Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 A 942/22.A
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die allein geltend gemachte Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es den Terminsverlegungsantrag seines Prozessbevollmächtigten durch die Verfügung vom 2. Mai 2022 abgelehnt und mündlich verhandelt hat.
31. Nach § 227 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt, kann eine mündliche Verhandlung „aus erheblichen Gründen" verlegt oder vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe" ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87b VwGO) und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Abs. 1 VwGO), andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) Rechnung zu tragen. Letzteres verlangt, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und tatsächliche und rechtliche Argumente im Prozess vortragen zu können. Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs versagte Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Vertagung rechtfertigende „erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern.
4Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017- 2 B 69.16 -, Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 = juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 6. November 2019 - 4 A 524/19.A -, juris, Rn. 5.
5Ein erheblicher Grund kann u. a. darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter erkrankt sind.
6Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017- 2 B 69.16 -, Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 = juris, Rn. 9; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. November 2019 - 4 A 524/19.A -, juris, Rn. 8, vom 1. Februar 2018 - 4 A 10/18.A -, juris, Rn. 22, vom 5. Juni 2012 - 17 E 196/12 -, juris, Rn. 15, und vom 11. März 2011 - 12 A 1436/10 -, juris, Rn. 9.
7Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann.
8Vgl. BFH, Beschlüsse vom 8. September 2015- XI B 33/15 -, juris, Rn. 12, und vom 23. Februar 2012 - VI B 114/11 -, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. November 2019 - 4 A 524/19.A -, juris, Rn. 8, vom 29. Januar 2016 - 12 A 3077/15 -, juris, Rn. 6, vom 4. März 2014 - 6 A 377/13 -, juris, Rn. 34, und vom 5. Juni 2012 - 17 E 196/12 -, juris, Rn. 15.
9Dem verhinderten Beteiligten obliegt es dabei, die erheblichen (Hinderungs-)gründe, auf die er sich beruft, schlüssig und substantiiert darzulegen, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen eines erheblichen Grunds zu beurteilen und gegebenenfalls eine (weitere) Glaubhaftmachung gemäß 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 2 ZPO zu verlangen.
10Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009- 6 B 32.09 -, juris, Rn. 4, und vom 20. Juni 2000- 5 B 27.00 -, juris, Rn. 10; Bay. VGH, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 11 ZB 17.1696 -, juris, Rn. 16.
11Danach ist die auf eine Erkrankung gestützte Verhandlungsunfähigkeit grundsätzlich durch die Vorlage eines ärztlichen Attests nachzuweisen.
12Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. April 2017- 2 B 69.16 -, Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 = juris, Rn. 9, und vom 22. Mai 2001 - 8 B 69.01 -, Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 30 = juris, Rn. 5.
132. Das Zulassungsvorbringen zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Verlegungsantrags nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze einen Gehörsverstoß darstellt.
14a. Das Verwaltungsgericht hat mit Verfügung vom 2. Mai 2022 den Verlegungsantrag mit der Begründung abgelehnt, das vorgelegte ärztliche Attest postuliere zwar aus gesundheitlichen Gründen die Unmöglichkeit, den Gerichtstermin wahrzunehmen, es werfe jedoch in mehrfacher Hinsicht Fragen auf. Fraglich sei bereits, ob die Erkrankungen die Teilnahme an der Verhandlung unmöglich machten. Dies möge von der Schwere der Erkrankungen und den in Betracht kommenden Therapiemöglichkeiten abhängen. Dazu enthalte das Attest indes keine Informationen. Vor allem aber stelle sich die Frage, ob die am 28. April 2022 festgestellten Erkrankungen die Prognose erlaubten, dass der Kläger sechs Tage später verhandlungsunfähig sein werde; dies hätte jedenfalls erläutert werden müssen. Sollte der Kläger an COVID-19 erkrankt sein, werde um Übersendung eines entsprechenden aktuellen (personalisierten) Schnelltest- oder PCR-Test-Ergebnisses gebeten. Unabhängig davon sei der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten und werde daher zumindest durch ihn an der Verhandlung teilnehmen können. Auch im Asylprozess sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Kläger in der mündlichen Verhandlung durch seinen Rechtsanwalt sachgerecht vertreten werde und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Anwesenheit des anwaltlich vertretenen Klägers in der mündlichen Verhandlung nur nach den Umständen des Einzelfalls erfordern könne. Derartige besondere Umstände seien hier nicht geltend gemacht worden.
