Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 K 127/15
Tatbestand
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Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt.
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Der Kormoran (Phalacrocorax carbo) ist eine Vogelart, die man in Europa sowohl an Meeresküsten als auch an Binnengewässern findet. Im Binnenland bevorzugen die Kormorane meist großflächige Gewässer, fliegen zur Jagd aber auch in kleinere Flüsse der Mittelgebirge ein. Kormorane sind Teilzieher, die nach der Brutsaison mehr oder weniger weite Zerstreuungswanderungen unternehmen. Vor allem Kormorane der kalt-gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel ziehen im Winter oft hunderte Kilometer südwärts. Kormorane ernähren sich ausschließlich von Fischen, bei einem täglichen Nahrungsbedarf von ca. 400-600 g Fisch. Kormorane sind "Nahrungsopportunisten", d.h. sie haben keine Präferenz für bestimmte Fischarten, sondern fressen jene Fische, die im jeweiligen Gewässer am leichtesten zu erbeuten sind. Am häufigsten werden Fische zwischen 10 und 25 cm Länge erbeutet, aber auch große Exemplare bis 60 cm und 1 kg Gewicht können bewältigt werden. Zur Jagd tauchen Kormorane von der Oberfläche geradlinig nach unten, die Beute wird dann aktiv verfolgt, mit dem Schnabel erbeutet und zur Oberfläche gebracht. Als ausgesprochene Kolonievögel fliegen Kormorane zur Jagd meist in größeren Trupps an die Gewässer ein. Gewöhnlich jagt dann jeder Vogel für sich, häufig jedoch auch in Gruppen von 25 bis zu mehreren hundert Vögeln, die die Fische zunächst einkreisen, mit dem Ergebnis, dass an einzelnen Gewässern in relativ kurzer Zeit ein hoher Prozentsatz des Fischbestandes heraus gefressen werden kann (vgl. das Arbeitsdokument des Fischereiausschusses des Europäischen Parlaments über die Erstellung eines Europäischen Bestandsmanagementplans für Kormorane vom 27.06.2008, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-409.406+02+DOC+PDF+V0//DE&language=DE).
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In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre befand sich der Brutbestand des Kormorans in Mitteleuropa und im Ostseeraum aufgrund menschlicher Verfolgung auf einem niedrigen Niveau von wenigen tausend Exemplaren. Aufgrund des geringen Bestandes und der Konzentration an wenigen Brutplätzen wurde der Kormoran zunächst in einzelnen Ländern und dann im Jahr 1979 durch die Vogelschutzrichtlinie vom 02.04.1979 (79/409/EG) unter Schutz gestellt. Hiernach wuchsen die Bestände europaweit rasch an. Im Jahr 1997 wurde der Kormoran durch die Richtlinie 97/49/EG aus Anhang I der Vogelschutzrichtlinie herausgenommen, da er einen günstigen Erhaltungszustand erreicht hatte. Die Größe der Brutpopulation des Kormorans in der Westpaläarktis wird für das Jahr 2012 auf 406.000 bis 421.000 Brutpaare geschätzt. Etwa 42.500 Brutpaare zählen zur atlantischen Subspezies Phalacrocorax carbo carbo und etwa 371.000 Brutpaare zur kontinentalen Subspezies Phalacrocorax carbo sinensis. Auf dem Gebiet der EU-Mitgliedstaaten wurden 214.800 Brutpaare der kontinentalen Subspezies erfasst (vgl. BT-Drs. 18/11360, S. 3).
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In Deutschland entwickelte sich die Kormoranpopulation von 794 Brutpaaren im Jahr 1980 auf 15.072 Brutpaare im Jahr 1995, um dann für einige Jahre konstant zu bleiben. Ab 1999 erfolgte ein erneuter Anstieg auf 20.264 Paare im Jahr 2001; in den Folgejahren wurden 20.023 Paare (2002), 20.915 Paare (2003), 23.124 Paare (2004) und 23.528 Paare (2005) registriert. Seither hat sich der Brutbestand bei Werten unter 25.000 Brutpaaren eingependelt (vgl. BT-Drs. 17/980, S. 2). Der Brutbestand im Jahr 2015 betrug 24.639 Paare. Geht man davon aus, dass sich die Gesamtzahl der Kormorane aus der Anzahl der Brutpaare x 5 errechnet, lebten deutschlandweit im Jahr 2015 insgesamt 123.195 Kormorane. Die Brutbestandsentwicklung des Kormorans in Deutschland von 1977 bis 2015 ist auf folgender Abbildung dargestellt (Quelle: Kormoranbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016):
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Der Kormoran ist eine Vogelart, die stark polarisiert. Aufgrund der Konkurrenzsituation um die Ressource Fisch werden von Fischereivertretern und Sportanglern seit Jahren deutliche Eingriffe in die europäischen Kormoranbestände gefordert und vielerorts auch im Rahmen von Kormoranverordnungen oder auf der Grundlage von Einzelgenehmigungen durchgeführt. Diese umfassen sowohl (Vergrämungs-)Abschüsse sowie Eingriffe in das Brutgeschehen. Derzeit werden in Deutschland jährlich etwa 25.000 Kormorane geschossen (vgl. BT-Drs. 18/2979, S. 4).
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Am 15.02.2012 fand im Ausschuss für Umwelt des Landtags von Sachsen-Anhalt eine Anhörung zum Thema Kormoranpopulationen in Sachsen-Anhalt statt. Im Nachgang zu dieser Anhörung wurde die zuständige Fachabteilung des damaligen Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt mit der Erarbeitung einer Kormoranverordnung beauftragt.
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Der Antragsteller ist eine anerkannte Naturschutzvereinigung im Land Sachsen-Anhalt. Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehört u.a. die Förderung des Natur- und Artenschutzes. Mit Schreiben vom 12.06.2013 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller den Entwurf der Kormoranverordnung nebst Begründung mit Stand vom 30.05.2013 zur Kenntnis. Zugleich lud er den Antragsteller zu einem Gespräch am 01.07.2013 in das Dienstgebäude des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt ein. Im Nachgang zu diesem Gespräch erklärte der Antragsteller in einer Stellungnahme vom 30.07.2013, dass er den Entwurf der Kormoranverordnung ablehne. Die einseitige Ausrichtung der Kormoranverordnung zugunsten einer ungesteuerten Dezimierung der Art sei unverantwortlich. Er kritisierte unter anderem den fehlenden Vorrang nichtletaler Vergrämung, die (nicht ausreichenden) Beschränkungen der Ausnahme vom Tötungsverbot sowie die (zu weitgehende) Erlaubnis zur Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien. Die Kormoranverordnung dürfe nicht für das ganze Land gelten, sondern sei auf fischökologisch sensible Bereiche zu beschränken. Die Notwendigkeit einer Kormoranverordnung sei nicht bewiesen. Insbesondere lasse sich die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt der Fischfauna an vielen Flüssen nicht dem Kormoran anlasten. Die Kormoranverordnung werde auch keinen besseren Vergrämungseffekt an den natürlichen Gewässern der Berufs- und Angelfischerei bewirken. Im Gegenteil werde es wie in anderen Bundesländern zu einer flächigen Verteilung der Kormorane und erhöhtem Nahrungsbedarf kommen. Der mit der Kormoranverordnung bezweckte Schutz der Berufsfischer im Gebiet der mittleren Elbe und der unteren Havel sei durch die Kormoranverordnung nicht möglich, da die Kormorane sich hier fast ausschließlich in NATURA-2000- bzw. Europäischen Vogelschutzgebieten aufhielten. Insoweit seien Ausnahmeregelungen zur Herstellung der Effizienz der Kormoranverordnung unabdingbar. Bei der Beurteilung des Einflusses des Kormorans auf die Fischbestände würden andere Einflussfaktoren vernachlässigt, etwa die Angelsportfischerei oder der Gewässerzustand. Es fehle eine Begrenzung auf wichtige Fischhabitate, in denen der Kormoran als Einflussfaktor eine größere Rolle spiele. Auch sei die Geltung der Kormoranverordnung zeitlich zu beschränken. Darüber hinaus sei regelmäßig durch unabhängige Gutachter zu überprüfen, ob die Verordnung ihrer Zielstellung gerecht werde. Eine Bestandsgröße im Sinne einer im Land zu erhaltenden Brutpaar- und Rastbestandszahl, ab der die Verordnung nicht mehr anzuwenden ist, existiere nicht. Insoweit sei das Ziel der Kormoranverordnung gefährlich nebulös. Die Zulassung von Vergrämungsabschüssen von immatur gefärbten, nicht am Brutgeschäft beteiligten Kormoranen auch zur Brutzeit führe zu Auswirkungen auf andere streng geschützte Arten, sei nicht kontrollierbar und aufgrund der oft schwierigen Einschätzung des Individuenalters auch vom Jagdausübungsberechtigten nicht fehlerfrei durchführbar.
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Nachfolgend wertete das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt die eingegangenen Stellungnahmen aus. Berücksichtigung fand hierbei u.a. eine Stellungnahme des Instituts für Binnenfischerei e.V. Potsdam-Sacrow vom 02.07.2013 sowie eine sehr kritische Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz vom 23.07.2013. Im Ergebnis der Auswertung wurde der Verordnungsentwurf überarbeitet.
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Am 26.08.2014 wurde die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) von der Landesregierung in der Fassung der Kabinettsvorlage des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 19.08.2014 mit der Maßgabe beschlossen, dass folgende Präambel vorweg gestellt wird:
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"Diese Verordnung dient dem Schutz der natürlichen Fischfauna und der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden durch Kormorane (Phalacrocorax carbo). Zu diesem Zweck dürfen die dazu berechtigten Personen Kormorane in bestimmten Bereichen bejagen und die Entstehung neuer Brutkolonien verhindern. Durch diese Maßnahmen sollen Kormorane bei drohenden Schäden aus diesen Bereichen vergrämt werden."
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Gemäß einem Vermerk des Referats 14 des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 28.08.2014 wurde der Beschluss der Landesregierung so interpretiert, dass der Text der Präambel dem Regelungstext der Verordnung vorangestellt werden soll. Die Einfügung des Textes in die oftmals als Präambel bezeichnete Eingangsformel könne nicht gemeint sein. Rechtssystematisch bedürfe der Text einer Bezeichnung mit § und Überschrift. Hier werde "§ 1 Zweck der Verordnung" empfohlen. Die übrige Paragrafennumerierung sei anzupassen. Entsprechend dieses Vermerks ließ das Ministerium für Justiz und Gleichstellung am 04.09.2014 einen Fahnenabzug der Kormoranverordnung anfertigen. Nachfolgend wurde die Kormoranverordnung am 15.09.2014 ausgefertigt und am 25.09.2014 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt veröffentlicht. Am 01.01.2015 trat sie in Kraft.
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Der in § 1 KorVO LSA geregelte Zweck der Kormoranverordnung entspricht der von der Landesregierung am 26.08.2014 beschlossenen Präambel. Gemäß § 2 Abs. 1 KorVO LSA wird gestattet, Kormorane nach Maßgabe des § 3 durch Abschuss zu töten. § 3 KorVO LSA enthält örtliche, sachliche und zeitliche Beschränkungen der Ausnahme vom Tötungsverbot. Nach § 3 Abs. 1 KorVO LSA ist die Tötung zulässig auf, über oder an Gewässern sowie bewirtschafteten Anlagen der Teichwirtschaft, Fischhaltung und Fischzucht und in einem Abstand von bis zu 300 m hierzu. Von der Gestattung ausgenommen sind nach § 3 Abs. 2 KorVO LSA u.a. Naturschutzgebiete, Kernzonen von Biosphärenreservaten, Naturdenkmale sowie Europäische Vogelschutzgebiete gemäß Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000. Gemäß § 3 Abs. 3 KorVO LSA ist der Abschuss grundsätzlich nur zulässig vom 16. August bis 15. März eines jeden Jahres in der Zeit eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang bis eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang. Gemäß § 3 Abs. 4 KorVO LSA dürfen im Zeitraum vom 16. März bis 15. August von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nur im Jungkleid befindliche (immatur gefärbte), nicht am Brutgeschäft beteiligte Kormorane getötet werden. Gemäß § 5 KorVO LSA dürfen die nach § 4 Abs. 1 berechtigten Personen durch geeignete Maßnahmen mit Zustimmung des Grundstückseigentümers die Entstehung neuer Brutkolonien des Kormorans verhindern. Dies gilt nicht im Zeitraum 16. März bis 15. August; § 3 Abs. 2 gilt entsprechend.
