Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 M 10/19

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich gegen eine straßenrechtliche Anordnung, mit der ihnen die Antragsgegnerin aufgegeben hat, Metallpfosten, Absperrketten, Anpflanzungen und Gegenstände von einer in ihrem Eigentum stehenden Fläche zu entfernen.

2

Die Antragsteller sind Eigentümer des Flurstücks … der Flur … der Gemarkung G. im Gebiet der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass sich im Bereich der westlichen Grenze dieses Flurstücks, angrenzend an das Flurstück 28/2 eine öffentliche Straße befindet. Die Fläche ist als öffentliche Straße im Bestandsverzeichnis der Antragsgegnerin eingetragen. Die Antragsteller ließen auf dieser Fläche Metallpfosten sowie zwischen den Metallpfosten Absperrketten und Seile anbringen und nahmen Bepflanzungen vor. Mit Bescheid vom 26.11.2018 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber den Antragstellern unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an, die Metallpfosten, Absperrketten und sämtliche auf der Fahrbahn befindliche Gegenstände sowie die Bepflanzungen zu entfernen. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller Widerspruch. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die straßenrechtliche Anordnung wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Beschluss vom 22.01.2019 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es sei nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei der fraglichen Fläche auch ohne förmliche Widmung um eine öffentliche Straße i. S. des § 51 Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA handele, weil sie möglicherweise bereits nach der Verordnung über das Straßenwesen vom 18.07.1957 (DDR-StrVO 1957) den Charakter einer öffentlichen Straße gehabt habe. Dafür spreche die Behauptung der Antragsgegnerin, dass sich auf dem Grundstück seinerzeit eine öffentliche Schule befunden habe; es sei wahrscheinlich, dass die dem Schulhof angrenzende Flächen uneingeschränkt dem öffentlichen Verkehr gedient hätten. Die Frage lasse sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht beantworten. Bei der deshalb erforderlichen Interessenabwägung sei die Erwägung maßgeblich, dass bei einem Streit um die Öffentlichkeit eines im Privateigentum stehenden Weges grundsätzlich ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beibehaltung der bisherigen Nutzungsmöglichkeiten bestehe, solange die Frage der Öffentlichkeit nicht abschließend geklärt sei. Vorher sei der Eigentümer grundsätzlich nicht befugt, die bisherige Nutzbarkeit zu verändern. Dieser Grundsatz greife auch hier. Vor der Sperrung durch die Antragsteller sei die Fläche tatsächlich dem öffentlichen Verkehr überlassen gewesen. Es sei nicht dargetan, dass im vorliegenden Fall das Interesse der Antragsteller an der Sperrung des Wegstücks ausnahmsweise überwiege.

II.

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Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht.

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Die Antragsteller machen gegen die Entscheidung geltend: Das Grundstück sei im Jahr 2006 an sie veräußert worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Antragsgegnerin ein Einschreiten nie für erforderlich gehalten, obwohl die Möglichkeit hierzu bestanden habe. Die Gemeinde G. habe sogar auf ihre Rechte als Privateigentümerin des benachbarten Grundstücks bestanden. Die Gemeinde habe sie, die Antragsteller, zur Eintragung einer Grunddienstbarkeit verpflichtet und Kosten für einen privaten Anschluss an die öffentliche Kanalisation erhoben. Sie hätten sogleich klargemacht, dass sie das gesamte Grundstück privat nutzen wollten und selbstverständlich auch Grundsteuern gezahlt. Aus einem Grundbuchauszug aus dem Jahr 1969 ergebe sich, dass die Fläche im Zuge der Bodenreform im Jahr 1953 als Hof- und Gebäudefläche im alleinigen Privatbesitz eingetragen gewesen sei. Auch im aktuellen Grundbuch werde die Fläche als Grün- und Wohnbaufläche geführt. Auf der 2. Aufteilung der Domäne G. auf Befehl der sowjetischen Kommandantur vom 05.04.1948 finde sich nur ein Schulhof und keine irgendwie geartete Straße. Dem Verwaltungsgericht sei zuzugeben, dass die rechtliche Situation schwierig sei und auch durch das Verhalten der Antragsgegnerin nicht klarer werde. Es spreche jedoch viel dafür, dass die Fläche zu keinem Zeitpunkt legal als öffentliche Straße gewidmet worden sei. Darüber hinaus wolle die Antragsgegnerin einen Zustand korrigieren, sei seit dem Jahr 2009 bestanden habe. Sie, die Antragsteller, hätten seit 2009 eine Rechtsposition, in die eingegriffen werde. Die Abwägung müsse daher zu ihren Gunsten ausfallen.