15aa. Soweit der Kläger rügt, der behandelnde Arzt habe schon am „22. April 2022“ (gemeint wohl 28. April 2022) vorhersagen können, dass er am 4. Mai 2022 aufgrund der schweren Erkrankung nicht am Gerichtstermin teilnehmen könne, und der Arzt ausgeführt habe, ihm sei bei der vorliegenden Erkrankung nicht zumutbar gewesen, ohne Risiko für seine Gesundheit eine Reise zum Gerichtstermin anzutreten, verhilft dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht unter Berücksichtigung der Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts NRW das Vorliegen „erheblicher Gründe“ auf der Grundlage des vorgelegten Attests verneint. Der Feststellung des Verwaltungsgerichts, im Attest seien keine Informationen enthalten über die Schwere der Erkrankung, die Therapiemöglichkeiten oder die Erkennbarkeit einer etwaigen Verhandlungsunfähigkeit sechs Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung, begegnet der Kläger ohne Erfolg. Das Attest enthält entgegen dem Zulassungsvorbringen den Befund einer „schweren“ Erkrankung schon nicht. Auch im Übrigen setzt sich sein Zulassungsvorbringen nicht mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander, sondern erschöpft sich in der bloßen Behauptung des Gegenteils. Das Gericht hat nicht spekulativ angenommen, dass es dem Kläger möglich sei, an der Verhandlung teilzunehmen, sondern sich zutreffend darauf beschränkt, das Vorliegen erheblicher Gründe auf der Grundlage des Verlegungsantrags und des vorlegten Attests zu prüfen. Auch mit dem bloßen Hinweis auf die Anfang Mai 2022 noch bestehenden Corona-Problematik zeigt der Kläger nicht auf, wieso ein erheblicher Grund für eine Verlegung vorliege.
16bb. Der Einwand des Klägers, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, weil er zu seiner Verfolgung insbesondere durch Herrn S. H. und dessen Vater in der mündlichen Verhandlung habe persönlich Stellung nehmen wollen, verfängt nicht.
17Auch im Asylprozess ist ein erheblicher Grund für eine Vertagung nicht bereits dann- quasi automatisch - anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falls zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsaufhebung bzw.-verlegung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern; das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002 - 1 B 313.01 -, juris, Rn. 5.
19Dass der Kläger in seinen Möglichkeiten beschränkt wurde, sich in gebotenem Umfang zu äußeren, zeigt er nicht mit dem Vorbringen auf, sein Prozessbevollmächtigter sei nicht in der Lage, persönliche Eindrücke und Kontakte zu Familienangehörigen wiederzugeben oder Zusammenhänge, die nur Betroffene schildern könnten, zu erläutern. Der seit Beginn des Klageverfahrens anwaltlich vertretene Kläger hatte hinreichend Gelegenheit, seine Asylgründe umfassend darzulegen und gegebenenfalls zu ergänzen. Dabei gehörte es zu seinen Obliegenheiten, den Sachverhalt vollständig darzulegen, aus dem er für sich günstige Rechtsfolgen ableiten wollte. Dass dies nur durch persönlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung geschehen konnte, macht weder die Zulassungsbegründung geltend noch ist hierfür sonst etwas ersichtlich.
20Darüber hinaus hätte der Kläger, wenn er sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich hielt, unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder die Anordnung seines persönlichen Erscheinens vor Gericht (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beantragen können und müssen.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1982- 9 C 1.81 -, juris, Rn. 12.
22Dass dies nicht geschehen ist, steht dem Erfolg der Rüge entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann von einer Versagung des rechtlichen Gehörs nicht gesprochen werden, wenn der Betroffene oder sein Prozessvertreter es unterlassen haben, Gebrauch von den verfahrensrechtlich gebotenen Möglichkeiten zu machen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen
23Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2000 - 9 B 2.00 -, Buchholz 310 § 133 (n. F.) VwGO Nr. 53, S. 13 f. = juris, Rn. 3.
24So liegt der Fall hier. Der Verlegungsantrag vom 29. April 2022 verhält sich zu einer vermeintlichen Notwendigkeit der Anwesenheit des Klägers nicht. Nach Ablehnung des Vertagungsantrags durch Verfügung vom 2. Mai 2022 blieb dem Kläger noch hinreichend Gelegenheit, prozessual auf die Ablehnung etwa durch einen modifizierten oder neuen Verlegungsantrag zu reagieren, und sich so das nunmehr als verletzt bezeichnete rechtliche Gehör zu verschaffen.
25b. Das Verwaltungsgericht war entgegen der Ansicht des Klägers nicht gehalten, über den Antrag auf Verlegung durch Beschluss zu entscheiden.
26Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 4 ZPO kann der Vorsitzende bzw. der Einzelrichter einen Termin mittels prozessleitender Verfügung (ersatzlos) aufheben oder (auf einen anderen Zeitpunkt) verlegen. Die Vertagung hingegen erfordert einen Beschluss des Gerichts (§ 227 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
27Statt vieler Brüning, in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff, § 102 Rn. 6.
28Vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung handelte es sich um die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des anberaumten Termins, die keiner förmlichen Bescheidung durch Beschluss bedurfte. Einen Antrag auf Vertagung nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nicht gestellt, sein ordnungsgemäß geladener Prozessbevollmächtigter ist vielmehr ohne Angaben von Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen.
29II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
30Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
31Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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