Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 279/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2I. Über die Beschwerde entscheidet gemäß §§ 87a Abs. 2, 3 VwGO die Vorsitzende als Berichterstatterin, nachdem die Beteiligten hierzu mit Schriftsätzen vom 1. März 2022 (Antragsteller) und vom 3. März 2022 (Antragsgegner) ihr Einverständnis erklärt haben. Der Umstand, dass der Antragsteller mit weiterem Schriftsatz vom 14. März 2022 ohne nähere Erläuterung sein diesbezügliches Einverständnis verweigert hat, ändert an dessen Vorliegen nichts. Es entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass Prozesserklärungen grundsätzlich nicht widerruflich sind. Nur unter eng begrenzten Voraussetzungen wird der Widerruf zugelassen, so z. B. wenn ein Wiederaufnahmegrund (§ 580 ZPO) gegeben ist, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten,
3vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 ‑ 4 B 75.98 -, NVwZ-RR 1999, 407 = juris Rn. 3 m. w. N., und Urteil vom 6. Dezember 1996 - 8 C 33.95 -, NVwZ 1997, 1210 = juris. Rn. 14,
4oder - namentlich für das Einverständnis mit der Entscheidung durch die Berichterstatterin - bei wesentlicher Änderung der Prozesslage entsprechend § 173 Satz 1 VwGO i.V. m. § 128 Abs. 2 ZPO.
5Nds. OVG, Urteil vom 22. November 1995 - 9 L 6406/93 -, juris Rn. 1; Schübel-Pfister in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 87a Rn. 15 mw. w. N.; BFH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - II S 39/10 -, juris Rn. 9 zu § 79a FGO.
6Für dergleichen besteht jedoch kein Anhalt.
7II. Die Beschwerde ist unbegründet. Aus der Antragsbegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 4 K 309/21 gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 29. Januar und 9. September 2021 zu Unrecht wiederhergestellt hat.
81. Das Beschwerdevorbringen zieht nicht durchgreifend die Feststellung des Verwaltungsgerichts in Zweifel, für das durch die Bescheide vom 29. Januar und 9. September 2021 vorgenommene Hinausschieben des Endes des Vorbereitungsdienstes bzw. dessen Verlängerung um die Dauer der in Anspruch genommenen Elternzeit bestehe derzeit keine Rechtsgrundlage.
9Mit der Beschwerde wird vergeblich geltend gemacht, die angegriffenen Bescheide beruhten auf § 7 Abs. 3 der Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen - OVP - vom 10. April 2011 (GV. NRW. S. 218, zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Januar 2022, GV. NRW. S. 44) i. V. m. dem Runderlass "Elternzeit für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter" des Ministeriums für Schule und Bildung vom 27. Februar 2012 (Abl. NRW S. 211). Gemäß § 7 Abs. 1 OVP dauert der Vorbereitungsdienst 18 Monate. Er kann nach § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP auf Antrag aus besonderen Gründen in der Regel um bis zu sechs Monate verlängert werden. Besondere Gründe sind nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere Beurlaubung, Krankheit oder Schwangerschaft, soweit Ausfallzeiten mit einer Gesamtdauer von mehr als sechs Wochen entstehen.
10§ 7 Abs. 3 Satz 1 OVP erfordert nach seinem eindeutigen Wortlaut das Vorliegen eines (sinnvollerweise nur von dem Beamten
11- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -
12zu stellenden) Antrags, an dem es hier fehlt. Mit der Beschwerde wird zu Unrecht die Auffassung vertreten, in den vom Antragsteller gestellten Anträgen auf Elternzeit sei konkludent auch ein Antrag auf Verlängerung des Vorbereitungsdienstes nach § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP zu sehen. Für ein entsprechendes Verständnis des Antrags auf Bewilligung von Elternzeit liefert weder die Beschwerde einen tragfähigen Anhaltspunkt noch ist er sonst ersichtlich. Es lässt sich entgegen der Ansicht des Antragsgegners insbesondere nicht damit begründen, die Aufzählung der wichtigen Gründe in § 7 Abs. 3 Satz 2 OVP sei nur beispielhaft und nicht abschließend. Letzteres trifft zwar zu, wie die Verwendung des Begriffs "insbesondere" verdeutlicht; der Umstand ist aber ohne jede Aussagekraft für die Frage, ob in dem Antrag auf Elternzeit konkludent stets auch ein Antrag auf Verlängerung bzw. das Hinausschieben des Endes des Vorbereitungsdienstes liegt. Dieser Vorstellung steht vielmehr entgegen, dass es sich um unterschiedliche Sachgegenstände handelt, die zwar in Zusammenhang stehen, bei der aber der zweite - Hinausschieben des Endes bzw. Verlängerung des Vorbereitungsdienstes - keineswegs zwangsläufige Folge des ersteren darstellt.
