Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 A 11256/12.OVG

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Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 24. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der als Beamter bei der Berufsfeuerwehr im Dienst der Beklagten stehende Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu arbeitsmedizinischen Pflichtuntersuchungen durch den betriebsärztlichen Dienst der Beklagten.

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Als Beamter der Berufsfeuerwehr wird der Kläger alle drei Jahre zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung „G 26 Atemschutzgeräte“ herangezogen. Die jüngste Untersuchung stand im Januar 2012 an. Bereits im Dezember 2011 nahm der Kläger diese Untersuchung auf eigene Kosten bei einer von ihm beauftragten Ärztin für Betriebsmedizin vor. Das Untersuchungsergebnis, welches er der Beklagten vorlegte, erkannte diese nicht an und führte zur Begründung aus, die erforderlichen betriebsmedizinischen Untersuchungen würden grundsätzlich bei der Firma „B.A.D.“ durchgeführt, die ihr vertraglich bestellter Betriebsarzt sei.

3

Mit Schreiben vom 12. Januar 2012 wurde der Kläger aufgefordert, sich am 31. Januar 2012 beim vertraglichen Betriebsarzt der Beklagten im B.A.D. Zentrum zur Durchführung der Tauglichkeitsuntersuchung G 26.3 einzufinden. Dadurch sei zum einen ein einheitliches Verfahren gewährleistet, zum anderen habe auch nur der vertragliche Betriebsarzt die Berechtigung, sich einen Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen im Bedarfsfall vor Ort anzuschauen. Für diese Untersuchungen trage sie, die Beklagte, die Kosten.

4

Der Kläger erhob Widerspruch, zu dessen Begründung er im Wesentlichen vortrug, bei der letzten durch den B.A.D. durchgeführten Vorsorgeuntersuchung im Januar 2009 habe er sich darüber geärgert, dass offensichtlich fehlerhafte Ergebnisse erzielt worden seien, worüber ihm auf Nachfrage nur mitgeteilt worden sei, dass der B.A.D. sich dies auch nicht erklären könne. Auch habe er den Umstand, dass die Ansprechpartner ständig wechselnde Ärzte gewesen seien, als äußerst störend und unbefriedigend empfunden. Er habe daher entschieden, die Untersuchung durch seine eigene Medizinerin durchführen zu lassen und das Untersuchungsergebnis zur Verfügung gestellt. Diese Ärztin besitze die Qualifikation gemäß § 7 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge – ArbMedVV –. Mit der gleichwohl verfügten Untersuchungsanordnung greife die Beklagte in seine Persönlichkeitsrechte ein. Gründe für die Fehlerhaftigkeit der Untersuchung seiner privat beauftragten Ärztin seien nicht benannt worden.

5

Der Kläger unterzog sich am 20. Januar 2012 der angeordneten Untersuchung bei dem vom Beklagten beauftragten B.A.D., um dienstliche Nachteile zu vermeiden. Seinen Widerspruch erhielt er aufrecht mit dem Antrag festzustellen, dass er berechtigt sei, die betreffende Pflichtuntersuchung statt durch den betriebsärztlichen Dienst durch einen entsprechend qualifizierten Mediziner seiner Wahl durchführen zu lassen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2012 wurde der Widerspruch gegen die Anordnung vom 12. Januar 2012 wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen, weil diese sich erledigt habe. Die Entscheidung über den Feststellungsantrag werde bis zur Entscheidung im Rahmen einer erneuten Vorsorgeuntersuchung zurückgestellt.

7

Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben und ausgeführt, die Beklagte habe über seinen Widerspruch zwar formell, aber nicht inhaltlich entschieden. Es sei nicht ersichtlich, dass sie ein Ermessen ausgeübt habe. Sie habe trotz der von ihm geäußerten Bedenken keine sachlichen Gründe dafür angeführt, dass die Untersuchung nur durch den von ihr beauftragten Betriebsarzt erfolgen könne.

8

Der Kläger hat beantragt,

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festzustellen, dass er berechtigt ist, die Pflichtuntersuchung G 26.3 nach § 4 ArbMedVV durch einen Mediziner seiner Wahl, der die Qualifikation nach § 7 ArbMedVV besitzt, durchführen zu lassen.

