Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 R 64/17

Gründe

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Der Antrag der Antragstellerinnen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 6. April 2017, Az.: 1 K 44/17, gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 1. Dezember 2016 zur 4. Änderung des Planfeststellungsbeschlusses des Eisenbahn-Bundesamtes vom 5. Mai 2010 - 56126/56130 Pap 150/07 - für das Vorhaben "Neubau Zugbildungsanlage Halle/Saale" in der kreisfreien Stadt Halle/Saale, Bahn-km 158,5 - 160,8 der Strecke Halle Gbf Ab - Halle Gbf HG 12 (6347) und Bahn-km 0,0 - 0,4 der Strecke Halle Gbf HG 12 - Halle Hbf Al (6349), insbesondere - Neubau Ostanbindung, ist wegen Versäumung der einmonatigen Antragsfrist gemäß § 18e Abs. 2 Satz 2 AEG unzulässig und damit einer Sachentscheidung nicht zugänglich.

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Der Antrag wurde bereits nicht fristgerecht gestellt; eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist (von Amts wegen) kommt nicht in Betracht, weil die versäumte Antragstellung nicht innerhalb der Antragsfrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgeholt wurde. Anhaltspunkte für einen neuen Fristenlauf gemäß § 18e Abs. 4 AEG infolge später eingetretener Tatsachen sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

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Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 1. Dezember 2016 betrifft - soweit ersichtlich - den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, für die nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz vordringlicher Bedarf festgestellt ist gemäß § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG. Denn die streitgegenständliche Maßnahme hat die 4. Änderung des Planfeststellungsbeschlusses für das Vorhaben "Neubau Zugbildungsanlage Halle/Saale" vom 5. Mai 2010 zum Gegenstand, welches seinerseits Teil des Projektes Knoten Halle ist (vgl. § 1 Abs. 1 BSWAG i. V. m. der Anlage zu § 1, Teil 1, a), lfd. Nr. 27 in der Fassung vom 15. September 2004, BGBl. I 2004, 2322; www.vde8.de/de/knoten-halle/zba). Die Anfechtungsklage der Antragstellerinnen vom 6. April 2017 (- 1 K 44/17 -) gegen den Planfeststellungsbeschluss hat deshalb von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 18e Abs. 2 Satz 1 AEG). Davon geht auch der streitgegenständliche Planfeststellungsbeschluss unter Pkt. A.8 aus.

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Gemäß § 18e Abs. 2 Satz 2 AEG kann der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt und begründet werden.

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Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 1. Dezember 2016 weist in seiner Rechtsbehelfsbelehrung hierauf ordnungsgemäß gemäß § 18e Abs. 2 Satz 3 AEG hin; auch wird rechtlich zutreffend über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist und dessen Sitz belehrt gemäß § 18e Abs. 2 Satz 4 AEG i. V. m. § 58 Abs. 1 VwGO, so dass dem In-Lauf-Setzen der einmonatigen Antragsfrist nicht eine unrichtig erteilte Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses entgegensteht.

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Der Planfeststellungsbeschluss vom 1. Dezember 2016 gilt den Antragstellerinnen gegenüber mit dem Ende der zweiwöchigen (vom 16. Januar 2017 bis 30. Januar 2017 dauernden) Auslegungsfrist für die Auslegung der Ausfertigung des Planfeststellungsbeschlusses mit Rechtsbehelfsbelehrung und einer Ausfertigung des festgestellten Plans in der Stadt Halle/Saale gemäß § 18 Satz 3 AEG i. V. m. § 74 Abs. 4 Satz 2, 3 VwVfG als zugestellt. Der Ort und die Zeit der Auslegung wurden ortsüblich - hier: im Amtsblatt der Stadt Halle vom 13. Januar 2017, Seite 12 - gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2 HS 2 VwVfG bekannt gemacht. Auch wurde in der Bekanntmachung auf die mit dem Ende der Auslegungsfrist verbundene Zustellungsfiktion gemäß § 74 Abs. 4 Satz 3 HS 2 VwVfG hingewiesen.