13Ist demnach mangels Antrags eine tatbestandliche Voraussetzung des § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP nicht erfüllt, ist das Beschwerdevorbringen ohne Relevanz, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass die Vorschrift nicht allein dem Schutz des Lehramtsanwärters diene, sondern darüber hinaus der Sicherung einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage sowie dem Interesse des Landes an bestmöglich ausgebildeten Lehrkräften. Ebenso wenig von Belang ist der eingehende Beschwerdevortrag zu den nach Auffassung des Antragsgegners unvertretbaren Folgen, die bei Nichtanwendung des § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP in der gegebenen Konstellation eintreten. Allein der Umstand, dass ein Bedürfnis für das Bestehen einer Rechtsnorm gegeben ist, führt nicht auf ihr Vorliegen.
142. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kommt auch eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP im Streitfall nicht in Betracht. Der Antragsgegner hält eine solche analoge Anwendung unter Bezugnahme auf seine Darstellung der nachteiligen Folgen eines anderweitigen Verständnisses für "zulässig und angemessen", weil die Verlängerung zur Sicherstellung des Ausbildungs- und Prüfungsanspruchs sowie zur Sicherstellung einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage auch ohne Antrag erforderlich sei. Damit wird schon nichts zum Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke dargelegt, wie sie für die Annahme einer Analogie aber erforderlich ist. Gegen die Planwidrigkeit der Regelungslücke spricht im Streitfall insbesondere, dass der Verordnungsgeber ausdrücklich das Tatbestandsmerkmal "auf Antrag" in § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP aufgenommen hat. Wenn kein Antrag des Anwärters vorliegt, fehlt es im Übrigen jedenfalls aus dessen Sicht an einer gleichartigen Interessenlage.
153. Unklar ist, was mit dem Beschwerdevortrag gesagt sein soll, die im oben bereits erwähnten Runderlass "Elternzeit für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter" des Ministeriums für Schule und Bildung vom 27 Februar 2012 enthaltenen Regelungen seien gesetzeskonform. Selbst wenn man zugunsten des Antragsgegners unterstellen wollte, dass damit geltend gemacht werden soll, das Hinausschieben des Endes des Vorbereitungsdienstes bzw. dessen Verlängerung könnten auf den genannten Runderlass und/oder auf § 20 BEEG gestützt werden, träfe weder die eine noch die andere Auffassung zu.
16a. Der Runderlass "Elternzeit für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter" kommt als Ermächtigungsgrundlage für die streitgegenständlichen Bescheide nicht in Betracht. Zwar findet sich darin unter anderem der Satz "Für die Dauer der Elternzeit 'ruht' die Ausbildung, diese Zeit wird nicht auf die Dauer des Vorbereitungsdienstes angerechnet". Dem Erlass ist indessen schon nicht zu entnehmen, dass mit ihm überhaupt eigenständige, von den darin erwähnten und ausdrücklich in Bezug genommenen Rechtsgrundlagen - insbesondere OVP, aber auch FrUrlV NRW und BEEG - unabhängige Regelungen getroffen werden sollen. Die Einleitung des Erlasses mit "Bezug: Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (…)" und auch die Formulierungen im Weiteren deuten eher darauf hin, dass es sich lediglich um eine Zusammenfassung und Erläuterung der in den genannten Normenwerken getroffenen Regelungen handelt. Dieses Verständnis wird durch das Fehlen von Untergliederungspunkten gestützt. Im Übrigen würde mit Rücksicht darauf, dass das Hinausschieben des Endes des Vorbereitungsdienstes bzw. dessen Verlängerung den Lehramtsanwärter in seiner persönlichen Rechtsstellung gegenüber dem Dienstherrn berührt, allein ein Erlass als Verwaltungsvorschrift mangels Außenrechtswirksamkeit als Rechtsgrundlage nicht ausreichen.
