VGH Mannheim, Beschl. v. 10.07.2019 – 8 S 2962/18, juris Rn. 16).
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Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung erweist sich der Antrag als überwiegend wahrscheinlich unbegründet.
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Der Senat hat hierzu in seiner Entscheidung vom 08.04.2020 – 2 KM 236/20 OVG – ausgeführt:
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„Die Ermächtigungsgrundlage für die Rechtsverordnung, in der die angegriffenen Vorschriften enthalten sind, genügt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Das so geregelte Bestimmtheitsgebot verlangt, dass der förmliche Gesetzgeber, also das Parlament selbst die Entscheidung darüber trifft, welche Fragen durch die Rechtsverordnung geregelt werden sollen; er muss die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll. Der Bürger muss aus der Ermächtigungsnorm ersehen können, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden und welchen Inhalt die Rechtsverordnung haben kann (BVerfGE 29, 198, 210; 55, 207, 226; 56, 1, 12). Es ist ausreichend, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigungsvorschrift nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus ihrem Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften des Gesetzes und aus dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ermittelt werden können (BVerfGE 80, 1, 20 f.; 106, 1, 19). Die Regelungen sind so bestimmt zu fassen, wie dies nach Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.
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Diesen Vorgaben an die Bestimmtheit genügt § 32 Satz 1 IfSG. Aus dem Verweis auf die §§ 28 bis 31 IfSG ergibt sich für das Ausmaß der Ermächtigung, dass nur solche Maßnahmen vom Verordnungsgeber angeordnet werden können, die nach diesen Vorschriften rechtlich zulässig sind. § 28 Abs. 1 IfSG seinerseits sieht konkrete Maßnahmen vor und erlaubt darüber hinaus solche, die in Zielsetzung, Geeignetheit und Erforderlichkeit diesen Schutzmaßnahmen entsprechen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Schutzmaßnahmen dürften damit in Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden noch ermittelbar sein. Angesichts der historischen Erfahrungen mit Epidemien, der Erkenntnisse der einschlägigen Fachwissenschaften im Umgang mit solchen Epidemielagen und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum konkreten Erreger/Auslöser der zu bekämpfenden Epidemie findet die Verordnungsermächtigung bestimmbare Grenzen, ohne dass der Gesetzgeber der Exekutive eine Blankettermächtigung erteilt und damit aus der politischen Verantwortung geflüchtet ist.“
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Die angefochtene Bestimmung hält sich im Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 IfSG.
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Diese hat folgenden Wortlaut:
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Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann ins-besondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden.
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Der Senat hat hierzu in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt:
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„Danach erlaubt die Ermächtigungsgrundlage den Erlass von Bestimmungen, die das Ziel haben, die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern. Unter den Begriff des Verhinderns gehört als ein Weniger auch die Begrenzung der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Krankheit. Bei der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verbreiteten Erkrankung handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die in der Rechtsverordnung angeordneten Maßnahmen haben nach der Begründung der Rechtsverordnung das Ziel, besonders vulnerable Personengruppen vor einer Ansteckung zu schützen und die Ansteckung einer größeren Anzahl von Menschen wenigstens zu verzögern. Diese Ermächtigungsgrundlage erlaubt auch Regelungen, die in die Rechte sonstiger Dritter („Nichtstörer“) eingreifen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – 3 C 16/11, juris Rn. 26).
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Die Regelungen müssen geeignet sein, diese Zielsetzung umzusetzen. Nach den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung des Virus überwiegend durch Tröpfchen-Infektion zwischen Menschen. Dazu kommt es insbesondere bei körperlicher Nähe von Menschen im privaten und beruflichen Umfeld unabhängig von direktem Körperkontakt. Die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen begrenzen solche physischen Kontaktmöglichkeiten.
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Die Regelungen müssen auch erforderlich sein. Das Virus ist nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen hoch infektiös. Einen Impfstoff gibt es bislang ebenso wenig wie die Möglichkeit, die Erkrankung direkt medizinisch zu behandeln. Die medizinische Behandlung ist beschränkt auf die Symptombehandlung und allgemeine Stärkung des Körpers. Die Sterberate insbesondere bei den so genannten vulnerablen Gruppen der Bevölkerung, vornehmlich ältere Menschen mit Vorerkrankungen, ist nach den bisherigen Erkenntnissen innerhalb dieser Gruppe hoch. Die Vermeidung körperlicher Nähe zwischen Menschen und die Einhaltung bestimmter Hygieneregeln ist nach gegenwärtigem Wissenstand die gebotene Methode, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen oder gar zu hemmen. Dazu gehört die Begrenzung der Bewegungsfreiheit und der Kontaktmöglichkeiten der Menschen untereinander. Andere Methoden stehen momentan nicht zur Verfügung. Ob sämtliche Beschränkungen kumulativ erforderlich sind, unterliegt der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers.