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Die Beklagte ist dem aus den Gründen der angefochtenen Bescheide entgegengetreten. Sie hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Urteil vom 24. Oktober 2012 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach der ArbMedVV treffe die Beklagte die Pflicht, die geforderten Untersuchungen zu veranlassen und die Kosten dafür zu übernehmen. Im Sinne eines möglichst hohen Wirkungsgrades der Maßnahmen des Arbeitsschutzes müsse der Dienstherr es nicht der Entscheidung des einzelnen Bediensteten überlassen, die arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen bei einem anderen fachlich qualifizierten Arbeits- oder Betriebsmediziner durchzuführen. Dafür sprächen auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität, denn bei einer Untersuchung durch einen anderen Arzt müsste der Dienstherr sich in jedem Einzelfall über die Qualität der ärztlichen Untersuchungen vergewissern. Dies würde gerade bei großen Dienststellen einen nur schwerlich zu bewältigenden Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Zudem müsste die Kostenfrage in jedem Einzelfall geklärt werden. Das Recht des Klägers auf freie Arztwahl stehe der Abweisung seiner Klage nicht entgegen.

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Mit seiner durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger eine Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf freie Arztwahl geltend und führt hierzu im Wesentlichen aus, das Interesse an einem wirksamen Arbeitsschutz und an einem möglichst hohen Wirkungsgrad der Maßnahmen des Arbeitsschutzes sei bereits durch die gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Anforderungen an den jeweiligen Arzt gewährleistet. Dies gelte zumal im vorliegenden Fall, denn bei der B.A.D. arbeiteten verschiedene Ärzte, so dass eine besondere Qualität des beauftragten Betriebsarztes zu bestreiten sei. § 8 Abs. 2 ArbMedVV stelle kein hinreichendes Verfahren für den Fall bereit, dass dem Betriebsarzt seitens des Beamten nicht vertraut werde, denn dort sei lediglich die Rede von Untersuchungsergebnissen. Die Qualität des Betriebsarztes der Beklagten sei unzureichend.

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Der Kläger beantragt,

15

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 24. Oktober 2012 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2012 festzustellen, dass er berechtigt ist, die Pflichtuntersuchung G26.3 nach § 4 ArbMedVV durch einen Mediziner seiner Wahl der die Qualifikation nach § 7 ArbMedVV besitzt, durchführen zu lassen.

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Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens das angegriffene Urteil und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsvorgänge (1 Heft) verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat keinen Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

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I. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig. Da die Anordnung des Beklagten, die Pflichtuntersuchung beim Betriebsarzt im B.A.D. Zentrum durchzuführen, sich erledigt hat und keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO darstellte (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10 –, NVwZ 2012, 1483), beschränkt das Begehren des Klägers sich zu Recht auf die beantragte Feststellung.

22

Das erforderliche Feststellungsinteresse – für das jedes nach vernünftigen Erwägungen schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ausreicht – liegt ebenfalls vor. Es folgt jedenfalls aus dem Interesse des Klägers an der Klärung der in Rede stehenden Frage für zukünftig anstehende Untersuchungen.

23

Das Vorverfahren, welches in beamtenrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 54 Abs. 2 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – (bzw. zuvor in § 126 Abs. 3 Beamtenrechtsrahmengesetz) – abweichend von § 68 VwGO – auch bei Feststellungsklagen durchzuführen ist (vgl. dazu grundlegend BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2001 – 2 C 48/00 –, BVerwGE 114, 350), hat der Kläger erfolglos durchlaufen.

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II. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet.

25

Der Kläger ist nicht berechtigt, die Pflichtuntersuchung G 26.3 nach § 4 ArbMedVV durch einen Mediziner seiner Wahl, der die Qualifikation nach § 7 ArbMedVV besitzt, durchführen zu lassen. Die Anordnung des Beklagten vom 12. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2012, sich am 31. Januar 2012 beim vertraglichen Betriebsarzt der Beklagten im B.A.D. Zentrum zur Durchführung der Tauglichkeitsuntersuchung G 26.3 einzufinden, war vielmehr rechtmäßig (1.) und ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (2.).

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1. Der Beklagte war zur Erteilung dieser Weisung gemäß § 1 Abs. 1 Landesbeamtengesetz – LBG – und § 35 Satz 2 BeamtStG nicht nur berechtigt, sondern nach § 62 LBG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz und § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbMedVV sogar verpflichtet.