17b. Auch § 20 Abs. 1 Satz 2 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes - BEEG - vom 5. Dezember 2006 (Art. 1 des Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BGBl. I S. 2748, neu bekannt gemacht unter dem 27. Januar 2015, BGBl. I S. 33) bildet keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die hier in Streit stehenden Maßnahmen. Diese Vorschrift bestimmt, dass Zeiten der Elternzeit auf die Berufsausbildung - von einer im zweiten Halbsatz geregelten, hier nicht einschlägigen Ausnahme abgesehen - nicht angerechnet werden. Die Regelungen zur Elternzeit im BEEG gelten nach § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1a Satz 1 BEEG aber nur für Arbeitnehmer, also Beschäftigte in einem Arbeitsverhältnis im Sinne des allgemeinen Arbeitsrechts. Nichts anderes folgt aus § 20 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Danach gelten die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes. Auch diese Fiktion erfasst mithin nur diejenigen, deren Ausbildungsverhältnis privatrechtlich geregelt ist. Für Beamte einschließlich derer auf Widerruf gelten die Bestimmungen des BEEG daher allenfalls aufgrund entsprechender landesrechtlicher Verweisung.
18Allg. Auffassung, vgl. etwa v. Roetteken in v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, 22. Update Oktober 2021, Elternzeit Rn. 27 f. m. w. N.; Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, § 20 BEEG Rn. 1; Wiegand in Wiegand, BEEG, 01/19, § 15 BEEG Rn. 12; Velikova in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Auflage 2017, § 20 BEEG Rn. 1; Kathke in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht - Kommentar, 33. UPD Dezember 2021, 6.1.1 Vorbereitungsdienst Rn. 196; Schrapper/Günther, LBG NRW, 3. Auflage 2021, § 74 Rn. 3; Plog/Wiedow, BBG Kommentar, Loseblatt Stand März 2022, § 79 BBG Rn. 17.
19Dies wird, wie das Verwaltungsgericht im Urteil vom 27. Januar 2022 im zugehörigen Hauptsacheverfahren 4 K 309/21 näher dargelegt hat, nicht nur durch § 74 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW bestätigt, wonach die Landesregierung durch Rechtsverordnung die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende Anwendung der Vorschriften des BEEG regelt, sondern auch durch den Umstand, dass in einer Reihe von ‑ ansonsten gleichfalls überflüssiger - Vorschriften des Beamten- bzw. Soldatenrechts die Verlängerung einer Ausbildung bei Inanspruchnahme von Elternzeit bestimmt ist (etwa § 40 Abs. 4 SG).
20Vergeblich verweist die Beschwerde demgegenüber auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 2013 - 10 A 10747/12 -, in dem anschaulich dargelegt werde, dass das BEEG auch für die Ausbildung der Referendare gelte. Dabei wird schon außer Acht gelassen, dass das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in der genannten Entscheidung aufgrund des entsprechenden Verweises in § 6 Abs. 5 Satz 3 des Landesgesetzes über die juristische Ausbildung ‑ JAG RP - vom 23. Juni 2003 (GVBl. RP S. 116)
21- ebenso in Nordrhein-Westfalen § 32 Abs. 3 Satz 4 JAG -
22von der Anwendbarkeit des § 20 BEEG ausgegangen ist. Der weiter angeführte Umstand, dass § 9 FrUrlVO NRW auf § 15 Abs. 1 bis 3 und § 16 BEEG verweist, streitet entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht für, sondern gerade gegen eine Anwendbarkeit des § 20 BEEG, der dort eben nicht erwähnt ist.
234. Der Antragsgegner kann für seine Auffassung schließlich nichts daraus herleiten, dass der 14. bzw. der 19. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in den Urteilen vom 12. September 2017 - 14 A 467/15 - und vom 4. Mai 2015 - 19 A 444/13 - keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des "Ruhens" des Vorbereitungsdienstes sowie dessen Verlängerung nach Wiederaufnahme des Dienstes hätten erkennen lassen. In den Verfahren, die den genannten Entscheidungen zugrunde liegen, ging es (jeweils) nicht um die Verlängerung bzw. das Hinausschieben des Endes des Vorbereitungsdienstes, sondern um die Rechtmäßigkeit einer Nichtbestehensentscheidung; auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Verlängerung bzw. des Hinausschiebens des Endes des Vorbereitungsdienstes kam es dabei nicht an. Zudem war die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes jeweils auf entsprechenden Antrag des Lehramtsanwärters erfolgt. Es ist nicht zweifelhaft, dass § 7 Abs. 3 Satz 1 OVP in dieser Fallgestaltung Anwendung findet; sie ist indes im Streitfall gerade nicht gegeben.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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