Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 1263/20
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme eventueller außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt, als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
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Gründe:
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei mag dahinstehen, ob die Beschwerde zulässig, namentlich rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden ist (I.); denn sie ist jedenfalls unbegründet (II.).
3I. Nach der Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller im Beschwerdeschriftsatz vom 20. August 2020 ist ihm der vom Gericht nach § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 174 Abs. 3 ZPO als elektronisches Dokument über sein elektronisches Anwaltspostfach übermittelte Beschluss am 6. August 2020 zugestellt worden. Das ist der Tag, an dem die elektronische Datei des Beschlusses ausweislich des vorliegenden elektronischen Empfangsberichts in sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach gelangt ist und von ihm abgerufen werden konnte. Danach wäre die erstmals mit Schriftsatz vom 10. September 2020 (Eingang bei Gericht per Fax am 10. September 2020) erfolgte Begründung verspätet angebracht und die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
4Allerdings beruft sich der Prozessbevollmächtigte inzwischen auf das elektronische Empfangsbekenntnis, das ihm nach Aktenlage gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 ZPO zusammen mit der Übermittlung des Beschlusses als strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellt worden ist. In diesem hat der Prozessbevollmächtige als Datum der Bestätigung den 17. August 2020 eingegeben. Damit hat er zugleich erklärt, er habe den Beschluss (erst) an diesem Tag erhalten. Danach wäre die Beschwerdebegründung noch rechtzeitig erfolgt.
5Für die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis streitet dessen öffentlicher Glaube. Ein elektronisch zurückgesandtes Empfangsbekenntnis erbringt nach Maßgabe der §§ 371a, 416 ZPO als (privates) elektronisches Dokument ebenso wie ein auf dem Postweg zurückgesandtes Empfangsbekenntnis Beweis sowohl für die Entgegennahme des in ihm bezeichneten Schriftstücks, hier des ablehnenden Eilbeschlusses vom 4. August 2020, als auch für den Zeitpunkt von dessen Empfang. Der Rechtsanwalt ist entsprechend verpflichtet, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum zu versehen, an dem er das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es zu behalten. Allerdings kann die Beweiswirkung des ausgewiesenen Zustellungsdatums unter bestimmten Voraussetzungen entkräftet werden. An den - grundsätzlich zulässigen - Nachweis eines falschen Datums sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, die Angaben könnten richtig sein.
6Vgl. Saarl. OVG, Beschluss vom 27. September 2019 - 1 D 155/19 -, juris Rn 9, m. w. N., zum elektronischen Empfangsbekenntnis; zum Empfangsbekenntnis allgemein: BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. März 2001 - 2 BvR 2211/97 -, juris Rn. 19 f., m. w. N.
7In diese Richtung deuten hier sicherlich klar die zeitlichen Abläufe. Diese stellen im Besonderen in Frage, ob der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller tatsächlich das elektronische Dokument des Eilbeschlusses erstmals am 17. August 2020 mit Annahmewille zur Kenntnis genommen hat. Das erscheint wenig überzeugend, nachdem der Beschluss nachweislich bereits am 6. August 2020, d. h. 11 Tage vor dem elektronisch bestätigten Empfang im besonderen elektronischen Anwaltspostfach zum Abruf bereit lag. Dies gilt umso mehr, als der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller die gerichtliche Erinnerung an die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnis vom 14. August 2020 spätestens am Montag, den 17. August 2020 zur Kenntnis genommen und das elektronische Empfangsbekenntnis erstellt und übermittelt hat. Zudem trägt die Beschwerdeschrift als Datum den 20. August 2020, also den letzten Tag der Beschwerdefrist, wenn man diese ab dem 6. August 2020 berechnet. Demgegenüber erscheint es eher ungewöhnlich, dass eine Beschwerde ohne Hinweis auf eine besondere Eilbedürftigkeit fristwahrend bereits drei Tag nach Kenntnisnahme unter Hinweis auf eine 11 Tage zurückliegende Zustellung eingelegt wird. Bei einer Verwechslung vom 6. August mit dem 17. August liegt zudem die Annahme eines bloßen Schreibfehlers, wie ihn der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin in seiner Reaktion auf die gerichtliche Hinweisverfügung vom 14. September 2020 ohne weitere Plausibilisierung behauptet, zumindest fern.
