Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 M 67/12
Gründe
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 5. Kammer - vom 20. Juni 2012, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).
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Hiervon ausgehend rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
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Soweit der Antragsteller eine verfahrensfehlerhafte Auswahlentscheidung im Hinblick auf die zugrunde gelegten dienstlichen Regelbeurteilungen rügt, vermag er damit nicht durchzudringen. Das Verwaltungsgericht hat mit seinen Ausführungen nicht darauf abgestellt, dass der Antragsgegner in seine Auswahlentscheidung auch die dienstliche Regelbeurteilung über den Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. Mai 2006 einbezogen habe oder hätte einbeziehen müssen. Vielmehr haben die dahingehenden Ausführungen lediglich zum Inhalt, dass der Antragsteller ungeachtet der divergierenden Länge der Regelbeurteilungszeiträume „lückenlos“ regelbeurteilt worden sei, keine unzulässigen Überschneidungen von Regelbeurteilungszeiträumen gegeben seien und die Regelbeurteilungen daher rechtmäßig seien. Die weiteren Einwendungen des Antragstellers sind auch deshalb nicht zielführend, weil weder eine Einbeziehung der Regelbeurteilung über den Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. Mai 2006 noch deren Unberücksichtigtlassen im Ergebnis etwas daran zu ändern vermögen, dass der Antragsteller lediglich über nur eine dienstliche Regelbeurteilung verfügt, welche im Hinblick auf § 22 Abs. 2 Nr. 2 PolLVO LSA wenigstens auf das Gesamturteil „gut“ oder die Bewertungsstufe „C“ in der Gesamtbewertung der Leistungsbeurteilung lautet.
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Soweit der Antragsteller die Rechtswidrigkeit der bei der Auswahlentscheidung vom Antragsgegner herangezogenen dienstlichen Regelbeurteilung über den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis 31. August 2007, insbesondere einen „verkürzten“ Beurteilungszeitraum sowie eine unterschiedliche Handhabung des Beurteilungsmaßstabes rügt, ist er mit seinen dahingehenden Einwendungen vorliegend ausgeschlossen.
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Zwar stellen dienstliche Beurteilungen der Beamten keine Verwaltungsakte dar und können daher nicht in Bestandskraft erwachsen. Der Beamte ist ebenso wenig prinzipiell gezwungen, unmittelbar Einwendungen gegen seine Beurteilung vorzubringen, um zu verhindern, dass diese künftig bei Auswahlentscheidungen zu seinem Nachteil verwendet wird. Denn er kann seine Einwendungen grundsätzlich auch noch in einem entsprechenden Auswahlverfahren und einem sich etwaig anschließenden verwaltungsgerichtlichen Konkurrentenstreitverfahren anbringen, d. h. die Beurteilung auf diese Weise einer inzidenten Rechtsmäßigkeitsüberprüfung unterziehen (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 M 125/10 -, juris [m. w. N.].).
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Indes ist eine Grenze durch den Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Beamtenrecht anwendbar ist (vgl. etwa: BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 - 2 C 23.95 -, BVerwGE 102, 33 [m. w. N.]; OVG LSA Urteil vom 28. September 2006 - 1 L 9/06 - [rechtskräftig], juris) gezogen, und zwar hier in Form der Verwirkung. Eine Verwirkung sowohl des materiellen Rechtes auf Überprüfung und gegebenenfalls Änderung der dienstlichen Beurteilung als auch der prozessualen Rechte tritt dann ein, wenn der beurteilte Beamte während eines längeren Zeitraumes unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich der Beurteilung nichts mehr unternehmen (ebenso: VGH Baden-Württem-berg, Beschluss vom 4. Juni 2009 - 4 S 213/09 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Oktober 2010 - 6 B 1001/10 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 13. April 2010 - 3 ZB 08.1094 -, juris; HessVGH, Beschluss vom 12. März 1996 - 1 UE 2563/95 -, juris; OVG Saarland, Urteil vom 3. Dezember 1975 - III R 80/75 -, ZBR 1976, 87).