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In der Begründung der Kormoranverordnung wurde ausgeführt, mit dem infolge der Schutzmaßnahmen seit Anfang der 1980er Jahre zu beobachtenden rasanten Anstieg der Kormoranbestände in verschiedenen Teilen der EU sei der von ihm verursachte Fraßdruck auf die Fischbestände enorm angewachsen. Seit Jahren würden zunehmend vermehrte Schäden für die Fischerei und Aquakultur gemeldet sowie ein Rückgang der Artenvielfalt bei den Fischbeständen beklagt. Gegenwärtig seien Kormoranabwehrmaßnahmen zum Schutz der Fischbestände und –arten nur auf Länderebene möglich. Hierbei komme der Abwehr von Kormoranen während der Zugzeit im Winterhalbjahr besondere Bedeutung zu, da diese Vögel die größten Schäden verursachten. Darüber hinaus komme es auch darauf an, dass keine neuen Brutkolonien in fischökologisch sensiblen Bereichen zugelassen werden. Der Kormoran habe sich in den vergangenen 30 Jahren auch in Sachsen-Anhalt stark ausgebreitet. Die Fischbestände der durch ihn beflogenen Gewässer unterlägen einem erheblichen Fraßdruck mit entsprechenden Auswirkungen auf die heimischen Fischbestände und teilweise deutlichen Folgen für die Berufsfischerei. Über diese Auswirkungen seien im In- und Ausland und seit über zehn Jahren auch im Land Sachsen-Anhalt zahlreiche Untersuchungen durchgeführt worden. Aufgrund der angewachsenen Anzahl und der hohen Mobilität der Kormorane, seiner Ausbreitung bis in die Oberlaufgebiete der Flusssysteme und seiner zunehmenden Sommer- und Winterpräsenz seien inzwischen in vielen Gewässern des Landes Schäden an Fischbeständen festzustellen. Die bisherigen Möglichkeiten zur Kormoranvergrämung auf der Basis der Einzelfallregelung seien in Anbetracht der enormen Zunahme der Kormoranpräsenz an den Gewässern Sachsen-Anhalts nicht wirksam. Lediglich bei den Teichwirtschaftsbetrieben mit künstlich zur Fischzucht angelegten Gewässern sei ein zufriedenstellender Vergrämungserfolg infolge der bisherigen Einzelfallgenehmigungen zu verzeichnen. Eine Rechtsverordnung zur Abwehr von Kormoranschäden könne einen besseren Vergrämungseffekt an den Gewässern bewirken. Der zunehmende Einfluss des Kormorans auf die Fischbestände in Sachsen-Anhalt werde durch den Rückgang der Fänge der Angelfischerei sowie der Fluss- und Seenfischerei (Berufs- und Nebenfischerei) belegt. Die Dringlichkeit einer regulierenden Einflussnahme auf Kormorane in Sachsen-Anhalt mit Blick auf den Fischartenschutz zeige insbesondere eine Untersuchung des Büros für Gewässerökologie und Fischereibiologie Dr. Ebel in Halle zur Bestandssituation und Bestandsentwicklung von Fischarten in ausgewählten Gewässern Sachsen-Anhalts für den Zeitraum 2000 bis 2011. Die darin dargelegten Befunde indizierten die Folgen der gegenwärtigen Kormoranpräsenz für Fischbestände in der Kulturlandschaft. Vor diesem Hintergrund seien die bisherigen Einzelfallgenehmigungen in Sachsen-Anhalt nicht ausreichend, um durch Kormorane verursachte Schädigungen der Fischbestände wirkungsvoll zu begrenzen. Die Verordnung der Landesregierung solle zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt und zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden durch Kormorane die nötigen Handlungsoptionen eröffnen, die bei Bedarf zur Anwendung kämen. Der wesentliche Unterschied einer Verordnung gegenüber der bisher praktizierten Einzelfallregelung bestehe darin, dass zukünftig auf die Beschränkung der Vergrämungsmaßnahmen auf bestimmte Teichwirtschaften und Gewässerstrecken verzichtet werden solle. Auf dieser Grundlage könne auf Kormoraneinflüge an Gewässern deutlich rascher und unmittelbarer als bisher reagiert werden. Kormorantrupps seien umso schwieriger zu vergrämen, je länger sie sich an einem Gewässer aufhielten. Die Möglichkeit zu einer schnellen Reaktion trage daher dazu bei, sowohl den Schutz der Fischbestände erheblich zu verbessern als auch die Vergrämung mit wenig Aufwand und geringeren Störungen für andere Arten durchzuführen. Mit einer Verordnung könnten auch die in Abhängigkeit von den Witterungsbedingungen jährlich schwankenden Verteilungsmuster des Kormoranbestandes besser berücksichtigt werden. Eine Beibehaltung der Einzelfallregelung hätte den Nachteil, dass auf die durch den Kormoran in Sachsen-Anhalt verursachten negativen Auswirkungen auf seltene Fischarten und heimische Fischbestände nicht mehr angemessen reagiert werden könnte. Der Verzicht auf die Beschränkung von Vergrämungsabschüssen nur an bestimmten Gewässern sei von erheblichem Vorteil, da sehr viel rascher und unmittelbarer auf in Gewässer einfliegende Kormorane reagiert werden könne.
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Am 03.09.2015 hat der Antragsteller einen Antrag auf Normenkontrolle gestellt.
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Mit Beschluss vom 23.03.2017 hat der Senat festgestellt, dass der Normenkontrollantrag des Antragstellers zulässig ist. Der Beschluss ist rechtskräftig.
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Der Antragsteller macht geltend, der Zweck der Kormoranverordnung könne durch die zugelassenen Ausnahmen vom Tötungsverbot nicht erreicht werden. Die Abschüsse allein hätten keinen messbaren Effekt auf die Fischfauna, da sie nicht zu einer Bestandsreduzierung der Kormorane führten. Erforderlich sei vielmehr die Einbindung der Kormoranabschüsse in ein Bündel gleichzeitig und geplant stattfindender Maßnahmen. Die Kormoranverordnung gehe auch deshalb ins Leere, weil große Abschnitte der für den Kormoran besonders geeigneten Gebiete innerhalb von Schutzgebieten lägen, in denen er nicht abgeschossen werden dürfe. Auch gebe es keine Beschränkung der Abschüsse auf Gewässer, die im Hinblick auf die Situation der Fischbestände besonders schutzwürdig seien. Der Abschuss von Kormoranen sei vielmehr jederzeit und überall möglich. Ob eine Vergrämung der Kormorane von besonders schutzwürdigen Gewässern erfolge, hänge allein vom Zufall ab. Die zugelassenen Abschüsse brächten allenfalls kurzfristige Effekte. Es könne sein, dass Kormorane von Stellen vergrämt würden, an denen sie keine größeren Schäden anrichten würden. Daher müssten die besonders schutzwürdigen Gewässerabschnitte definiert und die Abschüsse auf diese Abschnitte beschränkt werden. Auch Abschüsse über Teichanlagen seien nicht gerechtfertigt, da hier eine wirksame nicht-letale Vergrämung möglich sei. Zudem sei der Ursachenzusammenhang zwischen der Zunahme des Kormoranbestandes und der Reduzierung des Fischbestandes nicht nachgewiesen. Die Zahlen über die Bestandsentwicklung des Kormorans und die Ertragsentwicklung der Fluss- und Seenfischerei sowie der Angelfischerei korrelierten nicht miteinander. Für den Rückgang der Äsche gebe es mehrere Ursachen. Für die Annahme, der Kormoran sei die alleinige oder jedenfalls die Hauptursache für den Fischrückgang, gebe es keine ausreichende Datengrundlage. Der Kormoran sei nur eine von mehreren Ursachen, auch für den Ertragsrückgang der Fischerei. Es habe auch keine ausreichende Prüfung von anderen, nicht-letalen Vergrämungsmethoden stattgefunden. In Betracht komme insbesondere eine akustische Vergrämung mit dem Gerät "Seeadler K1". Durch den Abschuss von Kormoranen in Brutkolonien und Schlafgemeinschaften, mit bleifreiem Schrot, in der Zeit eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang bis eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang, durch Maßnahmen gegen neue Brutkolonien und die Tötung von immatur gefärbten Kormoranen während der Brut würden andere Verbotstatbestände verwirklicht, von denen die Kormoranverordnung keine Ausnahme zulasse. Auch verstoße die Kormoranverordnung gegen das tierschutzrechtliche Verbot des § 1 Satz 2 TierSchG, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, indem sie den Abschuss von Kormoranen auch an Gewässern zulasse, an denen dies nicht erforderlich sei. Mit dem Abschuss der Kormorane seien zudem Verstöße gegen Schutzgebietsvorschriften zugunsten von Biosphärenreservaten, des Nationalparks Harz, Europäischen Vogelschutzgebieten und FFH-Gebieten verbunden. Der Kormoranverordnung liege keine ausreichende Tatsachenfeststellung zugrunde. Es fehle insbesondere eine ausreichende Erfassung der Bestände der Äschen und Kormorane an den von Dr. Ebel untersuchten Gewässerabschnitten. Schließlich sei auch sein Mitwirkungsrecht gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG verletzt worden, da ihm in einschlägige Sachverständigengutachten keine Einsicht gewährt worden sei. Dies betreffe u.a. die in dem Aufsatz von Dr. Ebel genannten Untersuchungen, Gutachten und Quellen, die in dem Vermerk vom 27.06.2013 zur Vorbereitung der Gesprächsrunde vom 01.07.2013 genannten Anlagen sowie die danach eingegangenen Stellungnahmen des Instituts für Binnenfischerei vom 02.07.2013 und des Landesamtes für Umweltschutz vom 23.07.2013. Bereits die Verletzung seines Mitwirkungsrechts führe zur Rechtswidrigkeit der Kormoranverordnung. § 46 VwVfG sei bei dem Erlass einer Norm nicht anwendbar.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) vom 15.09.2014 für unwirksam zu erklären.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er trägt vor, die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG lägen vor. Die Kormoranverordnung diene der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden. In Sachsen-Anhalt gebe es im Bereich der Fluss- und Seenfischerei noch 13 Haupterwerbsbetriebe, deren Erträge unter dem Einfluss des Kormoranbeflugs drastisch zurückgegangen seien. Die Erträge der Angelfischerei seien ebenfalls gesunken. Auch im Bereich der Teichwirtschaft (Forellen- und Karpfenzucht) seien die Ertragseinbußen unter dem Einfluss des Kormorans erheblich. Selbst die Fischbestände der größten berufsfischereilich genutzten Gewässer in Sachsen-Anhalt reagierten mit Bestandsrückgängen auf den Kormoranbeflug. Es komme nicht darauf an, ob für sämtliche im Geltungsbereich der Verordnung liegende Fischereibetriebe Schadensnachweise vorlägen. Es reiche aus, wenn es zu einer Beeinträchtigung oder Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage einzelner Betriebe komme. Die dargelegten Schäden seien auch erheblich. Die Schäden erreichten eine die Berufsfischerei gefährdende Höhe und könnten damit das Eigentum an den Fischen im Bereich der Teichwirtschaft und das eigentumsrechtlich geschützte Recht am Gewerbebetrieb im Bereich der Fluss- und Seenfischerei verletzen. Bei zahlreichen Betrieben erreichten die Schäden in Relation zur Höhe ihrer Gesamteinnahmen eine Größenordnung, die den Gewinn unter die Rentabilitätsschwelle drücke und damit zur Betriebsaufgabe zwingen könne. Die erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden seien auch kausal auf den Einfluss des Kormorans zurückzuführen. Die Kormoranverordnung diene darüber hinaus gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG dem Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt. Der Kormoran habe sich in den vergangenen Jahren in Sachsen-Anhalt stark ausgebreitet. Die Fischbestände der durch ihn beflogenen Gewässer unterlägen einem erheblichen Fraßdruck. Bei intensivem Kormoraneinflug komme es zusätzlich zur direkten Fischentnahme häufig auch zu Defiziten bei den fortpflanzungsfähigen Fischen und damit zu einem Rückgang der Bestandsdichte. Bei anhaltender Entnahme steige das Risiko eines Bestandsrückgangs bis unter die zur Populationserhaltung notwendige Dichte, was den Zusammenbruch einzelner Populationen auslösen könne. Derartige Folgen seien insbesondere für größere Teile der gefährdeten Äschenbestände gegeben. Ähnliche Entwicklungen seien auch bei den gefährdeten Fischarten Barbe und Nase zu beobachten. Die Gefährdung der Fischfauna stehe in kausalem Zusammenhang mit dem Kormoranbestand. Der mit der Verordnung legitimierte Abschuss von Kormoranen sowie die Maßnahmen zur Verhinderung neuer Brutkolonien seien auch zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlichen Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt geeignet. Zwar werde die Gesamtzahl der Kormorane durch die zugelassenen Vergrämungsabschüsse nur marginal beeinflusst. Das sei jedoch auch nicht das Ziel der Kormoranverordnung. Deren Ziel sei es vielmehr, die Kormorane durch Vergrämungsabschüsse von Gewässern mit wertvollen Fischbeständen wegzulenken, um damit Fischereischäden zu reduzieren und bedrohte Fischarten zu schützen. Es seien auch keine zumutbaren Alternativen gegeben. Nicht-letale Vergrämungsmaßnahmen hätten sich als wirkungslos erwiesen. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Populationen des Kormorans sei nicht zu erwarten. Die nach der Kormoranverordnung legitimierten Maßnahmen hätten keine negativen Auswirkungen auf andere besonders geschützte Arten. Dem Antragsteller sei auch hinreichend Gelegenheit zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten gegeben worden. Es bestehe kein Anspruch auf Übermittlung jeglicher Unterlagen, vielmehr sei es ausreichend, auf die Existenz einschlägiger Gutachten hinzuweisen. Zudem müssten sich die Verbände in angemessenem Umfang selbst um die einschlägigen Informationen bemühen. Der Antragsteller habe weder während des Anhörungsverfahrens noch danach um die Vorlage der fraglichen Sachverständigengutachten gebeten. Es sei folglich davon auszugehen, dass er anhand der übersandten Unterlagen vollständig informiert und in der Lage gewesen sei, eine Stellungnahme zum Verordnungsentwurf abzugeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
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I. Die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) vom 15.09.2014 ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist sie mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen vereinbar. Die fehlende Übereinstimmung zwischen dem beschlossenen und dem bekannt gemachten Normtext führt nicht zur Ungültigkeit der Rechtsverordnung.
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Zwar darf eine Rechtsnorm nicht mit einem anderen als dem vom Normgeber beschlossenen Inhalt veröffentlicht werden. Das Rechtsstaatsgebot verlangt die Identität der anzuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen. Die Identität des Norminhalts muss zweifelsfrei feststehen. Der bekannt gemachte Wortlaut darf nur ganz ausnahmsweise von dem Beschlossenen abweichen, ohne dass die zur Normsetzung berufene Körperschaft nochmals eingeschaltet wird. Der materielle Normgehalt darf auch in diesem Fall keinesfalls angetastet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2015 – BVerwG 8 CN 2.14 –, juris RdNr. 28).
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Gemessen daran ist die KorVO LSA nicht formell unwirksam. Zwar entspricht der im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt bekannt gemachte Normtext nicht dem von der Landesregierung am 26.08.2014 beschlossenen Verordnungstext, denn entgegen der Maßgabe des Beschlusses der Landesregierung wird der Zweck der Verordnung nicht in einer der Verordnung vorangestellten Präambel genannt, sondern in § 1 KorVO LSA. Dies hat zur Folge, dass sich die Regelungen der §§ 1-10 der von der Landesregierung beschlossenen Kabinettsvorlage in §§ 2-11 der bekannt gemachten KorVO LSA wiederfinden. Hierbei handelt es sich indessen nur um eine redaktionelle Änderung, während der bekanntgemachte Normtext inhaltlich nicht von dem von der Landesregierung Beschlossenen abweicht.
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II. Die KorVO LSA ist auch materiell rechtmäßig.
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Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 45 Abs. 7 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.09.2017 (BGBl. I S. 3434). Nach Satz 1 dieser Vorschrift können die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen u.a. zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden (Nr. 1) oder zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt (Nr. 2) zulassen. Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält (Satz 2). Artikel 16 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 2009/147/EG sind zu beachten (Satz 3). Die Landesregierungen können Ausnahmen auch allgemein durch Rechtsverordnung zulassen (Satz 4).