8Danach mag die Beweiskraft des Empfangsbekenntnisses erschüttert sein; die Annahme einer Verfristung der Beschwerdebegründung setzte allerdings voraus, dass zugleich der Nachweis einer Kenntnisnahme des Beschlusses durch den Prozessbevollmächtigen der Antragsteller mit dem erforderlichen Annahmewillen vor dem 10. August 2020 erbracht wäre. Das liegt zwar aufgrund der vorstehend aufgezeigten Zusammenhänge und der eigenen ursprünglichen Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller recht nahe, bedarf hier aber keiner abschließenden Bewertung, weil die Beschwerde jedenfalls auch unbegründet ist.
9II. Die Beschwerde ist unbegründet.
10Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
11Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,
12die aufschiebende Wirkung der am 30. Mai 2020 erhobenen Klage 8 K 1513/20 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 9. November 2018 für den Neubau eines Wohnhauses mit Werkstatt, Garage und Garagenerweiterung/Lagerhalle auf dem Grundstück Gemarkung T. , Flur 37 Flurstück 2267 anzuordnen,
13im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Baugenehmigung verletze die Antragsteller - worauf es im Rahmen des Nachbarrechtsschutzes allein ankomme -nicht in drittschützenden öffentlichen Rechtspositionen. Sie verstoße nicht zulasten der Antragsteller gegen nachbarschützende abstandflächenrechtliche Vorschriften, soweit diese den grenzständigen Gebäudeteil zum Gegenstand hätten. Die Voraussetzungen für eine privilegierte Zulassung des Gebäudes entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze nach Maßgabe von § 6 Abs. 11 BauO NRW in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung (BauO NRW a. F.), die hier maßgeblich sei, weil die Baugenehmigung im Jahre 2018 erteilt worden sei, lägen vor. Dabei könne dahinstehen, dass die Nutzung des Gebäudeteils in den genehmigten Bauvorlagen einerseits mit „Abstellen Betriebswohnung" (Genehmigungsplan Flächennutzung) und andererseits mit "Garage" (Genehmigungsplan Erdgeschoss/Lageplan) bezeichnet sei, weil daraus keine zulasten der Antragsteller gehende Unbestimmtheit der Baugenehmigung folge. Denn jedenfalls werde kein Gebäudeteil erlaubt, der in der Abstandsfläche von § 6 BauO NRW a. F. unzulässig wäre. Denn nach § 6 Abs. 11 BauO NRW a. F. seien in der Abstandsfläche sowohl Garagen als auch Abstellräume bauordnungsrechtlich zulässig. Erfasst würden ebenfalls Garagen mit Abstellraum. Die genehmigte grenzständige Bebauung überschreite auch weder die zulässige Länge von 9 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch die zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m. Zwar sei eine Garage nur dann abstandflächenrechtlich privilegiert, wenn diese auch funktionsfähig sei. Ein Befahren der Garage sei jedoch ohne weiteres über die nordwestlich gelegene Garageneinfahrt möglich. Dass diese um die Hausecke herum in den sich daran anschließenden Gebäudeteil zu befahren sei, sei für deren privilegierte Zulassung in der Abstandsfläche nicht erforderlich. Auch ansonsten ergebe sich nichts für eine Nachbarrechtsverletzung der Antragsteller durch die streitgegenständliche Baugenehmigung. Ob für den vollständigen Abbruch der nach der streitigen Genehmigung in Teilen als zu erhalten vorausgesetzten Bestands(garagen)gebäude und den kompletten Neubau einer Lagerhalle eine Baugenehmigung erteilt worden sei und/oder dieser Vorgang materielle Nachbarrechte der Antragsteller verletze, sei unerheblich. Streitgegenständlich sei hier allein die Baugenehmigung vom 9. November 2018, deren Nachbarrechtswidrigkeit nicht aus einer abweichenden Bauausführung gefolgert werden könne. Hier sei auch nichts dafür ersichtlich, dass die ausweislich des „Grundriss/Schnitt Halle“ mit einer Höhe von max. 5 m genehmigte Lagerhalle in der bisher genehmigten Form zulasten der Antragsteller materiell nachbarschützende Vorschriften verletze. Für eine von der genehmigten Nutzung der Lagerhalle ausgehende Brandgefahr lägen ebenso wenig Anhaltspunkte vor wie für eine fehlende Standsicherheit des genehmigten Wohn-/Werkstattgebäudes. Im Übrigen könnten die Antragsteller sich auf eine Verletzung der Vorschrift des § 15 Abs. 1 BauO NRW a. F. nicht berufen. Auch gebe es keine Hinweise auf eine von den Antragstellern sinngemäß geltend gemachte Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a. F. Diese Regelung gehöre nicht zum Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde in dem für das Vorhaben nach § 68 Abs. 1 S. 1 und 3 BauO NRW a. F. einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren.
