Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 M 247/17

Gründe

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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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I. Die am (…) 2010 geborene Antragstellerin zu 1. möchte einer anderen Förderschule zugewiesen werden. Sie leidet an frühkindlichem Autismus, der mit einer mittelgradigen Intelligenzminderung und einer Verhaltensstörung einhergeht.

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Mit Bescheid des Antragsgegners vom 30. Mai 2017 wurde die Antragstellerin zu 1. mit Beginn des Schuljahres 2017/2018 der Förderschule für geistige Entwicklung „(R.)“, H-Straße, A-Stadt zugewiesen, wobei ausweislich des Bescheides hiermit dem Wunsch der Eltern des Kindes entsprochen worden sei. Tatsächlich hatten die Antragsteller zu 2. und 3. im Verwaltungsverfahren allerdings den Wunsch geäußert, die Antragstellerin zu 1. in der Förderschule „Am W.“ beschulen zu lassen. Zur Begründung verwiesen sie u.a. auf eine Beschulungsempfehlung der Autismus-Beratungslehrkraft aus Oktober 2016 und eine Einschätzung der Grundschule „(F.)“ vom 30. Januar 2017. Danach verfüge die Förderschule „Am W.“ über Erfahrung im Umgang mit Kindern aus dem Autismus-Spektrum. Zudem befinde sich im gleichen Gebäude eine Fördertagesgruppe für Schüler mit Autismus, die die Antragstellerin zu 1. nachmittags besuchen könne.

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Dem gegen diesen Bescheid gerichteten Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit dem aus dem Beschluss vom 3. August 2017 ersichtlichen Tenor entsprochen. Zur Begründung hat es u.a. auf § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Bildung von Anfangsklassen und zur Aufnahme an allgemeinbildenden Schulen in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 2014 (im Folgenden: AufnahmeVO) verwiesen, wonach die Aufnahmekapazitäten und gegebenenfalls erforderlichen Auswahlverfahren durch den Schulträger zu regeln und die entsprechenden Verwaltungsvorschriften zu veröffentlichen seien. Diesen Anforderungen, die auch für Förderschulen Geltung beanspruchten, sei der Schulträger nicht nachgekommen. Der Antragsgegner habe zur Begründung seiner Entscheidung - erstmals mit der Antragserwiderung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - auf den Umstand abgehoben, dass sich der Wohnort der Antragstellerin zu 1. in der Nähe der Förderschule „(R.)“ befinde, und auf den allgemeinen Verteilungsschlüssel von 7 Kindern pro Klasse sowie eine Auskunft des Schulleiters der Förderschule „Am W.“ verwiesen, wonach die Schule zum Beginn des Schuljahres 2017/2018 bereits acht Schüler aufnehme und die Kapazität damit erschöpft sei. Mit diesen Erwägungen sei es dem Antragsgegner - so das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung weiter - nicht gelungen, die Ausschöpfung der Kapazität an der von den Antragstellern gewünschten Förderschule glaubhaft darzulegen. Im Übrigen hätte es in diesem Fall der Durchführung eines Auswahlverfahrens bedurft. Die planerische Entscheidung des Antragsgegners sowie die organisatorischen Belange des Schulträgers müssten daher hinter die persönlichen Interessen der Antragsteller zurücktreten.

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Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde macht der Antragsgegner im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht sei mit seiner Entscheidung vom Beschluss des Senats vom 29. September 2016 (3 M 165/16) abgewichen. Danach bestimme die Schulbehörde, welche Förderschule geeignet sei, wobei ein umfassender Begründungszwang nicht bestehe. Der Leiter der Förderschule „Am W.“ habe dem Antragsgegner in einem Telefonat vom 21. August 2017 mitgeteilt, dass in der ersten Klasse u.a. drei Kinder mit einzelpädagogischer Betreuung, ein blindes Kind und ein hörbehindertes Kind unterrichtet würden und es deshalb „pädagogisch nicht vertretbar“ sei, neun Kinder in dieser Klasse zu unterrichten.

