Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 31/14

Gründe

I.

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Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine bauordnungsrechtliche Sicherungsverfügung der Antragsgegnerin betreffend das Grundstück B-Straße 32 in W-Stadt.

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Eigentümer des Grundstücks war bis zu seinem Tod am (…) 1997 Herr G. A.. Der Antragsteller ist gemeinsam mit seinen Halbbrüdern (…) A. und (…) A. dessen Erbe. Über den Nachlass des Herrn G. A. wurde das Nachlasskonkursverfahren eröffnet. Der Nachlasskonkursverwalter gab das Grundstück aus der Masse frei. Am 21.02.2006 wurde die Aufgabe des Eigentums durch Verzicht der Erbengemeinschaft in das Grundbuch eingetragen. Am 16. Mai 2007 erklärte das Land Sachsen-Anhalt gegenüber dem Grundbuchamt, von seinem gesetzlichen Aneignungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Das Grundstück ist seitdem herrenlos.

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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.01.2014 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Nr. 1 auf, für die bauliche Anlage auf dem Grundstück bis zum 24.02.2014 durch einen Sachverständigen für Standsicherheit den Nachweis zu erbringen, dass die bauliche Anlage standsicher ist. Unter Nr. 2 gab sie dem Antragsteller auf, bis zum 24.02.2014 im Einzelnen näher aufgeführte Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Unter Nr. 3 wurde die sofortige Vollziehung der unter Nr. 1 und 2 getroffenen Regelungen angeordnet. Unter Nr. 4 wurde für den Fall, dass der Antragsteller der Anordnung aus Nr. 1 nicht fristgemäß nachkommt, ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € angedroht. Unter Nr. 5 wurden für den Fall, dass der Antragsteller der Anordnung aus Nr. 2 nicht fristgemäß nachkommt, die Ersatzvornahme angedroht und deren voraussichtliche Kosten mit 15.000,00 € angegeben.

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Mit Beschluss vom 18.03.2014 - 2 B 30/14 HAL - hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.01.2014 wiederherzustellen, abgelehnt.

II.

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A. Die Beschwerde des Antragstellers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, erfordern insoweit die entsprechende Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

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1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.01.2014 zu Unrecht abgelehnt, soweit dieser sich gegen die Regelung unter Nr. 1 richtet, mit der dem Antragsteller aufgegeben wird, für die bauliche Anlage einen Standsicherheitsnachweis zu erbringen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist im Hinblick auf diese Regelung vielmehr gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen, denn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt insoweit das öffentliche Interesse am Vollzug des angefochtenen Bescheides. Der Bescheid erweist sich insoweit bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, da der Antragsgegnerin nicht das Recht zustehen dürfte, dem Antragsteller die weitere Sachverhaltsaufklärung aufzugeben.

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Gemäß § 57 Abs. 2 BauO LSA haben die Bauaufsichtsbehörden u.a. bei der Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie können in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen. Voraussetzung für ein bauaufsichtliches Einschreiten nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA ist grundsätzlich das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne der Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (OVG LSA, Beschl. v. 22.07.2013 - 2 M 82/13 -, juris RdNr. 8). Die Vorschrift ermächtigt jedoch nicht nur zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr im engeren Sinne, die voraussetzen, dass die Bauaufsichtsbehörde das Vorliegen einer Gefahr für sicher hält. § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA findet vielmehr auch Anwendung auf Maßnahmen der Gefahrerforschung bei einem Gefahrenverdacht. Ein Gefahrenverdacht liegt vor, wenn aufgrund objektiver Umstände das Vorhandensein einer Gefahr zwar möglich, aber nicht sicher ist. Unter diesen Voraussetzungen kann die Behörde von einer (weiteren) Ermittlung des Sachverhalts auf eigene Kosten absehen und den verantwortlichen Personen aufgeben, zur Vorbereitung der eigentlichen Gefahrenabwehrmaßnahme den Umfang der bestehenden Gefahr zu ermitteln. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Standsicherheit eines Gebäudes kann verlangt werden, allerdings nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte bereits erhebliche Zweifel an dessen Standsicherheit bestehen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 24.06.1991 - 4 TH 899/91 -, juris RdNr. 22; SächsOVG, Beschl. v. 31.03.2014 - 1 A 699/13 -, juris RdNr. 6; Thom, in: Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, § 57 BauO LSA RdNr. 63).