14Dieser im Einzelnen detailliert begründeten Bewertung setzt die Beschwerde nichts Erhebliches entgegen, das eine Änderung des angefochtenen Beschlusses und die beantragte Regelung der Vollziehung zu Gunsten der Antragsteller rechtfertigte.
151. Das gilt zunächst hinsichtlich des gerügten Abstandflächenverstoßes.
16a.) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt hat, sah § 6 Abs. 11 BauO NRW in der bis zum 31. Dezember 2018 gültigen Fassung (im Weiteren: BauO NRW a. F.) eine Privilegierung von Garagen, Gewächshäuser oder Gebäuden zu Abstellzwecken ohne Begrenzung auf den Bruttorauminhalt vor. Anders als die Beschwerde meint, ist § 6 Abs. 11 BauO NRW in der Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 2016 zur Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GV.NRW. S. 1162 - im Weiteren: BauO NRW 2016) nicht einschlägig. Hiernach sollten neben Garagen Gebäude, die als Gewächshaus oder zu Abstellzwecken genutzt werden, nur bis zu 30 m³ Bruttorauminhalt unter den weiteren Voraussetzungen einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m über der Geländeoberfläche an der Grenze ohne eigene Abstandsflächen sowie in den Abstandsflächen eines Gebäudes zulässig sein. Der in der Bauvorlage "Flächennutzung" als "Abstellen Betriebswohnung" gekennzeichnete Gebäudeteil entlang der Grenze des Grundstücks der Antragsteller weist allerdings bereits einen Bruttorauminhalt von deutlich mehr als 30 m³ auf. Die Beschwerde lässt indes außer Acht, dass die angeführte Version des § 6 BauO NRW 2016 nie in Kraft getreten ist. Nach § 90 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW 2016 sollten u. a. die Regelungen in § 6 BauO NRW 2016 zwar schon zwölf Monate nach Verkündung in Kraft treten. Mit Gesetz vom 21. Dezember 2017 zur Änderung der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GV.NRW. S. 1003 ff.) hat der Landesgesetzgeber vor Ablauf dieser Frist aber beschlossen, die Wörter „zwölf Monate nach seiner Verkündung“ durch die Wörter „am 01. Januar 2019“ zu ersetzen. Die also fortgeltende Regelung des § 6 Abs. 11 BauO NRW a. F. zu den Abstandflächen ist dann (ebenfalls erst) mit Wirkung zum 1. Januar 2019 durch die Regelung des § 6 Abs. 8 BauO NRW in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Bauordnungsrechts in Nordrhein-Westfalen - Baurechtsmodernisierungsgesetz vom 21. Juli 2018 (GV.NRW. S. 411 ff.) abgelöst worden, also nachdem die hier streitige Baugenehmigung erteilt worden war. Spätere Änderungen zulasten des Bauherrn haben bei ihrer rechtlichen Beurteilung außer Betracht zu bleiben.
17Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Urteil vom 15. Juli 2013 - 2 A 969/12 -, juris Rn. 47.
18b.) Ohne Erfolg wendet die Beschwerde weiter ein, dass "der u. a. als "Lagerraum" gekennzeichnete Garagenteil nicht mit einem Fahrzeug befahren werden kann, so dass dieser nach diesseitiger Rechtsauffassung daher nicht als Garage funktionsfähig nutzbar ist".
19Dazu ist zunächst festzuhalten, dass weder in den Bauvorlagen, die zur Genehmigung gehören, noch in den sonstigen Unterlagen in den Bauakten der Baukörper entlang der Grenze des Grundstücks der Antragsteller als "Lagerraum" bezeichnet wird, was in der Folge eine abstandrechtlich privilegierte Nutzung als - von § 6 Abs. 11 BauO NRW a. F. erfasster - Abstellraum ausschließen dürfte.
