Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LB 11/17

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 27. April 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine baurechtliche Beseitigungsanordnung.

2

Der Kläger war bis Dezember 2017 anteilig zur Hälfte Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in der … in Osdorf, das aus den Flurstücken … und … der Flur … der Gemarkung … besteht. Die heutigen Eigentümer des Grundstücks, … und …, waren zuvor anteilig je zur Hälfte Nießbrauchsberechtigte dieses Grundstücks. Das auf der östlichen Seite der … gelegene Grundstück ist aus der Teilung des früheren Flurstücks … hervorgegangen, welches seinerseits ursprünglich Teil des Flurstücks … war.

3

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 9 „Hauptstraße-Schmiederedder“ vom 4. November 2002 in der Fassung der 1. Änderung vom 19. September 2005. Der Bebauungsplan setzt südlich angrenzend an das streitbefangene Grundstück eine private Verkehrsfläche fest. Diese nach Teilung des früheren Flurstücks … mittlerweile realisierte Privatstraße (… Weg) verläuft als Einbahnstraße ca. 100 m südlich des streitbefangenen Grundstücks von der … ausgehend in östliche Richtung in einem bogenförmigen Verlauf nach Norden und mündet entlang der südlichen Grenze des streitbefangenen Grundstücks wieder in die … ein.

4

Der Bebauungsplan Nr. 9 enthält bereits in seiner Ursprungsfassung in Teil B folgende textliche Festsetzung:

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7. Nebenanlagen § 14 Abs. 1 BauNVO
Untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO müssen einen Abstand von mind. 3,00 m zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen einhalten.“

6

Das streitbefangene Grundstück gehörte ursprünglich zum Betriebsgelände der von der Familie des Klägers seit Generationen geführten Fleischerei und war mit einem Wohn- und Betriebsgebäude bebaut. Die verkehrliche Erschließung erfolgte über eine Zuwegung auf dem heutigen Flurstück … (… und …) und dem nordöstlich an das Plangebiet angrenzenden Flurstück … (…) zur … .

7

Nach Teilung des früheren Flurstücks … im Zuge der Planverwirklichung erteilte der Beklagte dem früheren Nießbrauchsberechtigten und heutigen Miteigentümer des Grundstücks … mit Bescheid vom 21. Juni 2005 eine Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses verbunden mit der Auflage, die Satzung der Gemeinde Osdorf über den Bebauungsplan Nr. 9 zu beachten.

8

Im September 2007 stellte der Beklagte im Rahmen einer Ortsbesichtigung fest, dass südöstlich des neu errichteten Einfamilienhauses eine winkelförmige Mauer mit einer Länge von 10,48 m und einer Höhe von 1,80 m errichtet wurde, die teilweise einen geringeren Abstand als 3,00 m zu der privaten Verkehrsfläche … Weg aufweist.

9

Mit Ordnungsverfügung vom 7. Juli 2014 forderte der Beklagte den Kläger als Zustandsstörer gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LBO auf, die Mauer binnen zwei Monaten nach Bestandskraft der Entscheidung insoweit zu beseitigen, dass ein Abstand zur Erschließungsstraße (… Weg) von mindestens 3,00 m eingehalten wird. Für den Fall, dass er die Anordnung nicht, nicht ausreichend oder nicht fristgerecht befolge, drohte der Beklagte dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 250,00 € an.

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Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die errichtete Mauer formell und materiell baurechtswidrig sei. Eine bauaufsichtliche Genehmigung könne für die illegal errichtete Mauer nicht erteilt werden. Die Mauer zähle zu den Nebenanlagen, die nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 9 (1. Änderung) einen Abstand von mindestens 3,00 m zur Erschließungsstraße einhalten müssten. Die Mauer befinde sich größtenteils innerhalb dieses Bereichs. Eine Befreiung von dieser Festsetzung könne nicht erteilt werden, weil die Grundzüge der Planung berührt würden. Aus diesem Grund sei auch der von Herrn … am 20. September 2013 eingereichte Bauantrag zur Errichtung einer „Gartenwand“ mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 bestandskräftig abgelehnt worden. Ein bauaufsichtliches Einschreiten sei wegen der negativen Vorbildwirkung und der Gefahr einer dem planerischen Willen der Gemeinde widersprechenden ungeordneten Bebauung geboten. Der Kläger werde ebenso wie der seinerzeitige Miteigentümer Herr … als Zustandsstörer in Anspruch genommen, da nicht die Errichtung der baulichen Anlage im Vordergrund stehe, sondern das Ergebnis dieses Verhaltens.