5

Maßgeblich für die Einordnung als öffentliche Gemeindestraße i. S. d. § 51 Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA ist die Frage, ob auf der Fläche bei Inkrafttreten der Verordnung über das Straßenwesen vom 18.07.1957 (GBl. DDR I S. 377) - StrVO 1957 - am 31.07.1957 ein allgemeiner Verkehr tatsächlich stattfand (OVG LSA, Beschluss vom 15.09.2017 – 2 L 23/16 –, juris, Rdnr 24; Beschluss vom 10.11.1997 – A 4 S 241/97 –, juris, Rdnr. 10). Eine förmliche Straßenwidmung war nach dem Recht der DDR nicht vorgesehen. Maßgeblich für die Einstufung als öffentliche Straße war allein die Freigabe für die öffentliche Nutzung durch die zuständigen Stellen, in der Regel also der tatsächliche Anschluss an das bestehende Straßennetz. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d StrVO 1957 unterfielen Stadt- und Gemeindestraßen, -wege und -plätze dem Begriff der kommunalen Straßen. Sie waren gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 StrVO 1957 öffentlich, wenn bisher ihrer Benutzung durch die Verkehrsteilnehmer seitens der Rechtsträger bzw. Eigentümer nicht widersprochen worden war, und sie wurden gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StrVO 1957 öffentlich, wenn die Räte der Städte und Gemeinden sie nach Zustimmung der Rechtsträger oder Eigentümer dem öffentlichen Verkehr freigaben. Die Öffentlichkeit der kommunalen Straßen und Plätze war demnach von dem tatsächlichen Vorgang des allgemeinen Verkehrs und dessen Duldung durch den Rechtsträger oder Eigentümer des Straßenlandes abhängig. Entscheidungen der Räte der Bezirke und Kreise über die Öffentlichkeit einer Straße waren nur im Falle von Unklarheiten oder Streitigkeiten vorgesehen (§ 4 StrVO 1957). Die am 01.01.1975 in Kraft getretene Straßenverordnung der DDR vom 22.08.1974 (GBl. DDR I, S. 515, StrVO 1974) setzte diese Rechtslage im Wesentlichen fort. Danach waren öffentliche Straßen alle Straßen, Wege und Plätze, die der öffentlichen Nutzung durch den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr dienen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StrVO 1974). Die in § 4 Abs. 1 und 3 StrVO 1974 vorgesehene „Entscheidung über die Öffentlichkeit“ einer (Gemeinde-)Straße durch die Räte der Städte und Gemeinden erlangte (geringe) praktische Bedeutung wiederum nur im Falle von Unklarheiten oder Streitigkeiten sowie im Falle des Entzugs der Öffentlichkeit einer Straße. Entscheidend für die Einstufung als „öffentliche Straße“ war somit allein die - zugelassene, gebilligte oder geduldete - tatsächliche Nutzung der Straße für den öffentlichen Verkehr bei Inkrafttreten der StrVO 1957 am Tag der Verkündung (§ 26 Abs. 1 StrVO 1957), dem 31.07.1957 (OVG LSA, Urteil vom 20.10.2010 – 3 L 156/09 –, juris, Rdnr. 33 ff.).

