Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 O 1/15

Gründe

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Die Beschwerde der Kläger hat Erfolg. Den Klägern ist die beantragte Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO zu bewilligen.

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Die Kläger sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint auch nicht mutwillig. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sind auch die hinreichenden Erfolgsaussichten zu bejahen.

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Die Klage dürfte gemäß § 88 VwGO als Verpflichtungsklage, gerichtet auf Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage, die der der Klägerin zu 1 erteilten Duldung beigefügt ist, zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen den Klägern und Herrn H. A., dem Ehemann der Klägerin zu 1 und dem Vater der Kläger zu 2 und 3, auszulegen sein. Dies dürfte dem erkennbaren Klagebegehren der Kläger, auf Dauer mit ihrem Ehemann bzw. Vater zusammenleben zu wollen, entsprechen. Die Verpflichtung zur Aufhebung der Wohnsitzaufnahme wird auch in dem in der Klageschrift vom 25.02.2014 angekündigten Antrag ausdrücklich genannt.

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Die in der Klageschrift ebenfalls genannte Aufhebung der räumlichen Beschränkung dürfte bei sachgerechter Würdigung nicht mehr Klagegegenstand sein, denn die räumliche Beschränkung des Aufenthalts der Kläger auf das Bundesland Sachsen-Anhalt ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014 (BGBl. I S. 2439) zum 01.01.2015 kraft Gesetzes erloschen (vgl. BT-Drs. 18/3144, S. 13). Nach § 61 Abs. 1b AufenthG in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2014 (AufenthG n.F.) erlischt die räumliche Beschränkung nach den Absätzen 1 und 1a, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Das ist bei den Klägern der Fall.

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Die auf Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage gerichtete Verpflichtungsklage dürfte zulässig sein. Insbesondere dürfte es nicht an dem hierfür erforderlichen Antrag bei dem Beklagten fehlen. Dieser dürfte bei sachgerechter Würdigung in dem "Umverteilungsantrag" der Kläger vom 15. März 2010 zu sehen sein, der sowohl vom Beklagten im Bescheid vom 27.08.2010 als auch von der Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid vom 21.02.2014 als "Antrag auf Änderung der Wohnsitzauflage" verstanden worden ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 1 am 13.08.2012 (erneut) einen ausdrücklichen Antrag auf Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage bei dem Beklagten gestellt hat. Auf den Umstand, dass Herr H. A. damals noch in K-Stadt gewohnt hat, kommt es nicht an. Der mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 18.08.2014 angezeigte Umzug des Herrn H. A. nach B-Stadt führt – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – nicht dazu, dass die Kläger einen neuen Antrag stellen müssen. Der jeweilige Wohnsitz des Ehemanns bzw. Vaters der Kläger stellt nur einen unwesentlichen Aspekt dar, der an ihrem Grundanliegen, der Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft, nichts ändert.

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Die in der der Klägerin zu 1 erteilten Duldung enthaltene Wohnsitzauflage, wonach die Wohnsitznahme nur im Landkreis C. gestattet ist, ist nach wie vor wirksam. Sie stimmt mit den Regelungen des § 61 Abs. 1d Satz 1 und 2 AufenthG n.F. überein, wonach ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, verpflichtet ist, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Soweit die Ausländerbehörde nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat. Hiernach hat die Anordnung des Beklagten, dass der Klägerin zu 1 die Wohnsitznahme nur im Landkreis C. gestattet ist, weiterhin Bestand.

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Die Klage dürfte auch begründet sein. Der Bescheid des Beklagten vom 27.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 21.02.2014 ist aller Voraussicht nach rechtswidrig, soweit hierin der Antrag der Kläger auf Änderung der Wohnsitzauflage abgelehnt wird. Es spricht viel dafür, dass den Klägern gemäß § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG n.F. ein Anspruch auf Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft zwischen ihnen und dem Ehemann der Klägerin zu 1 und dem Vater der Kläger zu 2 und 3, Herrn H. A., zusteht. Nach § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG n.F. kann die Ausländerbehörde die Wohnsitzauflage von Amts wegen oder auf Antrag des Ausländers ändern; hierbei sind die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen.

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Zuständig für die Änderung der Wohnsitzauflage nach dieser Vorschrift ist der Beklagte als Ausländerbehörde des bisherigen Wohnorts (vgl. Beschl. d. Senats v. 30.10.2014 – 2 M 106/14 –, Juris RdNr. 7 zu § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Dies steht in Übereinstimmung mit den Regelungen des Erlasses des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 13.01.2006 zur bundeseinheitlichen Verfahrensweise bei wohnsitzbeschränkenden Auflagen.