11

Mit weiteren Bescheiden vom 7. Juli 2014 verpflichtete der Beklagte die damaligen Nießbrauchsberechtigten, die Teilbeseitigung der Mauer entsprechend den Beseitigungsanordnungen vom selben Tag zu dulden.

12

Der Kläger erhob mit Schreiben vom 31. Juli 2014 Widerspruch. Er machte geltend, dass primär der Nießbrauchsberechtigte Herr … als Handlungsstörer verantwortlich sei. Er habe mit den „Zuständen“ auf dem Baugrundstück nichts zu tun. Aus der lediglich formellen Ablehnung des Bauantrags ergebe sich noch nicht, dass die Mauer insgesamt materiell baurechtswidrig sei. Bei der Mauer handele es sich nicht um eine selbstständige Nebenanlage. Eine derartige Mauer sei bis zu einer Höhe von 1,50 m anzeige- und genehmigungsfrei. Bei pflichtgemäßer Ermessenausübung sei zu berücksichtigen, dass die Mauer in keiner Weise öffentliche Belange beeinträchtige, dem Beklagten seit vielen Jahren bekannt und von außen nicht einmal sichtbar sei. Im Endergebnis gehe es hier nur darum, finanzielle Interessen des Erschließungsträgers durchzusetzen. Das Grundstück sei ein Einzelfall. Es gebe hinsichtlich der konkreten Grundstückssituation keine Berufungsfälle. Es gehe auch nicht um eine ungeordnete Bebauung, sondern „nur“ um eine Mauer.

13

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2014, dem Kläger am 9. August 2014 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beklagte wiederholte im Wesentlichen die Begründung seines Ausgangsbescheides und führte ergänzend aus, dass die Beseitigungsanordnung an den für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortlichen zu adressieren sei. Die Verantwortlichkeit im Baurecht sei weniger personen- als grundstücksbezogen. Es gehe in erster Linie um die Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustands, wie er in der auf einem Grundstück errichteten baulichen Anlage in Erscheinung trete. Für diesen Zustand sei verantwortlich, wer für das Grundstück zuständig sei. Es gehe hier nicht um eine Haftung für ein Verhalten, das einen Zustand herbeigeführt habe, sondern um die Haftung für diesen Zustand selbst. Bei der Mauer handele es sich zweifelsfrei um eine selbstständige Nebenanlage, die nicht Bestandteil des Wohnhauses sei. Sie sei auch erst später an das Wohnhaus angebaut worden. Selbst bei einer Reduzierung der Mauer auf das verfahrensfreie Maß bleibe die Mauer noch materiell rechtswidrig, soweit der Abstand zur Erschließungsstraße (… Weg) von mindestens 3,00 m nicht eingehalten werde. Dass die Mauer schon vor vielen Jahren errichtet worden sei und die Bauaufsichtsbehörde hiervon seit Langem Kenntnis habe, sei kein Hindernis für ein bauaufsichtliches Einschreiten. Eine Verwirkung sei nach der Rechtsprechung ausgeschlossen.

14

Der Kläger hat am 1. September 2014 Klage erhoben und im Wesentlichen seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat er geltend gemacht, aufgrund des bestehenden Nießbrauchsrechts nicht berechtigt zu sein, die Mauer zu beseitigen. Der Beklagte dürfe allein die Nießbrauchsberechtigten in Anspruch nehmen. Die Inanspruchnahme der Eigentümer sei nicht zulässig.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hat erwidert, dass ein Befreiungsantrag des Herrn … für die streitbefangene „Gartenwand“ mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 bestandskräftig abgelehnt worden sei. Die Gartenmauer verstoße zum einen gegen Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung). Zum anderen liege ein Verstoß gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 LBO vor, da der erforderliche Mindestabstand von 3,00 m zum Nachbargrundstück, der privaten Verkehrsfläche … Weg, nicht eingehalten werde. Da es sich dabei nicht um eine öffentliche Verkehrsfläche handele, greife die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 2 LBO (Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen bis zu deren Mitte) nicht.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. April 2016 – 8 A 127/14 –abgewiesen und zur Begründung mit Ausnahme der Ausführungen zu einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2014 Bezug genommen. Ergänzend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass es sich bei der streitbefangenen Gartenmauer um eine funktionale und räumlich gegenüber dem Wohnhaus untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO handele. Ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung) sei nicht gegeben. Dies ergebe sich bereits daraus, dass entgegen dem Vorbringen des Beklagten schon kein Antrag auf Befreiung von der entsprechenden Festsetzung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gestellt worden sei. Der Bescheid vom 16. Dezember 2013 enthalte lediglich die Ablehnung des Bauantrags vom 12. September 2013. Unabhängig davon, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB vorlägen, sei jedenfalls keine Ermessensreduzierung auf Null dergestalt gegeben, dass nur die Erteilung einer Befreiung eine rechtmäßige Entscheidung wäre. Die Erteilung der Befreiung würde einen Berufungsfall begründen, der im Rahmen der Gleichbehandlung die Festsetzung im Bebauungsplan letztlich obsolet machen würde. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob die Gartenmauer auch den Mindestabstand von 3,00 m zum … Weg gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 LBO einhalten müsse oder die Regelung des § 6 Abs. 8 LBO zum Tragen komme. Die Inanspruchnahme der Eigentümer als Zustandsstörer anstelle der Handlungsstörer sei rechtlich nicht zu beanstanden. Aufgrund der an die Nießbraucher gerichteten Duldungsverfügungen sei es dem Grundstückseigentümer rechtlich möglich, der Beseitigungsverfügung nachzukommen.

