Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 102/21
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. Januar 2021, berichtigt durch Beschluss vom 20. Januar 2021, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1I.
2Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein, der die Interessen verschiedener Kurier-, Express- und Paketdienste vertritt und Briefdienstleistungen der beigeladenen Deutschen Post AG nutzt. Mit Beschluss vom 4. Januar 2021, berichtigt durch Beschluss vom 20. Januar 2021, hat das Verwaltungsgericht Köln die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (VG Köln 21 K 723/20) des Antragstellers gegen die der Beigeladenen mit Ziffer 1 des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2019 (BK5-19/013) erteilte Entgeltgenehmigung angeordnet, soweit es um die Genehmigung der Entgelte für Standard-, Kompakt- sowie Groß- und Maxibriefe (jeweils national) für die Price-Cap-Periode von 2019 bis 2021 ging. Den weitergehenden Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, unter Änderung ihrer Genehmigung vom 12. Dezember 2019 (BK5-19/013) die Entgelte für Standard-, für Kompakt-, für Groß- und für Maxibriefe (jeweils national) unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 - binnen 3 Monaten vorläufig neu zu genehmigen, hat es mangels Antragsbefugnis abgelehnt.
3Im Beschwerdeverfahren verfolgt der Antragsteller sein vom Verwaltungsgericht abgelehntes Begehren weiter. Zusätzlich beantragt er erstmals, hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Beigeladene aufzufordern, binnen eines Monats einen entsprechenden Genehmigungsantrag zu stellen. Dem treten die Antragsgegnerin und die Beigeladene entgegen. Sie meinen, die Anträge seien bereits unzulässig, weshalb die Beschwerde schon deshalb zurückzuweisen sei.
4II.
5Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass den Beschluss, soweit er angefochten ist, zu ändern und die vom Antragsteller sowohl mit dem Haupt- (dazu 1.) als auch dem Hilfsantrag (dazu 2.) jeweils begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen.
61. Der Hauptantrag ist jedenfalls unbegründet, denn der Antragsteller hat schon keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Er hat nicht hinreichend dargelegt, dass die mit dem Hauptantrag begehrte Regelung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO – unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – geboten wäre, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
7Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich im Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz. So sind die Fachgerichte etwa bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.
8Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2009 ‑ 1 BvR 1702/09 -, NVwZ-RR 2009, 945 = juris, Rn. 12, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2017 - 13 B 676/17 -, N&R 2018, 59 = juris, Rn. 51 f., m. w. N.
9Gemessen daran droht dem Antragsteller schon keine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, wenn die begehrte vorläufige Regelung unterbliebe. Der Antragsteller geht im Ausgangspunkt davon aus, dass ohne die begehrte vorläufige neue Entgeltgenehmigung Beförderungsverträge mit der Beigeladenen nach § 23 Abs. 2 Satz 2 PostG unwirksam sind. Die von ihm daraus abgeleiteten Risiken dürften jedoch nicht bestehen, bedeuten aber jedenfalls keine drohenden erheblichen Rechtsverletzungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
10Soweit der Antragsteller zum einen geltend macht, dass offen sei, ob die Beigeladene die Briefsendungen des Antragstellers befördere, hat die Beigeladene diese Befürchtung hinreichend widerlegt. Sie hat im Beschwerdeverfahren bekräftigt, die vom Antragsteller aufgegebenen Briefe auch ohne vollziehbare Entgeltgenehmigung aufgrund ihrer allgemeinen Selbstverpflichtung zum Universaldienst zu befördern, ohne dies zeitlich einzuschränken. Darüber hinaus hat sie dem Antragsteller Postwertzeichen in der von ihm gewünschten Stückelung unentgeltlich zur Verfügung gestellt, mit denen er seine Briefsendungen ausreichend frankieren und so die Beförderungsdienstleistung ohne Weiteres ungeachtet einer nicht vollziehbaren Entgeltgenehmigung in Anspruch nehmen kann. Dabei hat die Beigeladene klargestellt, gegenüber dem Antragsteller (erst) dann eine korrekte, gegebenenfalls auch rückwirkende, Abrechnung zu erstellen, sobald sie auch gegenüber dem Antragsteller eine wirksame und vollziehbare Entgeltgenehmigung vorweisen könne. Allein schon deshalb greift auch der weitere Einwand des Antragstellers nicht durch, er müsse de facto unumkehrbar rechtswidrig überhöhte Entgelte zahlen. Unabhängig davon, ob der Antragsteller die in der Vergangenheit ab 2019 bereits überzahlten Entgelte wird zurückerhalten können, hat der Antragsteller nicht ansatzweise näher dazu vorgetragen, dass diese in einer Größenordnung liegen, dass eine erhebliche Rechtsverletzung begründen könnte.
