Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 PA 265/12

Gründe

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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht hat eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens des Klägers (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO) zu Recht verneint.

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Anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat, ist die beabsichtigte Klage, mit der der Kläger die Feststellung erstrebt, dass sein - nach Auffassung der Beklagten gemäß § 43 Satz 1 Nr. 1 NBG (in der Fassung vom 19.2.2001, Nds. GVBl. S. 33, im Folgenden a. F.) kraft Gesetzes beendetes Beamtenverhältnis unverändert fortbesteht, nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand bereits unzulässig. Der Kläger hat sein Klagerecht verwirkt.

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Die Möglichkeit, sein Klagerecht zu verwirken, beruht auf einer unredlichen, Treu und Glauben zuwider laufenden Verzögerung der Klageerhebung. Die Verwirkung setzt einen längeren Zeitraum voraus, während dessen die Möglichkeit der Klageerhebung bestand. Diese Möglichkeit muss dem Berechtigten bewusst gewesen sein. Der positiven Kenntnis steht es regelmäßig gleich, wenn der Berechtigte von der ihn belastenden Maßnahme zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm - zum einen - deren Vorliegen hätte aufdrängen müssen und es ihm - zum anderen - möglich und auch zumutbar war, sich über die getroffene Maßnahme letzte Gewissheit zu verschaffen. Die Klageerhebung muss gerade deshalb gegen Treu und Glauben verstoßen, weil der Berechtigte trotz vorhandener Kenntnis oder der ihm zuzurechnenden Möglichkeit der Kenntnis erst zu einem derart späten Zeitpunkt Klage erhebt, zu dem die nunmehr beklagte Behörde nicht mehr mit einer Klageerhebung rechnen musste. Die betroffene Behörde rechnet dann nicht mehr mit einer Klageerhebung gegen die von ihr getroffene Maßnahme, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen ihr gegenüber untätig bleibt, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte. Durch das Unterlassen wird eine tatsächliche Lage geschaffen, auf die sich die Behörde einstellen darf. Schließlich muss sich die beklagte Behörde auch tatsächlich in einer Weise auf das Verhalten des Berechtigten eingerichtet haben, dass für sie eine begründete Klage mit nicht mehr zumutbaren Nachteilen verbunden wäre (vgl. zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 10.8.2000 - BVerwG 4 A 11.99 -, juris Rn. 15-16).

5

Gemessen daran hat der Kläger sein Klagerecht verwirkt. Bereits mit Schreiben vom 18. September 2008 hat die Beklagte ihm gegenüber festgestellt, dass sein Beamtenverhältnis nach der am 4. Juni 2008 eingetretenen Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kraft Gesetzes beendet ist. Erstmals mit dem am 11. April 2011 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat der Kläger indes zu erkennen gegeben, dass er diese Rechtsfolge nicht anerkennt. Angesichts einer verstrichenen Zeitspanne von mehr als zweieinhalb Jahren musste die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit einer Klage rechnen. Ihr Verhalten zeigt zudem, dass sie auf die Beendigung des Beamtenverhältnisses vertraut hat. Sie hat dem Kläger ab Oktober 2008 keine Leistungen mehr gewährt, im Gegenzug auf seine Dienste verzichtet und ihn mit erheblichem finanziellem Aufwand gemäß § 8 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Die bei einem Klageerfolg erforderliche Rückabwicklung sowie die weitere Folge, dass dem Kläger seine Besoldung ohne Gegenleistung für mehrere Jahre nachzuzahlen wäre, sind der Beklagten angesichts der verstrichenen Zeit nicht mehr zuzumuten.

6

Die Klage ist aller Voraussicht nach auch unbegründet. Der Senat macht sich insoweit die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass § 43 Satz 1 Nr. 1 NBG a. F. verfassungswidrig sein könnte, liegen nicht vor.