21

Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 17. Mai 2017 – 1 LA 22/16 –, dem Kläger am 29. Mai 2017 zugestellt, wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

22

Mit am 29. Juni 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat der Kläger die Berufung begründet. Er wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, dass die Verfügung nicht hinreichend bestimmt sei, wenn eine Beseitigung insoweit verlangt werde, dass der Abstand zur Erschließungsstraße (… Weg) von mindestens 3,00 m eingehalten werde. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass derartige Mauern bis zu einer Höhe von 1,50 m Höhe uneingeschränkt zulässig seien. Sichtschutzwände seien sogar bis zu einer Höhe von 2 m und bis zu einer Länge von 5 m zulässig. Sie seien zudem anzeige- und genehmigungsfrei. Die Mauer sei auch gemäß § 6 Abs. 8 LBO zulässig. Die Regelung in Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung) finde auf die streitbefangene Mauer keine Anwendung, da sie nach dem Zusammenhang der einzelnen Festsetzungen nicht für Knicks, Anpflanzungen, Erdwälle und Einfriedungen gelte. Da Voraussetzung für den Erlass einer Beseitigungsverfügung die materielle Baurechtswidrigkeit sei, komme es nicht darauf an, ob für die Mauer eine Befreiung bereits beantragt worden sei. Aus der konkreten Situation, der Belegenheit des Grundstücks und der gesamten Entstehungsgeschichte des Bebauungsplans ergebe sich jedenfalls, dass eine solche Befreiung ohne Weiteres möglich sei. Die Mauer sei von der Verkehrsfläche aus überhaupt nicht zu sehen. Der Erlass der Beseitigungsverfügung führe zu einer von der Festsetzung im Bebauungsplan nicht beabsichtigten Härte und sei deshalb auch mit Blick auf den zwischenzeitlich verfestigten Zustand ermessenfehlerhaft. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei darüber hinaus auch die Störerauswahl fehlerhaft. Verantwortlich für die Errichtung sei allein der Nießbrauchsberechtigte und heutige Eigentümer als Handlungsstörer. Er selbst habe keine Zugriffsmöglichkeit auf das Grundstück. Da der Handlungsstörer auch wirtschaftlich voll leistungsfähig sei, widerspreche es der materiellen Gerechtigkeit, ihn als früheren Eigentümer an dessen Stelle in Anspruch zu nehmen.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid vom 7. Juli 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

27

Zur Begründung macht er geltend, die Gefahrenabwehr habe einfach und effektiv zu erfolgen. Da die Eigentumsverhältnisse relativ schnell und sicher zu ermitteln seien, sei das Vorgehen gegen den Kläger nicht zu beanstanden. Die Beseitigungsverfügung sei auch hinreichend bestimmt, da es anhand der Grenzsteine auf dem Grundstück ohne Weiteres möglich sei, die nach dem Bebauungsplan einzuhaltende 3 m-Linie zu bestimmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Befreiung von Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung) lägen nicht vor, sodass es insoweit keiner Ermessensausübung bedürfe. Zu berücksichtigen sei, dass sich der frühere Nießbrauchsberechtigte und heutige Eigentümer mit der Gartenmauer sozusagen gegenüber dem Ohms Weg „eingemauert“ habe, um sich auf diese Weise wohl die anteiligen Kosten für die Herstellung der privaten Erschließungsstraße zu sparen. Die verzögerte Bearbeitung nach den bereits im September 2007 getroffenen Feststellungen zur Errichtung der Gartenmauer sei durch einen Mitarbeiterwechsel bedingt gewesen. Sie begründe kein Vertrauen des Klägers darauf, dass die Bauaufsicht untätig bleibe.