11Ebenso wenig dürfte das aus Sicht des Antragstellers unzumutbare Risiko bestehen, dass aufgrund der geltend gemachten Unwirksamkeit der Beförderungsverträge „etliche Fragen (Haftung etc.)“ offen blieben. Welche Fragen der Antragsteller in diesem Zusammenhang im Einzelnen als offen ansieht, hat er nicht dargelegt. Die von ihm ausdrücklich allein angeführte Frage nach der Haftung im Rahmen der Briefbeförderung dürfte wenn nicht schon auf vertraglicher, so zumindest auf deliktischer Ebene beantwortet werden können, so dass der Antragsteller auch insoweit nicht rechtsschutzlos gestellt sein dürfte. Ungeachtet dessen hat er aber auch nicht näher dargelegt, welche unzumutbaren irreversiblen Nachteile, etwa wirtschaftlicher Art, er im Falle einer der Beigeladenen anzulastenden fehlgeschlagenen Briefbeförderung konkret zu befürchten hätte.
12Inwieweit trotz der zumindest tatsächlich hinreichend gesicherten Beförderung von Briefen des Antragstellers durch die Beigeladene allein der Umstand, dass diese „ohne Vertrag, ohne Kenntnis des (später zu zahlenden) Entgelts“ erfolge, die für die Annahme eines Anordnungsgrunds erforderliche erhebliche, über Randbereiche hinausgehende drohende Verletzung von Rechten des Antragstellers bedeuten soll, erschließt sich nicht.
13Soweit sich der Antragsteller darüber hinaus darauf beruft, dass seine Interessen mit denen von Millionen anderer Kunden der Beigeladenen, die derzeit rechtswidrig überhöhte Briefporti zahlten, gleichliefen, so dass durch das Unterbleiben einer neuen Entgeltgenehmigung ein irreparabler Schaden für die Allgemeinheit entstehe, zeigt er keine drohende Verletzung eigener Rechte auf. Die Rechtsstellung nach Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet einem Kunden der Beigeladenen – wie dem Antragsteller – nicht die Möglichkeit, als Sachwalter anderer Kunden aufzutreten.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2020 - 6 C 1.19 -, BVerwGE 168, 178 = juris, Rn. 65.
15Der vorläufige Rechtsschutz kann dem Antragsteller bereits allein in Ermangelung eines hinreichenden Anordnungsgrundes versagt werden, wenn – wie hier – für den Fall eines für den Zweck der gerichtlichen Prüfung hypothetisch unterstellten Anordnungsanspruchs keine Eilbedürftigkeit besteht. Bei der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Eilbedürftigkeit handelt es sich trotz des funktionalen Zusammenhangs zwischen der Eilbedürftigkeit und dem im Einzelfall für die Hauptsache zu sichernden Anspruch um eine eigenständige prozessuale Voraussetzung.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2017 ‑ 13 B 676/17 -, N&R 2018, 59 = juris, Rn. 74 f., m. w. N.
172. Der im Beschwerdeverfahren erstmals gestellte Hilfsantrag des Antragstellers ist bereits unzulässig. Für eine Beschwerde mit Anträgen, die – wie hier – in erster Instanz nicht gestellt und daher vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht beschieden wurden, ist nur ausnahmsweise Raum, denn das Beschwerdeverfahren dient der rechtlichen Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung. Dies ergibt sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach eine Beschwerde nur zulässig ist, wenn sie die Gründe darlegt, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt. Abweichend hiervon kann eine Antragsänderung im Beschwerdeverfahren in Ausnahmefällen analog § 91 Abs. 1 VwGO jedenfalls dann als sachdienlich angesehen werden, wenn sie das Beschwerdegericht nicht mit einem vollständig neuen Streitstoff konfrontiert und darüber hinaus dazu geeignet ist, den sachlichen Streit zwischen den Beteiligten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes endgültig auszuräumen.
18Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Februar 2021 ‑ 4 B 699/19 -, juris, Rn. 36 f., m. w. N., und vom 27. Juli 2009 - 8 B 933/09 -, NWVBl. 2010, 36 = juris, Rn. 8 ff., m. w. N.
19Gemessen daran liegt keine sachdienliche ausnahmsweise zulässige Antragserweiterung vor. Die nunmehr erstmals eigenständig begehrte Erzwingung einer Antragstellung durch die Beigeladene, um so die Erteilung einer neuen Entgeltgenehmigung zu ermöglichen, ist neben der streitgegenständlichen Erteilung einer neuen Entgeltgenehmigung selbst ein neuer Streitstoff, weil sich insoweit weitere Vorfragen stellen, über die das Verwaltungsgericht nicht befunden hat.
20Unabhängig davon würde der Hilfsantrag aus den dargelegten Gründen jedenfalls am auch insoweit fehlenden Anordnungsgrund scheitern.
21Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, Abs. 3 Halbsatz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen Sachantrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 162 1x
- §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 2x
- VwGO § 123 2x
- VwGO § 91 1x
- 21 K 723/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1702/09 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 676/17 2x (nicht zugeordnet)
- 4 B 699/19 1x (nicht zugeordnet)
- 8 B 933/09 1x (nicht zugeordnet)