Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 812/18
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 22.5.2018 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
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Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Der Antragsteller hat die Frist zur Begründung der Beschwerde nicht gewahrt, § 146 Abs. 4 VwGO.
3Nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80 a und 123 VwGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Gemäß Satz 2 der Vorschrift ist die Begründung, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Ein „rechtzeitiger“ Eingang der Beschwerdebegründung bei dem Verwaltungsgericht wahrt die Frist ‒ anders als im Fall des § 147 Abs. 2 VwGO ‒ also nicht.
s="absatzRechts">4Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15.04.2003 – 14 B 639/03 –, NVwZ-RR 2003, 688 = juris, Rn. 8, und vom 10.2.2012 – 15 B 58/12 –, juris, Rn. 2; Hamb. OVG, Beschluss vom 22.8.2018 – 4 Bs 93/18 –, juris, Rn. 3; Sächs. OVG, Beschluss vom 22.5.2017 – 3 B 60/17 –, SächsVBl. 2018, 88 = juris, Rn. 5.
5Diesen Anforderungen ist der Antragsteller nicht gerecht geworden. Der angegriffene und mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss ist dem Antragsteller am 22.5.2018 zugestellt worden. Die Frist zur Begründung der Beschwerde endete demnach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 22.6.2018. Die Beschwerdebegründung ist aber erst am 27.6.2018, mithin verspätet, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Der rechtzeitige Eingang der Begründung beim Verwaltungsgericht am 22.6.2018 ist rechtlich unerheblich.> 6
Die vom Antragsteller am 16.7.2018 beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist nach § 60 Abs. 1 VwGO kann nicht gewährt werden. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers war nicht ohne Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO gehindert, die Frist zur Begründung der Beschwerde einzuhalten. Sein Verschulden wird gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO dem Antragsteller zugerechnet.
7Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragsstellers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er darauf hat vertrauen dürfen, dass die am 22.6.2018 vor Ablauf der Begründungsfrist beim Verwaltungsgericht eingegangene Beschwerdebegründung von diesem rechtzeitig (d. h. noch am selben Tag) an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet werden würde.
8Im Hinblick auf die Tragweite des aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Rechtsmittelführer darauf vertrauen, dass das vorbefasste Gericht einen Schriftsatz an das zuständige Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang weiterleitet. Hierzu ist das vorbefasste Gericht aufgrund der ihm zukommenden „nachwirkenden Fürsorgepflicht“ gehalten.
9Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.3.2005 – 1 BvR 950/04 –, NJW 2005, 2137 = juris, Rn. 10, und vom 20.6.1995 – 1 BvR 166/93 –, BVerfGE 93, 99 = juris, Rn. 46 ff.
10Im Rahmen dieser Pflicht zur Weiterleitung im "ordentlichen Geschäftsgang" muss die Vorinstanz keine Eilmaßnahmen in dem Sinne ergreifen, dass sie fehlerhaft adressierte Schriftsätze, die am Tag des Fristablaufs eingehen, ohne Zuständigkeitskontrolle, gleichsam von Hand zu Hand an den vom Absender intendierten Empfangsort zu bringen hätte. So muss sie weder den Rechtsmittelführer, der seinen Schriftsatz irrtümlich bei ihr eingereicht hat, durch Telefonat oder Telefax auf diesen Irrtum hinweisen, noch muss sie den Schriftsatz selbst notwendig noch am Tag des Eingangs per Telefax an das Rechtsmittelgericht weiterleiten. Die Fürsorgepflicht wird jedoch verletzt, wenn das vorinstanzliche Gericht den Schriftsatz auf einem Wege weiterleitet, der seine Fristgebundenheit unberücksichtigt lässt und deshalb vernünftigerweise für die Übersendung fristgebundener Schriftsätze "ohne schuldhaftes Zögern" nicht in Betracht kommt.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.7.2003 – 4 B 83.02 –, NVwZ-RR 2003, 901 = juris, Rn. 9, unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 3.1.2001 – 1 BvR 2147/00 –, NJW 2001, 1343 = juris, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 26.7.2016 ‒ VI ZB 58/14 ‒, NJW 2016, 3667 = juris, Rn. 16.
12Ausgehend hiervon war das Verwaltungsgericht schon aufgrund der Tatsache, dass sich eine Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht bereits aus der Beschwerdebegründung selbst ergab, nicht gehalten, diese noch am 22.6.2018 per Telefax an das Oberverwaltungsgericht weiterzuleiten.
