Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 429/22
Tenor
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Senatsbeschluss vom 7. Februar 2022 - 2 A 445/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
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G r ü n d e :
2Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Senatsbeschluss vom 7. Februar 2022 – 2 A 445/21 – hat keinen Erfolg.
3Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Rüge ist nach § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen darlegen (§ 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO).
4Davon ausgehend ist die Anhörungsrüge jedenfalls unbegründet. Der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist durch den angegriffenen Senatsbeschluss nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
5Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Er gebietet darüber hinaus, dass das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen wird. Ein Gehörsverstoß liegt aber nicht schon dann vor, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lässt oder zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält. Dementsprechend dient die Gehörsrüge nicht etwa der Korrektur behaupteter Rechtsfehler durch das entscheidende Gericht, sondern allein der Heilung von Gehörsverstößen im Rahmen der Fortführung des Verfahrens.
6Vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2013 - 7 C 3.13 -, juris Rn. 2, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
7Gemessen daran begründet die Anhörungsrüge keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
8Der Senat hat das gesamte Zulassungsvorbringen der Kläger zur Kenntnis genommen und erwogen. Er hat dabei zugleich auch nicht die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in einer eine Gehörsverletzung begründenden Weise überspannt. Anders als die Kläger meinen, hat er an die Zulassungsbegründung nicht etwa die gleichen Anforderungen gestellt wie an eine spätere Berufungsbegründung.
9Das Vorbringen der Kläger im Zulassungsverfahren zur Stützung ihres Einwandes, die genehmigte Wohnnutzung genüge nicht den Anforderungen, die an eine Betriebsleiterwohnung im Sinne des § 8 Abs. 3 BauNVO zu stellen seien, hat der Senat umfänglich zur Kenntnis genommen und erwogen. Auf die Ausführungen zur Flächenberechnung ist er dabei sogar in seinem Beschluss ausdrücklich eingegangen und hat erläutert, dass und aus welchen Gründen aus seiner Sicht die Erwägungen zu kurz greifen und abgesehen davon die Frage, ob es sich um eine Betriebsleiterwohnung im Sinne des § 8 Abs. 3 BauNVO handelt, ohnehin nicht entscheidungserheblich ist.
10Die Ausführungen zur Nachtragsbaugenehmigung und zu den im Klageverfahren - 8 K 557/21 - vorgelegten neuen Beweismitteln, die belegen sollen, dass der Beigeladene seine derzeitige Betriebsstätte auf dem zum angegriffenen Bauvorhaben benachbarten Grundstück zusätzlich auch zur Vermietung von insgesamt 7 Wohnungen nutzt, lassen einen Bezug zum klägerischen Vortrag im Zulassungsverfahren ebenso vermissen wie zu einer Verletzung ihrer Nachbarrechte betreffend die im hier zu betrachtenden Zulassungsverfahren 2 A 445/21 allein beanstandete Ausgangsgenehmigung. Der Senat war weder seitens der Kläger noch seitens der Beklagten über die Erteilung einer Nachtragsgenehmigung und die dagegen gerichtete Klage an das Verwaltungsgericht unterrichtet worden und hatte bei seiner Entscheidung auch sonst keine Kenntnis vom Inhalt des Schriftsatzes der Kläger vom 5. Januar 2022, auf den sie ihre Anhörungsrüge u. a. stützen. Die Auffassung der Kläger, "insoweit" liege eine Verletzung des § 86 Abs. 3 VwGO vor, bleibt auch deshalb unverständlich. Was die Kläger versäumen vorzutragen, kann der Senat nicht unter Verletzung ihres Gehörsanspruchs „übergehen“.
11Abgesehen davon begründet ein etwaiger Aufklärungsmangel ohnehin grundsätzlich - und auch hier - keinen Gehörsverstoß.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2021 – 19 B 1371/21 –, juris Rn. 5, m. w. N.
13Die Anhörungsrüge lässt zudem auch in diesem Zusammenhang außer Acht, dass über den Zulassungsantrag nach Maßgabe des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO grundsätzlich allein auf der Grundlage der fristgerecht dargelegten Gründe zu entscheiden ist und der eingangs der Begründung der Anhörungsrüge angeführte Grundsatz aus § 128 Satz 2 VwGO, wonach neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel innerhalb des Berufungsantrags berücksichtigt werden, - neben dem hier schon fehlenden „Vorbringen“ gerade die zugelassene Berufung voraussetzt. Ausnahmen sind aus Gründe der Prozessökonomie oder der Effektivität des Rechtsschutzes allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn sowohl die geltend gemachte Änderung der Sach- oder Rechtslage als auch deren Auswirkungen auf das Ergebnis des Rechtsstreits offensichtlich sind und sich daher die angegriffene Entscheidung als evident unrichtig darstellt.
14Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. September 2020 – 10 A 3896/19 –, juris Rn. 14 ff. und vom 15. Januar 2018 - 2 A 2747/15 -, juris, Rn. 9 ff., m. w. N.
15Davon konnte auf der Grundlage des dem Senat im Zulassungsverfahren unterbreiteten Sach- und Streitstandes hier aber keine Rede sein.
16Die Kritik der Anhörungsrüge an den Ausführungen des Senats auf Seite 5 seines Beschlusses zum Zulassungsvorbringen der Kläger, dass die streitgegenständliche Lagerhalle unter die Sonderbauten nach § 68 Abs. 1 Satz 3 Nr. 15 BauO NRW 2000 falle, begründet ebenfalls keinen Gehörsverstoß; insbesondere hat der Senat die Anforderungen an die Darlegung insoweit nicht etwa überspannt, wenn er dem Zulassungsantrag eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Überlegungen des Verwaltungsgerichts zum eingeschränkten Prüfungsumfang und zu den umfangreichen Regelungen zum Brandschutz in der streitgegenständlichen Genehmigung vorhält. Im Übrigen hat der Senat daneben selbständig entscheidungstragend darauf abgestellt, dass die streitgegenständliche Genehmigung – soweit es um die Lagerung von Markierfarbe geht – wegen des erklärten Verzichts des Beigeladenen ihre Erledigung gefunden hat. Schon deshalb bestand also kein Anlass, im Beschluss weiter auf das bereits mit dem Zulassungsantrag eingereichte Sicherheitsdatenblatt einzugehen. Auch in diesem Zusammenhang beschränkt sich die Anhörungsrüge im Kern auf die Kritik an der Sachentscheidung des Senats. Hierfür steht die Anhörungsrüge nicht zur Verfügung.
17Die Ausführungen der Kläger zu einem Verstoß gegen § 6 Abs. 11 BauO NRW 2000 wegen Überschreitens der 15-Meter-Obergrenze sind bereits deshalb nicht zielführend, weil sie sich nicht auf die im Zulassungsverfahren dargelegten Gründe beziehen. Der Zulassungsantrag hat sich zu einer solchen Problematik nicht weiter verhalten. Maßgebliche Grundlage der Entscheidung über den Zulassungsantrag sind aber – wie bereits ausgeführt - grundsätzlich (nur) die dargelegten Gründe, die der Senat hier umfassend behandelt hat. Insoweit erschöpft sich das Vorbringen letztlich auf den Vorhalt einer unzutreffenden Entscheidung unter Missachtung des – im Zulassungsverfahren, wie ausgeführt, so nicht geltenden - Amtsermittlungsgrundsatzes, ohne einen Gehörsverstoß aufzuzeigen.
18Ein Gehörsverstoß ergibt sich ebenso wenig aus den Vorhaltungen der Kläger gegen die Bewertung des Senats, die Tür zwischen Werkstattraum und Garage/Abstellraum stelle kein hinreichend tragfähiges Indiz dafür dar, dass die im Plan "Flächennutzung" angegebene Nutzung "Abstellen Betriebswohnung" nur vom Beigeladenen vorgeschoben wäre und in Wahrheit dazu diente, den Schein einer Genehmigung für eine nicht privilegierte Ausweitung des im Erdgeschoss des Wohn-/Werkstatthauses vorgesehenen gewerblichen Betriebsgeschehens auf den Gebäudeteil vor dem Werkstattraum zu geben. Auch hier erschöpft sich die Anhörungsrüge letztlich in der Kritik an den von den Klägern für falsch gehaltenen Bewertungen des Senats in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, für die die Anhörungsrüge nicht zur Verfügung steht. Einen Anspruch darauf, dass der Senat der Auffassung des Zulassungsantrags zur Sach- und Rechtslage folgt, vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG – wie bereits gesagt - nicht.
19Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und Abs. 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 a Abs. 4 Satz 3 VwGO).
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