28

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 4. Mai 2021 mitgeteilt, dass die früheren Nießbrauchsberechtigten im Dezember 2017 Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks geworden sind. Daraufhin hat der Beklagte die gegenüber … erlassene Duldungsverfügung vom 7. Juli 2014 mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 aufgehoben.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, der beigezogenen Gerichtsakte des Parallelverfahrens 1 LB 9/17 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

31

Die gegen die Beseitigungsanordnung des Beklagten gerichtete Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist zulässig und begründet.

32

Die Klage ist auch nach Übertragung des Eigentums an dem streitbefangenen Grundstück auf die früheren Nießbrauchsberechtigten im Dezember 2017 weiter statthaft. Die gegenüber dem Kläger ergangene Bauordnungsverfügung vom 7. Juli 2014 hat sich durch die Eigentumsübertragung nicht gemäß § 112 Abs. 2 LVwG erledigt, sondern gilt kraft Gesetzes gemäß § 59 Abs. 4 LBO auch für die neuen Eigentümer als Rechtsnachfolger.

33

Der Eigentumsübergang nach Rechtshängigkeit hat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung auf den Prozess keinen Einfluss.

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Die Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

35

Der Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 7. August 2014 sind rechtmäßig, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Rechtsgrundlage für die Ordnungsverfügung vom 7. Juli 2014 ist § 59 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LBO. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden die bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Sie können insbesondere die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

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Die Bauordnungsverfügung des Beklagten vom 7. Juli 2014 verstößt zunächst nicht gegen den in § 108 Abs. 1 LVwG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz. Dieser verlangt im Fall einer Verpflichtung zum Handeln, Dulden oder Unterlassen, dass das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt ist, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Die Konkretisierung dessen, was ge- oder verboten ist, muss in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 31). Diesen Anforderungen hat der Beklagte Genüge getan, indem er den Kläger aufgefordert hat, die Gartenmauer „insoweit zu beseitigen, dass ein Abstand zur Erschließungsstraße (Ohms Weg) von mindestens 3,00 m eingehalten wird.“ Es kann hier dahinstehen, ob bei Umsetzung dieser Anordnung noch ein sinnvoller Rest der Mauer verbleibt. Jedenfalls ist es – wie auf dem im Baugenehmigungsverfahren eingereichten Lageplan auch geschehen – ohne Weiteres möglich, den Abstand zur Grundstücksgrenze auszumessen und den betreffenden Teil der Mauer zu entfernen.

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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LBO liegen vor.

39

Die auf dem früheren Grundstück des Klägers errichtete Gartenmauer wurde im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet.

40

Die Gartenmauer ist formell illegal. Dabei ist – wie auch bei der Frage der materiellen Illegalität – die Anlage als Einheit zu betrachten (vgl. Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 387). Bei der Gartenmauer mit einer Höhe von 1,80 m und einer Länge von 10,48 m handelt es sich nicht um ein verfahrensfreies Bauvorhaben. Eine Verfahrensfreiheit ergibt sich insbesondere nicht aus § 63 Abs. 1 Nr. 7 d) LBO, der lediglich Sichtschutzwände bis zu 2 m Höhe und bis zu 5 m Länge für verfahrensfrei erklärt. Eine danach erforderliche Baugenehmigung für die Errichtung der Gartenmauer liegt nicht vor. Vielmehr wurde ein entsprechender Bauantrag des damaligen Nießbrauchsberechtigten Sönke Siemsen mit Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2013 bestandskräftig abgelehnt.

41

Die Gartenmauer ist auch materiell illegal.

42

Sie verstößt zwar nicht gegen die Abstandflächenvorschriften der LBO, aber gegen Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung).

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Eine Verletzung der nach § 6 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 LBO einzuhaltenden Abstandflächen liegt nicht vor. Danach sind vor anderen Anlagen als Gebäuden Abstandflächen gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen in einer Tiefe von mindestens 3 m einzuhalten, wenn von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO ist dies insbesondere der Fall, wenn die Anlagen länger als 5 m und höher als 2 m sind, bei Terrassen, wenn diese höher als 1 m sind. Diese Maße gelten jedoch lediglich als grobe Orientierung und stehen einer Einzelfallbeurteilung nicht im Wege (Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 6 Rn. 21). Hier spricht einiges für die Annahme, dass von der streitbefangenen Gartenmauer Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, auch wenn sie mit 1,80 m unter der in § 6 Abs. 1 Satz 3 LBO angegebenen Höhe bleibt. Sie ist mit einer Länge von 6,65 m des an der Grenze zur privaten Verkehrsfläche … Weg gelegenen Teils zuzüglich des im Lageplan (Bl. 15 der Beiakte B) mit einer Länge von 0,98 m angegebenen schrägen Verbindungsteils zu dem Richtung Nordost verlaufenden Mauerteil jedoch länger als 5 m. Aufgrund ihrer Ausführung als geschlossene Wand erscheint sie vor allem aber von der Straßenseite aus gesehen als Fortsetzung der zum … Weg gelegen Hauswand des Einfamilienhauses. Unerheblich ist dabei, dass die Mauer aufgrund der entlang der südlichen Grundstücksgrenze parallel zum … Weg gepflanzten Hecke aktuell von der Straßenseite aus gar nicht einsehbar ist, weil die Hecke jederzeit entfernt werden könnte.

