Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 4502/19
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5. November 2019 ist wirkungslos.
Der Beklagte trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.
Die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 25,50 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Das Verfahren ist entsprechend §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten den Rechtstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5. November 2019 ist damit wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
3Die Beteiligten haben den schon vor Ergehen des angefochtenen Urteils erledigten Rechtsstreit in zulässiger Weise erst im zweitinstanzlichen Verfahren für erledigt erklärt. Der Kläger, der an der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2019 nicht teilgenommen und somit erst durch die Zustellung des Sitzungsprotokolls und des Urteils von der Aufhebung des Bescheides Kenntnis erlangt hatte, hätte die Erledigungserklärung zwar auch während der Rechtsmittelfrist im erstinstanzlichen Verfahrens abgeben können. Diese Möglichkeit ist aber mit dem Risiko behaftet, dass die erforderliche Erledigungserklärung des Beklagten nicht rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist wäre das Urteil rechtskräftig und die einseitig gebliebene Erledigungserklärung des Klägers ginge ins Leere. Vor diesem Hintergrund ist es nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Lehre zulässig, ein Rechtsmittel (allein) zu dem Zweck einzulegen, um in dem Rechtmittelverfahren durch übereinstimmende Erledigungserklärungen eine Verfahrensbeendigung zu erzielen.
4Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 337; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, vor § 124 Rn. 43; BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 6 B 1.14 -, juris Rn. 16.
5Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach hat das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses.
6Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 161 Rn. 16; BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2011 - 8 C 23.10 -, juris Rn. 2.
7Allerdings bedarf es wegen des Vereinfachungszwecks des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Rahmen der nur noch zu treffenden Kostenentscheidung keiner Klärung schwieriger Rechtsfragen.
8Dies zugrunde gelegt, entspricht es billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen. Denn er hat den angefochtenen Bescheid - ersichtlich unter Zurückstellung seiner Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klageerhebung - aufgehoben und so die Erledigung des Rechtsstreits herbeigeführt. Die - auf einen Teilbetrag von 25,50 Euro beschränkte - Klage hatte ohne das erledigende Ereignis, die vollumfängliche Aufhebung des streitgegenständlichen Gebührenbescheides vom 13. Juli 2017 durch den Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2019, Aussichten auf Erfolg.
9Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klageerhebung - und im Übrigen aus entsprechenden Erwägungen auch der im vorliegenden Verfahren abgegebenen weiteren Prozesserklärungen - bestehen nicht. Voraussetzung für die Wirksamkeit der gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO schriftlich zu erhebenden Klage ist grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten unter der Klageschrift. Die Lesbarkeit der Unterschrift ist nicht erforderlich; die Unterschrift muss aber einen individuellen Bezug zum Namen erkennen lassen. Das setzt voraus, dass zumindest einzelne Buchstaben, wenn auch nicht lesbar, so doch als solche zu erkennen sind.
10Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 81 Rn. 7 m. w. N.
11Es kann dahinstehen, ob der vom Beklagten als grafisches Muster bezeichnete Schriftzug des Klägers diese Voraussetzung noch erfüllt, denn die Klage wäre auch für den Fall einer vollständig fehlenden Unterschrift zulässig gewesen. Eine fehlende Unterschrift kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann dabei nur auf die dem Gericht bis zum Ablauf der Frist - hier der Klagefrist - bekannt gewordenen Umstände abgestellt werden.
12Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 1 B 31.03 -, juris Rn. 1; OVG NRW, Beschluss vom 16. August 2007 - 18 E 787/07 -, juris Rn. 4 jeweils m. w. N.