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II. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 15. September 2017 geäußerten Auffassung der Antragsteller hat der Antragsgegner die Beschwerdefrist nicht versäumt. Da eine Zustellung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich von Amts wegen erfolgt, erstreckt sich die Verweisung gemäß § 56 Abs. 2 VwGO nicht auf Untertitel 2 (§§ 191 bis 195 ZPO), der „Zustellungen auf Betreiben der Parteien“ zum Gegenstand hat (Schoch/Schneider/Bier/Meissner/Schenk, VwGO, § 56 Rn. 6-7, beck-online; ebenso Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 56 Rn. 5).

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Allerdings geben die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner im Ergebnis zu Recht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zu 1. vorläufig in die erste Klasse der Förderschule „Am W.“ in A-Stadt aufzunehmen.

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Grundsätzlich steht Eltern aus Art. 6 GG das Recht zu, über den schulischen Bildungsweg ihres Kindes im Rahmen der Grenzen der Schulorganisation und -aufsicht entsprechend Art. 7 GG zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70, 1 BvR 95/71 -, juris). Entsprechendes regeln Art. 26 Abs. 3 Verf LSA und § 34 Abs. 1 Satz 1 SchulG LSA, nach dem die Erziehungsberechtigten im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen, die zur Verfügung stehen, haben. Ein Wahlrecht im Hinblick auf eine bestimmte Schule besteht hingegen nicht. Die Festlegung der zu besuchenden Schule richtet sich vielmehr nach den Regelungen zur Schulpflicht, §§ 36 f. SchulG LSA. Danach haben Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf - wie das Kind der Antragsteller - eine für sie geeignete Förderschule zu besuchen, wenn die entsprechende Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erfolgen kann, § 39 Abs. 1 SchulG LSA, oder wenn die Personensorgeberechtigten diese Schulform wählen, § 10 Abs. 1 Satz 1 SoPädFV ST 2013. Welche Förderschule geeignet ist, bestimmt die Schulbehörde, § 39 Abs. 2 SchulG LSA.

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Da für Förderschulen keine Schulbezirke festzulegen sind, § 41 Abs. 1 SchulG LSA, und die Wohnsitzgemeinde der Antragsteller auf die Festlegung von Schuleinzugsbereichen für die von ihr unterhaltenen Förderschulen verzichtet hat, § 41 Abs. 2 Satz 1 SchulG LSA, kann jede Förderschule auf dem Gebiet des Schulträgers, in dem das Kind wohnt, als geeignete Schule angesehen werden, § 41 Abs. 1a Satz 2 SchulG LSA. Die Aufnahme in die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung erfolgt, um den Schülerinnen und Schülern eine größtmögliche Selbständigkeit für eine aktive Lebensbewältigung zu ermöglichen. Ein strukturierter Unterrichtsalltag, der Einsatz spezifischer Lehr- und Lernmittel, individuelle Förder- und Entwicklungspläne tragen dazu bei, den Bildungs- und Erziehungsprozess der mit Ganztagsangeboten arbeitenden Einrichtung zu unterstützen. Es gelten die Lehrpläne für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Zugleich sind die individuellen Bedürfnisse und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen, § 10 Abs. 7 SoPädFV ST 2013.Lehrkräfte und Personensorgeberechtigte von Schülerinnen und Schülern, bei denen Formen des Autismus diagnostiziert wurden oder die nicht sprechend sind, werden durch beauftragte Lehrkräfte beraten und bei diagnostischen Prozessen unterstützt (§ 12 Satz 1 SoPädFV ST 2013)

