Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (13. Senat) - 13 AR 259/21
Tenor
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
Das Verfahren wird an das Amtsgericht Syke - Familiengericht - verwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.
Gründe
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I. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG hat der Senat nach der Anhörung des Antragstellers die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs von Amts wegen auszusprechen.
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Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. GmS-OGB, Beschl. v. 29.10.1987 - GmS-OGB 1/86 -, BGHZ 102, 280, 283 - juris Rn. 10; BVerwG, Beschl. v. 26.3.2018 - BVerwG 7 B 8.17 -, juris Rn. 5; v. 12.3.2018
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- BVerwG 10 B 25.17 -, juris Rn. 7).
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Hiernach ist für das Verfahren nicht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten, sondern der familiengerichtliche Rechtsweg gegeben.
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Der gesetzliche Vertreter des Antragstellers hat in der Antragsschrift vom 10. März 2021 (Blatt 1 ff. der Gerichtsakte) angeregt, von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 Abs. 1 und 4 BGB zu eröffnen, um behauptete Kindeswohlgefährdungen aufgrund von Anordnungen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen und zum Einhalten von Abständen zu beenden, und in diesem Verfahren unter anderem die Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes und die Rechtmäßigkeit der Niedersächsischen Corona-Verordnung zu überprüfen. Der gesetzliche Vertreter des Antragstellers hat begründet, warum er das Verfahren nach § 1666 BGB gewählt hat und warum er eine Entscheidung durch das Amtsgericht - Familiengericht - für möglich und geboten erachtet.
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Ein solches Begehren ist bei verständiger Würdigung ausschließlich als Anregung im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG auf Durchführung eines familiengerichtlichen Verfahrens nach § 1666 BGB durch das gemäß § 23a GVG, §§ 111 Nr. 2, 151, 152 Abs. 2 FamFG zuständige Amtsgericht anzusehen. Dem Begehren ist nicht ansatzweise zu entnehmen, dass der Antragsteller eine unmittelbare fachgerichtliche und gerichtskostenpflichtige Überprüfung der Niedersächsischen Corona-Verordnung oder anderer infektionsschutzrechtlicher Regelungen und Maßnahmen durch die hierzu berufenen Verwaltungsgerichte im Wege einer Normenkontrolle vor dem Oberverwaltungsgericht oder im Wege individuellen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten erstrebt. Diese Auslegung durch den Senat hat der Antragsteller im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 14. Mai 2021 (Blatt 39 der Gerichtsakte) auch bestätigt.
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Die vom gesetzlichen Vertreter des Antragstellers vorgeschlagene Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes und der Rechtmäßigkeit der Niedersächsischen Corona-Verordnung allein bietet keinen Anhalt für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit. Denn dieser Vorschlag ist ausdrücklich dahin formuliert worden, dass die Überprüfung im Rahmen des Verfahrens nach § 1666 BGB durch das angerufene Amtsgericht selbst vorgenommen wird. Ist eine solche Überprüfung im Verfahren nach § 1666 BGB nicht veranlasst oder kann das vom Antragsteller verfolgte Ziel einer familiengerichtlichen Anordnung nach § 1666 Abs. 4 BGB gegenüber Behörden oder anderen öffentlichen Stellen von vorneherein nicht erreicht werden, führt auch dies nicht zu Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, sondern allein zum mangelnden Erfolg der Anregung des Antragstellers, ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten, und dieses Verfahren ist vom zuständigen Amtsgericht - Familiengericht - einzustellen (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.4.2021 - 9 WF 343/21 -, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.4.2021 - 20 WF 70/21 -, juris Rn. 5; AG Dippoldiswalde, Beschl. v. 29.4.2021 - 7 F 204/21 -, juris Rn. 16 ff.).
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II. Zugleich hat der Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach auch insoweit erfolgter Anhörung des Antragstellers das Verfahren an das gemäß § 23a GVG, §§ 111 Nr. 2, 151, 152 Abs. 2 FamFG zuständige Amtsgericht Syke - Familiengericht - (zurück) zu verweisen.