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Der zuständigen Behörde steht bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Erteilung einer Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zu. Soweit das Gesetz die Behörde bei der Prüfung artenschutzrechtlicher Bestimmungen auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis als Orientierungshilfe verweist und soweit ökologische Fragestellungen in weitem Umfang noch keine eindeutige, in den einschlägigen Fachkreisen allgemein anerkannten Antworten gefunden haben, kann dies nur als Ermächtigung verstanden werden, die artenschutzrechtliche Prüfung in Würdigung des jeweiligen naturschutzfachlichen Meinungsstandes eigenverantwortlich vorzunehmen. Damit hat der Gesetzgeber den zuständigen Behörden, soweit anerkannte naturschutzfachliche Maßstäbe fehlen, eine sachlich gerechtfertigte Einschätzungsprärogative eingeräumt, der mangels vollständig determinierter Handlungs- und Kontrollmaßstäbe eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle korrespondiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, juris RdNr. 14; Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, juris RdNr. 15 ff.). Das gilt auch für die Beurteilung der Voraussetzungen einer artenschutzrechtlichen Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG, soweit das Gesetz hierbei auf ökologische Fragestellungen verweist, für die sich in den einschlägigen Fachkreisen noch keine gesicherte Erkenntnislage gebildet hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – BVerwG 9 A 20.08 –, juris RdNr. 60; Urt. v. 06.11.2013 – BVerwG 9 A 14.12 –, juris RdNr. 130; OVG BBg, Beschl. v. 26.02.2015 – OVG 11 S 3.15 –, juris RdNr. 23; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, § 45 BNatSchG RdNr. 81). Das ist bei der Erteilung von Ausnahmen zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG der Fall. Insbesondere hat sich im Hinblick auf die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen dem Anwachsen der Kormoranpopulation und dem Rückgang der Fischereierträge bzw. der Fischbestände in natürlichen Gewässern sowie hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit von Abwehrmaßnahmen zur Vergrämung von Kormoranen in den einschlägigen Fachkreisen noch kein allgemein anerkannter Konsens eingestellt.
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Nach diesen Grundsätzen ist die Einschätzung des Antragsgegners, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG vorliegen, rechtlich nicht zu beanstanden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist dabei der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Normenkontrollantrag (vgl. HessVGH, Urt. v. 17.05.2002 – 7 N 4645/98 –, juris RdNr. 17; VGH BW, Urt. v. 12.09.2013 – 6 S 1172/13 –, juris RdNr. 24; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 47 RdNr. 137; v. Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 6. Aufl., § 47 RdNr. 109).
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1. Der Anwendungsbereich des § 45 Abs. 7 BNatSchG ist eröffnet. Die Tötung von Kormoranen ist gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG grundsätzlich untersagt. Nach dieser Vorschrift ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Kormoran ist eine besonders geschützte Art im Sinne dieser Vorschrift. Zu den besonders geschützten Arten gehören gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. b Doppelbuchst. bb BNatSchG die europäischen Vogelarten. Dies sind gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 12 BNatSchG in Europa natürlich vorkommende Vogelarten im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 20 vom 26.01.2010, S. 7) (Vogelschutzrichtlinie – VRL). Hierzu zählt auch der Kormoran (vgl. Czybulka/Fischer, Der Kormoran als geschützte Art, in: BfN (Hrsg.), Fachtagung Kormorane 2006, BfN-Skript 204, 2007, S. 15 ff.). Unerheblich ist, dass der Kormoran aus Anhang I der VRL gestrichen wurde. Sein Schutzstatus als europäische Vogelart im Sinne von Artikel 1 VRL blieb erhalten (vgl. Czybulka/Fischer, a.a.O., S. 16).
- 32
2. Die Kormoranverordnung dient der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden (§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG).
- 33
a) In Sachsen-Anhalt liegen erhebliche fischereiwirtschaftliche Schäden vor.
- 34
Ein erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schaden ist bei einem erheblich reduzierten fischereiwirtschaftlichen Ertrag gegeben (vgl. BT-Drs. 18/2979, S. 3). Maßgeblich ist, ob ein erheblicher Rückgang an verwertbaren Fischereierträgen zu verzeichnen ist. Dabei genügt es, wenn es zu einer Beeinträchtigung oder Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlagen einzelner Betriebe kommt (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 17.02.2009 – 3 K 805/08 –, juris RdNr. 29; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, § 45 BNatSchG RdNr. 20; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 45 RdNr. 14). Ein allgemeiner Schaden für die Fischereiwirtschaft insgesamt ist nicht (mehr) erforderlich (so aber noch OVG SH, Urt. v. 22.07.1993 – 1 L 321/91 –, NuR 1994, 97 <98>), da das in § 43 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG a.F. (zuvor in § 20g Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG a.F.) enthaltene – weitergehende – Erfordernis eines "gemeinwirtschaftlichen" Schadens durch das Erste Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2873) durch das Erfordernis eines "erheblichen wirtschaftlichen" Schadens ersetzt wurde.
- 35
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht sind bei der Bemessung des Schadens i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG auch wild lebende (herrenlose) Fische einzubeziehen (a.A. Ditscherlein, NuR 2006, 542 <543>; offen gelassen von OVG SH, Urt. v. 22.07.1993 – 1 L 321/91 –, a.a.O., S. 98). Würde man deren Rückgang bei der Prüfung eines Schadens i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG außer Betracht lassen, wäre die Berufsfischerei gegenüber Einflüssen des besonderen Artenschutzrechts des § 44 BNatSchG, insbesondere gegenüber der enormen Zunahme der Zahl der Kormorane, schutzlos gestellt. Das überzeugt nicht, denn Schutzgut des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG ist auch die Berufsfischerei auf Flüssen und Seen, die auf die natürlichen Fischbestände angewiesen sind (vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 14; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl., § 45 BNatSchG RdNr. 24).
- 36
Ohne Belang im Rahmen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sind indessen die Fangerträge der Angelfischerei. Ausnahmen nach dieser Vorschrift sind nur für die berufsmäßige Fischerei, nicht jedoch für die – hobbymäßige – Angelfischerei möglich (vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 14; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 24).
- 37
Ein fischereiwirtschaftlicher Schaden ist i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erheblich, wenn er eine die Berufsfischerei gefährdende Höhe erreicht. Maßgeblich ist, ob der Schaden in Relation zur Höhe der Gesamteinnahmen eine beachtliche Größenordnung darstellt, der den Gewinn der betroffenen Fischereibetriebe unter die Rentabilitätsschwelle drücken und damit zur Betriebsaufgabe zwingen kann (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 17.02.2009 – 3 K 805/08 –, a.a.O., RdNr. 37; Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 14).
- 38
In Sachsen-Anhalt ist in den Jahren 2002 bis 2016 ein derartiger erheblicher Rückgang der fischereiwirtschaftlichen Erträge zu verzeichnen. Der Antragsgegner hat den Ertragsrückgang der Berufsfischerei in Sachsen-Anhalt mit folgender Tabelle veranschaulicht:
- 39
Jahr
Fluss- und Seenfischerei (Berufsfischerei)
2002*
124 t
2003
156 t
2004
131 t
2005
100 t
2006
95 t
2007
92 t
2008
81 t
2009
72 t
2010
70 t
2011
62 t
2012
64 t
2013*
37 t
2014
46 t
2015
42 t
2016
46 t
*Jahre mit Extremhochwasser im Mittelelbegebiet und Flutung der Havelpolder; diese führten zu Fischsterben auf den Überflutungsflächen und Ertragsausfällen der Berufsfischerei
- 40
Hiernach sind die Erträge der Berufsfischerei von 124 t im Jahr 2002 auf 46 t im Jahr 2016 und damit um etwa 2/3 zurückgegangen. Dieser Rückgang stellt einen erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schaden dar, der zur Gefährdung der Existenz einzelner Haupterwerbsbetriebe der Fluss- und Seenfischerei führen kann.
- 41
Hiergegen kann der Antragsteller nicht unter Bezugnahme auf die Jahresberichte zur Deutschen Binnenfischerei 2006 bis 2014 einwenden, der Ertragsrückgang sei nur auf den Rückgang der sogenannten Weißfische zurückzuführen, der ein nicht nutzbarer Futterfisch sei, bei dem der Kormoranfraß sogar erwünscht sei. Dieser Standpunkt kann schon nach den vom Antragsteller selbst angeführten Zahlen keinen Bestand haben, da diese nicht nur einen Rückgang der Weißfischerträge, sondern auch der Erträge bei anderen Nutzfischen zeigen. Damit übereinstimmend hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass der Ertragsrückgang der Berufsfischerei nicht nur Weißfische, sondern auch andere Nutzfischarten wie Aal, Zander und Hecht betrifft. Schließlich ist bei der Bestimmung eines Schadens i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG ein Außerachtlassen von Weißfischfängen generell nicht sachgerecht (so aber OVG SH, Urt. v. 22.07.1993 – 1 L 321/91 – a.a.O., S. 99), da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass auch diese Fische einen wirtschaftlichen Wert darstellen. So hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die Elbfischer im Elbe-Havel-Gebiet auch die Weißfischerträge verwerteten.
- 42
b) Der eingetretene erhebliche fischereiwirtschaftliche Schaden ist auch kausal auf die Zunahme der Kormoranbestände in Sachsen-Anhalt zurückzuführen.
- 43
Die Erteilung einer Ausnahme auf der Grundlage des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt voraus, dass der bereits eingetretene oder noch drohende Schaden kausal auf Einwirkungen der Tierart zurückzuführen ist, hinsichtlich derer die Ausnahme erteilt werden soll (vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 14; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 24). Das ist hier der Fall.
- 44
Anhaltspunkte für den bei der Kausalitätsprüfung anzulegenden Maßstab ergeben sich aus dem von der Europäischen Kommission im Hinblick auf den Kormoran im Jahr 2013 herausgegebenen Leitfaden zur Erteilung von Ausnahmen gemäß Art. 9 VRL (Great Cormorant, Applying derogations under Article 9 of the Bird Directive 2009/147/EC, http://ec.europa.eu/environment/nature/pdf/guidance_cormorants.pdf). Dieser sog. Kormoran-Leitfaden enthält unter Nr. 3.2.1 (S. 9 – 12) Hinweise zur Erteilung von Ausnahmen zur Abwendung erheblicher Schäden an Fischereigebieten. Im Anschluss daran hat die Bundesregierung in Übereinstimmung mit diesem Kormoran-Leitfaden folgende Hinweise zur Feststellung erheblicher – kormoranbedingter – fischereiwirtschaftlicher Schäden gegeben (vgl. BT-Drs. 18/2979, S. 3 – 4):
- 45
• Die Beurteilung der Erheblichkeit eines Schadens ist nicht anhand eines fixen Grenzwertes für die Kormoranpopulation oder die vom Kormoran entnommene Fischmenge möglich.
- 46
• Maßgeblich ist, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass die Präsenz von Kormoranen in einem bestimmten Gebiet tatsächlich für einen erheblich reduzierten fischereiwirtschaftlichen Ertrag verantwortlich ist.
- 47
• Andere Faktoren müssen als (Haupt-)Ursache einer beobachteten Veränderung im Fischbestand ausgeschlossen werden.
- 48
Der erkennende Senat hält diese Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob erhebliche fischereiwirtschaftliche Schäden i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG kausal auf den Kormoran zurückzuführen sind, für sachgerecht. Gemessen daran ist die Annahme des Antragsgegners, die oben dargestellten erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden seien – jedenfalls in erster Linie – auf den Kormoran zurückzuführen, rechtlich nicht zu beanstanden. Entscheidend für die Vertretbarkeit der Annahme des Antragsgegners spricht der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Fischereierträge einerseits und der Zunahme der Kormoranpopulation andererseits.
- 49
Nach den Angaben der Landesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage zur Entwicklung der Population der Kormorane vom 04.04.2017 (LT-Drs. 7/1206) begann die Besiedlung durch den Kormoran in Sachsen-Anhalt im Jahre 1987 mit neun Brutpaaren. Zunächst entwickelte sich der Bestand nur langsam, ab 1994 deutlich schneller. Im Jahre 2009 erreichte der Brutbestand mit 1.206 Brutpaaren sein bisheriges Maximum. Nach weiteren vier Jahren mit einem Brutbestand um ca. 1.000 Brutpaaren sank der Bestand im Jahre 2014 erstmals deutlich ab. Auch 2015 und 2016 sank der Bestand weiter auf 604 Brutpaare im Jahre 2016. Die Brutbestandsentwicklung des Kormorans in Sachsen-Anhalt von 1987 bis 2016 zeigt die nachfolgende Abbildung (Quelle: LT-Drs. 7/1206, Anlage 1):
...
- 50
Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung kann zur Schätzung der Gesamtzahl der Kormorane (Brutvögel und nicht brütende Vögel) die Zahl der Brutpaare mit dem Faktor 5 multipliziert werden (vgl. Steffens, Wie viele Kormorane vertragen unsere Flussläufe?, Artenschutzreport 2013, S. 8 ff.
). Hiernach ergibt sich bei einem Bestand von ca. 1.000 Brutpaaren in Sachsen-Anhalt ein Kormoranbestand im Sommerhalbjahr von 5.000 Individuen. Diese Zahl ist für Sachsen-Anhalt wegen der nur geringen Anzahl an Großgewässern und dementsprechend geringerer Attraktivität für präadulte Kormorane auf ca. 4.000 Individuen nach unten zu korrigieren (vgl. Kammerad, Zum Einfluss des Kormorans auf Fischbestände und zur Notwendigkeit von Kormoranabwehr- und Vergrämungsmaßnahmen für den Erhalt biotoptypischer Fischpopulationen in den Gewässern des Landes Sachsen-Anhalts, Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, Band 40 (2015), S. 235 ff. ). Dementsprechend geht der Antragsgegner bei einem Bestand von ca. 1.000 Brutpaaren von einem durchschnittlichen Frühjahrs/Sommerbestand in Sachsen-Anhalt von ca. 4.000 Individuen aus.
