Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LA 25/11
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 30. März 2011 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
Der Antrag ist nicht begründet.
- 2
Der Kläger beruft sich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts) und § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensfehler). Die Zulassungsgründe liegen nach den Darlegungen des Zulassungsantrages nicht vor.
- 3
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, mit der festgestellt wird, dass seine Klage gemäß § 92 Abs. 2 VwGO wegen Nichtbetreibens des Verfahrens als zurückgekommen gilt. Er macht zur Begründung ernstlicher Zweifel geltend, die Voraussetzungen für den Erlass einer Betreibensaufforderung hätten nicht vorgelegen, die Betreibensaufforderung sei der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht wirksam zugestellt worden, auch sei ein Fall des Nichtbetreibens nicht gegeben. Dem ist nicht zu folgen.
- 4
Das Verwaltungsgericht hat die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Eingangsverfügung vom 08. September 2008 unter anderem ausdrücklich „gebeten“, die Klage innerhalb von 4 Wochen zu begründen. Nach § 86 Abs. 4 Satz 2 VwGO kann der Vorsitzende unter Fristsetzung zur Einreichung vorbereitender Schriftsätze, zu denen auch die Klagebegründung gehört, auffordern. Weder die Formulierung als Bitte noch die „formularmäßige“ Aufforderung zur Klagebegründung bereits mit der Eingangsverfügung ändern etwas daran, dass die Aufforderung prozessuale Mitwirkungspflichten auslöst (siehe VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.10.1999 - 6 S 1870/99 -, DÖV 2000, 210). Bleibt eine solche - sanktionslose - prozessleitende Verfügung unbeachtet, besteht Anlass zu der Annahme, der Kläger werde seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommen (BVerwG, Urt. v. 23.04.1985 - 9 C 48/84 - BVerwGE 71, 213). Hier kommt hinzu, dass die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Verfügung der Berichterstatterin vom 22. September 2008 nochmal an die Erledigung der Verfügung vom 08. September 2008, allerdings nur mit Fristsetzung für die Vorlage der streitgegenständlichen Bescheide und der Originalvollmacht binnen einer Woche, und schließlich - nach Ablauf der mit Verfügung vom 08. September 2008 gesetzten 4-Wochen-Frist für die Klagebegründung - ein weiteres Mal mit Verfügung vom 13. Oktober 2008 an die Erledigung der Verfügung nunmehr innerhalb von 3 Wochen erinnert wurde. Die hier wiederholte Vernachlässigung prozessualer Mitwirkungspflichten und Nichtbeachtung gerichtlich gesetzter Fristen ist geeignet, Zweifel an das Bestehen oder Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses zu setzen, und rechtfertigt den Erlass einer Betreibensaufforderung. Darauf, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung vom 10. November 2008 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (1 B 41/08) ein ablehnender Beschluss ergangen ist, kommt es daher nicht an. Jedenfalls spricht der Verzicht auf ein Rechtsmittel eher für den Fortfall des Rechtsschutzinteresses als dagegen, zumal der Kläger nunmehr geltend macht, dass das Verfahren - mithin auch die Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung vom 09. Mai 2008 zur Untersagung der Rinder- und Schweinehaltung - für ihn von existenzieller Bedeutung sei.
- 5
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05. Juli 2000 (- 8 B 119/00 -, NVwZ 2000, 1297) berufen. Entgegen den Ausführungen des Zulassungsantrages fordert die Entscheidung nicht, dass auch im Falle mehrfacher Aufforderungen unter Fristsetzungen der Zeitraum der Untätigkeit beträchtlich sein müsse. Vielmehr hat das Gericht in dem zu entscheidenden Fall der Erfolglosigkeit einer ohne Fristsetzung erfolgten gerichtlichen Aufforderung, die nach den Gesamtumständen nicht ausreichte, einen Anhaltspunkt für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses zu begründen, ausdrücklich ausgeführt, etwas anderes könne sich dann ergeben, wenn der jeweilige Kläger unter Fristsetzung - gar mehrfach (wie im vorliegenden Fall) - erfolglos aufgefordert worden sei, oder der Zeitraum seiner Untätigkeit - anders als im seinerzeit zu entscheidenden Fall - beträchtlich sei. Mehrfache Aufforderung unter Fristsetzung und ein beträchtlicher Zeitraum der Untätigkeit müssen demnach nicht kumulativ gegeben sein.