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In Anwendung dieser Grundsätze ist die Regelung unter Nr. 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 28.01.2014 rechtswidrig. Dem Antragsteller wird hiermit der Nachweis der Standsicherheit der baulichen Anlagen auf dem Grundstück B-Straße 32 in W-Stadt aufgegeben. Die Voraussetzungen eines solchen Gefahrerforschungseingriffs liegen jedoch nicht vor. Die Antragsgegnerin führt in dem angegriffenen Bescheid aus, durch visuelle Inaugenscheinnahme könne nicht eingeschätzt werden, ob die baulichen Anlagen auch nach Entfernung der Bauteile, von denen eine akute Gefährdung ausgehe, noch standsicher seien. Sie benennt allerdings keine Umstände, aus denen sich begründete Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes ergeben sollen. Solche sind - derzeit - auch nach Auswertung der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Diese enthalten lediglich ein Luftbild des Grundstücks, ein Lichtbild der Straßenansicht sowie Detailaufnahmen, die lose Schindeln an den Gauben, schadhafte Fassadenelemente sowie eine defekte Dachrinne zeigen. Zur Anforderung eines Standsicherheitsnachweises ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Standsicherheit im Sinne des § 12 BauO LSA ermächtigt § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA indessen nicht. Im vorliegenden Fall ist vielmehr nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 24 VwVfG die Standsicherheit des Gebäudes zunächst von der Antragsgegnerin weiter aufzuklären. Dem stehen hier weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse entgegen, da das Grundstück herrenlos ist.

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2. Darüber hinaus hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers im Übrigen zu Recht abgelehnt.

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a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde wurde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend begründet. Den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Auch kann - gerade im Ordnungsrecht - das Interesse am Erlass der Verfügung mit dem Interesse an der sofortigen Vollziehung durchaus zusammenfallen (OVG NW, Beschl. v. 30.03.2009 - 13 B 1910/08 -, juris RdNr. 4). Hiernach ist die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im vorliegenden Fall rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin stellt in dem Bescheid hinreichend einzelfallbezogen auf eine von der baulichen Anlage ausgehende Gefahr für Leib und Leben ab, da deren Bestandteile, die Dacheindeckung und die Schornsteine jederzeit versagen könnten.

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b) Das Verwaltungsgericht hat - im Hinblick auf die unter Nr. 2 des Bescheides angeordnete Durchführung von Sicherungsmaßnahmen - auch zu Recht angenommen, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.

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aa) Die unter Nr. 2 des Bescheides getroffene Regelung ist rechtmäßig. Sie kann auf § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist die zuständige Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich zum Einschreiten ermächtigt, wenn und soweit ein bauliches Geschehen oder ein baulicher Zustand mit den formellen und/oder materiellen Baurecht nicht übereinstimmt (vgl. OVG NW, Beschl. v. 16.10.2001 - 7 B 1939/00 -, juris RdNr. 13). Hierbei kann auch mangelnde oder unterlassene Instandhaltung ein bauaufsichtliches Einschreiten rechtfertigen (Thom, in: Jäde/Dirnberger, a.a.O., § 57 BauO LSA RdNr. 8).

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Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen eines Einschreitens nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA vor, denn der Zustand des auf dem Grundstück vorhandenen Gebäudes entspricht nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BauO LSA. Nach dieser Vorschrift sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden. Das ist hier nicht der Fall. Aus der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lichtbilddokumentation ergibt sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung, dass lose Schindeln und Fassadenteile jederzeit herabfallen und Passanten verletzen können. Zudem heißt es in den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid, denen der Antragsteller nicht entgegengetreten ist, dass Schornsteinköpfe einsturzgefährdet sind, die Dachentwässerung funktionslos ist, Fenster und Zugänge offen sind und von der Dachfläche jederzeit lose Dachziegel in den öffentlichen Straßenraum fallen können.

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Der Antragsteller ist für diesen baurechtswidrigen Zustand auch verantwortlich und daher von der Antragsgegnerin zu Recht als Adressat der angefochtenen Verfügung in Anspruch genommen worden. Die Verantwortlichkeit des Antragstellers ergibt sich aus § 8 Abs. 3 SOG LSA. Hiernach können, wenn die Gefahr von einer herrenlosen Sache ausgeht, die Maßnahmen gegen denjenigen gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.