20Ein Abstellraum setzt begrifflich einen Raum voraus, der zur Unterbringung solcher Gegenstände bestimmt ist, die entweder der Nutzung des Grundstücks oder der Gebäude auf dem Grundstück dienen (z. B. Gartenmöbel, Gartenarbeitsgeräte, Werkzeug) oder von den Grundstücksbewohnern in sonstiger Weise zu privaten Zwecken genutzt werden (z. B. Fahrräder, Autozubehör) oder die vorübergehend bzw. auf Dauer keinen Nutzungszweck erfüllen (z. B. ausgesonderte Möbel). Die Nutzung des Raumes muss ausschließlich in dem Abstellen der Gegenstände liegen. Diese enge Auslegung des Begriffs "Abstellraum" entspricht nicht nur dem üblichen Sinngehalt des Wortes, sondern auch dem Zweck der Regelung, die Abstandfläche von weiteren Nutzräumen frei zu halten, und ist vor dem Hintergrund, dass § 6 Abs. 11 BauO NRW a. F. eine Ausnahme von dem im Gesetz geregelten allgemeinen Abstandflächenerfordernis darstellt, geradezu geboten.
21Vgl. zum Ausnahmecharakter der Regelung: OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 1996 - 10 A 4174/92 -, juris Rn. 9 ff.; Boeddinghaus/Hahn/
22Schulte/ u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 57. Update Juni 2020, 3. Bauordnungsrecht, Rn. 277.
23Dies ersichtlich aufgreifend ist in dem Flächenplan der zur Genehmigung gehörenden Bauvorlagen der Eckbau vor dem Wohn-/Werkstattgebäude auch nicht als "Lagerraum", sondern als "Abstellen Betriebswohnung" bezeichnet im Anschluss an den Bereich "Garage Betriebswohnung". Der Beigeladene hat dazu anlässlich des Ortstermins weiter ausgeführt, er beabsichtige in diesem Bereich etwa Fahrräder, Bobby-Cars sowie ähnliche Spielzeuge der Kinder abzustellen, und weiter plausibilisiert, das sei auch deshalb erforderlich, weil das Haus nicht unterkellert sei.
24Nur eine solche Nutzung ist ausgehend von der genehmigten Flächennutzung von der Baugenehmigung und zugleich von der Privilegierung des § 6 Abs. 11 BauO NRW a. F. gedeckt.
25Dass dieser Bereich alternativ tatsächlich auch noch als Garage zum Abstellen eines Kraftfahrzeuges genutzt werden kann, erscheint bei Einbeziehung von Zweirädern sowie kleinen Fahrzeugen nicht von vornherein ausgeschlossen, bedarf hier indes keiner weiteren Vertiefung. Dem Verwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass es für die privilegierte Zulassung einer Garage in der Abstandfläche nicht erforderlich ist, dass sie in allen Bereichen befahrbar ist, solange sichergestellt ist, dass Flächen, die über das zum Abstellen von Fahrzeugen Notwendige hinausgehen, (nur) zu privilegierten Abstellzwecken genutzt werden.
26Vgl. auch Johlen, in Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/
27Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 6 Rn. 285 m. w. N.
28Davon ist hier im Eilverfahren auszugehen. Denn die Baugenehmigung sieht als "andere Nutzung" aus Sicht des Senats eindeutig nur eine wiederum privilegierte Nutzung als (privaten) Abstellraum für die Wohnnutzung vor.
29Klarstellend weist der Senat insoweit darauf hin, dass die Baugenehmigung bei verständiger Lesart insbesondere keine alternative Nutzung zum Abstellen/Lagern der in der Werkstatt gefertigten Beschilderung und dort benötigter Materialien oder als Verladefläche zur Be-/Entladung eines in dem Gebäudeteil neben dem Wohnhaus abgestellten Betriebsfahrzeuges zulässt, was - wie gesagt - keine privilegierte Nutzung darstellte. Dafür, dass die im Plan Flächennutzung angegebene Nutzung "Abstellen Betriebswohnung" nur vorgeschoben wäre, die Baugenehmigung insoweit also im Sinne eines Etikettenschwindels in Wahrheit dazu diente, den Schein einer Genehmigung für eine nicht privilegierte Ausweitung des im Erdgeschoss des Wohn/Werkstatthauses vorgesehenen gewerblichen Betriebsgeschehens auf den Gebäudeteil vor dem Werkstattraum zu geben, spricht jedenfalls nichts Überwiegendes.
30Vgl. zu den besonderen Voraussetzungen eines sog. Etikettenschwindels, der ein Absehen von dem Genehmigungsgegenstand und einen Durchgriff auf das "in Wahrheit gewollte" eröffnet: OVG NRW, Urteil vom 25. August 2011 - 2 A 38/10 -, juris Rn. 49 ff.; bei dieser Fallgruppe geht es nicht um eine Frage der Bestimmtheit, sondern um ein Auseinanderfallen von Genehmigung und tatsächlichem Geschehen.