27

Gemäß § 4 Abs. 1 ArbMedVV hat der Arbeitgeber nach Maßgabe des Anhangs der ArbMedVV Pflichtuntersuchungen der Beschäftigten zu veranlassen. Bei der hier in Rede stehenden Untersuchung handelt es sich gemäß § 2 Abs. 3 ArbMedVV in Verbindung mit Teil 4, Abs. 1 Nr. 1 des Anhangs zur ArbMedVV (Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten der Gruppen 2 und 3 erfordern) um eine solche Pflichtuntersuchung. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 ArbMedVV hat der Arbeitgeber zur Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge, deren Bestandteil die in Rede stehende Pflichtuntersuchung ist (vgl. § 2 Abs. 3 ArbMedVV), einen Arzt oder eine Ärztin nach § 7 ArbMedVV zu beauftragen, wobei nach § 3 Abs. 2 Satz 2 ArbMedVV vorrangig der nach § 2 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) bestellte Betriebsarzt oder eine Betriebsärztin beauftragt werden soll.

28

Nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschriften obliegt es also der Beklagten, die regelmäßige Pflichtuntersuchung des Klägers zu veranlassen und mit deren Durchführung der Pflichtuntersuchung ihren Betriebsarzt – hier: die Firma B.A.D. – zu beauftragen. Ihr diesbezügliches Ermessen ist gesetzlich durch die Formulierung „beauftragt werden sollen“ dahingehend eingeschränkt, dass nur in besonderen Ausnahmefällen die Beauftragung eines anderen Arztes nach § 7 ArbMedVV möglich ist.

29

Dieses Ergebnis folgt nicht nur – wie dargelegt – aus dem Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, sondern auch aus der Systematik und dem Sinn und Zweck der ArbMedVV in ihrem Zusammenspiel mit dem ASiG, mit dem die allgemeine kollektive arbeitsmedizinische Prävention geregelt ist.

30

Insoweit geht aus den einschlägigen Regelungen hervor, dass die Beauftragung des Betriebsarztes mit den arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen Teil eines gesetzgeberischen Gesamtkonzepts für den betrieblichen Gesundheitsschutz ist, in welchem der Betriebsarzt eine Schlüsselfunktion innehat. Je nach Betriebsart und -größe ist nämlich gemäß §§ 1, 2 ASiG vom Arbeitgeber (bzw. dem Dienstherrn) ein Betriebsarzt bestellt, bei welchem sich die allgemeinbezogenen Informationen und Kenntnisse über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung (ASiG) sowie die individuelle arbeitsmedizinische Vorsorge und die Erkenntnisse hieraus (ArbMedVV) bündeln.

31

Vor diesem Hintergrund bezwecken sowohl die ArbMedVV als auch das ASiG eine Verzahnung der allgemeinen wie auch der individuellen Interessen der Beschäftigten an einem wirksamen betrieblichen Gesundheitsschutz in der Person des Betriebsarztes: So dient die arbeitsmedizinische Vorsorge einschließlich der hier in Rede stehenden Pflichtuntersuchung gemäß § 3 Abs. 1 ArbMedVV ausdrücklich nicht nur den individuellen Gesundheitsinteressen der Beamten und Beschäftigten, sondern auch dem allgemeinen Interesse an der Nutzung von Erkenntnissen aus diesen Untersuchungen für die Gefährdungsbeurteilung und für sonstige Maßnahmen des Arbeitsschutzes.

32

Spiegelbildlich hierzu ist der nach § 2 ASiG bestellte Betriebsarzt für die kollektive Vorsorge wie auch den individuellen Gesundheitsschutz zuständig. Er hat allgemein nach § 3 Abs. 1 ASiG die Aufgabe, den Arbeitgeber (bzw. den Dienstherrn) beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ASiG hat er die Arbeitnehmer (bzw. die Beamten) zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten sowie die Untersuchungsergebnisse zu erfassen und auszuwerten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ASiG hat er die Durchführung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zu beobachten und im Zusammenhang damit unter anderem (Buchst. a) die Arbeitsstätten in regelmäßigen Abständen zu begehen und festgestellte Mängel dem Arbeitgeber mitzuteilen, Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel vorzuschlagen und auf deren Durchführung hinzuwirken.