13Danach unterliegt die am 25. Juli 2017 per Telefax bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Klage weder hinsichtlich der Urheberschaft des Klägers noch bezüglich seines Willens, rechtswirksam Klage zu erheben, Zweifeln. Seine Urheberschaft ergibt sich aus einer Gesamtschau der die Klageerhebung begleitenden Umstände. So ist auf der per Telefax eingegangenen Klageschrift in der Faxkennung neben der Telefaxnummer, die mit der im Briefkopf angegebenen Faxnummer der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers übereinstimmt, u. a. auch die Angabe „I. T. “ ersichtlich. Der Klageschrift beigefügt war der an den Kläger gerichtete Gebührenbescheid vom 13. Juli 2017, aus dem ersichtlich ist, dass dieser die gebührenpflichtige Amtshandlung beantragt hat, sowie weitere Unterlagen, die den Kläger namentlich aufführen (ein weiterer Gebührenbescheid vom 16. Dezember 2015, Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 22. März 2016). Die beschriebene Faxkennung in Verbindung mit den der Klageschrift beigefügten, den Kläger persönlich betreffenden Unterlagen lassen es als nicht zweifelhaft erscheinen, dass die Klage durch ihn und nicht durch eine dritte Person erhoben wurde. Der Wille zur rechtswirksamen Klageerhebung folgt bereits aus dem Umstand, dass neben der am 25. Juli 2017 durch Telefax übermittelten Klageschrift am 28. Juli 2017 - und damit ebenfalls innerhalb der Klagefrist - auf dem Postweg das Original der Klageschrift nebst Anlagen bei dem Verwaltungsgericht einging. Eine versehentliche Übermittlung aufgrund eines Büroversehens, wie der Beklagte es für möglich hält, ist damit auszuschließen.
14Die Klage war auch zumindest anfänglich begründet. Der Beklagte hat das ihm gem. § 1 Abs. 1 AVerwGebO NRW i. V. m. Tarifstelle 30.3 des AGT eingeräumte Ermessen zur Ausfüllung des dort festgelegten Gebührenrahmens von 5,00 Euro bis 100,00 Euro für die "Versendung von Akten" in dem Bescheid vom 13. Juli 2017 nicht ordnungsgemäß ausgeübt, indem er die Rahmengebühr wie eine Zeitgebühr behandelt hat, was nicht dem Zweck der Norm entspricht.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2017 - 9 A 2655/13 -, juris Rn. 108.
16Ob der Beklagte diesen Ermessensfehler mit seinen schriftsätzlichen Ausführungen vom 29. Oktober 2019 behoben hat,
17zur Nachholung einer Begründung vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2018 - 9 B 1540/17 -, juris Rn. 37,
18insbesondere ob die Übersendung eines eher dünnen Verwaltungsvorgangs einen mittleren Fall darstellt, bedarf beim gegenwärtigen Verfahrensstand keiner Klärung, weil er selbst dieses ergänzende Vorbringen durch Aufhebung des Bescheids einer gerichtlichen Überprüfung entzogen hat. Ebenso bedarf hier keiner Erörterung, ob der vom Verordnungsgeber normierte Gebührenrahmen einer rechtlichen Überprüfung standhält.
19Es entspricht der Billigkeit, die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens i. S. v. § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO gegeneinander aufzuheben. Zulasten des Klägers ist entsprechend § 155 Abs. 4 VwGO zu berücksichtigen, dass es eines Zulassungsverfahrens nicht bedurft hätte, wenn er - was er ohne Ankündigung oder Angaben von Gründen unterlassen hat - an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte. Die Beteiligung des Beklagten an den entstandenen Kosten trägt dem Umstand Rechnung, dass beim gegenwärtigen Verfahrensstand nicht mehr abschließend zu klären ist, ob dem Zulassungsantrag zu entsprechen gewesen wäre. Offen bleiben muss insbesondere, ob die Verfahrensrüge begründet war. Da nach § 102 Abs. 2 VwGO beim Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann, gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, diesem zu jedem neuen Sach- oder Rechtsvortrag der Gegenseite die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Maßgeblich ist, ob der nicht erschienene Beteiligte mit der neuen Entwicklung rechnen musste, was insbesondere bei einer bloßen Ergänzung des Vortrags der Fall ist, nicht hingegen bei der Einführung eines neuen Streitgegenstands.
20Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2000 - 8 B 238.00 -, NJW 2001, 1151, juris.
21Ob es ausgehend davon in der hier vorliegenden Situation (Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch die Behörde in der mündlichen Verhandlung mit unmittelbar nachfolgender Klageabweisung als unzulässig) geboten war, dem ordnungsgemäß geladenen, aber nicht erschienenen Kläger Gelegenheit zu geben, auf die veränderte Situation prozessual zu regieren,
22vgl. dies bejahend: Hess. VGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 - 2 A 592/16.Z -, juris, zu einer mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Situation,
23mag diskussionswürdig erscheinen. Jedenfalls aber spricht wenig dafür, dass der Kläger mit der Möglichkeit rechnen musste, dass der Beklagte den angefochtenen Verwaltungsakt, den dieser weiterhin für rechtmäßig hielt, nicht zum Zwecke der Klaglosstellung, sondern mit dem Ziel einer höheren Festsetzung ("Verböserung") aufheben würde.
24Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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