- 51
Zu diesen Brutpopulationen treten im Winterhalbjahr die Zug- und Rastpopulationen hinzu. Über die Zahl der im Herbst und Winter in Sachsen-Anhalt verweilenden Durchzügler liegen keine genauen Daten vor, da die im Rahmen der Wasservogelzählungen ermittelten Kormorane nur eine Momentaufnahme darstellen (vgl. Kammerad, a.a.O., S. 242). In einer neueren Veröffentlichung des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt wird die Zahl der in Sachsen-Anhalt überwinternden Kormorane mit 3.650 – 6.075 Individuen angegeben (vgl. Dornbusch/Fischer/Dornbusch, "Vögel", in: Frank/Schnitter [Hrsg.], Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt, Ein Kompendium der Biodiversität, 2016, S. 519 ff.
, https://lau.sachsen-anhalt.de/naturschutz/arten-und-biotopschutz/pflanzen-und-tiere-in-sachsen-anhalt/). Vor diesem Hintergrund geht der Antragsgegner plausibel von einem durchschnittlichen Überwinterungsbestand von ca. 4.000 Individuen aus.
- 52
Ausgehend von einer durchschnittlich über das Jahr vorhandenen Kormoranzahl von 4.000 Vögeln geht der Antragsgegner bei einem geschätzten Fischkonsum des Kormorans von ca. 400 – 600 g Fisch pro Tag (vgl. Steffens, a.a.O., S. 10) und von ca. 150 kg pro Vogel und Jahr von einem Gesamtfischverzehr durch Kormorane von 600 t pro Jahr aus. Das entspricht für das Jahr 2011 in etwa dem Zehnfachen des Ertrages der Berufsfischerei und in etwa dem Dreifachen des Ertrages aller in Sachsen-Anhalt registrierten Fischereiausübungsberechtigten. Weiterhin geht der Antragsgegner aufgrund der vorliegenden Daten davon aus, dass die Entwicklung des Kormoranbestandes mit dem oben dargestellten Rückgang der Erträge der Fluss- und Seenfischerei korrespondiert. Diese Annahme ist aufgrund der nachfolgenden Daten plausibel:
- 53
Jahr
Fluss- und Seenfischerei
(Berufsfischerei)Kormoran-Brutpaare
(vgl. LT-Drs. 7/999)2002
124 t
733
2003
156 t
693
2004
131 t
728
2005
100 t
875
2006
95 t
805
2007
92 t
973
2008
81 t
1.010
2009
72 t
1.206
2010
70 t
1.090 – 1.095
2011
62 t
1.097
2012
64 t
1.124
2013
37 t
1.112
2014
46 t
899
2015
42 t
770
2016
46 t
604
- 54
Vor dem Hintergrund der erheblichen Größenordnung der Fischentnahme durch den Kormoran und dem jedenfalls in der Tendenz deutlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Abnahme der Fischereierträge einerseits und der Zunahme der Kormoranbestände andererseits ist die Annahme des Antragsgegners, die erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden seien kausal auf den Einfluss des Kormorans zurückzuführen, rechtlich nicht zu beanstanden.
- 55
Zu Unrecht wendet der Antragsteller hiergegen ein, es gebe keine statistisch signifikante Korrelation zwischen den Kormoranbeständen und dem Rückgang der Fischereierträge. Er begründet dies mit dem fehlenden linearen Zusammenhang zwischen dem Kormoranbestand und den Fischereierträgen. Zudem sei der Ertrag der Angelfischerei über die Jahre weitgehend gleich gebieten. Wäre die Annahme des Antragsgegners richtig, dass die Kormorane für den Ertragsrückgang in der Fluss- und Seenfischerei verantwortlich seien, so müsse sich dies genauso in den Erträgen der Angelfischerei wiederspiegeln. Auch sei der Gesamtjahresertrag der Binnenfischerei einschließlich der Teichwirtschaft in den vergangenen Jahren allenfalls um 10 bis 15 % zurückgegangen, wobei dieser Rückgang nicht kontinuierlich erfolgt sei, sondern stets Schwankungen aufgewiesen habe. Insgesamt gebe es keinen deutlichen Ursachenzusammenhang zwischen den Kormoranzahlen einerseits und dem Rückgang des Fischereiertrages andererseits.
- 56
Dies vermag nicht zu überzeugen. Die verfügbaren Daten zeigen vielmehr in der Tendenz eine deutliche Korrelation zwischen dem Rückgang der Erträge der Fluss- und Seenfischerei einerseits und der Zunahme der Bestände des Kormorans in Sachsen-Anhalt andererseits. Ein linearer Zusammenhang ist hierfür nicht erforderlich, da jährliche Ertragsschwankungen in natürlichen Gewässern normal sind und als Ursache für Ertragsrückgänge grundsätzlich vielfältige Ursachen in Frage kommen (vgl. VGH BW, Urt. v. 14.03.2011 – 5 S 644/09 –, juris RdNr. 53). So sind etwa die relativ geringen Ertragsmengen in den Jahren 2002 und 2013 Folge des in diesen Jahren eingetretenen Extremhochwassers und des damit verbundenen Fischsterbens auf den Überflutungsflächen, was der Antragsgegner auch berücksichtigt hat. Gleichwohl zeigen die Daten in der Tendenz eine Abnahme der Erträge der Berufsfischerei bei gleichzeitiger Zunahme der Brutpopulation des Kormorans. Der Antragsgegner weist zudem darauf hin, dass Fischereischäden nicht nur durch Brutvögel, sondern vor allem durch Zugvögel entstehen. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Antragsteller implizit erhobene Forderung nach einem linearen Zusammenhang zwischen der Abnahme der Fischereierträge einerseits und der Zunahme der Kormoran-Brutpaare andererseits als Voraussetzung des Nachweises der Kausalität als nicht sachgerecht.
- 57
Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller für seine Ansicht, der Ursachenzusammenhang zwischen dem Kormoranbestand und dem Rückgang der Fischereierträge sei nicht nachgewiesen, auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14.03.2011 – 5 S 644/09 –. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Fall nicht zu vergleichen. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Kormoranzahlen korrelierten nicht mit dem Berufsfischerertrag, beruhte auf der dort festgestellten deutlichen Zunahme der Fangerträge bei gleichzeitiger deutlicher Zunahme der Kormoranpopulation (a.a.O., RdNr. 53). Davon kann in Sachsen-Anhalt nicht die Rede sein. Die Fangerträge nehmen von 2002 bis 2016 – abgesehen von den Sonderfällen 2002 und 2013 – kontinuierlich ab, während die Zahl der Kormoran-Brutpaare von 2002 bis 2009 im Wesentlichen kontinuierlich ansteigt und in den Jahren 2010 bis 2013 auf hohem Niveau von über 1.000 Brutpaaren verbleibt. Der weitere Rückgang der Ertragszahlen in den Jahren 2014 bis 2016 trotz gleichzeitigen Rückgangs der Kormoran-Brutpaare steht der Annahme eines Zusammenhangs zwischen diesen beiden Größen nicht entgegen. Die Entwicklung ab 2014 kann auf einer fehlenden Erholung der Fischbestände trotz nachlassender Kormoranprädation oder auf vom Kormoran unabhängigen Faktoren beruhen, etwa auf einem Rückgang der Zahl der Fischereibetriebe, stellt jedoch die für die Jahre 2002 bis 2013 zu beobachtende deutliche Tendenz nicht in Frage.
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Nicht überzeugen kann weiterhin der Einwand des Antragstellers, gegen den Einfluss des Kormorans auf die Fischerträge spreche, dass der Ertrag der Angelfischerei über die Jahre weitgehend gleich gebieten sei. Der Antragsgegner weist insoweit darauf hin, dass die kormoranbedingten Ertragsrückgänge in der Angelfischerei durch Besatzmaßnahmen ausgeglichen worden seien. So habe die Vereinigung Nordharzer Angelvereine e.V. in der Zeit vom Winter 2005/2006 bis heute insgesamt 23.360 kg Forellen und 18.655 Stück Äschen in ihre drei Salmonidenflüsse ausgesetzt, aber in derselben Zeit nur 9.890 kg Forellen und 249 Stück Äschen wiedergefangen. Zudem gebe es Fischarten in der Bleiregion von großen Flüssen und Standgewässern, die durch Kormoranfraß nicht ausrottbar bzw. sogar kormoranresistent seien wie z.B. Karpfen, Hecht und Zander, soweit sie im Zeitpunkt des Besatzes bereits eine kormoranfeste Größe aufwiesen, sowie den Wels. Zudem nutzen die örtlichen Anglervereine auch Dorfteiche und Kleingewässer in Ortsnähe, auf denen Kormoranfraß keine Rolle spiele. Hiermit hat der Antragsgegner plausibel gemacht, dass bei den Erträgen der Angelfischerei aufgrund des Auftretens des Kormorans kein gleich starker Rückgang wie bei der Berufsfischerei zu erwarten ist.
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Ebenso unberechtigt ist der Einwand des Antragstellers, der Gesamtjahresertrag der Binnenfischerei einschließlich der Teichwirtschaft sei in den vergangenen Jahren allenfalls um 10 bis 15 % zurückgegangen. Hiergegen hat der Antragsgegner zu Recht angeführt, dass eine Zusammenfassung der Berufsfischerei und der Fischproduktion in Aquakulturanlagen im Hinblick auf die Kormoranproblematik nicht sachgerecht sei, da die Berufsfischerei auf natürliche Fischbestände in Flüssen und Seen angewiesen und daher von Kormoranschäden stark betroffen sei, während bei der Aquakultur die Fischproduktion in künstlichen Haltungseinrichtungen erfolge, die durch Netzabdeckungen, Spanndrähte und Vergrämungsabschüsse vor Kormoraneinflüssen geschützt werden könne.
- 60
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller gegen die Annahme, die erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden seien kausal auf den Einfluss des Kormorans zurückzuführen, ein, die Zunahme der Kormorane sei nicht der einzige Grund für den Rückgang des Fischbestandes. Hierbei macht er unter anderem geltend, auch andere Fischfresser hätten Einfluss auf die Ertragsrückgänge. Insoweit verweist er auf folgende andere fischfressende Arten:
- 61
• Fischotter
• Graureiher
• Silberreiher
• Mink
• Gänsesänger
• Seeadler.
- 62
Hiergegen wendet der Antragsgegner plausibel ein, dass diese Arten zwar Fisch fräßen, aber grundsätzlich nicht in so hoher Zahl bzw. in solchen Mengen wie der Kormoran aufträten und daher nicht relevant bestandsmindernd auf den Fischbestand einwirken könnten.
- 63
Als weitere mögliche Gründe für den Rückgang der Fischereierträge benennt der Antragsteller unter Bezugnahme auf den Jahresbericht zur Deutschen Binnenfischerei und Binnenaquakultur 2015 des Instituts für Binnenfischerei e.V. Potsdam-Sacrow sowie die Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz vom 23.07.2013 insbesondere folgende Ursachen:
- 64
• naturschutzrechtliche Regelungen und Einschränkungen wie z.B. Bewirtschaftungs- und Besatzverbote,
- 65
• Konflikte mit der intensiven Gewässernutzung anderer Interessensbereiche wie Schifffahrt, Freizeitaktivitäten/Tourismus, Energiegewinnung, Wasserkraft und Entnahme von Kühlwasser,
- 66
• Wetter,
- 67
• Klimaentwicklung,
- 68
• Hochwasserereignisse,
- 69
• Übernutzung,
- 70
• Gewässerstrukturen,
- 71
• fehlende Durchgängigkeit,
- 72
• Krankheiten,
- 73
• ökonomische Aspekte.
- 74
Diese möglichen weiteren Ursachen für den Ertragsrückgang stellen die Einschätzung des Antragsgegners, die erheblichen fischereiwirtschaftlichen Schäden seien jedenfalls in erster Linie kausal auf den Kormoran zurückzuführen, nicht in Frage. Für die im Rahmen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erforderliche Kausalität ist ein wesentlicher Schadensbeitrag ausreichend (vgl. Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 24). Ein solcher Schadensbeitrag wird vom Antragsgegner plausibel angenommen. Der Antragsgegner hat zur Begründung seiner Annahme, der Kormoranfraß sei die wesentliche Ursache für den Rückgang der Fischereierträge, ausgeführt, zahlreiche der vom Antragsteller genannten Ursachen, etwa naturschutzrechtliche Regelungen, Berufsschifffahrt, Wasserkraftwerke, Kühlwasserentnahme und Tourismus, seien für Sachsen-Anhalt nicht relevant. Im Übrigen habe es seit dem Jahr 2002, dem Zeitpunkt des Beginns der Erfassung der Fischereierträge, keine wesentliche Änderung der anderen denkbaren Ursachen gegeben. Andere Ursachen als der Kormoranfraß seien daher für den Rückgang der Fischereierträge nicht ersichtlich. Auch der Antragsteller stellt letztlich nicht in Frage, dass die Kormorane in beträchtlichem Umfang Fisch fressen müssen und damit Wirkungen auf den Fischbestand haben. Er macht lediglich geltend, der Kormoran sei nicht allein im Sinne einer Monokausalität dafür verantwortlich zu machen. Das ist jedoch für die festzustellende Kausalität auch nicht erforderlich.
- 75
3. Die Kormoranverordnung dient auch dem Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt (§ 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG).
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Die Vorschrift setzt voraus, dass sich eine geschützte Art so weit ausbreitet, dass sie andere Arten verdrängt oder gar zu vernichten droht (vgl. VG Freiburg, Urt. v. 17.02.2009 – 3 K 805/08 –, a.a.O., RdNr. 40; OVG BBg, Beschl. v. 11.08.2009 – OVG 11 S 58.08 –, juris RdNr. 15; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 21; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 25). Eine regionale Bedrohung des Bestandes ist ausreichend. Die Ausnahmeregelung dient der Lösung artenschutzinterner Konflikte (vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 15).
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Im vorliegenden Fall ist die Annahme des Antragsgegners, die Zunahme der Kormoranbestände in Sachsen-Anhalt sei hauptverantwortlich für die Bedrohung zahlreicher heimischer Fischarten, insbesondere der Äsche (Thymallus thymallus), rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Äsche lebt in den Fließgewässern des Landes Sachsen-Anhalt in der nach ihr selbst als Leitfisch benannten Äschenregion der Flüsse. Das sind in der Regel wasserreiche, kiesgeprägte Flussabschnitte, die sich beim Austritt aus dem Gebirge oder im Hinterland an die Forellenregion anschließen und Sommertemperaturen von mindestens 16 °C erreichen, gleichzeitig jedoch Höchsttemperaturen von 22 – 23 °C nicht überschreiten (vgl. Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt [Hrsg.], Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil I, Die Fischarten, 2012, S. 86 f., https://mule.sachsen-anhalt.de/landwirtschaft/landwirtschaft-in-sachsen-anhalt/fischerei/fischartenatlas/).