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Gelangt der Antragsgegner zu der vorliegend nicht streitigen Feststellung, dass eine Beschulung in einer anderen Schulform den Erfordernissen des Kindes nicht gerecht wird, muss er im Rahmen des § 39 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SchulG LSA (ferner) entscheiden, welche Förderschule für das Kind geeignet ist. § 39 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SchulG LSA enthält insoweit lediglich die allgemeine Aussage, dass die Schulbehörde nach Anhörung der Erziehungsberechtigten „bestimmt“, welche Förderschule die Schülerin oder der Schüler besuchen soll. Die Regelung enthält für den Fall einer das Angebot übersteigenden Zahl von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf indes weder Vorgaben für die zu treffende Auswahlentscheidung noch für das Verfahren zur Vergabe der vorhandenen Schulplätze. Lediglich § 41 Abs. 2a SchulG LSA nimmt die Möglichkeit bestehender Kapazitätsengpässe in den Blick und bestimmt, dass Schulträger, die keine Schulbezirke nach Absatz 1a oder keine Schuleinzugsbereiche nach Absatz 2 festlegen, mit Zustimmung der Schulbehörde für die einzelnen allgemeinbildenden Schulen Kapazitätsgrenzen festlegen können. Daneben wird die oberste Schulbehörde ermächtigt, durch Verordnung „die Festlegung und das Verfahren gemäß Absatz 2a [...]“ (§ 41 Abs. 6 Nr. 1 SchulG) und „die Aufnahme [...] in die Förderschule“ zu regeln (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 SchulG LSA). Inhalt und Ausmaß der Verordnungsermächtigung ergeben sich hierbei aus dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule (§ 1 SchulG LSA ) und der Pflicht, die Entwicklung der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers ebenso wie die Entwicklung aller Schülerinnen und Schüler zu fördern (§ 35 Abs. 2 SchulG LSA).

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Von dieser Ermächtigung hat das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit der AufnahmeVO Gebrauch gemacht und Regelungen zum Auswahlverfahren einschließlich der Festlegung von Kapazitätsgrenzen geschaffen. So können gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der AufnahmeVO die Schulträger mit Zustimmung des Landesverwaltungsamtes für allgemeinbildende Schulen eine Aufnahmekapazität bestimmen, wenn für sie keine Schulbezirke oder Schuleinzugsbereiche festgelegt sind. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufnahmeVO kann die Aufnahme in eine bestimmte Schule vom Schulträger abgelehnt werden, wenn deren Aufnahmekapazität erschöpft ist. Darüber hinaus hält die AufnahmeVO weitere Regelungen betreffend das Auswahlverfahren vor.

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Es mag dahinstehen, welche Rechtswirkung die Ablehnung der Aufnahme eines Kindes in einer Förderschule durch den Schulträger für die vom Antragsgegner zu treffende Entscheidung hat. Ebenso mag unentschieden bleiben, ob die das Auswahlverfahren bei Kapazitätsengpässen regelnden Bestimmungen der AufnahmeVO auch für Förderschulen Geltung beanspruchen. Hiergegen könnten unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Regelungen die Besonderheiten sprechen, die mit einer Beschulung von Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf einhergehen. In jedem Fall richten sich die in § 41 SchulG LSA und § 4 AufnahmeVO enthaltenen Regelungen zur Festlegung der Kapazitäten und Durchführung von Auswahlverfahren allein an den jeweiligen Schulträger und nicht an den Antragsgegner. Letzterer bestimmt allein auf der Grundlage des § 39 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SchulG LSA, welche Förderschule die Schülerin oder der Schüler besuchen soll.

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Soweit danach mehrere hinreichend geeignete Förderschulen in Betracht kommen, entscheidet die Schulbehörde zwar ohne Bindung an etwaige Schuleinzugsbereiche und ggf. auch „grenzüberschreitend“ (hierzu Beschluss des Senats vom heutigen Tage, Az.: 3 M 246/17) nach Ermessen darüber, welche Förderschule ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf konkret zu besuchen hat.

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Bei der Ausübung des dem Antragsgegner insoweit eröffneten Auswahlermessens hat er sachgerechte Kriterien zu wählen, die - wenn sie an personenbezogene Merkmale des Schülers anknüpfen - sich nach Art und Gewicht für eine Differenzierung eignen oder - wenn sie an Sachverhalte anknüpfen - sich sachlich zumindest rechtfertigen lassen. Der Antragsgegner kann dabei grundsätzlich unter verschiedenen sachgerechten Kriterien wählen und sich für ein oder mehrere Kriterien entscheiden. Er kann vorrangige und nachrangige Kriterien bestimmen oder auch Kriterien kombinieren. Dabei müssen allerdings die einzelnen Kriterien, ihre Vor- oder Nachrangigkeit sowie bei einer Kombination die Gewichtung der einzelnen Kriterien klar und nachvollziehbar festgelegt werden (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 8. Dezember 2008 - 2 B 316/08 -, juris, m. w. N.; OVG LSA, Beschluss vom 10. Mai 2010 - 3 M 307/10 -, juris).