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Die Vorschrift ist verfassungsgemäß. Insbesondere verletzt sie nicht das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Regelung knüpft an die in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG umschriebene Voraussetzung an, dass „ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann“, und bestimmt für diesen Fall, dass das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen muss. Das Zitiergebot dient zur Sicherung derjenigen Grundrechte, die auf Grund eines speziellen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen sind andersartige grundrechtsrelevante Regelungen zu unterscheiden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgegebenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt. Hier ist dem Gesetzgeber in der Regel ohnehin bewusst, dass er sich im grundrechtsrelevanten Bereich bewegt. Durch eine Erstreckung des Zitiergebots auf solche Regelungen würde es zu einer die Gesetzgebung unnötig behindernden leeren Förmlichkeit kommen. Vor diesem Hintergrund ist das Zitiergebot auf gesetzliche Regelungen, bei denen es sich um die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 GG handelt, nicht anwendbar. Bei diesen „Regelungen“ handelt es sich nicht um „Einschränkungen“ im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG erfordert notwendigerweise eine nähere gesetzgeberische Konkretisierung; den Gesetzgeber bei der Ausführung dieses Regelungsauftrags zu einem Hinweis auf dieses Grundrecht zu zwingen, wäre bloße Förmelei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983 - 1 BvL 46/80, 1 BvL 47/80 -, juris RdNr. 26 ff.). Hiernach unterfällt auch die Vorschrift des § 8 Abs. 3 SOG LSA nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, da es sich hierbei um eine gesetzgeberische Ausgestaltung von Inhalt und Schranken des Eigentums und nicht um dessen „Einschränkung“ handelt.

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§ 8 Abs. 3 SOG LSA ist im vorliegenden Fall auch anwendbar. Die Frage, an wen eine bauaufsichtliche Verfügung nach § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA zu richten ist, wird in der BauO LSA nicht ausdrücklich geregelt. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sind daher die allgemeine Grundsätze des Sicherheitsrechts über die Polizeipflichtigkeit des Verhaltens- und des Zustandsstörers heranzuziehen. Eine Anordnung gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA kann folglich gegen denjenigen gerichtet werden, den gemäß §§ 7, 8 SOG LSA die Verantwortung für eine Gefahr trifft (OVG LSA, Beschl. v. 25.02.2002 - 2 M 363/01 -, juris RdNr. 12; Thom, in: Jäde/Dirnberger, a.a.O., § 57 BauO LSA RdNr. 38).

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Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 SOG LSA liegen vor. Die Gefahr geht von einer herrenlosen Sache aus, nämlich von dem Grundstück B-Straße 32 in W-Stadt. Der Antragsteller hat auch durch seinen am 21.02.2006 in das Grundbuch eingetragenen Verzicht das Eigentum an dieser Sache aufgegeben.

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Die Heranziehung des Antragstellers als ehemaligen Eigentümer des Grundstücks gemäß § 8 Abs. 3 SOG LSA ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Zustandshaftung des Eigentümers findet ihren rechtfertigenden Grund in seiner Einwirkungsmöglichkeit auf die gefahrverursachende Sache sowie in der Möglichkeit zu ihrer wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung. Sie bedarf im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG einer Begrenzung auf das zumutbare Maß. Der vom Eigentümer zu tragende finanzielle Aufwand für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr darf in der Regel den Verkehrswert des Grundstücks nach Gefahrenbeseitigung nicht übersteigen (OVG NW, Beschl. v. 03.03.2010 - 5 B 66/10 -, juris RdNr. 11 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 16.02.2000 - 1 BvR 242/91, 1 BvR 315/99 -, BVerfGE 102, 1 <19 ff.>; OVG LSA, Beschl. v. 12.06.2013 - 2 M 28/13 -, juris RdNr. 25). Der frühere Eigentümer, der das Eigentum im Wege der Dereliktion gemäß § 928 BGB aufgegeben hat und nunmehr nach § 8 Abs. 3 SOG LSA herangezogen wird, ist erhöht schutzwürdig, da er keinen Veräußerungserlös erzielt hat und ab dem Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe auch keine Möglichkeit zur wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung des Grundstücks mehr hat. Für Gefahrenlagen, die erst nach Aufgabe des Eigentums entstanden sind, kann er daher nur begrenzt herangezogen werden (OVG NW, Beschl. v. 03.03.2010 - 5 B 66/10 -, a.a.O. RdNr. 13 ff.).

19

Diese Gesichtspunkte stehen einer Heranziehung des Antragstellers zu den unter Nr. 2 des Bescheides aufgeführten Sanierungsmaßnahmen nicht entgegen. Der Antragsteller war vor seiner Eigentumsaufgabe nach § 3 Abs. 1 BauO LSA verpflichtet, das Gebäude so instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 15.10.2012 - 2 O 169/11 - n.v.). Ihm fehlte es auch nicht an einer hinreichenden Einwirkungsmöglichkeit auf das Grundstück. Er war mit dem Tode des Herrn G. A. am (…) 1997 als dessen Erbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) Eigentümer des Grundstücks geworden und hat diese Eigentümerstellung erst mit der Eintragung des Verzichts in das Grundbuch am 21.02.2006 gemäß § 928 Abs. 1 BGB verloren; mithin war er über acht Jahre Grundstückseigentümer. Seiner Einwirkungsmöglichkeit stand auch die Eröffnung des Konkursverfahrens über den Nachlass nicht entgegen, denn nach seinen Angaben hat der Nachlasskonkursverwalter das Grundstück aus der Masse freigegeben.