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Die Bedrohung verschiedener in den Gewässern Sachsen-Anhalts vorkommender Fischarten, insbesondere der Äsche, durch den Kormoran wird von Ebel in dem Aufsatz "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts" (Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 49. Jahrgang, 2012, S. 26 ff.) plausibel dargelegt. Die Einschätzung von Ebel, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der deutlichen Abnahme von Fischbeständen und der massiven Zunahme der Kormoranpräsenz bestehe, gründet sich auf eine in den Jahren 2000 bis 2011 durchgeführte Erfassung der Fischfauna insbesondere an zwei Gewässerabschnitten der Kleinen Helme im Landkreis Mansfeld-Südharz. Die Ergebnisse der Bestandserfassung werden von Ebel wie folgt beschrieben:
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"Im Rahmen der 10-jährigen Monitoringuntersuchungen wurden insgesamt 20.336 Individuen aus 25 Arten nachgewiesen. [Bei zahlreichen Arten] treten gravierende Bestandsrückgänge auf. Das betrifft insbesondere Äsche, Barbe, Döbel, Flussbarsch, Giebel, Gründling, Hasel, Kaulbarsch und Plötze, deren jeweilige Abundanzen sich sowohl im oberen als auch im unteren Laufabschnitt um zumeist 80 bis 100 Prozent verringerten. ... Die Gesamtabundanz aller Arten nimmt im oberen Laufabschnitt während des fünfjährigen Monitorings von 3.926 auf 990 Individuen je Hektar ab (Rückgang um 74,8 %). Für den unteren Laufabschnitt ergibt sich im Verlauf des 10-jährigen Monitorings eine Abundanzabnahme von 5.895 auf 88 Individuen je Hektar (Rückgang um 98,5 %). Insgesamt zeigt sich im Jahr 2011 in den untersuchten Gewässerstrecken eine stark verarmte Zönose mit äußerst geringer Biomasse, die durch eine hohe Groppendominanz bei gleichzeitig fehlendem oder sehr individuenschwachem Vorkommen anderer Arten gekennzeichnet ist. … Gewässermorphologische Aspekte sind als Ursache für die gravierenden Bestandsrückgänge im oberen Gewässerabschnitt auszuschließen, da im betrachteten Zeitraum keine diesbezüglichen Negativentwicklungen auftraten. Vielmehr ist eine vorteilhafte Veränderung der Substrateigenschaften, der Breiten- und Tiefendiversität sowie der Ufer begleitenden Vegetation und des Totholzanteils zu konstatieren. Defizite der Wassergüte kommen als Ursache für die Bestandsrückgänge gleichfalls nicht Betracht, da die hydrochemisch sensible Groppe eine erhebliche Bestandszunahme vollzogen hat und eine vorteilhafte Populationsstruktur mit einem hohen Anteil einsömmriger Jungtiere aufweist. Die Fischereiausübung kann aufgrund der geringen Intensität, sowie der Tatsache, dass es sich bei fast allen rückläufigen Taxa um fischereilich nicht genutzte Arten handelt, als relevanter Parameter gleichfalls ausgeschlossen werden. Der einzig erkennbare Einflussfaktor für die Bestandsentwicklung ist der Kormoran, der nach Beobachtungen von Anwohnern während der Wintermonate im Untersuchungsgebiet zahlreich auftritt. Die diesbezüglich vorliegenden Schätzungen umfassen das Spektrum von 60 bis 160 Kormoranen pro Tag. Die Bestandsrückgänge im unteren Laufabschnitt werden neben der massiven Kormoranprädation vermutlich auch durch die in den vergangenen Jahren zunehmende Verschlammung des Gewässers verursacht."
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Da die dargestellten Befunde nach Auffassung von Ebel belegten, dass zeitgleich mit der massiven Zunahme der Kormoranpräsenz stark regressive Bestandsentwicklungen bei zahlreichen Fischarten auftreten, heißt es zusammenfassend:
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"Die vorliegende Arbeit vermittelt einen Kurzüberblick über die Bestandssituation und Bestandsentwicklung von Fischarten in ausgewählten Gewässern Sachsen-Anhalts für den Zeitraum von 2000 bis 2011. Trotz umfangreicher Bemühungen zur Verbesserung des ökologischen Zustands treten hier stark regressive Bestandsentwicklungen auf. Für Äsche, Barbe und andere Arten sind Bestandsrückgänge von 80 bis 100 Prozent belegt. Die dargestellten Befunde indizieren die Folgen der gegenwärtigen Kormoranpräsenz für Fischbestände in der Kulturlandschaft."
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Zu der Bestandsentwicklung der Fischarten Barbe und Äsche führt die Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Bestandsentwicklung des Kormorans vom 09.02.2017 folgendes aus (vgl. LT-Drs. 7/999, S. 3 f.):
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"Spezielle Bestandsuntersuchungen zum Einfluss des Kormorans auf Fischbestände im Land Sachsen-Anhalt gibt es nur für die Helme. Die vorgelegten Untersuchungsberichte für den Zeitraum 2000 bis 2011 zeigen, dass trotz verschiedener biotopverbessernder Maßnahmen seitens der Unterhaltungspflichtigen, zunehmender Verbesserung der Wassergüte und selbstauferlegtem Fangverbots des Fischereipächters der Äschenbestand der mittleren Helme in diesem Zeitraum um 93 % zurückgegangen ist und der Barbenbestand um 81 %. Der beauftragte Gutachter führt diese Bestandsrückgänge ausschließlich auf den Kormoraneinfluss zurück.
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In anderen mittelgroßen Fließgewässern des Landes Sachsen-Anhalts (z. B. Bode, Mulde, Weiße Elster, Schwarze Elster, Saale oberhalb Weißenfels) erfolgte mit zunehmendem Kormoranbeflug zu Beginn des neuen Jahrtausends eine vergleichbare Entwicklung. Seit dem strengen Winter 2005/06 werden nahezu alle im Winter eisfreien Gewässer des Landes von Kormoranen während der Zugzeit mehr oder weniger regelmäßig aufgesucht. Zu diesen Gewässern gibt es keine speziellen Untersuchungsdaten, da die meisten fischereilich nutzbaren Arten wie Äsche, Barbe und Zährte keiner Berichtspflicht (z.B. nach NATURA 2000) unterliegen. Bestandstrends lassen sich hier vornehmlich anhand der in dreijährigem Rhythmus erfolgenden Fischbestandsuntersuchungen im Rahmen des Wasserrahmenrichtlinie-Monitorings ablesen. Von der Barbe finden sich in den meisten Flüssen nur wenige, große (kormoranfeste) Exemplare von über 50 bis 60 cm Länge und dann wieder Jungfische der Altersklassen 0+, zum Teil noch 1+. Alle anderen Alters- bzw. Größengruppen dazwischen werden durch Kormorane erbeutet. Sobald die Jungfische die bevorzugte Beutegröße der Kormorane erreichen, werden auch sie gefressen. Da Barben mit 15 bis 18 Lebensjahren vergleichsweise alt werden, konnte die Art bislang noch auf sehr geringem (unnatürlichem) Niveau dem Kormoranfraß standhalten.
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Bei der Äsche, die nur ca. 6 bis 8 Jahre alt werden kann, ist das aber bereits nicht mehr der Fall. Hier ist die für die Arterhaltung unbedingt notwendige Bestandsgröße von mindestens 500 miteinander kommunizierenden Exemplaren in allen Flüssen bereits unterschritten."
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Diese Angaben stimmen in der Tendenz überein mit den Ergebnissen der im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt angefertigten Studie von Görlach und Müller, "Die Bestandsituation der Äsche (Thymallus thymallus) in Thüringen" vom 30.11.2005 (veröffentlicht in: Artenschutzreport 2008, S. 54 ff.), die zusammenfassend folgendes ausführen:
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"Bis ca. 1990 konzentrierte sich die Verbreitung auf die Werra mit ihren Nebenflüssen Ulster und Felda, auf die Schwarza im Saaleeinzugsgebiet und die Zorge in Nordthüringen. Nach dem sehr schnell einsetzenden Rückgang der Gewässerbelastung nach 1990 wurde bis zur Jahrtausendwende fast das gesamte historische Verbreitungsgebiet der Äsche in Thüringen wiederbesiedelt. Eine Vielzahl von Daten belegen jedoch, dass ab ca. 1996 die Bestandsdichten deutlich zurückgingen, zunächst nur begrenzt, später in ganz Thüringen. Der Trend hält bis heute an. In den meisten Gewässern ist die Äschenpopulation an den Rand der Reproduktionsfähigkeit gedrängt bzw. sie muss sogar als zusammengebrochen betrachtet werden. In weiten Strecken Thüringer Fließgewässer ist die Populationsdichte der Äsche deutlich unter das Niveau von vor 1990 gesunken Mit dem Totalverlust der Art in vielen Gewässern aller drei Thüringer Flusseinzugsgebiete muss in nächster Zeit gerechnet werden. Dramatisch ist nicht nur die Ausdünnung der Individuenzahl der Teilpopulationen, sondern auch die Zerstörung der natürlichen Alterspyramide.
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Die Hauptursache für die negative Entwicklung liegt in der seit 1995 drastisch zunehmenden Frequentierung Thüringer Gewässer durch den Kormoran. Die Anzahl überwinternder Kormorane hat sich in Thüringen auf ungefähr 1700 Individuen eingepegelt. Der daraus resultierende Fraßdruck auf die Äschenpopulation kann nicht mehr kompensiert werden."
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Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt die Studie von Guthörl, "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) auf Fischbestände und aquatische Ökosysteme – Fakten, Konflikte und Perspektiven für kulturlandschaftsgerechte Wildhaltung" aus dem Jahr 2006, der in der Zusammenfassung ausführt:
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"Erst durch anthropogene Landschaftsveränderung sind die Forellen-, Äschen- und Barbenregionen im Binnenland und Gebirge in den engeren Fouragierkreis des Großen Kormorans geraten. Die zeitliche Koinzidenz von plötzlicher oder stark zunehmender Kormoranpräsenz und drastischem Rückgang bzw. Verschwinden von Fischbeständen, die in den vergangenen zwei Dekaden an einer Vielzahl von Fließgewässern in mehreren europäischen Ländern beobachtet wurde, ist inzwischen statistisch signifikant und ein wissenschaftlich kaum widerlegbarer Beweis für den ursächlichen Zusammenhang. Zu den besonders gefährdeten Fließgewässerfischarten gehört die Äsche, welche bei Gefahr nicht in mögliche Verstecke am Ufer oder Gewässergrund flüchtet, sondern im freien Wasser Schwärme bildet, die vom Kormoran leicht bejagbar sind und gänzlich aufgefressen werden. Aber auch Bachforelle, Barbe sowie andere typische Arten der Fließgewässer werden vom Kormoran auf überlebenskritische Bestandsdichten reduziert, wenn es durch Strukturarmut an Verstecken mangelt; und in strukturreicheren Gewässern überlebt zwar die Population, doch nicht mehr in fischereilich nutzbaren Dimensionen. Die fischereilichen Schäden und Fischartenschutzprobleme durch Kormoranprädation an kleineren Fließgewässern sind weitgehend dichteunabhängig, d.h. insgesamt verringerte Bestandszahl oder regional geringere Präsenz des fischenden Vogels bedeutet nicht unbedingt, dass die Probleme weniger werden."
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Die Studie von Görlach und Wagner, "Überprüfung des winterlichen Kormoraneinflusses auf die Fischbestandssituation der Ilm/Thüringen" (veröffentlicht in: Artenschutzreport 2008, S. 30 ff.), gelangt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen der Überwinterungspopulationen des Kormorans in Thüringen auf die Fischfauna, insbesondere in den Fließgewässern, mehr als dramatisch seien. Neben der extrem starken Reduzierung der Fischbestandsdichten seien einzelne Fischarten wie z.B. die Äsche bestandsbedroht. Die Untersuchungen an der Ilm und auch die Ergebnisse der Untersuchungen der letzten Jahre in Thüringen bestätigten, dass nicht nur ruhig fließende und tiefe Gewässer, sondern im Prinzip alle Gewässer bejagt würden. Dabei spielten Gewässerstruktur, Wassertiefen oder Gewässerbreiten genauso wenig eine Rolle wie die Nähe zum Menschen.
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Hiermit im Grundsatz übereinstimmend wird in der vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Jahr 2009 herausgegebenen Roten Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 1: Wirbeltiere, auf S. 312 ausgeführt, dass über die Gründe für den massiven Rückgang bzw. den Zusammenbruch der Äschenbestände bei den befragten Experten Konsens bestehe. Zu der flächendeckend kritischen Situation der Äschenbestände habe stark erhöhter Fraßdruck vor allem durch Kormorane geführt. Es sei unumstritten, dass Kormorane wesentlich zum Rückgang der Äsche beigetragen hätten, doch träten auch bislang unbekannte Faktoren hinzu.
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In dem Aufsatz von Kammerad aus dem Jahr 2015, "Zum Einfluss des Kormorans auf Fischbestände und zur Notwendigkeit von Kormoranabwehr- und Vergrämungsmaßnahmen für den Erhalt biotoptypischer Fischpopulationen in den Gewässern des Landes Sachsen-Anhalts" (a.a.O., S. 239), wird das Verhalten der Kormorane in strengen Wintern allgemein wie folgt beschrieben:
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"Problematisch wird es …, wenn in strengen Wintern die Standgewässer zufrieren und als Nahrungsquelle ausfallen. Dann weichen sämtliche Kormorane auf die eisfreien Fließgewässer der Forellen-, Äschen- und Barbenregionen aus - mit katastrophalen Folgen für den Fischbestand dieser Gewässer. Die Fische dieser Fließgewässerregionen haben nicht die Möglichkeit, zur Überwinterung angeschlossene Standgewässer aufzusuchen, die bei Frost zufrieren. Sie suchen strömungsberuhigte Tiefstellen wie Kolke und Gumpen auf und ruhen dort oft dicht gedrängt in großer Zahl. Bei strengem Frost kühlt z.B. das Wasser der Harz- und Vorharzflüsse auf Temperaturen zwischen 0 und 1 °C ab. Als wechselwarme Tiere sind Fische dann wenig mobil und nicht fluchtfähig. Häufig konzentrieren sich die Fische von einem mehrere Kilometer langen Flussabschnitt in nur einem als Überwinterungshabitat geeigneten Kolk. Die hier einfallenden Kormorane fischen dann nicht nur den Kolk bis zum letzten Fisch leer, sondern zugleich auch den gesamten Fischbestand eines kilometerlangen Flussabschnitts. Da die Kormorane in strengen Wintern die Fließgewässer vom Unterlauf kommend bis hinaus ins Gebirge systematisch absuchen, ist der gesamte Fischbestand eines solchen Gewässers betroffen. Selbst wenn in Gebirgsregionen die Gewässer teilweise zufrieren, tauchen Kormorane von der meist schmalen eisfreien Fließrinne in Gewässermitte 8-10 m unter die Randeisflächen, um an die dort ruhenden Fische zu gelangen."