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Die Bemessung des Zeitraumes, bis wann der Beamte tätig geworden sein muss, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Wesen und Zweck einer dienstlichen Beurteilung schließen die entsprechende Anwendung der Jahresfrist von §§ 58 Abs. 2, 70 VwGO jedenfalls im Allgemeinen aus, zumal dienstliche Beurteilungen sich nicht alsbald rechtlich verfestigen, sondern auch noch nach längerer Zeit überprüft und berichtigt werden können (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 4. Juli 2007 - 1 L 107/07 -, juris [m. w. N.]). Das Untätigbleiben während eines Jahres genügt daher in der Regel nicht, um von einer Verwirkung auszugehen (ebenso: VGH Baden-Württemberg, a. a. O.; HessVGH, a. a. O.). Demgegenüber stellt das Zeitintervall, in dem für den jeweils betroffenen Beamten eine Regelbeurteilung zu erstellen ist, den Maßstab dar, ab wann der Dienstherr üblicherweise nicht mehr mit Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung zu rechnen braucht. Denn bei einem regelmäßigen Beurteilungsrhythmus darf die zur Entscheidung über Beförderungen berufene Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass der betroffene Beamte eine frühere Beurteilung hingenommen hat, wenn er hiergegen innerhalb des allgemeinen Regelbeurteilungszeitraumes keine rechtlichen Schritte unternommen hat (ebenso: VGH Baden-Württemberg, a. a. O.; OVG Saarland, a. a. O.).
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Hiervon ausgehend hat der Antragsteller das Recht, erstmals in dem vorliegenden Auswahlverfahren gegen die ihm bereits am 12. November 2007 eröffnete dienstliche Regelbeurteilung vom 12./17. September 2007 vorzugehen und Einwendungen zu erheben, verwirkt. Der Antragsteller hat gegen diese Regelbeurteilung ausweislich seiner vom Verwaltungsgericht beigezogenen Personalakten zuvor keine Einwände vorgebracht, sondern diese offensichtlich erstmals zur Verbesserung seiner Position im Rahmen des hier streitgegenständlichen, im Januar 2012 begonnenen Auswahlverfahrens geltend gemacht. Insofern hat der Antragsteller das von ihm selbst angeführte Zeitintervall für die Erstellung von Regelbeurteilungen überschritten; überdies ist nach Ablauf dieses Zeitraumes auch schon eine weitere dienstliche Regelbeurteilung unter dem 6. Januar/7. Februar 2012 erstellt und eröffnet worden. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller ausweislich der Personalakten auf der Grundlage der erstmals angegriffenen dienstlichen Regelbeurteilung über den Zeitraum vom 1. Juni 2006 bis 31. August 2007 um eine Stelle beworben hat und er zudem in sein jetziges Statusamt befördert wurde. Es drängt sich daher auf, dass die Dauer der Untätigkeit des Antragstellers unter diesen Umständen dem Antragsgegner berechtigten Anlass zu der Annahme gegeben hat, der Antragsteller habe die Beurteilung vom 12./17. September 2007 hingenommen und werde gegen diese auch künftig keine Einwendungen erheben.
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Das Verwaltungsgericht konnte daher, ebenso wie der Antragsgegner, ohne Rechtsfehler von den für den Antragsteller erstellten dienstlichen Regelbeurteilungen ausgehen und diese seiner rechtlichen Betrachtung zugrunde legen. Insoweit sind vom Antragsgegner die in den letzten beiden Regelbeurteilungen für die jeweiligen Beurteilungszeiträume bewerteten Leistungsergebnisse auch in rechtlich nicht zu erinnernder Weise berücksichtigt worden. Hiernach erfüllt der Antragsteller - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, ohne dass dem die Beschwerde insofern weiter entgegen tritt - weder sämtliche Zulassungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 PolLVO LSA noch alle Ausnahmetatbestände des § 22 Abs. 2 PolLVO LSA, und ist daher mit Recht im Auswahlverfahren unberücksichtigt geblieben.
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Soweit die Beschwerde schließlich geltend macht, die PolLVO LSA sei wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot unwirksam und die Regelungen in § 22 PolLVO LSA hielten sich an den nicht durch § 27 Satz 2 Nr. 8 und 9 LBG LSA vorgegebenen rechtlichen Rahmen, rechtfertigt das diesbezügliche Beschwerdevorbringen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses gleichfalls nicht.