33

Die daraus folgenden Kenntnisse des Betriebsarztes über die Arbeitsplatzverhältnisse sind wiederum Voraussetzung für die Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach Maßgabe der ArbMedVV. Denn gemäß § 6 Abs. 1 ArbMedVV muss der Arzt oder die Ärztin sich vor Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen „die notwendigen Kenntnisse über die Arbeitsplatzverhältnisse verschaffen“. Die Vorsorgeuntersuchungen wiederum müssen ausgewertet werden (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 ArbMedVV). Ergibt die Auswertung Anhaltspunkte für unzureichende Schutzmaßnahmen, so hat der Arzt oder die Ärztin dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 ArbMedVV). Dementsprechend muss der Arbeitgeber (bzw. der Dienstherr) dem Arzt alle erforderlichen Auskünfte über die Arbeitsplatzverhältnisse erteilen und die Begehung des Arbeitsplatzes ermöglichen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 ArbMedVV).

34

2. Die vom Kläger gegen die Beauftragung des Betriebsarztes mit der Pflichtuntersuchung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 ArbMedVV geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch. Zwar liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – GG – vor (a); dieser ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt (b).

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a) In der – gegebenenfalls mit dienstrechtlichen Maßnahmen sanktionierbaren – Weisung zum Aufsuchen des Betriebsarztes zum Zwecke der Durchführung der arbeitsmedizinischen Pflichtuntersuchung liegt ein Eingriff in die grundrechtsbewehrte persönliche Sphäre des Klägers, der sich insoweit trotz seines Beamtenstatus auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG berufen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10 –, NVwZ 2012, 1483).

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Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter. Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlicher Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 – 1 BvR 689/92 –, BVerfGE 89, 69 [82 f.] m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1572/10 –, NJW 2011, 1661I. Dabei steht die Erhebung medizinischer Befunde dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung weniger nah als psychologische Befunde (vgl. BVerfG a.a.O. [83]).

37

In den Schutzbereich dieses Grundrechts wird durch die Anordnung einer arbeitsmedizinischen Pflichtuntersuchung jedenfalls dann eingegriffen, wenn der Beamte – wie hier – im Falle seiner Weigerung mit negativen dienstlichen Konsequenzen belegt werden kann.

38

b) Dieser Grundrechtseingriff ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Bürger muss staatliche Eingriffe in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1572/10 –, NJW 2011, 1661 [1662] m.w.N.). Ein uneingeschränktes „Recht auf freie Arztwahl“ gewährleistet hiernach auch das Grundgesetz nicht. Zur Wahrung der Belange der Allgemeinheit (oder einer besonderen Solidargemeinschaft) kann vielmehr in vielen Bereichen auf Einschränkungen des Rechts auf „freie“ Arztwahl nicht verzichtet werden (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 4. September 1980 – 5 C 42/79 –, BVerwGE 60, 367 [371] m.w.N.).

39

Nach diesen Maßstäben hat der Verordnungsgeber den verfassungsrechtlichen Anforderungen mit den einschlägigen Regelungen in der ArbMedVV hinreichend Rechnung getragen.

40

Die Regelungen über die Pflichtuntersuchung durch den Betriebsarzt des Dienstherrn genügen insbesondere den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt, dass nur das Notwendige zum Schutz eines von der Verfassung anerkannten Rechtsgutes im Gesetz vorgesehen und im Einzelfall angeordnet werden darf. Die Einschränkung des Grundrechts darf nicht weiter reichen, als dies erforderlich ist. Zudem darf die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvR 2436/10; 2 BvE 6/08 –, juris, Rn. 119 m.w.N.).

41

aa) Die in Rede stehenden Vorschriften sollen der Förderung des betrieblichen Gesundheitsschutzes dienen, indem sie auch die arbeitsmedizinischen Pflichtuntersuchungen dem Aufgabenbereich eines umfassend zuständigen Betriebsarztes zuweisen. Damit soll die optimale Verknüpfung von Primär- und Sekundärprävention, also von kollektiver und individueller Gesundheitsvorsorge, bewirkt werden (vgl. die Begründung zur ArbMedVV, BR-Drucks. 643/08 vom 29. August 2008, S. 25 f.). Aufgrund der – oben bereits im Einzelnen näher dargelegten – Bündelung der diesbezüglichen Kenntnisse und Erkenntnisse beim Betriebsarzt sind die in Rede stehenden Vorschriften hierzu auch ohne Weiteres geeignet.