6

Bei Anwendung dieser rechtlichen Grundlagen spricht jedenfalls viel dafür, dass es sich bei der fraglichen Fläche um eine öffentliche Straße handelt. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass der ehemalige Gutshof, der sich auf dem Grundstück der Antragsteller befindet, in der Zeit von 1948 bis 2004 als öffentliches Schulgebäude und die westlich hiervon gelegene Fläche, die hier im Streit steht, als Schulweg genutzt worden sei. Von dieser Annahme ist auch das Oberlandesgericht Naumburg in seinem Urteil vom 28.02.2018 (2 U 47/17) ausgegangen. Die Nutzung des ehemaligen Gutshofs als Schulgebäude haben auch die Antragsteller nicht bestritten. In der von ihnen vorgelegten 2. Aufteilung der Domäne G. auf Befehl der sowjetischen Kommandantur vom 05.04.1948 ist das Gebäude des Gutshofs ebenfalls als „Schule“ und die nördlich hiervor gelegene Fläche als Schulhof eingetragen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass der Weg als öffentlicher Schulweg genutzt worden sei, ist im Hinblick auf die Beschaffenheit (Befahrbarkeit) der Fläche und die Lage in unmittelbarer Nähe der früheren Schule plausibel. Die von den Antragstellern weiter vorgetragenen Umstände stellen die Wahrscheinlichkeit einer früheren öffentlichen Nutzung als Straße nicht in Frage. Dem Umstand, dass das Grundstück der Antragsteller im Jahr 1969 (insgesamt) als „Hof und Gebäudefläche“ und im Zeitpunkt des Erwerbs im Jahr 2007 als „Grünfläche, Wohnbaufläche“ im Grundbuch eingetragen war, kommt für die Annahme einer öffentlichen Straße keine entscheidende Bedeutung zu, da – wie bereits ausgeführt – nach dem Recht der DDR die Straßeneigenschaft vom tatsächlichen Vorgang des allgemeinen Verkehrs und dessen Duldung durch den Rechtsträger oder Eigentümer des Straßenlandes abhängig war. Die Richtigkeitsvermutung und der öffentliche Glaube des Grundbuchs nach §§ 891 Abs. 1, 892 BGB beziehen sich nicht auf Tatsachenangaben über Eigenschaften und Verhältnisse und auch nicht auf die öffentlich-rechtliche Gebundenheit des Grundstücks (vgl. OVG E-Stadt-Brandenb., Urteil vom 22.02.2007 – OVG 12 B 12.06 –, juris, Rdnr. 17; Jauernig/Berger, BGB, § 891 Rdnr. 3). Weder der Grundstücksdokumentationsordnung vom 06.11.1975 (BGBl. DDR I S. 697) noch der Verordnung über das Straßenwesen bzw. der Straßenverordnung der DDR lässt sich entnehmen, dass die Eigenschaft einer im Privateigentum stehenden Fläche als öffentliche Straße in das Grundbuch einzutragen war. Ebenfalls unbedeutend ist, worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, das Fehlen einer (förmlichen) Widmung. Auch die weiteren von den Antragstellern ausgeführten Umstände, die den Kauf des Grundstücks im Jahr 2006 und die Folgezeit betreffen, ändern nichts daran, dass eine nach dem Recht der DDR begründete Eigenschaft der Fläche als öffentliche Straße nach dem Inkrafttreten des Straßengesetzes gemäß § 51 Abs. 3 StrG LSA fortbestehen würde. Für einen späteren Verlust der Eigenschaft als öffentliche Straße (vgl. § 8 StrG LSA) gibt das Vorbringen der Antragsteller keine Anhaltspunkte. Dafür reicht es jedenfalls nicht aus, dass die damalige Gemeinde G. der Auffassung war, für eine Leitungsführung zum Hauswasseranschluss über die fragliche Fläche bedürfe es einer Grunddienstbarkeit.

7

Auch gegen die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung bestehen keine Bedenken. Das Verwaltungsgericht ist in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass bei Streit um die Öffentlichkeit eines im Privateigentum stehenden Weges grundsätzlich ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beibehaltung der bisherigen Nutzungsmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit besteht, solange die Frage der Öffentlichkeit des Weges nicht abschließend geklärt ist. Vorher ist der Eigentümer des Weges grundsätzlich nicht befugt, die bisherige Nutzbarkeit zu verhindern. Dies gilt auch dann, wenn neben dem gesperrten Weg noch andere Zugangsmöglichkeiten zu den anliegenden Grundstücken bestehen oder die bisherigen Nutzer des Weges lediglich Umwege in Kauf nehmen müssen (OVG LSA, Beschluss vom 12.12.2006 – 1 M 172/06 –, juris, Rdnr. 9). Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass allein das Andauern des derzeitigen Zustands über einen mehrjährigen Zeitraum ein überwiegendes Interesse an der Nutzung durch die Öffentlichkeit nicht ausschließt. Die Antragsteller haben weder durch die von ihnen vorgenommene Sperrung der Fläche noch durch die im Jahr 2006 geschlossene Vereinbarung mit der ehemaligen Gemeinde G. zur Eintragung einer Grunddienstbarkeit eine schützenswerte Rechtsposition hinsichtlich eines Nichtbestehens der Straßeneigenschaft erlangt.

8

Auch aus den Ausführungen der Antragsteller in dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungfrist eingegangenen Schriftsatz vom 07.05.2019 folgt nichts anderes, so dass nicht entschieden werden muss, ob sie für die Entscheidung noch Berücksichtigung finden können (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 22.10.2015 – 2 M 13/15 -, juris).

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

10

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Ziff. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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