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Die Regelungen müssen zudem verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Dem Senat ist dabei bewusst, dass es sich um besonders schwere Grundrechtseingriffe handelt; ebenso ist ihm aber die außergewöhnliche Gefährdungssituation durch das Coronavirus bewusst.
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Zunächst ist darauf zu verweisen, dass der Geltungszeitraum der Verordnung auf den 19.04.2020 begrenzt ist. Der Verordnungsgeber macht dadurch deutlich, dass er sich bewusst ist, dass angesichts der Intensität der Eingriffsmaßnahmen eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Verordnung an die Entwicklung der Verbreitung der Erkrankung und die veränderten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Möglichkeiten der Bekämpfung der Infektionsausbreitung und die Behandlungsmöglichkeiten innerhalb eines kurzen Zeitraumes erforderlich ist. Dabei obliegt dem Verordnungsgeber auch innerhalb des Geltungszeitraums der Verordnung eine Beobachtungs- und Überprüfungspflicht (vgl. VGH München, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, Beck-RS, Rn. 63).
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Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Infektionsschutzrecht der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen ist, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, Urt. v. 22.03.2012, a. a. O., Rn. 32). Dies rechtfertigt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Überlegung, dass die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Falle eines besonders schweren Schadens entsprechend zurückgenommen werden können.
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Dies gilt im vorliegenden Fall, weil die durch das Virus hervorgerufene Infektion in vielen Fällen eine schwere Lungenentzündung auslösen kann, die in nicht wenigen Fällen auch bei intensivmedizinischer Betreuung zum Tod führt. Der Verhältnismäßigkeit steht auch nicht entgegen, dass sich die Zahl der bekannten Erkrankungen und Infektionen nicht exponentiell entwickelt hat und bezogen auf die Gesamtbevölkerung des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich sowie absolut gering ist. Das kann auch die Folge der in der Vorgängerverordnung angeordneten Maßnahmen und der besonderen demographischen Struktur eines bis auf wenige größere Städte dünn besiedelten Landes sein, wodurch die Verbreitung des Virus im Vergleich zu anderen Bundesländern oder gar ausländischen Staaten langsamer verläuft. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Zahl der Tests weiterhin gering ist und daher belastbare Zahlen über die tatsächlichen Infektionen in Mecklenburg-Vorpommern nicht vorliegen. Weil die Infektion nach bisherigem Kenntnisstand überwiegend ohne oder nur mit leichten, einer Erkältung oder einem so genannten grippalen Infekt gleichen oder ähnlichen Symptomen verläuft, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine größere Zahl von Personen in Mecklenburg-Vorpommern infiziert ist und die Infektion weitergeben kann, ohne dass dies bemerkt wird. Angesichts dieser Unsicherheiten und der erheblichen Gefahr für eine größere Gruppe von Menschen, ernsthaft zu erkranken, sieht der Senat die Verhältnismäßigkeit der betroffenen Regelungen voraussichtlich für gegeben. Zudem ist auf die umfangreichen Ausnahmen in der Verordnung zu verweisen, die es den Menschen ermöglichen, vielfach ihrer Arbeit nachzugehen und ihre Grundversorgung sicherzustellen. Der Senat hat dabei auch bedacht, dass die Schließungsanordnung für eine große Zahl von Einzelhandelsbetrieben und die in § 1 Abs. 7 der Verordnung aufgeführten Betriebe und Einrichtungen für diese existentielle Folgen haben können. Diese Folgen sollen durch eine Reihe von flankierenden Maßnahmen aufgefangen und wenn möglich vermieden bzw. kompensiert werden. Die Verordnung darf insoweit nicht isoliert betrachtet werden. Schließlich ist zu bedenken, dass die bislang geringe Zahl an bekannt gewordenen Infektionen durch die Beschränkungen der Testmöglichkeiten mit bedingt sein mag, aber auch auf die entsprechenden Bestimmungen der bisherigen Verordnungen zurückzuführen sein dürfte. Eine Lockerung der Bestimmungen kann nach Auffassung vieler Wissenschaftler eine Erhöhung der Infektionszahlen nach sich ziehen.