42

bb) Die Einschränkung der Grundrechte der betroffenen Beamten reicht auch nicht weiter, als dies erforderlich ist. Ein milderes, zur Verzahnung von kollektiver und individueller Gesundheitsvorsorge gleich geeignetes Mittel, ist nicht ersichtlich. Die von dem Kläger angeführte Beauftragung eines vom Beamten ausgewählten Arztes mit einer Qualifikation nach § 7 ArbMedVV ist weniger gut geeignet, die Verzahnung von Primär- und Sekundärprävention zu bewirken, ja sie ist sogar offenkundig ungeeignet. Denn die freie Arztwahl bei regelmäßigen Pflichtuntersuchungen wäre praktisch mit kaum überschaubarem Verwaltungsaufwand verbunden, würde sie doch dazu führen, dass zahlreiche unterschiedliche Ärzte konsultiert würden, die jeweils eine Begehung des Arbeitsplatzes (vgl. § 6 Abs. 1 ArbMedVV) und Einsicht in die Vorsorgekartei mit Angaben über Anlass, Tag und Ergebnis jeder Untersuchung (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 4 ArbMedVV) verlangen könnten.

43

Überdies wären diese zahlreichen Ärzte gegebenenfalls gehalten, dem Dienstherrn jeweils eigene – unter Umständen einander widersprechende – Vorschläge für Schutzmaßnahmen zu machen (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbMedVV), ohne dass ersichtlich ist, nach welchen Kriterien der Dienstherr zwischen gegebenenfalls divergierenden Vorschlägen auswählten sollte.

44

cc) Nach den vorstehenden Ausführungen sind die Allgemeininteressen an einer wirksamen Verzahnung von primärer und sekundärer Gesundheitsvorsorge auch in einen angemessenen Ausgleich gebracht worden mit den grundrechtlich geschützten Individualinteressen der einzelnen Beamtinnen und Beamten, von Untersuchungen durch nicht selbst ausgewählte Ärzte verschont zu bleiben. Insoweit ist festzuhalten, dass Pflichtuntersuchungen nach § 2 Abs. 3 ArbMedVV nur für „besonders gefährdende Tätigkeiten“ gesetzlich vorgesehen sind, also für solche Tätigkeiten, die ein hohes Gefährdungspotential für die Gesundheit der Beschäftigten enthalten (vgl. BR-Drucks. 643/08, S. 32). Überdies gewährleistet die Eröffnung eines (intendierten) Ermessens durch die Formulierung „soll“ die Möglichkeit, besonderen Einzelfällen Rechnung zu tragen, in denen es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, entgegen dem gesetzlichen Regelfall einen anderen als den Betriebsarzt oder die Betriebsärztin zu beauftragen.

45

Im Übrigen ist der Beamte oder die Beamtin nicht rechtsschutzlos den Untersuchungsergebnissen des von ihm nicht ausgewählten Betriebsarztes ausgesetzt ist, sondern ihm vielmehr der Rechtsweg nach Maßgabe der einschlägigen Regelungen offen steht (vgl. § 8 Abs. 2 ArbMedVV, § 54 BeamtStG).

46

3. Sind die gesetzlichen Regelungen der ArbMedVV über die Pflichtuntersuchung durch den Betriebsarzt hiernach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so bestehen gegen deren Auslegung und Anwendung im Einzelfall des Klägers ebenfalls keine Bedenken. Der Kläger hat keine Gründe vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass sein Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entgegen dem gesetzlichen Regelfall nur die Beauftragung eines von ihm selbst ausgewählten Arztes zuließe. Insbesondere vermag die Unzufriedenheit des Klägers mit der Qualität der beim B.A.D. tätigen Ärzte keinen Ausnahmefall zu begründen, der es rechtfertigte, den mit der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung zu beauftragenden Arzt entgegen der gesetzlichen Grundkonzeption der freien Wahl des Beamten anheim zu stellen.

47

III. Der Widerspruch des Klägers wurde zwar zu Unrecht entgegen § 54 Abs. 2 BeamtStG als unzulässig zurückgewiesen, worin die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 VwGO liegt. Da der Widerspruch aber jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hätte haben können, beruht der Widerspruchsbescheid nicht auf diesem Verfahrensfehler. Dies gilt auch in Anbetracht dessen, dass es sich bei der Entscheidung des Dienstherrn über die Auswahl des zu beauftragenden Arztes um eine Ermessensentscheidung handelt. Denn das gesetzlich mit der Formulierung „soll“ eröffnete Ermessen des Dienstherrn ist – wie dargelegt – dahingehend intendiert, dass grundsätzlich der bestellte Betriebsarzt bzw. die Betriebsärztin zu beauftragen ist.

48

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung.

49

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO und § 191 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 127 Beamtenrechtsrahmengesetz genannten Art nicht vorliegen.

50

Beschluss

51

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG).

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