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Jedenfalls aber hält die Gartenmauer die in § 6 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 LBO geforderte Tiefe der Abstandfläche von mindestens 3 m ein. Grundsätzlich müssen Abstandflächen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LBO auf dem Grundstück selbst liegen. Dies ist hier nicht der Fall, da der Abstand des entlang des … Weges verlaufenden Mauerteils nach dem im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten Lageplan lediglich 2 bis 2,70 m beträgt. Der im Bereich der Gartenmauer ca. 5 m breite … Weg darf jedoch gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 LBO bis zur Straßenmitte für die vor der Gartenwand einzuhaltende Abstandfläche in Anspruch genommen werden. Nach dieser Vorschrift dürfen Abstandflächen auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte. Eine Verkehrsfläche ist öffentlich, wenn sie tatsächlich öffentlich genutzt wird und für diesen Zweck gewidmet worden ist. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist eine Widmung jedoch entbehrlich, wenn die betreffende Verkehrsfläche mit einem Geh-, Fahr- und Leitungsrecht zugunsten der Anlieger und der Gemeinde belastet ist (Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 29. März 1995 – 1 M 7/95 –, Rn. 35 bei juris; Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 6 Rn. 32). So liegt der Fall hier. Ausweislich der von der im Verfahren 1 LB 9/17 beigeladenen Gemeinde vorgelegten Abschrift aus dem Baulastenverzeichnis (Bl. 179 der Gerichtsakte des Verfahrens 1 LB 9/17) ist die private Verkehrsfläche … Weg mit einem Geh-, Fahr- und Leitungsrecht zugunsten des Ver- und Entsorgungsverkehrs sowie des Anlieger- und Besucherverkehrs der über den … Weg erschlossenen Grundstücke belastet. Damit ist – wie im Fall einer öffentlichen Verkehrsfläche – sichergestellt, dass der … Weg auf Dauer von Bebauung freigehalten wird.

45

Die Gartenmauer verstößt aber gegen Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung), wonach untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO einen Abstand von mindestens 3,00 m zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen einhalten müssen. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der streitbefangenen Gartenmauer um eine untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO handelt. Untergeordnete Nebenanlagen sind danach u.a. Anlagen, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke dienen. Nebenanlagen können dabei nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes sind. Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil der Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 – 4 C 9.16 –, Rn. 8 bei juris). Bei der streitbefangenen Gartenmauer handelt es sich um eine untergeordnete Nebenanlage in diesem Sinne. Sie ist mit dem Wohngebäude baulich nicht verbunden und ergänzt dessen Nutzung in lediglich dienender Weise, indem sie einen nach außen abgeschirmten Terrassenbereich schafft.

46

Der gemäß Nr. 7 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 9 (1. Änderung) einzuhaltende Abstand von mindestens 3,00 m zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen wird ausweislich des im Baugenehmigungsverfahrens eingereichten Lageplans, aus dem sich für den straßenseitig verlaufenden Mauerteil ein Abstand von 2 bis 2,70 m ergibt, teilweise unterschritten.

47

Es können hier auch nicht auf andere Weise als durch die Beseitigung der Gartenmauer rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Der Tatbestand des § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LBO setzt neben dem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften die Prüfung voraus, ob die Möglichkeit der anderweitigen Herstellung rechtmäßiger Zustände besteht. Als anderweitige Maßnahmen kommen die Gewährung von Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB, Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, Abweichungen nach § 71 Abs. 1 LBO oder Nebenbestimmungen in Betracht, wenn sie zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände ausreichen (Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 391).