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Anhaltspunkte dafür, dass die verfassungsrechtlich gebotene Obergrenze für die finanzielle Belastung des Antragstellers als Zustandsstörer durch die Kosten der ihm unter Nr. 2 des Bescheides aufgegebenen Sicherungsmaßnahmen erreicht oder überschritten ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Kosten betragen nach den Angaben in dem Bescheid, denen der Antragsteller nicht entgegengetreten ist, voraussichtlich 15.000,00 €. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sicherungsmaßnahmen niedriger ist.

21

Für eine weitere Begrenzung der Kostenbelastung des Antragstellers besteht keine Veranlassung. Nach Sinn und Zweck des § 8 Abs. 3 SOG LSA soll sich der Eigentümer seiner Zustandsverantwortlichkeit nicht dadurch entziehen können, dass er das Eigentum an dem die Gefahr begründenden Grundstück aufgibt (NdsOVG, Urt. v. 19.10.2011 - 7 LB 57/11 -, juris RdNr. 30; OVG LSA, Beschl. v. 03.12.2012 - 2 M 166/12 - n.v.). Einer Inanspruchnahme des früheren Eigentümers kann daher nur entgegenstehen, dass die Gefahrenlage erst nach Aufgabe des Eigentums entstanden ist. Eine solche Fallkonstellation liegt hier aber - bei summarischer Prüfung - nicht vor. Der auf den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lichtbildern erkennbare desolate Zustand des Gebäudes geht ersichtlich auf jahrelanges Unterlassen der gebotenen Instandhaltungsmaßnahmen zurück. Es ist auch kaum vorstellbar, dass der Kläger auf das Eigentum an dem Grundstück zu einem Zeitpunkt verzichtet haben soll, in dem das aufstehende Gebäude noch in einem guten Zustand war.

22

Die Verantwortlichkeit des Antragstellers als ehemaliger Grundstückseigentümer nach § 8 Abs. 3 SOG LSA enthält - entgegen der Ansicht der Beschwerde - auch keinen Wertungswiderspruch zum Erbrecht. Die Verantwortlichkeit des Zustandstörers knüpft an dessen Eigentümerstellung an, die der Erbe mit Eintritt des Erbfalls erwirbt. Diese Rechtsfolge kann der Erbe durch Ausschlagung der Erbschaft gemäß §§ 1942 ff. BGB abwenden. Unterlässt der Erbe die (fristgemäße) Ausschlagung der Erbschaft und wird er durch den Erbfall Eigentümer des Grundstücks, muss er die nach öffentlichem Recht an die Eigentümerstellung geknüpften Rechtsfolgen gegen sich gelten lassen. Für eine Anwendung des § 780 ZPO ist kein Raum, weil die Verantwortlichkeit des Antragstellers gemäß § 8 Abs. 3 SOG LSA keine Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) darstellt. Sie knüpft nicht an dessen Stellung als Erbe, sondern an dessen (ehemaliges) Eigentum an dem Grundstück an.

23

Die Antragsgegnerin hat im Rahmen der Störerauswahl auch das ihr zustehende Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sind mehrere Personen für eine Gefahr verantwortlich, muss die Behörde das ihr eröffnete Auswahlermessen ausüben, d.h. eine auf einer Abwägung beruhende Entscheidung darüber treffen, gegen wen sie einschreitet (OVG LSA, Beschl. v. 18.01.2006 - 2 M 204/05 - n.v.). Die Auswahl ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu treffen, wobei sowohl die Interessen des Betroffenen als auch das berechtigte Interesse der Bauaufsichtsbehörde an einem effektiven Gesetzesvollzug angemessen zu berücksichtigen sind. Hierbei ist unter dem Gesichtspunkt der Effektivität ordnungsbehördlicher Maßnahmen zu berücksichtigen, wer eher in der Lage sein wird, den baurechtswidrigen Zustand zu beseitigen (Thom, in: Jäde/Dirnberger, a.a.O., § 57 BauO LSA RdNr. 41). Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Anordnung gegen den Antragsteller gerichtet hat in der Annahme, dass dieser auf Grund seines Alters die Gefahr am schnellsten und wirksamsten beseitigen kann, während ihr die Anschriften der beiden anderen Zustandsstörer trotz Recherchen nicht bekannt sind.

24

bb) Es besteht wegen des schlechten Zustands des Gebäudes und der hierdurch hervorgerufenen Gefahren für Passanten auch ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung.

25

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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