- 6
Die Betreibensaufforderung ist der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers auch wirksam zugestellt worden.
- 7
Ausweislich der Postzustellungsurkunde hat die Postzustellerin das Schriftstück zu übergeben versucht und, weil eine Übergabe nicht möglich war, in dem zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Der Zulassungsantrag meint, die Zustellung an einen Prozessbevollmächtigten habe nach § 172 ZPO in dessen Kanzlei-Geschäftsräumen zu erfolgen. Ersatzweise wäre die Zustellung über § 178 ZPO in Geschäftsräumen an eine dort beschäftigte Person zulässig. Werde niemand angetroffen, sei über § 180 ZPO eine Einlegung in den Briefkasten möglich, dies müsse aber der zum Geschäftsraum gehörende Briefkasten sein.
- 8
Der Antrag legt schon nicht dar (§ 124 a Abs. 5 VwGO), dass die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers überhaupt neben einem Privat- auch über einen Geschäftsbriefkasten verfügte. Jedenfalls stimmt die Geschäftsadresse der Prozessbevollmächtigten mit der Adresse überein, unter der die Betreibensaufforderung zugestellt wurde. Im Übrigen trifft es nicht zu, dass die Zustellung an einen Prozessbevollmächtigten gemäß § 172 ZPO in dessen Kanzleiräumen zu erfolgen hat. Nach § 177 ZPO kann ein Schriftstück der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird. Ersatzzustellungen können allerdings nicht an jedem Ort vorgenommen werden. Die Ersatzzustellung nach § 178 ZPO kann aber in der Wohnung oder auch in Geschäftsräumen der Person, der zugestellt werden soll, erfolgen (BVerwG, Urt. v. 09.10.1973 - VC 110/72 -, BVerwGE 44, 104). Demzufolge ist auch die Ersatzzustellung eines Geschäftsbriefes nach § 180 ZPO durch Einlegung in einen zu der Wohnung des Adressaten gehörenden Briefkasten möglich.
- 9
Das Verfahren wurde auch im Sinne des § 92 Abs. 2 VwGO „nicht betrieben“.
- 10
Soweit der Kläger meint, ein Nichtbetreiben liege nur bei vollständiger Untätigkeit vor, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr muss sich der Kläger auf die Betreibensaufforderung des Gerichts so substantiiert äußern, dass Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses beseitigt werden und der äußere Anschein einer Vernachlässigung seiner prozessualen Mitwirkungspflicht entfällt. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den Gründen für die Betreibensaufforderung und den vom Kläger konkret erbetenen Verfahrenshandlungen, ab. Der Aufforderung eines substantiierten Vorbringens genügt es jedenfalls nicht, wenn der Kläger auf eine konkrete Aufforderung hin lediglich mitteilt, er wolle das Verfahren weiter betreiben, oder bei mehreren erbetenen Verfahrenshandlungen nur diejenige vornimmt, die zur Erfüllung seiner prozessualen Mitwirkungspflicht offensichtlich von nur untergeordneter Bedeutung ist (BVerwG, Urt. v. 13.01.1987 - 9 C 259/86 -, NVwZ 1987, 605). So liegen die Dinge hier.