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1. Der Zurückverweisung steht der Verweisungsbeschluss des Amtsgericht Syke vom 8. April 2021 (Blatt 8 f. der Gerichtsakte) nicht entgegen. Denn die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ausnahmsweise nicht eingetreten (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: BVerwG, Beschl. v. 27.5.2014 - BVerwG 6 AV 3.14 -, juris m.w.N.). Die Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts Syke entfernt sich bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist.
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Der gesetzliche Vertreter des Antragstellers hat, wie ausgeführt (siehe oben I.), lediglich die Durchführung eines Verfahrens nach § 1666 BGB angeregt (Schriftsatz v. 10.3.2021, S. 1 = Blatt 1 der Gerichtsakte). Durch eine solche Anregung auf Einleitung eines familiengerichtlichen Verfahrens wird noch kein Verfahrensrechtsverhältnis begründet, das einer Rechtswegverweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG überhaupt zugänglich wäre (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.4.2021 - 9 WF 343/21 -, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.4.2021 - 20 WF 70/21 -, juris Rn. 5 m.w.N.). Es sind vom angerufenen Amtsgericht - Familiengericht - lediglich Vorermittlungen einzuleiten. Ergibt die Prüfung, dass kein Anlass für die Einleitung eines Verfahrens besteht, ist dieses einzustellen. Diese Einstellungsentscheidung hat das Amtsgericht Syke auch bereits unter dem 8. April 2021 getroffen (vgl. Verfügung v. 8.4.2021, dort Ziff. 1 Satz 1 = Blatt 10 der Gerichtsakte: "Anhaltspunkte dafür, dass von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet werden müsste, ergeben sich aus dem Schreiben vom 10.03.2021 nicht").
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Unabhängig davon, dass danach schon kein überhaupt verweisungsfähiges Verfahrensrechtsverhältnis (mehr) besteht, gibt das Vorbringen des Antragstellers auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er eine unmittelbare fachgerichtliche und gerichtskostenpflichtige Überprüfung der Niedersächsischen Corona-Verordnung oder anderer infektionsschutzrechtlicher Regelungen und Maßnahmen durch die hierzu berufenen Verwaltungsgerichte im Wege einer Normenkontrolle vor dem Oberverwaltungsgericht oder im Wege individuellen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten erstrebt. Der Antragsteller hat sich ausdrücklich an das Amtsgericht - Familiengericht - gewandt und ausschließlich die Eröffnung eines Verfahrens nach § 1666 BGB angeregt. Die vom gesetzlichen Vertreter des Antragstellers vorgeschlagene Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes und der Rechtmäßigkeit der Niedersächsischen Corona-Verordnung allein bietet keinen Anhalt für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit. Hinzu kommt, dass der Antragsteller keinen der Normgeber als Antragsgegner benannt hat.
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2. Der Senat sieht auch keinen Anlass, das Verfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zulässigen Rechtswegs in entsprechender Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 VwGO vorzulegen (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 1.10.2019 - BVerwG 6 AV 14.19 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Denn der hierfür erforderliche negative Kompetenzkonflikt besteht nicht. Vielmehr hat das zuerst angerufene Amtsgericht Syke die im Verfahren nach § 1666 BGB erforderlichen Amtshandlungen bereits veranlasst und die Entscheidung, ein Verfahren nach § 1666 BGB nicht einzuleiten, auch bereits unter dem 8. April 2021 getroffen (vgl. Verfügung v. 8.4.2021, dort Ziff. 1 Satz 1 = Blatt 10 der Gerichtsakte: "Anhaltspunkte dafür, dass von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet werden müsste, ergeben sich aus dem Schreiben vom 10.03.2021 nicht").
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III. Die Kostenentscheidung bleibt gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG der Endentscheidung vorbehalten.
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IV. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).
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Referenzen
- BGB § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls 13x
- GVG § 17a 6x
- GVG § 17b 1x
- GVG § 23a 2x
- VwGO § 53 1x
- FamFG § 111 Familiensachen 2x
- FamFG § 24 Anregung des Verfahrens 1x
- 20 WF 70/21 2x (nicht zugeordnet)
- 7 F 204/21 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 152 Örtliche Zuständigkeit 2x
- VwGO § 40 1x
- FamFG § 151 Kindschaftssachen 2x
- VwGO § 173 5x
- 9 WF 343/21 2x (nicht zugeordnet)