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Die in den angegriffenen Bestimmungen der Verordnung enthaltenen Grundrechtseingriffe finden ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung in der staatlichen Schutzpflicht für die Gesundheit der Bevölkerung und damit den Grundrechten Anderer, die sich auch gerade in dem Anspruch des Einzelnen und der Bevölkerung auf Schutz vor Infektionskrankheiten konkretisiert. Angesichts der erkennbar hohen Gefährdung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Bevölkerung durch die durch den SARS-CoV-2-Virus hervorgerufene Erkrankung liegen die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Grundrechte, insbesondere des nur durch verfassungsimmanente Schranken einschränkbaren Grundrechts auf Religionsausübung aus Art. 4 GG vor (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17, juris Rn. 82).“
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Auch zu § 4 Abs. 1 der Verordnung hat der Senat bereits in der genannten Entscheidung ausgeführt:
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„Die angegriffenen Vorschriften sind nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen rechtlichen Würdigung des Senats auch im Einzelnen verhältnismäßig …
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Nach Auffassung des Senats ist auch das Einreiseverbot des § 4 Abs. 1 der Verordnung verhältnismäßig. Dieses wird durch die umfangreichen Ausnahmebestimmungen des § 4 Absätze 2 bis 6 der Verordnung gemildert. Im Übrigen versteht der Senat das Verbot der Einreise so, dass dadurch Transitfahrten ohne Aufenthalt in Mecklenburg-Vorpommern nicht erfasst werden …“
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Auch unter Berücksichtigung der hier vorgetragenen Gründe sieht der Senat bei summarischer Prüfung diese Vorschrift weiterhin als rechtlich voraussichtlich unbedenklich an.
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Ein Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG scheidet hier bereits deshalb aus, weil der Antragsteller aufgrund seiner Stellung als Jagdpächter nicht in dem Grundrecht der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt wird.
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Das Einreiseverbot ist auch im Hinblick auf die vorgetragene Beeinträchtigung der Rechte und Pflichten eines Jagdpächters als verhältnismäßig anzusehen. Zum einen ist auch hier auf den temporären Charakter des bis zum 19. April 2020 geltenden Einreiseverbots hinzuweisen. Im Übrigen werden jedenfalls die vom Antragsteller betonten Pflichten eines Jagdpächters, der nicht in Mecklenburg-Vorpommern lebt, durch das Einreiseverbot nicht oder nur geringfügig berührt. So kann der Antragsteller als Jagdausübungsberechtigter, worauf bereits der Antragsgegner hingewiesen hat, einem in Mecklenburg-Vorpommern lebenden Jäger als Jagdgast nach § 13 Abs. 1 Satz 1 LJagdG M-V unter der Bedingung des § 13 Abs. 3 LJagdG M-V eine Jagderlaubnis erteilen. Hat ein Jagdausübungsberechtigter seinen Hauptwohnsitz – wie hier – nicht in der Gemeinde seines Jagdbezirkes und ist für diesen – wozu der Antragsteller schweigt – kein dort wohnhafter bestätigter Jagdaufseher bestellt, so hat der Jagdausübungsberechtigte der Jagdbehörde nach § 24 Abs. 2 LJagdG M-V eine im Allgemeinen ohne Schwierigkeiten erreichbare Person am Ort zu benennen, die Inhaber eines Jagdscheines und in der Lage sein muss, zur Verhinderung von Schmerzen und Leiden des Wildes unaufschiebbare Maßnahmen des Jagdschutzes im Jagdbezirk sowie in befriedeten Bezirken innerhalb des Jagdbezirkes gemäß § 5 Abs. 3 bis 6, insbesondere hinsichtlich kranken, verletzten und verendeten Wildes, in Abwesenheit des Jagdausübungsberechtigten durchzuführen.Zur Beaufsichtigung der Jagd kann der Antragsteller als Jagdausübungsberechtigter nach § 25 Abs. 1 Satz 1 LJagdG M-V zudem jagdpachtfähige Personen als Jagdaufseher bestellen, die durch die Jagdbehörde bestätigt werden. Der Antragsteller legt nicht dar, warum dies für ihn nicht möglich oder unzumutbar ist.
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An dieser Einschätzung ändert auch das vorgelegte Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 8. April 2020 nichts, das sich für eine Befreiung von einer – hier nicht einschlägigen – allgemeinen Ausgangssperre für die Jäger ausspricht.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
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Referenzen
- BJagdG § 11 Jagdpacht 2x
- IfSG § 2 Begriffsbestimmungen 1x
- § 13 Abs. 1 Satz 1 LJagdG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 1635/18 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1333/17 1x (nicht zugeordnet)
- 2 KM 236/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 3 LJagdG 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 2 LJagdG 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 32 Erlass von Rechtsverordnungen 3x
- 3 C 16/11 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 31 Berufliches Tätigkeitsverbot 1x
- IfSG § 30 Quarantäne 1x
- VwGO § 47 2x
- § 25 Abs. 1 Satz 1 LJagdG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 2x
- IfSG § 29 Beobachtung 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 8 S 2962/18 1x (nicht zugeordnet)