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Im Übrigen ist er bei dieser Entscheidung gehalten, sowohl das Recht des Schülers auf eine seinen Anlagen und Fähigkeiten möglichst angemessene schulische Ausbildung aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 25 Abs. 1 Verf LSA und das Recht seiner Eltern auf grundsätzlich freie Wahl des Bildungsweges für ihr Kind aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 26 Abs. 3 Verf LSA als auch die sich ggf. aus dem Verbot der Benachteiligung Behinderter nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. auch Art. 38 Verf LSA) ergebenden zusätzlichen Anforderungen zu beachten. Ist bei dem Schüler eine Behinderung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gegeben und wünschen er oder seine Erziehungsberechtigten eine andere als die vom Antragsgegner beabsichtigte Beschulung, muss sich dieser im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung mit diesen entgegenstehenden Wünschen auseinandersetzen und nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er diese Wünsche nicht berücksichtigen kann (zu den sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ergebenden Anforderungen an die Begründung der schulbehördlichen Überweisungsverfügung siehe auch BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, juris).

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Daneben hat der Antragsgegner bei seiner Entscheidung ggf. das nach § 41 Abs. 2 Satz 1 SchulG LSA erlassene Satzungsrecht zur Festlegung von Schuleinzugsbereichen, sonstige schulorganisatorische Entscheidungen des Schulträgers (z.B. die Festlegung von Kapazitätsgrenzen) und bei „grenzüberschreitenden Zuweisungsentscheidungen“ zudem das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nach Art. 28 Abs. 2 GG in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen (zu dem letzten Punkt siehe Beschluss des Senats vom 5. Februar 2015 - 3 M 473/14 -, juris). Der subjektive Anspruch des betroffenen Kindes und seiner Erziehungsberechtigten erstreckt sich dabei nicht auf die aus ihrer individuellen Sicht (theoretisch) bestmögliche Schulorganisation, sondern darauf, dass die Schulbehörde eine ermessensfehlerfrei Entscheidung trifft, die den individuellen Belangen des betroffenen Kindes und den Wünschen seiner Erziehungsberechtigten auf der Grundlage der organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten (auch in der Begründung der Entscheidung) im notwendigen Umfang angemessen Rechnung trägt (ebenso zu vergleichbaren Regelungen im niedersächsischen Landesrecht bereits VG Hannover, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 6 B 2994/03 -, juris, sowie VG Braunschweig, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 6 B 506/05 -, Rn. 22 m.w.N.).

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Die Entscheidung des Senats vom 29. September 2016 (Az.: 3 M 165/16) steht dem nicht entgegen. Die Frage, in welchem Umfang der Antragsgegner eine auf der Grundlage des § 39 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SchulG LSA getroffene Entscheidung zu begründen hat, entzieht sich einer schematischen Betrachtung. Sie hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles und insbesondere vom Vortrag der Erziehungsberechtigten des betroffenen Kindes ab. Entsprechend hat der Senat in dem Beschluss vom 29. September 2016 auch auf den Inhalt seiner Entscheidung vom 25. November 2013 (- 3 M 337/13 -, juris) verwiesen, die u.a. die bereits zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 1997 (a.a.O.) in Bezug nimmt.

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Nach diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die angegriffene Entscheidung des Antragsgegners jedenfalls deshalb als fehlerhaft anzusehen ist, weil nicht hinreichend dargelegt ist, dass die Aufnahme der Antragstellerin zu 1. an der Förderschule „Am W.“ an einer Kapazitätserschöpfung scheitert. Beruft sich der Antragsgegner - wie hier - hinsichtlich der von den Erziehungsberechtigten gewünschten Schule auf eine Erschöpfung der Aufnahmekapazitäten, muss er die ggf. festgesetzten Kapazitätsgrenzen und eine Kapazitätserschöpfung plausibel machen, um so eine gerichtliche Überprüfung der vollständigen Kapazitätsausschöpfung möglich zu machen (hierzu bereits OVG LSA, Beschluss vom 23. August 2013 - 3 M 268/13 -, juris).