31Der Bezug zum Betriebsleiterwohnen und die Begrenzung auf ein Nutzung zum Abstellen (privater) grundstücksbezogener Gegenstände und Fahrzeuge erscheint trotz der offenen Bezeichnung des Eckgebäudes auf dem Lageplan und dem Erdgeschossgrundriss als Garage hinlänglich bestimmt. Denn es ist ohne weitere ersichtlich, dass der Flächenplan die Nutzung von Flächen, namentlich auch die Verortung der Grünflächen und die Zuordnung der Stellplätze/Garagen endgültig festlegen sollte. Zugleich ist in der ergänzenden Betriebsbeschreibung der im Bauantrag angelegte Bezug der angegebenen Geräusche durch "Verladen der Beschilderung" zu einer "Garage" dahin präzisiert, dass es sich um den Hallenbau handelt. Dort heißt es zur "Tätigkeit Halle": "Hier werden die Fahrzeuge be- und entladen und Material wie Schilderpfosten, Absperrbarken, Fußplatten und Leitpfosten sowie die erforderlichen Maschinen und Geräte gelagert." Im Weiteren greift der Bauschein in seinen Nebenbestimmungen die Zuordnung der Nutzung im Flächenplan auf und verdeutlich, dass es sich bei dem Flächenplan um eine Klarstellung der in den übrigen Zeichnungen nicht weiter differenzierten Kennzeichnung des Bereichs als "Garage" handelt, genehmigt ist eine Garage mit Abstellraum/Betriebswohnung. Dort heißt es unter Nr. 28 "die Tür von der Werkstatt zur "Garage/Abstellraum Betriebswohnung" ist rauchdicht und selbstschließend … auszuführen.
322. Der fehlende Nachweis zur Standsicherheit begründet keine Nachbarrechtsverletzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Der Einwand der Beschwerde, der Standsicherheitsnachweis solle die Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit oder das Eigentum Dritter schützen, greift zu kurz. Er lässt schon jedwede Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts vermissen, dass und warum eine – wie hier – im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 68 BauO NRW a. F. erteilte Baugenehmigung von Nachbarn grundsätzlich nur im Umfang der nach § 68 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW a. F. eingeschränkten bauaufsichtlichen Prüfung angegriffen werden kann.
33Vgl. OVG NRW, Urteile vom 26. Juni 2014 - 7 A 2057/12 -, BauR 2014, 1924 = juris Rn. 59 ff., und vom 28. Januar 2009 - 10 A 1075/08 -, BauR 2009, 802 = juris Rn. 39; Beschlüsse vom 12. Januar 2015 - 2 B 1386/14 -, juris Rn. 8 ff., und vom 18. Juli 2013 - 7 A 1040/13 -, juris Rn. 3.
34Eine Ausnahme davon kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn bei Ausnutzung der Baugenehmigung offensichtlich gegen nicht prüfungspflichtige nachbarschützende Vorschriften verstoßen würde und die Bauaufsichtsbehörde die Baurechtsverletzung sofort mit einer Stilllegungsverfügung, einem Nutzungsverbot oder einer Beseitigungsverfügung repressiv unterbinden müsste, wofür weder die Beschwerde etwas vorträgt, noch sonst ein Anhalt besteht.
353. Die Beschwerde bietet auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass der begehrte Eilrechtsschutz aus Gründen des Lärmschutzes erforderlich wäre.
36a.) Soweit sie befürchtet, dass in Folge des neuen Garagen/Lagergebäudes mit Garagentor anstelle der nach den Bauvorlagen verbleibenden Bestandsgarage ohne Garagentor mit mehr Immissionen durch LKW-Verkehr und Zulieferverkehr zu rechnen sei, wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen, dass die abweichende Bauausführung und daraus resultierende weitergehende Beeinträchtigungen nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens sind. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde im Übrigen nicht einmal im Ansatz auseinandersetzt. Das Vorbringen genügt auch in diesem Zusammenhang damit nicht einmal den Darlegungsanforderungen aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
37b.) Soweit die Beschwerde im Weiteren die Auffassung vertritt, "der Schallschutz im Baugenehmigungsverfahren hinsichtlich des LKW-Verkehrs" sei "auch nicht hinreichend berücksichtigt, so dass die Baugenehmigung die Antragsteller auch in diesem Punkt in ihren Rechten verletze", mag sie die streitgegenständliche Genehmigung vom 9. November 2018 im Blick habe. Der Vortrag bleibt indes ohne jede Erläuterung unsubstantiiert.