48

Einer solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die Erteilung einer im Hinblick auf den festgestellten Verstoß allein in Betracht kommenden Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB scheidet schon tatbestandlich aus. Nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, die Abweichung städtebaulich vertretbar ist und wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

49

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Eine Befreiung der Gartenmauer von der textlichen Festsetzung Nr. 7 würde die Grundzüge der Planung berühren. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Befreiung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Befreiung muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss mit anderen Worten angenommen werden können, die Befreiung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Befreiung gekannt hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 – 4 C 16.07 –, Rn. 23 bei juris zu § 13 Abs. 1 BauGB). Die Befreiung kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Sie darf – jedenfalls von Festsetzungen, die für die Planung tragend sind – nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 – 4 B 5.99 –, Rn. 6 bei juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 140. EL, Stand Oktober 2020, § 31 Rn. 36). Ausgehend hiervon bleibt für eine Befreiung der Gartenmauer von der textlichen Festsetzung Nr. 7 kein Raum. Die Gemeinde hat zur Begründung des in Nr. 7 festgesetzten Mindestabstands von gebietsbezogenen untergeordneten Nebenanlagen zu den Verkehrsflächen die Durchgrünung der Erschließungsräume angeführt (siehe S. 9 der Begründung des Bebauungsplans Nr. 9 vom 4. November 2002, Bl. 56 der Gerichtsakte des Verfahrens 1 LB 9/17). Dieses Planungsziel ist Ausfluss der auf Seite 2 der Begründung angeführten übergeordneten Ziele und Zwecke des Bebauungsplans, zu denen unter anderem die Sicherung allgemeiner Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse unter Beachtung der Belange des Umweltschutzes, die Erhaltung und Ergänzung des Baumbestandes und der Anpflanzungen und die Vorgabe von Gestaltungs-Festsetzungen als Grundlage eines ausgewogenen Gesamteindrucks innerhalb des Plangebiets und zur Verbesserung der Gestaltung des Ortsbildes zählen. Der Bebauungsplan enthält vor diesem Hintergrund auch eine Reihe weiterer Festsetzungen, die dem Ziel der Durchgrünung dienen, etwa den in Nr. 6.2 festgesetzten Mindestabstand von Garagen, überdeckten Stellplätzen und Stellplätzen zu den Verkehrsflächen, die Festsetzung einer Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft in Nr. 15, das Anpflanzen und Erhalten von Bäumen in Nr. 16 und 17, die Anpflanzungen in Verkehrsflächen und in Baugebieten in Nr. 18 sowie die detaillierten Regelungen zu Einfriedigungen im Bereich der Allgemeinen Wohngebiete in Nr. 19. Die in Rede stehende Befreiung von dem festgesetzten Mindestabstand von untergeordneten Nebenanlagen zu den Verkehrsflächen ist danach Bestandteil der Grundkonzeption des betreffenden Bebauungsplans. Das klägerische Grundstück ist von dieser Festsetzung auch nicht etwa in besonderer Weise betroffen. Vielmehr schränkt die textliche Festsetzung Nr. 7 gleichermaßen auch andere Grundstückseigentümer im Bereich des … Weges in ihren Möglichkeiten zur Errichtung untergeordneter Nebenanlagen in dem 3 m-Abstand zur Verkehrsfläche ein. Der Kläger kann im Hinblick auf die textliche Festsetzung Nr. 7 auch nicht mit Erfolg auf die besondere Entstehungsgeschichte des Grundstücks und dessen bereits vor Erlass des Bebauungsplans gegebene Bebaubarkeit verweisen. Insbesondere ergibt sich auch aus der in dem Verfahren 1 LB 9/17 begehrten Befreiung von den Festsetzungen zur verkehrlichen Erschließung kein besonderes Interesse an einer Unterschreitung des Mindestabstands zur Verkehrsfläche. Die Einhaltung des festgesetzten Mindestabstands zur Verkehrsfläche steht der von dem Kläger gewünschten verkehrlichen Erschließung des Grundstücks über die vorhandene Zuwegung zur … nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht hat deshalb zutreffend darauf hingewiesen, dass die Erteilung einer Befreiung im Fall des Klägers zu einem Berufungsfall führen würde, der die textliche Festsetzung Nr. 7 bei Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes letztlich hinfällig werden ließe.

50

Die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde stehende Beseitigungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO ist unter Berücksichtigung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch nicht ermessenfehlerhaft.

51

Nicht zu einem Ermessenfehler führt insbesondere der Umstand, dass dem Beklagten die baurechtswidrig errichtete Gartenmauer auf dem streitbefangenen Grundstück schon lange vor Erlass der Ordnungsverfügung bekannt war. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können öffentlich-rechtliche Befugnisse zum Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände nicht verwirkt werden (Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 6. Dezember 1994 – 1 M 70/94 –, Rn. 7 bei juris).

52

Die Entscheidung des Beklagten ist auch im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Zustandsstörers im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu beanstanden.