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Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dem Antragsgegner sei dieser Nachweis nicht gelungen. Es hat insbesondere die fernmündlich erteilte Auskunft des Leiters der Förderschule „Am W.“ für eine Glaubhaftmachung der behaupteten Kapazitätserschöpfung nicht genügen lassen. Diesen (nachvollziehbaren) Ausführungen des Verwaltungsgerichts vermochte der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren nichts Substantiiertes entgegenzusetzen. Der alleinige Hinweis darauf, der Leiter der Förderschule „Am W.“ habe in einem - allerdings nicht dokumentierten - Telefonat vom 21. August 2017 mitgeteilt, dass in der ersten Klasse u.a. drei Kinder mit einzelpädagogischer Betreuung, ein blindes Kind und ein hörbehindertes Kind unterrichtet würden und es deshalb „pädagogisch nicht vertretbar“ sei, neun Kinder in dieser Klasse zu unterrichten, genügt hierfür nicht. Es ist nicht ersichtlich, welcher Betreuungsaufwand hinsichtlich der übrigen im Klassenverband befindlichen Kinder erforderlich ist und aus welchen konkreten Gründen die Aufnahme der Antragstellerin zu 1. in pädagogischer Hinsicht mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden sein soll.

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Feste Kapazitätsgrenzen existieren außerhalb einer Festsetzung nach § 41 Abs. 2a SchulG LSA im Übrigen nicht. Vielmehr kann der an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zur Bildung von Klassen und Lerngruppen vorgesehene „Schülerschlüssel“ von sieben Schülern pro Klasse sowohl unter- als auch überschritten werden (vgl. Ziffer 2.2.3 des Erlasses des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. April 2015 zur Unterrichtsorganisation für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung an Förderschulen, SVBl. LSA. 2015, 86).

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Soweit der Antragsgegner daneben auf seinen Vortrag verweist, der Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 29. September 2016 (Az.: 3 M 165/16) gewesen ist, wonach „die Aufsicht in und außerhalb der Schule bei neun Kindern und zwei Pädagoginnen nicht mehr zu gewährleisten sei“, vermag er sich hierauf im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg zu berufen. Denn der diesbezügliche Vortrag betraf die Situation der ersten Klasse der Förderschule „(H. K.)“ des Schuljahres 2016/2017. Dass und aus welchen Gründen Gleiches für die hier in Rede stehende Förderschule zu gelten hat, wurde durch den Antragsgegner nicht nachvollziehbar dargelegt.

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Der Antragsgegner hat das ihm zustehende Auswahlermessen im Übrigen auch deshalb fehlerhaft ausgeübt, weil er ausweislich der Begründung seines Bescheides vom 30. Mai 2017 bei seiner Entscheidung fälschlich davon ausgegangen ist, dass die Zuweisung zur Förderschule für geistige Entwicklung „(R.)“ dem Wunsch der Eltern des Kindes entsprochen habe. Damit hat er seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Begründung der angegriffenen Zuweisungsentscheidung im Laufe des Verfahrens gemäß §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG LSA grundsätzlich noch nachgeholt werden kann, sind die Grenzen der Zulässigkeit eines Nachschiebens von Gründen nach § 114 Satz 2 VwGO zu beachten. Danach können Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nur ergänzt und nicht - wie hier - vollständig ausgetauscht werden.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, wobei der Senat eine Reduzierung des Streitwertes für das vorläufige Rechtsschutzverfahren im Hinblick auf die faktische Vorwegnahme der Hauptsache nicht als angemessen erachtet.

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IV. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf den §§ 166 VwGO, 114, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

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V. Der Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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Gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann die Staatskasse gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO, 146 Abs. 1 VwGO Beschwerde einlegen.


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