13Auch die Angaben des Prozessbevollmächtigten zu der Formatierung und Erstellung des Schriftsatzes sowie der Organisation der Postausgangskontrolle reichen nicht aus, um ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auszuschließen. Er macht insoweit geltend, die von ihm diktierte Beschwerdebegründung sei von seiner langjährigen Sekretariatsleiterin geschrieben, adressiert und formatiert worden. Diese sei angewiesen, die Telefaxnummer des zuständigen Gerichts aus der Akte oder bei fehlender Auffindbarkeit aus der im Kopierraum hinterlegten Liste zu entnehmen. Dort seien ebenso wie in einer gesonderten Liste in den Kanzleicomputern die regelmäßig benötigten Telefaxnummern der Gerichte aufgelistet. Seine Sekretariatsleiterin habe ihm gegenüber versichert, die Telefaxnummer der Vorkorrespondenz entnommen zu haben und nach Absenden des Telefaxes die Faxnummer sowie die Seitenzahlen des Faxes mit dem Sendebericht abgeglichen zu haben.
14Die Anweisung stellt in der vorgetragenen Handhabung schon nicht sicher, dass die Telefaxnummer des Rechtsmittelgerichts, anstatt der des zuvor zuständigen Ausgangsgerichts verwendet wird. Gerade wenn sich aus dem Rechtsmittelschriftsatz ‒ wie hier ‒ ergibt, dass er unmittelbar an das Rechtsmittelgericht gerichtet ist, müssen die kanzleiinternen Anweisungen sicherstellen, dass gerade nicht dieselbe Telefaxnummer verwendet wird wie bisher in der Korrespondenz mit dem Ausgangsgericht.
15Wenn ein Rechtsanwalt die Prozessvertretung übernimmt, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner Aufgaben, der er besondere Aufmerksamkeit widmen muss. Er muss deshalb den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.2.2008 ‒ 2 B 6.08 ‒, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 4.12.2017 – 4 B 1111/17 –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.> 17
Ein Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung seiner Rechtsmittel- oder seiner Rechtsmittelbegründungsschrift persönlich prüfen, ob sie an das zuständige Gericht adressiert ist. Bei der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze, mit denen ein Rechtsmittel eingelegt oder begründet wird, handelt es sich um Geschäfte, die ein Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal überlassen darf, ohne das Arbeitsergebnis vor der Unterzeichnung auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen.
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.11.1982 – 9 B 14473.82 –, juris, Rn. 2; OVG Nds., Beschluss vom 13.8.2019 – 2 LA 1532/17 –, juris, Rn. 5 f.; BayVGH, Beschluss vom 16.1.2014 ‒ 14 B 13.2016 –, NJW 2014, 1195 = juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 8.4.2010 ‒ 18 B 139/10 ‒, juris, Rn. 5 f., m. w. N.
19Dem Prozessbevollmächtigten hätte bei dieser Kontrolle der Fehler bei der Auswahl der Telefaxnummer auffallen müssen. Die Faxnummer des Verwaltungsgerichts und nicht die des Oberverwaltungsgerichts steht auf dem Schriftsatz im Adressfeld im Fettdruck an prominenter Stelle. Der Prozessbevollmächtigte, der eigenen Angaben zufolge in zahlreichen Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht und vor dem Oberverwaltungsgericht tätig ist, hätte bei Anwendung der rechtlich gebotenen Sorgfalt bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes ohne weitere Ermittlungen oder Überprüfungen erkennen müssen, dass die Faxnummer mit der im Empfangsbekenntnis für den angegriffenen Beschluss angegebenen Telefaxnummer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf übereinstimmte, also die Vorwahl der Stadt Düsseldorf und nicht die der Stadt Münster aufwies. Auch wenn ein derartiger Fehler im hektischen Alltag selbst einer sehr gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei geschehen kann, ist dem Prozessbevollmächtigten mit Blick auf seine besondere Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit fristwahrenden Schriftsä;tzen jedenfalls (einfache) Fahrlässigkeit zur Last zu legen.
20Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vom Prozessbevollmächtigten zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat es nach dem von dem Prozessbevollmächtigten zitieren Beschluss vom 7.11.2012,
21‒ IV ZB 20/12 –, NJW-RR 2013, 305 = juris, Rn. 9,
22für ein fehlendes Verschulden ausreichen lassen, dass der Prozessbevollmächtigte sein Personal anweist, die Richtigkeit der Telefaxnummer nochmals anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle abzugleichen. In einem weiteren Beschluss vom 26.7.2016,
23>‒ VI ZB 58/14 ‒, NJW 2016, 3667 = juris, 8 ff.,
24span>hat er diese Verpflichtung dahingehend präzisiert, dass ein Verschulden in diesem Zusammenhang dann entfallen kann, wenn der Prozessbevollmächtigter sein Personal angewiesen hat, die angegebene Faxnummer noch einmal auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. Dies erfordert die Prüfung, ob es sich bei dem Schreiben, aus dem die Nummer entnommen wurde, um ein solches des Empfangsgerichts handelt. Eine derartige Überprüfung ist nach dem Vortrag des Antragstellers jedoch weder durch den originär verpflichteten Prozessbevollmächtigten noch durch seine Angestellte erfolgt. Eine Weisung, die seine Angestellte zu einer solchen Überprüfung verpflichtet hätte, hat er auch nicht geschildert.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
27Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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