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Die Auswirkungen des Kormorans auf die Bestände der Äsche in Sachsen-Anhalt werden in dem Aufsatz von Kammerad (a.a.O., S. 242 ff.) wie folgt dargestellt:
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"Die Historie der Fischereischäden durch Kormorane im Land Sachsen-Anhalt beginnt 1997. Bis zum Jahr 1996 gab es in der Binnenfischerei unseres Landes kein „Kormoranproblem“ so wie in den meisten westlichen Bundesländern seit der exponentiellen Zunahme der Kormorane Anfang der 90er-Jahre. Unser vergleichsweise wasserarmes Bundesland war bis dahin für die sich rasant ausbreitende Vogelart augenscheinlich wenig attraktiv. Zudem waren viele Flüsse zur Wende infolge der jahrzehntelangen Abwasserproblematik auf weiten Strecken verödet und nahezu fischfrei, so dass zunächst für Kormorane auch wenig Grund bestand, unser Bundesland zu frequentieren. Etwa im Zeitraum 1995/96 war die Wiederbesiedlung der großen und mittelgroßen Flüsse mit Fischen in Sachsen-Anhalt vollzogen, so dass sich auch in Anbetracht des Erreichens der Kormoransättigung an Großgewässern in den wasserreichen Bundesländern um 1996/97 die Situation in unserem Bundesland sehr rasch änderte. Bereits 1997/98 kamen die ersten Klagen von Teichwirten über zunehmenden Kormoranbeflug an Karpfenteichwirtschaften. Zeitgleich wurden an den größeren Gewässern durch die Fischereipächter erste größere Kormoranansammlungen registriert. Ein besonderes Problem stellte hierbei der als Karpfenteich bewirtschaftete Helmestausee dar. Trotz Pachtpreisreduzierung sah sich der bewirtschaftende Fischereibetrieb u.a. aufgrund der Kormoranschäden zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht mehr in der Lage, die fischereiliche Bewirtschaftung fortzusetzen. Da der Helmestausee aus Hochwasserschutzgründen alljährlich im Oktober abgelassen wird und zeitgleich auch die Teiche der nahen Teichwirtschaft Auleben (Thüringen) abgefischt werden, jagten bereits Ende der 1990er-Jahre im Winterhalbjahr die dort ansässigen Kormorane verstärkt auf der Helme. Die im Helme-Zorge-Thyra-System vorkommenden Barben- und Äschenbestände, die selbst die Abwasserbelastungen der DDR-Zeit überdauert hatten, brachen in der Folge zusammen … Ab dem Winter 1999/2000 erfolgte dann ein ständig zunehmender Kormoranbeflug auch an anderen mittelgroßen Fließgewässern der Barben- und Äschenregion wie z.B. Bode, Mulde und Unstrut. Die Fischbestände dieser Gewässer nahmen rapide ab, die Fischereierträge sanken stetig. Der starke Äschenbestand der mittleren Bode war nach dem ersten größeren Kormoranbeflug im Winter 1999/2000 nahezu vollständig verschwunden. An Flussabschnitten, an denen bis hin zum Spätherbst 1999 noch Schwärme von Hunderten und Tausenden Äschen standen, war im Frühjahr 2000 kein einziger Fisch mehr vorhanden. Ein vollständiger Bestandszusammenbruch erfolgte nur deshalb nicht, weil sich die Kormorane bis dahin noch von Ortschaften fern hielten und diese praktisch als Quelle für die Wiederbesiedlung erhalten blieben. Es trat genau wie an vielen westdeutschen Äschen- und Barbenflüssen das Paradoxon ein, dass die Fischbestände in den strukturlosen, ausgebauten Flussabschnitten in Ortslagen deutlich größer waren als auf naturnahen Abschnitten außerhalb der Ortschaften.
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Völlig verheerend wirkte sich aber dann die anhaltend starke Frostperiode im Winter 2005/06 aus. Nach einsetzendem Eistreiben auf der Elbe und dem Zufrieren der Standgewässer fielen immer mehr Kormorane nicht nur auf den größeren Barbenflüssen, sondern sogar auf kleine eisfreie Niederungsflüsse und Forellenbäche ein. Verschont blieben lediglich die wenigen Flussabschnitte in höheren Harzlagen, die vollständig zugefroren waren. Auch mitten in dicht besiedelten Ortslagen wie z.B. in Quedlinburg, Thale, Halberstadt oder Derenburg fischten jetzt die Kormorane fast restlos alle greifbaren Fische weg. Die Fluchtdistanz der Vögel lag hierbei bei lang anhaltendem strengen Frost häufig nur bei ca. 10 m. Verschont blieben lediglich Kleinfische, die aufgrund ihrer geringen Größe nicht unter das Beutespektrum des Kormorans fielen bzw. sich vollständig unter Steinen oder Wurzeln verstecken konnten. Die Bestände der typischen Leitfischarten dieser Fließgewässerregionen, insbesondere Äsche, Bachforelle, Barbe, Hasel, Döbel, Zährte brachen daraufhin zusammen. Bei kleinen Äschenflüssen wie Wipper, Holtemme oder Selke zeigte sich im Winter 2005/06, dass schon ein Kormoranbeflug von nur ca. 30-40 Exemplaren den Zusammenbruch des bis dahin ungefährdeten Äschenbestandes hervorrufen kann. Die Äsche ist als deckungsfrei lebende Fischart nicht an einen Fressfeind wie dem Kormoran angepasst und kann dem Fraßdruck dieser biotopuntypischen Vogelart deshalb auch keinerlei Abwehrstrategien entgegensetzen. ... Bei wiederholtem winterlichen Kormoranbeflug kann die Gesamtfischbiomasse (alle Arten) in Äschengewässern um bis zu 99 % reduziert werden.
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Auf den Kormoranwinter 2005/06 folgten dann zwei relativ milde Winter mit vergleichsweise geringer Kormoranpräsenz an den genannten Flüssen, was bei den Fischereiausübungsberechtigten die Hoffnung aufkommen ließ, dass eine Regeneration der Fischbestände möglich wäre. So deuteten sich, mit Ausnahme von Helme/Thyra, auch erste Erholungstendenzen bei den Fischbeständen der 2005/06 stark von Kormoranen beflogenen Fließgewässer der Forellen-, Äschen- und Barbenregion an … Doch diese beginnende Erholung der Bestände wurde dann durch drei unmittelbar aufeinanderfolgende „Kormoranwinter“ 2008/09, 2009/10 und 2010/11 zunichte gemacht. Da die Bestände an mittelgroßen Flussfischarten bereits stark dezimiert waren, fraßen die Kormorane in diesen Wintern selbst bis dahin verschmähte, wenig attraktive Kleinfische wie z.B. Elritze und Dreistachligen Stichling …, bevor sie Richtung Süden zu anderen Gewässern weiterzogen. Das ist ein Indiz für den vollständigen Zusammenbruch der Bestände größerer Fischarten (= Zielfischarten der Berufs- und Sportfischerei), da z.B. ein adulter, zweijähriger Stichling nur ca. 1-2 g wiegt und ein Kormoran zur Deckung seines täglichen Nahrungsbedarfs von 400-500 g mindestens 300-400 Stichlinge fressen muss. In den Wintern 2009/10 und 2010/11 waren Kormorane selbst auf kleinsten, eisfreien Rinnsalen und Teichabflüssen von unter 1 m Breite zu finden, obwohl diese nur wenig mehr als einige Schmerlen, Gründlinge, Stichlinge, Groppen oder kleinwüchsige Bachforellen enthielten. Es gab praktisch kein eisfreies Gewässer in Sachsen-Anhalt, das ohne Kormoranbeflug war. Viele Bestände der besonders kormorangefährdeten Arten, hierbei insbesondere die Äsche, konnten sich nach den Angaben betroffener Fischereipächter von dem starken Kormoranbefall dieser drei Winter nicht mehr erholen. In der Holtemme wurde die Äsche trotz zwischenzeitlichen Stützungsbesatzes von ca. 4.000 Fischen vollständig ausgerottet. Dasselbe Schicksal scheint die Helmeäsche ereilt zu haben, da durch den Fischereipächter seitdem keine Äschen mehr gefangen wurden und bei der letzten WRRL-Befischung 2012 (WRRL = EU-Wasserrahmenrichtlinie) auf der in 3-jährigem Abstand befischten Beprobungsstrecke (insgesamt 2 km) nur noch 1 Exemplar nachgewiesen werden konnte. In der Äschenregion der Bode konnten bei den WRRL-Befischungen im Jahr 2010 auf insgesamt 8,8 km befischter Strecke nur noch 3 Äschen mit dem Elektrofischfanggerät gefangen werden; 2011 waren es trotz vorangegangenem Stützungsbesatz von 10.000 Jungäschen nur noch 6 nachgewiesene Äschen. Die für den Bestandserhalt unbedingt notwendige Mindestanzahl von ca. 500 miteinander kommunizierenden Tieren ist damit lange unterschritten, die baldige Ausrottung absehbar.
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Die Bestände anderer, weniger kormorananfälliger Arten, wie z.B. der deckungsgebundenen Bachforelle, sind seit dem Winter 2008/09 dadurch gekennzeichnet, dass alle größeren Fische, die sich nicht vollständig unter Wurzeln, Steinen u.a. Deckungsstrukturen verbergen können, von den Kormoranen aus den Verstecken hervorgezogen und weggefressen werden. Die natürlichen Forellenbestände der Harz- und Vorharzflüsse bestehen deshalb fast nur noch aus kleinen, untermaßigen Exemplaren sowie einigen wenigen kormoranfesten Überständen der Größe jenseits 50-55 cm. Dadurch bewegen sich die Fischereierträge dieser eigentlich ertragreichen Salmonidengewässer seit Jahren um den Wert Null. Im Oktober 2008 wurden von einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Fischmarkierung (Dipl.-Biol. F. FREDRICH) im Rahmen eines Untersuchungsprogramms 218 große, raubfischfeste Bachforellen (25 – 50 cm) in der Bode zwischen Talsperre Wendefurth und dem Bodewehr zum Zulaufstollen der Fischzuchtanlage Altenbrak gefangen, markiert und wieder ausgesetzt. Nach starkem winterlichen Kormoranbeflug wurde die mit den markierten Fischen besetzte Strecke am 14.03.2009 erneut mit dem Elektrofischfanggerät befischt. Von den 218 markierten Fischen konnten lediglich 3 Bachforellen wiedergefangen werden. Das ist eine Wiederfangrate von nur 1,4 %. Da der Gewässerabschnitt sehr gut befischbar ist, anderweitige Verluste nicht auftraten und auch Kleinfische vorhanden waren, sind die Verluste von deutlich über 90 % ausschließlich auf Kormoranfraß zurückzuführen. Bis auf eine „kormoranfeste“ Bachforelle von ca. 1,5 kg Stückmasse waren alle anderen bei der Frühjahrsbefischung gefangenen, nichtmarkierten Forellen untermaßig, d.h. es sind vom Kormoranwinter 2008/09 nur noch finger- bis handlange Fische übrig geblieben. Die Bachforelle hat bislang das Schicksal der anderen fischereilich genutzten Arten nur deshalb noch nicht ereilt, weil ein bestimmter Teil der Bestände bereits in sehr geringer Größe laichreif wird. Durch das Wegfressen aller frohwüchsigen Exemplare ist deshalb mittlerweile eine negative Bestandsauslese hin zu extrem kleinwüchsigen Exemplaren erfolgt.
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Von der Barbe finden sich in den meisten Flüssen oft nur einige wenige, große kormoranfeste Exemplare von über 55 - 60 cm Länge und dann wieder Jungfische der Altersklassen 0+, bestenfalls noch 1+. Alle anderen Größengruppen dazwischen sind weggefressen. Sobald die Jungfische die Beutegröße der Kormorane erreichen, werden auch sie weggefressen. EBEL (2005) hat dieses Phänomen bei den Barben der Helme untersucht. Hier lässt sich sogar vorhersagen, wann die biologisch notwendige Mindestbestandsgröße unterschritten wird, da die übergroßen, überalterten Exemplare nach ca. 15-18 Lebensjahren natürlicherseits wegsterben und Jungfische nicht ausreichend nachwachsen. Bei den Äschen, die nur etwa halb so alt werden wie Barben, ist dieser Zustand, wie oben gezeigt, schon erreicht.