53

Zwar kommt es im Ausgangspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes nach allgemeinen Grundsätzen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, Beschluss vom 11. August 1992 – 4 B 161.92 –, Rn. 6 bei juris). Der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes richtet sich jedoch nach dem jeweiligen materiellen Recht (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 11 C 25.93 –, Rn. 29 bei juris). Danach ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Die Behörde ist insoweit verpflichtet, die Beseitigungsanordnung „unter Kontrolle zu halten“ und sie bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen gegebenenfalls aufzuheben (Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 15. August 1995 – 1 M 77/94 –, Rn. 8 bei juris; Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 427; offengelassen BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 4 C 15.12 –, Rn. 8 bei juris). Aus § 59 Abs. 4 LBO ergibt sich nicht anderes. Vielmehr folgt aus der in dieser Vorschrift angeordneten Geltung einer bauaufsichtlichen Maßnahme für Rechtsnachfolger, dass auch eine nachträglich eintretende Rechtsnachfolge bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung noch zu berücksichtigen ist (a.A. zu § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO Nds. OVG, Urteil vom 21. Januar 2000 – 1 L 4202/99 –, Rn. 48 bei juris). Die bereits erlassene bauaufsichtliche Maßnahme soll nach der gesetzgeberischen Intention gerade unabhängig von der konkreten Person des in Anspruch genommenen Störers auch im Fall einer Pflichtennachfolge fortgelten, so dass auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Störerauswahl auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist.

54

Die in § 59 Abs. 4 LBO geregelte Rechtsnachfolge verallgemeinert den Grundsatz der aus der Grundstücksbezogenheit folgenden „Dinglichkeit“ bauaufsichtlicher Entscheidungen (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 30. Oktober 2007, LT-Drs. 16/1675, S. 220; BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1971 – IV C 62.66 –, Rn. 18 bei juris). Bauaufsichtliche Verfügungen sollen kraft ihrer Grundstücks- und Anlagenbezogenheit bei einem Eigentumswechsel gleichsam als „Annex“ auf den neuen Berechtigten mit übergehen (vgl. Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 227). Mit der Regelung in § 59 Abs. 4 LBO bringt der Gesetzgeber folglich zum Ausdruck, dass bauaufsichtliche Verfügungen ungeachtet einer nach ihrem Erlass eintretenden Rechtsnachfolge weiterhin Geltung beanspruchen. Die Rechtsnachfolge soll daher nicht erst in einem neuen Verwaltungsverfahren gegen den Rechtsnachfolger Berücksichtigung finden, vielmehr muss dieser eine von der Bauaufsichtsbehörde bereits erlassene pflichtenkonkretisierende Verfügung im jeweiligen Verfahrensstand gegen sich gelten lassen. Der Gesetzgeber will mit § 59 Abs. 4 LBO gerade ausschließen, dass eine bauordnungsrechtliche Verfügung durch einen inzwischen eingetretenen Grundstücksübergang gegenstandslos wird und die Behörde gezwungen ist, trotz ansonsten unveränderter Sachlage nunmehr gegen den Rechtsnachfolger erneut eine Anordnung zu treffen und gegebenenfalls wieder zu prozessieren (Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 231). Dem ist im Fall der Anfechtungsklage dadurch Rechnung zu tragen, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Störerauswahl auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt wird und die Bauaufsichtsbehörde unter Umständen eine Nachbesserungspflicht hinsichtlich des hierfür auszuübenden Ermessens trifft (vgl. hierzu auch Jäde/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, 21. Update Oktober 2020, 3. Rechtsnachfolge, Rn. 132 f. bei juris).

55

In dem danach maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist gegen die vom Beklagten verfügte Inanspruchnahme des Zustandsstörers nichts (mehr) zu erinnern. Zwar war die Heranziehung des Klägers als Zustandsstörer ursprünglich rechtswidrig. Da der heutige Zustandsstörer – Herr … – jedoch gleichzeitig Handlungsstörer ist, ist die Auswahlentscheidung des Beklagten jetzt nicht mehr zu beanstanden.