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Gemäß § 43 Satz 1 Nr. 1 NBG a. F. (ebenso § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG) endete das Beamtenverhältnis eines Beamten, der im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts im Geltungsbereich des Beamtenrechtsrahmengesetzes wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, mit Rechtskraft des Urteils. Auf die weiteren Umstände des Einzelfalls kommt es nicht an. Verfassungsrechtliche Bedenken wirft dies im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG - anders, als der Kläger meint - nicht auf.

8

Gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Art. 33 Abs. 5 GG enthält damit einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums. Darüber hinaus begründet die Norm ein grundrechtsgleiches Recht der Beamten, soweit ein hergebrachter Grundsatz deren persönliche Rechtsstellung betrifft. Mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG ist der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die allgemein oder doch ganz überwiegend während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 6.3.2007 - 2 BvR 556/04 -, juris Rn. 45; Beschluss vom 7.11.2002 - 2 BvR 1053/98 -, juris Rn. 27).

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Gemessen daran überzeugt die Rechtsauffassung des Klägers, die fehlende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bei schwerwiegenden Straftaten verstoße gegen die zu den hergebrachten Grundsätzen zählende Fürsorgepflicht des Dienstherrn, nicht. Im Gegenteil dürfte der kraft Gesetzes erfolgende Verlust des Amtes bei schwerwiegenden Straftaten den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gerade entsprechen (vgl. Zängl, in: GKÖD, § 48 BBG Rn. 1 § 45 Abs. 1 StGB gilt eine ähnliche Regelung bis heute fort. Auch im preußischen Recht fand sich bereits unter der Geltung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten eine vergleichbare Regelung, die bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und darüber hinaus fortgalt (vgl. ausführlich zur historischen Entwicklung BGH, Urteil vom 13.5.1957 - III ZR 230/55 -, NJW 1957, 1189 <1190>; Lambrecht, ZBR 2001, 194 <195 f.>).

10

Selbst wenn § 43 Satz 1 Nr. 1 NBG a. F. nicht selbst Ausdruck eines hergebrachten Grundsatzes des Berufsbeamtentums sein sollte, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.4.1980 - BVerwG 2 B 35.80 -, juris Rn. 5; Urteil vom 28.9.1961 - BVerwG II C 163.59 -, BVerwGE 13, 85 <86 f.>; Urteil vom 25.1.1961 - BVerwG VI C 334.57 -, BVerwGE 11, 344 <349 f.>; BGH, Urteil vom 13.5.1957, a. a. O.; Battis, BBG, 4. Aufl. 2009, § 41 Rn. 2; Plog/Wiedow, BBG, Band 1, § 48 BBG Rn. 2 ). Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass Beamte, die sich besonders schwerwiegender Rechtsverstöße schuldig gemacht haben, als schlechthin untragbar für den öffentlichen Dienst gelten und deshalb kraft Gesetzes ihre Beamtenrechte verlieren, ohne dass es dazu noch eines - den Einzelfall berücksichtigenden - Disziplinarverfahrens bedarf (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.6.1992 - BVerwG 2 B 88.92 und BVerwG 2 C 13.92 -, juris Rn. 2). Daran ändert es nichts, wenn sich ein Beamter zuvor im Dienst untadelig geführt hat und Vergehen im Dienst weiterhin nicht zu erwarten sind. Im Gegenteil wird von einem Beamten erwartet, dass er sich auch außerhalb des Dienstes in einer Weise verhält, die der Achtung und dem Vertrauen, die das Amt erfordern, gerecht wird (vgl. § 34 Satz 3 BeamtStG). Das Begehen von Straftaten, die die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und mehr zur Folge haben, ist mit dieser Erwartung unabhängig von den weiteren Umständen des Einzelfalls unvereinbar; der Beamte hat sich seiner Stellung als schlechthin unwürdig erwiesen (vgl. BGH, Urteil vom 13.5.1957, a. a. O.). Die Fürsorgepflicht reicht vor diesem Hintergrund nicht soweit, einen untragbar gewordenen Beamten gleichwohl im Dienst zu belassen.

11

Auch ein Verstoß gegen sonstige Grundrechte, namentlich gegen Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt aus den genannten Gründen nicht vor.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

 


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