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Die durch den Kormoraneinfluss vor allem bei größer wüchsigen Fischarten entstandenen Besiedlungslücken wurden in der Folge durch einige wenige Kleinfischarten ausgefüllt. Hierbei handelt es sich insbesondere um Groppe, Elritze, Steinbeißer, Schmerle, Bitterling oder Stichling, die aufgrund ihrer Größe oder versteckten, substratgebundenen Lebensweise für Kormorane schlecht greifbar sind. Diese Kleinfische besetzen die Lebensräume der stark dezimierten Arten neu und entwickeln durch das Fehlen von Fressfeinden und Nahrungskonkurrenten ungewohnte Massenpopulationen (vgl. ARGE NISTER e.V. 2010). Dadurch kommt es bei regelmäßigem Kormoranbeflug zu einer Verarmung des Fischbestandes, welche vor allem zu Lasten solcher Arten geht, die ohnehin schon bereits mehr oder weniger stark gefährdet sind. Den Beweis hierfür liefern z.B. die Fischbestandsuntersuchungen zur Zustandsbestimmung der Gewässer nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Hier ist seit Beginn der Untersuchungen in den Jahren 2004/05 eine deutliche Dominanzverschiebung hin zu Kleinfischarten wie Stichling, Gründling, Steinbeißer, Schmerle, Elritze und Bitterling zu beobachten. Konkurrenzschwache Kleinfische wie Elritze, Steinbeißer oder Bitterling, die bei intakten Fischpopulationen nur in geringen Prozentzahlen vorkommen, bilden mittlerweile über viele Jahre hinweg Massenbestände. … Demgegenüber haben aber die Anteile größerer, kormorananfälliger Arten innerhalb der Fischbestände, wie die o.g. Äschen, Bachforellen, Barben, Hasel, Nasen, Zährten oder Zopen beständig abgenommen. ... Eine spürbare Erholung der Bestände nutzbarer Fischarten tritt nicht ein, da einzelne Kormorane oder Gruppen von Kormoranen in den Folgejahren auf ihren winterlichen Wanderungen immer wieder an diesen Gewässern entlang patrouillieren und den geringen, aufkommenden Nachwuchs bzw. die verbliebenen Fische wegfressen. Wie GÖRNER (2006) zeigen konnte, nimmt selbst nach einem totalen Fischbestandzusammenbruch in einem Fließgewässer die Kormoranpräsenz nicht ab. Zwar fliegen die Vögel nach Leerfischen eines Fließgewässers dann weiter liegende andere Gewässer an, doch werden von dort aus in gewissen Abständen bzw. spätestens bei dem nächstjährigen Herbst-/Winterzug immer wieder auch die vorherigen Nahrungsgewässer kontrolliert. Die dazwischenliegenden kurzen Erholungspausen reichen, selbst wenn diese einen ganzen Sommer bzw. bei milden Wintern wie 2013/14 auch mal ein ganzes Jahr betragen, nicht aus, dass sich die betreffende Fischpopulation wieder regenerieren kann (Äschen und die meisten anderen Nutzfischarten werden frühesten im dritten Lebensjahr laichreif). Selbst bei bereits stark ausgedünntem Fischbestand kommen die Kormorane aufgrund des enormen Nahrungsbedarfs der übergroßen Gesamtpopulation regelmäßig wieder. Wegen der großen Anpassungsfähigkeit der Vögel wird dann auf neue Jagdstrategien und/oder neue Nahrungsquellen umgestellt, d.h. die Kormorane jagen jetzt selbst auf kleinsten Rinnsalen, völlig mit Ufergehölzen zugewachsenen Bächen, fressen bislang verschmähte Fischarten usw. … Deshalb nimmt der winterliche Kormoranbeflug der Flüsse auch nach weitgehendem Zusammenbruch der Fischbestände nicht ab, insbesondere weil die europäische Gesamtpopulation nach wie vor weiter expandiert … Zudem ist seit einigen Jahren das Phänomen zu beobachten, dass Kormorane teilweise auch ganzjährig im Bereich ihrer winterlichen Fresshabitate verbleiben und dann dort möglicherweise neue Brutkolonien bilden. Das ist z.B. im Bereich der Bode und der Bodetalsperren im Harz der Fall. Unter diesen Bedingungen kann eine Besserung des derzeit schlechten Erhaltungszustandes der Fischbestände der Harz- und Vorharzflüsse nicht eintreten."
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In dem vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt im Jahr 2012 herausgegebenen Band "Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil I, Die Fischarten", a.a.O., heißt es hierzu auf S. 15 f.:
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"Ein völlig neues Problem für die Fischerei und den Fischartenschutz in Sachsen-Anhalt stellen seit Beginn des neuen Jahrtausends die zunehmenden Fischereischäden durch Kormorane dar. Das genaue Ausmaß der Schäden an den Fischbeständen bleibt häufig unerkannt, da Bestandsrückgänge vor allem bei wenig oder nicht genutzten Arten oft erst spät wahrgenommen werden. Nur durch regelmäßige Bestandskontrollen und lückenlose Fangstatistiken lassen sich die entstandenen Verluste halbwegs einschätzen. Vor allem in strengen Wintern, wenn alle Standgewässer längere Zeit zugefroren sind, konzentrieren sich die Kormorane auf die eisfreien Fließgewässer. Hauptsächlich betroffen sind dabei Bereiche der Forellen-, Äschen- und Barbenregion und die hierin lebenden Fischgemeinschaften. Die Äsche ist dabei besonders prädationsanfällig, da sie sich vornehmlich in offenen Gewässerbereichen aufhält. Daher sind in einigen Gewässern die Populationen der Äsche drastisch reduziert worden."
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In dem Beitrag von Kammerad und Wüstemann, "Rundmäuler (Cyclostomata) und Fische (Pisces)", in dem im Jahr 2016 von Frank und Schnitter im Auftrag des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt herausgegebenen Band "Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt", a.a.O., wird auf S. 504 ausgeführt:
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"Der Schwerpunkt der Gefährdung der Fischfauna liegt nach wie vor bei den Fließgewässerarten und hier besonders bei solchen Fischen, die unverschmutzte Kiesbänke und naturnahe Gewässerstrukturen zur Laichablage und frühen Aufwuchsphase benötigen … Arten mit unspezialisierten Habitatansprüchen sind in der Regel weniger gefährdet. Im Vergleich zu den 1990er Jahren hat sich heute die Bedeutung der wichtigsten Gefährdungsfaktoren allerdings verschoben. Gewässerverschmutzungen durch Abwässer rangieren aufgrund der enormen Investitionen in moderne Kläranlagen in den letzten Jahren jetzt am unteren Ende der Gefährdungsliste. Ein neuer Gefährdungsfaktor ist der seit 1999 beständig zunehmende Kormoranbeflug an den Gewässern. Einige Flussfischarten wie Zährte und Barbe wurden nach spontaner Erholung der Bestände in den 1990er Jahren mittlerweile durch den übermäßigen Kormoranfraß wieder in eine höhere Gefährdungskategorie gedrängt, die Äsche sogar an den Rand zur Ausrottung … Die Auswirkungen auf bestimmte Arten der heimischen Fischfauna sind … extrem. An einigen Flüssen in Sachsen-Anhalt (z. B. Helme, Holtemme, Selke, Wipper, Bode) wurden die Äschenbestände durch Kormorane bereits erheblich dezimiert. … Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Kormorane heute in Mengen Gewässer besiedeln (z. B. im Gebirge), an denen sie ursprünglich nicht oder nur vereinzelt vorkamen."
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Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Antragsgegners, dass in Sachsen-Anhalt zahlreiche heimische Fischarten, insbesondere die Äsche, in erster Linie aufgrund der Zunahme der Kormoranbestände bedroht sind, naturschutzfachlich vertretbar. Die hiergegen vorgebrachten Argumente des Antragstellers überzeugen nicht.
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Gegen die Untersuchung von Ebel, "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts", auf die sich die Begründung der Kormoranverordnung (S. 5) im Hinblick auf die Dringlichkeit einer regulierenden Einflussnahme auf Kormorane in Sachsen-Anhalt mit Blick auf den Fischartenschutz stützt, wendet der Antragsteller ein, die Kleine Helme sei nicht repräsentativ, da sie nach wassertechnischen Gesichtspunkten ausgebaut sei und daher gegenüber nicht ausgebauten natürlichen Gewässern bestimmte Rückzugsmöglichkeiten für die Fische nicht biete. Zudem verfüge Sachsen-Anhalt über ein Gewässernetz mit einer Länge von 24.000 km. Die Untersuchung nur eines Fließgewässers mit einer Länge von ca. 25 km, zudem im äußersten Landessüden gelegen, repräsentiert die Gewässervielfalt nicht. Damit macht der Antragsteller der Sache nach geltend, es seien weitere Untersuchungen an anderen Fließgewässern Sachsen-Anhalts erforderlich, um genauere Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen der Zunahme der Kormoranpopulation und dem Rückgang der Fischbestände, insbesondere der Äsche, zu gewinnen. Dem kann nicht gefolgt werden. In der Zusammenfassung der Studie von Guthörl, "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) auf Fischbestände und aquatische Ökosysteme – Fakten, Konflikte und Perspektiven für kulturlandschaftsgerechte Wildhaltung", a.a.O., wird auf S. 6 zu den methodischen Problemen der Erforschung des Zusammenhangs von Kormoranen, Fischen und Fischerei ausgeführt:
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"Obwohl der Große Kormoran einer der am besten erforschten Wildvögel ist, gibt es methodische Probleme bei der Eruierung des wirklichen Einflusses von Kormoranen auf Gewässerökosysteme, Fischpopulationen und Fischerei: Aquatische Ökosysteme sind komplex, spezielle Standortsituationen schwer generalisierbar. Mit dieser Begründung wird nicht nur seitens der Wissenschaft, sondern auch von diversen „Kormorankommissionen“ noch „Forschungsbedarf“ geltend gemacht, wobei erstgenannte naturgemäß forschungsorientiert ist, letztgenannte aber auch zielorientiert sein sollten. Da jeder Standort, jede Situation im Verhältnis Fischbestand / Kormoraneinfluß anders ist, sind differenzierende Betrachtungen nötig und Verallgemeinerungen stets angreifbar. Generalisierende Synthesen sind dennoch gerechtfertigt, wenn gewisse Erscheinungen gehäuft an vielen Standorten unter ähnlichen Bedingungen auftreten. Kulturlandschaftsgerechte Abstrahierung, Synthetisierung und Entwicklung von Handlungsoptionen für politische Entscheidungsträger und Praxis müssen erlaubt sein, sonst hätten „Kormoran-Kommissionen“ und die Forschung der Fachwissenschaften zur Thematik Kormoran, Fische und Fischerei keinen Sinn!"
- 110
Hiervon ausgehend ist die Annahme des Antragsgegners, der Einfluss des Kormorans auf die Fischbestände in Fließgewässern, insbesondere die Äsche, sei sowohl im Allgemeinen als auch im Land Sachsen-Anhalt hinreichend erforscht, rechtlich vertretbar. Die oben nur beispielhaft aufgeführten Studien kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass der starke Rückgang der Fischbestände, insbesondere der Äsche, maßgeblich auf dem seit den neunziger Jahren stark zunehmenden Fraßdruck durch den Kormoran beruht. Studien mit gegenteiligen Ergebnissen sind nicht bekannt. Die für Sachsen-Anhalt vorliegende Untersuchung von Ebel bestätigt dies auch für dieses Bundesland. Zudem ist der Einwand des Antragstellers, die Kleine Helme sei nicht repräsentativ, weil sie ausgebaut sei und daher gegenüber nicht ausgebauten natürlichen Gewässern bestimmte Rückzugsmöglichkeiten für Fische nicht biete, nicht stichhaltig. Zu den Erkenntnissen der vorliegenden Untersuchungen zählt, dass die Äsche bei Gefahr nicht in mögliche Verstecke am Ufer oder Gewässergrund flüchtet, sondern im freien Wasser Schwärme bildet, die vom Kormoran leicht bejagbar sind (Guthörl, a.a.O., S. 8). Zudem bieten auch naturbelassene Fließgewässerstrecken mit typischem Uferbewuchs keinen Schutz vor übermäßigem Kormoranfraß. Gewässerstruktur, Wassertiefe, Trübung, Gewässerbreite sowie die Nähe zum Menschen haben in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung (Kammerad, a.a.O., S. 239). Die Unterscheidung von ausgebauten und nicht ausgebauten Gewässern spielt daher für die Bestimmung des Prädationsdrucks des Kormorans insbesondere auf die Äsche nur eine geringe Rolle.
- 111
Nicht durchgreifend ist ferner der Einwand des Antragstellers, für die Untersuchung von Ebel "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts" fehle es an einer ausreichenden Datenbasis. Der Antragsteller meint, für die Aussage, dass die Kormorane an einem Gewässer (Kleine Helme) die Fischart Äsche weitgehend dezimiert hätten, sei die Kenntnis zweier quantitativer Grundlagen erforderlich, nämlich des Bestandes der Äsche und der Zahl der Kormorane. Es seien jedoch keine belastbaren Daten zum tatsächlichen Vorkommen des Kormorans an der Kleinen Helme vorhanden. Da in einem Radius von 40 km keine Brutkolonie vorkomme und nur ein kleiner Schlafplatz bekannt sei, relativiere sich die Behauptung vom hohen Fraßdruck. Hiergegen wendet der Antragsgegner plausibel ein, dass die Bestandsdezimierung maßgeblich auf die Zug- und Rastvögel in den Wintermonaten zurückgeht und dass als einziger Grund hierfür der Kormoranbeflug in Betracht kommt.
- 112
Weiterhin wendet der Antragsteller ein, die angegebenen Schäden durch Kormorane seien nicht plausibel, da Kormorane nur in harten Wintern die eisfrei bleibenden Gewässer benötigten und in diesen Wintern der größte Teil in Richtung Süden abziehe. In den Extremwintern 2009/2010 und 2010/2011 seien nur ca. 1.100 bzw. 800 Kormorane in Sachsen-Anhalt verblieben, was statistisch ein Kormoran auf ca. 20 km Fließstrecke sei. Auch diese Überlegungen können die Annahme, der Kormoran sei für den Rückgang der Fischbestände insbesondere der Äsche maßgeblich verantwortlich, nicht in Frage stellen. Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass in kleinen und mittleren Gewässern oft eine relativ kurze, quasi "überfallartige" Präsenz von Kormoranen genügt, um den Fischbestand massiv zu überfischen und auf ein Minimum-Niveau zu drücken, von dem sich der Bestand – wenn überhaupt – nur schwer und sehr langsam erholen kann (vgl. Kohl, Kormorane und Fische, Naturschutz und Fischerei, Fakten und Argumente zu einem lösbaren Problem, 2011, S. 109). So sind bereits während eines erstmaligen winterlichen Kormoranbefluges von Äschengewässern Äschenverluste von 93 % nachgewiesen (vgl. Kammerad, a.a.O., S. 243). Gegen die Zahlen des Antragstellers wendet der Antragsgegner darüber hinaus mit Recht ein, dass nach der aktuellen Veröffentlichung des Landesamtes für Umweltschutz (vgl. Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt, a.a.O., S. 534) von ca. 3.650 – 6.075 überwinternder Kormorane in Sachsen-Anhalt auszugehen ist, die sich nicht gleichmäßig auf 24.000 km Fließgewässer verteilen, sondern sich in strengen Wintern ausschließlich an eisfreien Gewässern, den Flüssen der Forellen-, Äschen- und Barbenregion, aufhalten.