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Es bedurfte vorliegend keiner Individualzustellung im Sinne des § 74 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, weil die Antragstellerinnen nicht zu dem dort genannten Personenkreis gehören. Adressaten einer Individualzustellung sind neben dem Träger des Vorhabens und den Vereinigungen, über deren Stellungnahmen entschieden worden ist, nur diejenigen, über deren Einwendungen entschieden worden ist. Die Antragstellerinnen haben keine Einwendungen erhoben. Ausweislich Pkt. B.1.3.2 des Planfeststellungsbeschlusses sind auf Grund der Auslegung der Planunterlagen keine Einwendungsschreiben eingegangen.

8

Etwas anderes folgt auch nicht aus der auszugsweise von den Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren - 1 K 44/17 - vorgelegten Planfeststellungsrichtlinie der Antragsgegnerin (Stand 2. September 2015) in Bezug auf die dortige Regelung in Nr. 15 Abs. 2 bezüglich nicht ortsansässiger Betroffener, deren Person und Aufenthalt bekannt sind oder sich innerhalb angemessener Frist ermitteln lassen. Die Regelung bezieht sich auf das Anhörungsverfahren und die Planauslegung gemäß § 73 VwVfG, wohingegen die Regelung über die Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses in Nr. 27 Abs. 3 der Richtlinie auf den Adressatenkreis in § 74 Abs. 4 Satz 1 VwVfG abstellt und in Abs. 5 auf die ortsübliche Bekanntmachung und Zustellungsfiktion gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2 und 3 VwVfG verweist.

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Die ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses und des festgestellten Planes in der Gemeinde gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2 HS 2 VwVfG war - entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen - auch nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist dem ausgelegten Planfeststellungsbeschluss beigefügt. Die ortsübliche Bekanntmachung bezieht sich dem Gesetzeswortlaut nach nur auf Ort und Zeit in der Auslegung.

10

Bereits mit Beschluss vom 24. September 1987 (- 4 B 93.87 -, juris) hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass sich für die ortsübliche Bekanntmachung eine von der öffentlichen Bekanntmachung in Masseverfahren gemäß § 74 Abs. 5 Satz 1 VwVfG abweichende Regelung rechtfertigt, weil hiervon ein Personenkreis betroffen ist, der sich am bisherigen Verfahren nicht beteiligt hat und ohnehin den mit einer Rechtsbehelfsbelehrung ausgelegten Planfeststellungsbeschluss einsehen muss, um über seine Rechtsbetroffenheit und die Einhaltung von Rechtsmitteln entscheiden zu können. Mit Beschluss vom 20. Februar 2003 (- 4 B 17.03 -, juris) hat das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Auffassung bestätigt, dass die ortsübliche Bekanntmachung gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2 HS 2 VwVfG im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sein muss. Im Urteil vom 31. Juli 2012 (- 4 A 5000.10 u. a. -, juris Rdnr. 32) weist es zudem auf die Unterschiede zwischen einer öffentlichen Bekanntmachung nach § 74 Abs. 5 VwVfG einerseits und einer ortsüblichen Bekanntmachung gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2, 3 VwVfG andererseits hin und stellt fest, dass die (von den Antragstellerinnen vorliegend reklamierte) Anstoßwirkung von der Bekanntmachung des verfügenden Teils des Planfeststellungsbeschlusses ausgeht, nicht dagegen vom Hinweis auf die Auslegung im Sinne des § 74 Abs. 4 Satz 2 HS 2 VwVfG.

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Soweit die Antragsschrift vorträgt, die Monatsfrist (für die Stellung eines Aussetzungsantrages gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) beginne erst mit Kenntnis vom Akteninhalt nach erfolgter Akteneinsicht zu laufen, weil im Aussetzungsantrag die Gründe für ein überwiegend privates Aussetzungsinteresse darzulegen seien, trifft dies im Hinblick auf die gesetzlich geregelten Voraussetzungen für den Eintritt der Zustellungsfiktion und ihrer Rechtsfolgen gemäß § 74 Abs. 4 Satz 2, 3 VwVfG i. V. m. § 18e Abs. 2 Satz 2 AEG, also das Anknüpfen der Antrags- und Begründungsfrist an die Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses, nicht zu. Ob die Antragstellerinnen ohne Akteneinsicht gehindert waren, einen Aussetzungsantrag zu stellen und/oder zu begründen, betrifft nicht das In-Lauf-Setzen der Antragsfrist für einen Aussetzungsantrag, sondern im Falle einer Fristversäumnis die Frage, ob diese als unverschuldet angesehen werden und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen kann.