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Die Änderung der Wohnsitzauflage steht nach § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG n.F. im Ermessen der Ausländerbehörde. Jedoch wird eine solche Änderung zum Zweck der Herstellung der Familieneinheit von Eltern und minderjährigen Kindern in der Regel im Hinblick auf Art. 6 GG nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt werden können. Das gilt insbesondere dann, wenn die Familientrennung bereits seit längerer Zeit andauert und weder eine Aufenthaltsbeendigung eines beteiligten Familienmitglieds noch eine freiwillige Ausreise unmittelbar bevorstehen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG II, § 61 RdNr. 26). Nach diesen Grundsätzen dürfte im vorliegenden Fall eine Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage im Sinne der Kläger geboten sein. Sie dient der Herstellung der von Art. 6 GG geschützten Familieneinheit. Zwar bestehen Zweifel an der Wirksamkeit der gemäß der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Urkunde vom 14.09.1992 (GA B Bl. 140) bescheinigten Eheschließung "nach dem Brauch der Bissa" in Burkina Faso zwischen der Klägerin zu 1 und Herrn H. A., zumal auch die Identität der Klägerin zu 1 angesichts des in der Urkunde angegebenen Geburtsjahres 1968 nicht gesichert ist. Ohne Zweifel ist jedoch die Klägerin zu 1 die Mutter und Herr H. A. der Vater des Klägers zu 2. Letzteres ergibt sich aus der vom Rhein-Sieg-Kreis ausgefertigten Urkunde vom 08.08.2005 über die Anerkennung der Vaterschaft sowie die Zustimmung der Mutter. Damit steht gemäß §§ 1592 Nr. 2, 1595 Abs. 1, 1597 Abs. 1 BGB rechtlich fest, dass Herr H. A. der Vater des Kindes ist. Darüber hinaus hat Herr H. A. am 20.01.2009 vor dem Standesamt H. die Vaterschaft zum Kläger zu 3 anerkannt. Die Trennung der Familie dauert inzwischen seit langer Zeit an. Eine Beendigung des Aufenthalts der Kläger oder ihre freiwillige Ausreise in nächster Zeit sind nicht ersichtlich. Auch eine Herstellung der Familieneinheit in Burkina Faso dürfte den Klägern und Herrn H. A. nicht zumutbar sein, zumal letzterer seit dem 18.06.2012 über eine Niederlassungserlaubnis verfügt (BA B Bl. 184).

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Die Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde, also der Stadt B-Stadt, zu der beantragten Änderung der Wohnsitzauflage ist nicht erforderlich. Rechtlich bindende Beteiligungserfordernisse sind gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur bei der Änderung oder Aufhebung von Maßnahmen durch eine andere Behörde als der Behörde erforderlich, die die Maßnahme angeordnet hat. Das ist hier nicht der Fall. Hier geht es um die Änderung einer vom Beklagten angeordneten Wohnsitzauflage durch ihn selbst. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den einschlägigen Verwaltungsvorschriften, etwa Nr. 12.2.5.2.4.3 AVwV-AufenthG. Hiernach darf die Ausländerbehörde des bisherigen Wohnorts die wohnsitzbeschränkende Auflage erst dann streichen oder ändern, wenn die Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsorts vorliegt. Entsprechende Bestimmungen enthalten die einschlägigen Verwaltungsvorschriften in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Diesen Verwaltungsvorschriften kommt jedoch nur eine verwaltungsinterne Bindungswirkung zu. Einem nach materiellem Recht bestehenden Anspruch auf Änderung oder Aufhebung einer Wohnsitzauflage gemäß § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG n.F. stehen sie nicht entgegen. Gleichwohl erscheint eine Beiladung der Ausländerbehörde des Zuzugsorts gemäß § 65 Abs. 1 VwGO, nach derzeitigem Stand der Stadt B-Stadt, im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinnvoll.

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Die Änderung oder Aufhebung der Wohnsitzauflage dahingehend, dass die Kläger ihren Wohnsitz (auch) in B-Stadt nehmen dürfen, setzt auch nicht eine vorherige länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylVfG voraus. Zwar wurde in Rechtsprechung und Literatur bislang vertreten, ein länderübergreifender Wechsel des Wohnortes eines unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbers setze grundsätzlich eine länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylVfG voraus (vgl. BayVGH, Beschl. v. 15.05.2009 – 10 C 09.880 –, Juris RdNr. 6; OVG RP, Urt. v. 15.02.2012 – 7 A 11177/11 –, Juris RdNr. 24; Beschl. d. Senats v. 30.10.2014 – 2 M 106/14 – a.a.O. RdNr. 5; Funke-Kaiser, a.a.O., § 61 RdNr. 25). Grundlage dieser Auffassung war jedoch die Regelung des § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, wonach räumliche Beschränkungen auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung in Kraft bleiben, bis sie aufgehoben werden. Diese Regelung wurde mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014 (a.a.O.) zum 01.01.2015 aufgehoben. Zugleich wurde die Regelung des § 59a Abs. 1 AsylVfG n.F. in das Gesetz eingefügt, wonach die räumliche Beschränkung nach § 56 erlischt, wenn sich der Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Räumliche Beschränkungen des Aufenthalts unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber ergeben sich daher nach abgeschlossenem Asylverfahren regelmäßig nicht mehr.

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Die Änderung der Wohnsitzauflage durch den Beklagten widerspricht auch nicht dem im Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 21.02.2014 zitierten Beschluss des Senats vom 05.04.2006 – 2 M 133/06 –. In diesem Beschluss hatte der Senat die Auffassung vertreten, eine Anspruchsgrundlage, die die Gestattung einer auf Dauer angelegten Wohnsitznahme eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers, dessen Aufenthalt gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG auf das Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt beschränkt sei, in einem anderen Bundesland ohne Zustimmung der dort zuständigen Ausländerbehörde zulasse, sei nicht ersichtlich. Dieser Entscheidung ist durch das Inkrafttreten des § 61 Abs. 1b AufenthG n.F. mit Wirkung zum 01.01.2015 die Grundlage entzogen worden. Zudem besteht mit § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG n.F. nunmehr eine ausdrücklich gesetzliche Ermächtigung zur Änderung der Wohnsitzauflage durch die Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 GKG und § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.


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