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Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, auch § 25 LBG LSA hätte in der Eingangsformel der PolLVO LSA zitiert werden müssen. Ungeachtet des Umstandes, dass es sich insoweit lediglich um eine Rechtsbehauptung handelt, ist festzuhalten, dass § 25 LBG LSA keine Verordnungsermächtigung, und zwar weder für die Landesregierung noch für den Antragsgegner enthält. Vielmehr enthält die Bestimmung (dort Satz 3) die bloße, allgemeine Rechtspflicht des Dienstherrn, durch geeignete Maßnahmen für die Fortbildung der Beamten zu sorgen.
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Soweit der Antragsteller rügt, der Antragsgegner habe nach § 27 Satz 2 Nr. 9 LBG LSA lediglich die Grundsätze der Fortbildung normieren dürfen, in § 22 PolLVO LSA aber darüber hinausgehend Zulassungsvoraussetzungen geregelt, obwohl § 27 Satz 2 Nr. 8 LBG LSA nur die Voraussetzungen für die Zulassung zum Aufstieg betreffe, vermag dies der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Es spricht bereits Überwiegendes dafür, dass es sich bei den in § 22 PolLVO LSA enthaltenen Regelungen zur Zulassung zum Studium an der Deutschen Hochschule der Polizei um solche handelt, die die Voraussetzungen für die Zulassung zum Aufstieg zum Gegenstand und folglich ihre Rechtsgrundlage in § 105 LBG LSA i. V. m. § 27 Satz 2 Nr. 8 LBG LSA haben. Denn nach § 22 Abs. 4 Satz 1 PolLVO LSA nehmen die zugelassenen Beamten an dem Studiengang „Öffentliche Verwaltung - Polizeimanagement“ an der Deutschen Hochschule der Polizei teil, welcher gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 PolLVO LSA die in § 14 Abs. 4 Satz 2 LBG LSA genannten Voraussetzungen erfüllt. Damit soll aber eine spezifische Zugangsvoraussetzung zur streitgegenständlichen Laufbahn der Laufbahngruppe, zweites Einstiegsamt geschaffen, d. h. der Aufstieg ermöglicht werden.
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Ungeachtet dessen begründete selbst die Unwirksamkeit von § 22 PolLVO LSA nicht den vom Antragsteller geltend gemachten Anordnungsanspruch. Denn in diesem Fall beständen neben dem allgemeinen Leistungsgrundsatz nach Art. 33 Abs. 2 GG keine spezifischen, gesetzlich normierten Einschränkungen für die Zulassung zum Studium zwecks späteren Aufstiegs. Dies bedeutet hingegen nicht, dass der Antragsgegner gehindert wäre, für die Zulassung zum Studium ein leistungsprinzipsbezogenes Anforderungsprofil zu bestimmen. Ein solches läge im gegebenen Fall indes bereits darin begründet, dass der Antragsgegner den Zugang lediglich nach Maßgabe von § 22 PolLVO LSA eröffnet, mithin die Regelungen in § 22 PolLVO LSA gleichsam wie Verwaltungsvorschriften handhabte bzw. handhaben könnte. Dass der Antragsgegner in der Sache auch entsprechend verfahren ist, findet seinen Ausdruck nicht nur in den schriftlich fixierten Auswahlerwägungen, sondern zugleich in dem an den Antragsteller gerichteten Absageschreiben vom 27. März 2012. Es ist seitens der Beschwerde insoweit weder dargelegt noch anderweitig für den Senat ersichtlich, dass die darin enthaltenen Vorgaben mit dem aus Art. 33 Abs. 2 GG resultierenden Leistungsgrundsatz nicht im Einklang ständen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 39 Abs. 1, 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Wegen der mit der einstweiligen Anordnung letztlich begehrten Vorwegnahme der Hauptsache war dieser Gesamtwertbetrag nicht weiter zu reduzieren.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x
- VwGO § 58 1x
- VwGO § 70 1x
- §§ 39 Abs. 1, 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG 4x (nicht zugeordnet)
- § 22 PolLVO 6x (nicht zugeordnet)
- LBG § 25 2x
- § 105 LBG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- VwGO § 123 3x
- § 22 Abs. 2 Nr. 2 PolLVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 22 Abs. 1 Satz 1 PolLVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 22 Abs. 2 PolLVO 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 27 4x
- § 22 Abs. 4 Satz 1 PolLVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 22 Abs. 4 Satz 3 PolLVO 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 14 1x
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 M 1/07 1x
- 1 M 125/10 1x (nicht zugeordnet)
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- 1 L 107/07 1x (nicht zugeordnet)