56

Als Adressaten einer Beseitigungsanordnung kommen gemäß § 217 LVwG die für den baurechtswidrigen Zustand einer Anlage verantwortlichen Personen in Betracht. Verantwortlich ist nach § 218 LVwG zunächst die Person, die durch ihr Verhalten den baurechtswidrigen Zustand verursacht, also die Anlage errichtet oder geändert hat (Handlungsstörer). Nach § 219 Abs. 1 LVwG sind auch der Eigentümer des Grundstücks und nach Absatz 2 dieser Vorschrift daneben oder – unter weiteren Voraussetzungen – an dessen Stelle die Person verantwortlich, die die tatsächliche Gewalt über die Anlage ausübt (Zustandsstörer). Sind für einen baurechtswidrigen Zustand mehrere Personen verantwortlich, muss die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, gegen welche Person sie vorgehen will (Möller/Bebensee, Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, 21. EL Stand September 2020, § 59 Rn. 182). Für die Auswahl unter mehreren Störern gibt es keine Rangfolge. Die Behörde hat sich an dem Gebot einer möglichst schnellen und effektiven Störungsbeseitigung zu orientieren. Unverzichtbares Kriterium bei der Heranziehung als Handlungsstörer ist dabei, dass die Verantwortlichkeit der in Pflicht genommenen Person dem Grunde nach unzweifelhaft feststeht (vgl. Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 14. Juli 1995 – 2 M 7/95 – Rn. 3 bei juris). Ist der Behörde der Handlungsstörer jedoch bekannt und für die Behörde erkennbar, dass der Zustandsstörer kein eigenes Interesse an der betreffenden baulichen Anlage hat, ist es in der Regel ermessenfehlerhaft, den Eigentümer als Zustandsstörer anstelle des Handlungsstörers in Anspruch zu nehmen, wenn dies nicht zur wirksamen und schnellen Gefahrbeseitigung erforderlich ist (vgl. auch OVG Rh.-Pf., Urteil vom 25. Januar 1990 – 1 A 77/87 – Rn. 17 bei juris).

57

Ausgehend hiervon war es ursprünglich ermessenfehlerhaft, den Kläger als damaligen Miteigentümer anstelle des Nießbrauchsberechtigten … auf Beseitigung der Gartenmauer in Anspruch zu nehmen. Zwar ist der Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass beide als Störer für den baurechtswidrigen Zustand verantwortlich waren. Der Kläger war als damaliger Miteigentümer des streitbefangenen Grundstücks Zustandsstörer im Sinne von § 219 Abs. 1 LVwG. Der damalige Nießbrauchsberechtigte … ist gemäß § 218 Abs. 1 LVwG Handlungsstörer, weil er die Gartenmauer errichtet hat. Es war hier jedoch ermessensfehlerhaft, den Kläger als Zustandsstörer anstelle des Handlungsstörers als des gleichsam aktiveren Teils in Anspruch zu nehmen, weil dies für eine wirksame und schnelle Gefahrenbeseitigung nicht erforderlich war. Nach der vom Beklagten gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 LVwG gegebenen Begründung seiner Ermessensentscheidung gibt es keine nachvollziehbaren Gesichtspunkte, die dafür sprachen, den Kläger als Zustandsstörer und nicht den Handlungsstörer heranzuziehen. Zu keinem Zeitpunkt bestand Unklarheit darüber, dass Herr … und nicht der Kläger die Gartenmauer errichtet hat. Der Kläger hatte hierauf schon frühzeitig im Verwaltungsverfahren hingewiesen. Aufgrund des bestehenden Nießbrauchsrechts und der Herrn … erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses war für den Beklagten auch ohne Weiteres zu erkennen, dass der Kläger selbst an der Gartenmauer gar kein eigenes Interesse hatte. Schließlich war es auch der damalige Nießbrauchsberechtigte …, der die mit Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2013 abgelehnte nachträgliche Baugenehmigung für die Errichtung der „Gartenwand“ beantragt hatte. Wie sich aus der … gegenüber erlassenen Duldungsverfügung vom 7. Juli 2014 ergibt, war dieser dem Beklagten auch bekannt, ohne dass hierfür weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären. Es gab nach Aktenlage schließlich auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass … wirtschaftlich nicht gleichermaßen zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustands in der Lage gewesen wäre wie der seinerzeit in Anspruch genommene Kläger.

58

Nach der Übertragung des Eigentums an dem streitbefangenen Grundstück auf die damaligen Nießbrauchsberechtigten im Dezember 2017 stellt sich die Situation jedoch anders dar. Die auf den Grundstückseigentümer als Zustandsstörer zielende Störerauswahl des Beklagten begegnet jetzt keinen Bedenken mehr, weil Herr … als neuer Zustandsstörer gleichzeitig auch Handlungsstörer ist. Die vom Beklagten seinerzeit angeführten Gründe für die Inanspruchnahme des Zustandsstörers treffen ohne Weiteres auch auf den Rechtsnachfolger des Klägers zu und erfordern deshalb keine weitergehenden Ermessenserwägungen im Hinblick auf die konkret verantwortliche Person.

59

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

60

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

61

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

62

BESCHLUSS

63

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren gemäß § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG auf 6.000,00 € festgesetzt.

64

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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