12

Ebenso wenig ist es für den Eintritt der Zustellungsfiktion von Relevanz, ob die Antragstellerinnen aus eigenem Verschulden oder in Folge von Mängeln im Anhörungsverfahren keine Einwendungen gegen das Vorhaben vorgebracht haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1979 - 4 B 214.79 -, juris; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 74 Rdnr. 212).

13

Im Hinblick auf die mit Ablauf des 30. Januar 2017 eingetretene Zustellungsfiktion endete die einmonatige Antragsfrist für einen Aussetzungsantrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 18e Abs. 2 Satz 2 AEG vorliegend gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 188 Abs. 3 BGB mit dem Ablauf des letzten Tages des Monats Februar 2017, hier mit Ablauf des Dienstags, den 28. Februar 2017. Der erst am 29. Mai 2017 beim Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt eingegangene Antrag wahrt diese Frist nicht.

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Den Antragstellerinnen kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO hinsichtlich der versäumten Antragsfrist gewährt werden. Der Aussetzungsantrag (als versäumte Rechtshandlung) wurde nicht binnen 2 Wochen nach Wegfall der (möglicherweise in Betracht kommenden) Hinderungsgründe für die Fristwahrung gestellt (§ 60 Abs. 2 Satz 1 HS 1, Satz 3 und 4 VwGO).

15

Soweit die Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren (- 1 K 44/17 -) auf die Erkrankung ihres alleinigen Liquidators und Geschäftsführers Dr. (…) A. verwiesen haben, erklärte dieser mit eidesstattlicher Versicherung vom 5. April 2017, dass er am 23. März 2017 im Internet auf die im Amtsblatt der Stadt Halle erfolgte Bekanntmachung der Auslegung des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses gestoßen sei. Am 6. April 2017 haben die Antragstellerinnen anwaltlich vertreten unter Vorlage von Auszügen des Planfeststellungsbeschlusses vom 1. Dezember 2016 beim Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Klage erhoben.

16

Unbeschadet der Frage, ob und ggf. für welchen Zeitraum sich wegen der Erkrankung des Liquidators und Geschäftsführers der Antragstellerinnen ein unverschuldeter Hinderungsgrund für die Wahrnehmung der Antragsfrist gemäß § 18e Abs. 2 Satz 2 AEG ergeben könnte, bestand dieser jedenfalls nicht mehr am 23. März 2017 oder zumindest am 6. April 2017. Der Aussetzungsantrag vom 29. Mai 2017 wurde nicht binnen 2 Wochen nach den beiden vorgenannten Daten (d. h. nach Wegfall eines möglichen Hinderungsgrundes) gestellt.

17

Auch in Bezug auf die nach Angaben der Antragstellerinnen am 27. April 2017 erfolgte Akteneinsichtnahme wird die zweiwöchige Antragsfrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, innerhalb der die versäumte Rechtshandlung nachzuholen war (also bis zum 11. Mai 2017), nicht gewahrt. Es kann deshalb dahin gestellt bleiben, ob die fehlende Akteneinsicht geeignet war, nach einem für die Fristversäumnis möglicherweise kausalen Hinderungsgrund wegen Erkrankung einen weiteren kausalen Hinderungsgrund für eine fristwahrende Stellung des Aussetzungsantrages zu begründen, und vor allem, ob die Antragstellerinnen an all diesen Hindernissen kein (zurechenbares) Verschulden trifft.

18

Soweit § 18e Abs. 4 AEG die Möglichkeit eines (weiteren) Aussetzungsantrages im Sinne des § 18e Abs. 2 AEG mit neuem einmonatigen Fristenlauf bei später eingetretenen Tatsachen eröffnet, sind entsprechend später eingetretene Tatsachen sowie der Zeitpunkt ihrer Kenntniserlangung durch die Antragstellerinnen weder dargelegt noch ersichtlich.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, weil sie sich mit ihrer Antragstellung einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt und Teilhabe am Obsiegen im Verfahren hat, so dass die Erstattungsfähigkeit der Billigkeit entspricht.

20

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und geht von der Hälfte des im Hauptsacheverfahren vorläufig festgesetzten Streitwertes aus.

21

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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