38Es wird schon nicht deutlich, woraus sich diese Befürchtung ableitet, so sie sich überhaupt auf die streitgegenständliche Baugenehmigung und nicht allein auf die möglicherweise abweichende Bauausführung beziehen sollte. Das gilt umso mehr, als das Grundstück unwidersprochen bereits zuvor und in vergleichbarem Umfang gewerblich genutzt und mit Garagen bestanden war. Zudem ist ein Betrieb nach der Baubeschreibung im Bauantrag allein werktags und dann auch nur von 8 Uhr bis 17 Uhr zugelassen. Diese Vorgabe gilt nicht nur für die Werkstatt im Erdgeschoss des neuen Wohn-/Werkstattgebäudes, sondern im Grundsatz für den gesamten Betrieb auf dem Vorhabengrundstück und damit auch für die Lagerhalle nebst Einstellplätzen. Nach der ergänzenden Erläuterung zur Betriebsbeschreibung ist darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der Anlieferung von Waren und dem Verladen eine zeitliche Ausweitung möglicher betriebsbedingter Fahrzeuggeräusche allenfalls um eine Stunde zu erwarten. Denn dort ist im Zusammenhang mit der Beschreibung der Lieferung des Materials für die Beschilderung von Lieferungen "zu den üblichen Geschäftszeiten" zwischen 8 Uhr und 18 Uhr die Rede. Der Frage, ob dies eine und gegebenenfalls welche Klarstellung des Erlaubten erfordert, ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten, zumal die Beschwerde darauf nicht weiter abstellt und auch im Übrigen nichts Greifbares auf eine Lärmsituation deutet, die zu tragen den Antragstellern schon für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten wäre.
39Neben der dargestellten zeitlichen Beschränkung des Betriebsgeschehens ist in diese Bewertung einzustellen, dass nach dem Bauantrag am Betriebsort nach wie vor nur zwei Personen beschäftigt sind. Auch findet das Be- und Entladen von Fahrzeugen nicht im Freien, sondern laut ergänzender Betriebsbeschreibung in der Halle statt. Zugleich erfolgt die Anlieferung mit Kleintransportern und rein auftragsbezogen. Ausgehend von einem üblichen Begriffsverständnis fallen darunter keine Transport-LKWs, sondern kleine Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von maximal 3,5 Tonnen, die mit der Führerschein-Klasse B gefahren werden dürfen.
40Zugleich lässt der Umstand, dass für die gewerbliche Nutzung nur drei Einstellplätze im Hallenbereich vorgesehen sowie - wie gesagt - nur zwei Personen vor Ort beschäftigt sind, auf erste Sicht den Schluss darauf zu, dass auf dem Betriebsgelände im Rahmen der Auftragsabwicklung ein eher überschaubarer Fahrzeugpark der Fa. W. Verkehrs- und Markierungstechnik zum Einsatz gelangt.
41Transport-LKWs fahren das Betriebsgrundstück nach der Betriebsbeschreibung allenfalls im Zusammenhang mit der Lieferung von Schilderpfosten, Barken, Fußplatten, Leitpfosten u. a. an. Vorgesehen sind nach der ergänzenden Erläuterung Sammelbestellungen, so dass Anlieferungen dieser Art nur quartalsweise bzw. halbjährlich vorgesehen sind.
424. Schließlich ist auch der Einwand nicht zielführend, hinsichtlich der nicht genehmigten Garagen-/Lagererrichtung sei von dem Antragsgegner nicht geprüft worden, ob dieses Lager überhaupt für Gefahrstoffe und deren Lagerung geeignet sei. Es bleibt schon unklar, ob sich der Einwand überhaupt auf die streitgegenständliche Genehmigung bezieht. Im Übrigen fehlt eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum eingeschränkten Prüfungsumfang sowie zu den umfänglichen Regelungen zum Brandschutz in der streitgegenständlichen Baugenehmigung, etwa die besonderen Anforderungen zur Lagerung von Markierungsfarbe unter Nrn. 18 ff.
43Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3, 159, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 ZPO. Es entspricht nicht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
44Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs.1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG.
45Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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