- 11
Mit der Betreibensaufforderung vom 10. November 2008 ist der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers allein aufgegeben worden, die Klage zu begründen. Dem ist weder sie noch der jetzt für den Kläger tätige Prozessbevollmächtigte nachgekommen. Die Einreichung einer Vollmacht geschah nach Anwaltswechsel auf Grund gesonderter gerichtlicher Anforderung. Die Vorlage einer Vollmacht war nicht Gegenstand der Betreibensaufforderung und ist deshalb - wie der Antrag auf Akteneinsicht und die Bitte, anstehende Gerichtstermine und laufende Fristen mitzuteilen - allenfalls vergleichbar mit der verbalen Äußerung, das Verfahren weiter betreiben zu wollen, was - wie ausgeführt - angesichts der erbetenen Verfahrenshandlung, die Klage zu begründen, völlig unzureichend ist. Ein Betreiben besteht im Regelfall in der Vornahme der konkret geforderten Handlung (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 92 Anm. 23). Ist dies nicht möglich, sind die Hinderungsgründe substantiiert vorzutragen (siehe hierzu BVerwG, Urt. v. 23.04.1985 - 8 C 48.84 -, BVerwGE 71, 213). Ein solcher Hinderungsgrund kann - nach Anwaltswechsel - zum Beispiel darin bestehen, dass der neue Prozessbevollmächtigte erst Akteneinsicht nehmen muss, um substantiiert vortragen zu können. Dieser Hinderungsgrund ist aber von dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht geltend gemacht worden. Er lag auch nicht vor. Die 2-Monats-Frist des § 92 Abs. 2 VwGO lief ab Zustellung der Betreibensaufforderung an die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers am 12. November 2008, mithin bis zum 12. Januar 2009. Der jetzige Prozessbevollmächtigte hat sich bereits am 20. November 2008 gemeldet. Die ihm überlassene Gerichtsakte und Beiakte ist nach Einsichtnahme am 08. Dezember 2008 wieder bei Gericht eingegangen. Aus der Gerichtsakte war ohne Weiteres die Betreibensaufforderung unter Fristsetzung zu ersehen. Einer besonderen Mitteilung des Gerichts bedurfte es insoweit nicht. Die verbliebene Zeit bis zum Fristablauf betrug mehr als einen Monat und war für die erbetene Klagbegründung vollauf ausreichend.
- 12
Aus der von dem Kläger zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 1984 (- 9 B 688/81 -, NVwZ 1984, 450) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Im dortigen Fall beruhte die Anfrage, ob das Verfahren im Sinne des § 33 AsylVfG weiterbetrieben werde solle, auf dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Mandat niedergelegt hatte und Grund zu der Annahme bestand, dass dies darauf zurückzuführen war, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Mandanten habe, weil der Asylbewerber in sein Heimatland zurückgekehrt ist. Die Vorlage der vom Kläger unterschriebenen Vollmacht eines neuen Prozessbevollmächtigten, verbunden mit der Bitte um Akteneinsicht, hat das Bundesverwaltungsgericht als hinreichende Darlegung des Rechtsschutzinteresses an einer gerichtlichen Entscheidung wegen des fortbestehenden Aufenthalts des Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland angesehen. Eine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall, in dem es um die Verfahrenshandlung der Klagebegründung geht, ist daher nicht gegeben. Allein die Meldung des Anwaltswechsels, weil der bisherige Anwalt und der Mandant den Kontakt verloren haben, ist kein Betreiben des Verfahrens. Im Fall des Asylbewerbers hat das Bundesverwaltungsgericht - zu Recht oder zu Unrecht - die Annahme der Rückkehr des Asylbewerbers in sein Heimatland, worauf wiederum die Annahme des fehlenden Rechtsschutzinteresses beruhte, als erschüttert angesehen, weil er die Vollmacht unterschrieben habe, und nicht etwa in dem Anwaltswechsel als solchem das Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses gesehen.
- 13
Schließlich fehlt es auch nicht an einem Klagrücknahmebeschluss nach § 92 Abs. 2 Satz 4 VwGO. In dem Tenor des Einstellungsbeschlusses vom 13. Januar 2009 fehlt zwar die Feststellung, dass die Klage als zurückgenommen gilt, entsprechende Ausführungen finden sich jedoch in der Begründung. Im Übrigen ist der Beschluss nach Fortsetzung des Verfahrens auf Antrag des Klägers auch gegenstandslos geworden. In dem angefochtenen Urteil wird in dem Tenor ausdrücklich festgestellt, dass die Klage zurückgenommen ist.
- 14
Nach dem vorher gesagten liegt auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensfehler) nicht vor. Hat das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass die Klage als zurückgenommen gilt, ist auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gegeben.
- 15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 16
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
- 17
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
- 18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 86 1x
- VwGO § 124 3x
- ZPO § 178 Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen 2x
- VwGO § 152 1x
- VwGO § 154 1x
- 6 S 1870/99 1x (nicht zugeordnet)
- 9 C 48/84 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 172 Zustellung an Prozessbevollmächtigte 2x
- 1 B 41/08 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124a 2x
- 9 C 259/86 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 92 4x
- § 33 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- 9 B 688/81 1x (nicht zugeordnet)
- 8 B 119/00 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 177 Ort der Zustellung 1x
- ZPO § 180 Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten 2x