- 113
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller gegen die Annahme einer Bedrohung zahlreicher heimischer Fischarten, insbesondere der Äsche, durch die Zunahme der Kormoranbestände ein, auch andere Fischfresser wie Fischotter, Graureiher, Silberreiher, Mink, Gänsesänger und Seeadler hätten hierauf Einfluss. Auch insoweit macht der Antragsgegner plausibel geltend, dass diese Arten nicht in so hoher Zahl bzw. in solchen Mengen wie der Kormoran aufträten und daher nicht relevant bestandsmindernd auf den Fischbestand einwirkten.
- 114
Soweit gegen die Annahme einer Kausalität zwischen der Zunahme der Kormoranpopulation und dem Rückgang der Äschenbestände eingewandt wird, die Äsche gehöre nicht zur Nahrung des Kormorans (vgl. Dornbusch/Fischer, Nahrungsuntersuchungen an Kormoranen in Sachsen-Anhalt, Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 47. Jahrgang, 2010, S. 16 ff.), kann auch dies nicht überzeugen. Nahrungsanalysen bei erlegten Kormoranen sind kein Beleg dafür, dass der Kormoran bestimmte Fischarten, die in der Nahrung nicht enthalten sind, nicht frisst, denn mögliche Ursache hierfür kann die starke Dezimierung der Äsche in den Vorjahren sein (vgl. Ebel, a.a.O., S. 144 f., sowie LT-Drs. 7/999, S. 5).
- 115
Nicht durchgreifend ist der Einwand des Antragstellers, der Kormoran sei nur eine von mehreren Ursachen für den Rückgang der Fischbestände, insbesondere der Äsche. Insoweit verweist er auf die Publikation des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt "Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil I, Die Fischarten", a.a.O., S. 87, in der als Gefährdungen der Äsche neben dem Kormoranfraßdruck folgende Faktoren genannt werden:
- 116
• Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen zugunsten von Hochwasserschutz und Landwirtschaft
- 117
• Abwasserbelastungen.
- 118
Zudem verweist er auf die Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt vom 23.07.2013, die folgende weitere auf den Fischbestand wirkende Einflüsse benennt:
- 119
• Wasserbau
• Unterhaltungsmaßnahmen
• Fischbesatz
• Befischung
• Prädation
• Krankheiten
• Klimaeinflüsse.
- 120
Darüber hinaus wird in der Publikation des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, "Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil II, Die Fischgewässer", 2014, https://mule.sachsen-anhalt.de/landwirtschaft/landwirtschaft-in-sachsen-anhalt/fischerei/fischartenatlas/) als Ursachen für den Rückgang der Fischbestände in der Helme – neben der Zunahme der Kormorane im Helmegebiet – folgendes erwähnt:
- 121
• Ausbau und Begradigung der Helme (Verlust von Lebensraum)
- 122
• Errichtung sechs fester Wehre ohne Fischaufstiegsanlagen (Wegfall der Durchgängigkeit)
- 123
• Absenkung des Stausees Kelbra
- 124
• Unterhaltungsmaßnahmen wie z.B. Wegbaggern des aus der Helme erodierten Kiesmaterials aus den Ablagerungsbereichen in den Ortslagen und hinter Brückenpfeilern (Verlust von Lebensraum = bevorzugte Laich- und Brutaufwuchshabitate für Äsche und Barbe)
- 125
• Qualität des Abflusswassers aus dem Stausee Kelbra (hoher Nährstoffgehalt).
- 126
In dem Beitrag von Kammerad und Wüstemann in dem im Jahr 2016 von Frank und Schnitter im Auftrag des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt herausgegebenen Band "Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt", a.a.O., werden auf S. 504 f. als weitere Gefährdungsursachen für die Fischfauna der Binnengewässer in Sachsen-Anhalt – neben der Prädation (Kormoranfraß) – benannt:
- 127
• Gewässerunterhaltungsmaßnahmen und bauliche Eingriffe in die Fließgewässer
- 128
• zunehmende Wasserkraftnutzung
- 129
• Belastung der Gewässer mit Nähr- und Schadstoffen
- 130
• Hochwasserschutzmaßnahmen
- 131
• Ausbaumaßnahmen zur Erhöhung des Abflussquerschnitts der Gewässer
- 132
• Unterhaltungsmaßnahmen, die fast immer zur Beseitigung der fischökologisch wertvollen Strukturen führen
- 133
• Fischbesatz durch Anglervereine.
- 134
Speziell der in der Untersuchung von Ebel "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts" vertretenen These, die Kormoranprädation sei die alleinige oder wesentlichste Ursache für den nachgewiesenen Fischrückgang, wird entgegengehalten, dass folgende Faktoren für den Rückgang der Äschenpopulation in der Helme nicht berücksichtigt worden seien (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, Positionsbestimmung von Naturschutzbund und Ornithologenverband Sachsen-Anhalt zu Regulierungen an den Beständen des Kormorans, Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt, 50. Jahrgang, 2013, S. 55 ff.):
- 135
• Errichtung des Helmestausees
- 136
• Wasserqualität der Helme
- 137
• Begradigung der Helme
- 138
• Durchführung von Unterhaltungsmaßnahmen
- 139
• fehlende Fischunterstände und Uferstrukturen
- 140
• Verschlammung langer Flussabschnitte
- 141
• Klimaerwärmung
- 142
• gestiegene Wassertemperaturen infolge der Einleitung von stark erwärmten Stauseewasser
- 143
• Verlust flussdynamischer Prozesse
- 144
• ungenügend auf den Schutz der Fische ausgerichtetes künstliches Wasserregime
- 145
• starke Veränderung der Wasserqualität durch zu schnelles Ablassen des Helmestausees im Spätsommer/Herbst
- 146
• Erhöhung der Wassertemperatur infolge Klimaerwärmung
- 147
• Bestandsreduzierung durch Zunahme von Hitzeperioden
- 148
• ungenügende Wasserqualität (starke Einträge aus der Landwirtschaft)
- 149
• erhebliche Strukturverluste durch Gewässerausbau, -begradigung und -unterhaltung
- 150
• schlechte Gewässerstruktur in den meisten Abschnitten (fehlende Flachwasserbereiche, Kolke, Steilabbrüche, Kiesinseln, Totholz, Ufergehölze)
- 151
• angelsportliche Nutzung.
- 152
Diese möglichen weiteren Ursachen für den Rückgang der Fischpopulation stellen die Annahme des Antragsgegners, die Zunahme der Kormoranbestände in Sachsen-Anhalt sei hauptverantwortlich für die Bedrohung zahlreicher heimischer Fischarten, insbesondere der Äsche, nicht in Frage. Der Antragsgegner hat plausibel entgegnet, dass in der Publikation des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt "Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil I, Die Fischarten" sowie in dem Beitrag von Kammerad und Wüstemann in dem von Frank und Schnitter im Auftrag des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt herausgegebenen Band "Pflanzen und Tiere in Sachsen-Anhalt" lediglich Gefährdungen der Äsche bzw. der Fischfauna angegeben seien, die möglicherweise zu Schäden führen könnten. Die betreffenden Ausführungen seien als Warnung und Aufruf zur Vorsicht zu verstehen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Hiermit solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die Fischbestände aktuell einer Gefährdung infolge dieser Faktoren unterlägen. Im Gegenteil hätten insbesondere die Äschen nach der Wende aufgrund der spürbaren Verbesserung der Gewässerqualität und der ökologischen Durchgängigkeit wiederangesiedelt werden können und sich zu großen Beständen entwickelt. In der Publikation des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, "Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt, Teil II, Die Fischgewässer", a.a.O., S. 137, werde die Zunahme der Kormorane im Helmegebiet als die wahrscheinliche Hauptursache für das allmähliche Aussterben der Äschen und Barben in den Jahren nach 1995 bezeichnet.
- 153
Weitere mögliche Ursachen für den Rückgang der Fischbestände, insbesondere der Äschen, seien zwar vorhanden, aber keine hinreichende Erklärung für deren Rückgang im zeitlichen Zusammenhang mit der Zunahme der Zahl der Kormorane. Es habe in den letzten Jahren keine wesentliche Änderung der den Fischbestand beeinflussenden Faktoren gegeben, mit Ausnahme der Zahl der Kormorane. Beeinträchtigung von Fischlebensräumen durch Gewässerausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen gebe es heute nur noch in Einzelfällen zum Schutz besiedelter Ortschaften vor Hochwasser. Das Ausmaß der ökologischen Verbesserungen, insbesondere die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit, Gewässerrenaturierung und Gewässerreinhaltung, übersteige die hochwasserschutzbedingten Flussbaumaßnahmen deutlich. Auch seien der Eintrag von Nähr- und Schadstoffen in die Gewässer sowie die Veränderungen der natürlichen Gewässermorphologie und der Abflussverhältnisse durch wasserbauliche Eingriffe seit Jahren unverändert und daher keine Ursache für den Rückgang der Äsche. Schadstoffbedingtes Fischsterben oder ökologische Verschlechterungen seien in den Gewässern der Flussfischarten während der Phase des Bestandszusammenbruchs nicht aufgetreten. Trotzdem sei es mit Beginn der 2000er Jahre genau wie in allen anderen Bundesländern und in ganz Europa zu einem Zusammenbruch der Äschenbestände und aller anderen, größer wüchsigen Flussfischarten der Forellen-, Äschen- und Barbenregion gekommen, die in das Beuteschema des Kormorans passten. Gleichzeitig sei es in diesen Gewässern zu einer explosionsartigen Vermehrung von Kleinfischarten gekommen, darunter hoch empfindliche, strukturgebundene Arten wie Groppe, Elritze und Bachneunauge, die nicht ins typische Beuteschema des Kormorans fielen. Wenn für den Rückgang der Äschenbestände und anderer größer wüchsiger Flussfischarten primär Strukturgütemängel, Wassergütemängel, Gewässerausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen ursächlich wären, hätte sich die anspruchsvollen und vom Kormoran weitgehend verschmähten Kleinfischarten nicht so rasant vermehren können, sondern müssten ebenso dezimiert bzw. aus den Fließgewässern verschwunden sein. Dem sei aber nicht so. Deshalb sei entsprechend der mittlerweile umfangreichen nationalen und internationalen Untersuchungen zu diesem Thema der ursächliche Grund für den Zusammenbruch der Fischbestände die europaweite Zunahme der Kormoranbestände weit über die historische Bestandsgröße und ehemaligen Verbreitungsgebiete hinaus.
- 154
Aufgrund dieser Erwägungen kann nach Auffassung des Senats mit guten Gründen angenommen werden, dass die Zunahme der Kormoranbestände in Sachsen-Anhalt hauptverantwortlich ist für die Bedrohung zahlreicher heimischer Fischarten, insbesondere der Äsche. Selbst wenn in den letzten Jahren noch andere Faktoren neben dem Kormoranfraß für deren Rückgang verantwortlich gewesen sein sollten, sind Maßnahmen zum Schutz der natürlich vorkommenden Fischfauna auf der Grundlage des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil der Kormoran die Restbestände in einer Weise gefährdet, die ein Verschwinden der Äsche in Sachsen-Anhalt befürchten lässt (vgl. VGH BW, Urt. v. 14.03.2011 – 5 S 644/09 –, a.a.O., RdNr. 59, zur Gefährdung des Bestandes der Äschen durch den von Kormoranen ausgehenden Fraßdruck am Bodensee).
- 155
Weitere Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Kormorans und dem Rückgang der Fischbestände, insbesondere der Äsche, sind nicht erforderlich. Hierzu hat Guthörl überzeugend ausgeführt (zitiert nach Steffens, a.a.O., S. 12):
- 156
"Selbst wenn für das einzelne Gewässer keine Daten verfügbar sind, die durch Ausschluss anderer Negativfaktoren für die Fischbestände, Untersuchung kompensatorischer Maßnahmen etc. eine naturwissenschaftliche kohärente Beweisführung hinsichtlich Zusammenhang von Kormoranfraß und rückläufigen Fangzahlen bzw. zusammengebrochenen Fischbeständen ergäben, oder wenn solche Forschungsarbeiten viel zu teuer und zeitaufwändig in Relation zur wirtschaftlichen Bedeutung der vermuteten Kormoranschäden wären, so ist die zeitliche Koinzidenz von Kormoraneinflügen oder zunehmender Kormoranpräsenz einerseits und drastischem Rückgang bzw. gänzlichem Verschwinden von Fischbeständen andererseits an einer Vielzahl europäischer Flüsse und Bäche statistisch signifikant und damit ein wissenschaftlich kaum widerlegbarer Beweis für den ursächlichen Zusammenhang."
- 157
Zu Unrecht meint der Antragsteller, es müsse bei einer Gesamtbewertung mit berücksichtigt werden, dass sich der Bestand zahlreicher Fischarten durch die Jagd des Kormorans sogar verbessert habe. Auch werde sich ein Gleichgewicht zwischen Fischfauna und Kormoran im Sinne der klassischen Ökologie, eine gekoppelte Oszillation, bei der die Entwicklung des Räubers der Entwicklung der Beute zeitlich versetzt folge, auf überregionaler Ebene ausbilden, sofern als Bezugsgrundlage die Gesamtfischbiomasse über alle Arten hinweg betrachtet werde. Der Fischartenschutz werde in unzulässiger Weise zu stark auf nur eine bis zwei von mehr als 50 in Sachsen-Anhalt vorkommenden Arten reduziert. Diese Überlegungen sind im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Die artenschutzrechtliche Ausnahmevorschrift des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG dient dem Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt im Sinne eines Schutzes des regionalen Bestandes einzelner Arten vor Verdrängung oder Vernichtung (vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 45 RdNr. 15). Ausreichend hierfür ist die Bedrohung einer einzelnen Art.
- 158
4. Die Kormoranverordnung ist zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt auch geeignet.
- 159
Die durch eine artenschutzrechtliche Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG zugelassene Maßnahme muss zur Erreichung ihres Zwecks geeignet sein (vgl. OVG SH, Urt. v. 22.07.1993 – 1 L 321/91 –, a.a.O., S. 99; VGH BW, Urt. v. 01.12.1997 – 5 S 1486/96 –, juris RdNr. 36; VG Hannover, Urt. v. 27.04.2010 – 4 A 6036/08 –, juris RdNr. 49; Meßerschmidt, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 55; Thum, AUR 2005, 148 <149>). Die Geeignetheit des gewählten Mittels ist gegeben, wenn es den angestrebten Zweck zumindest fördern bzw. zur Zweckerreichung beitragen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.03.2013 – 2 BvF 1/05 –, juris RdNr. 76; BVerwG, Urt. v. 02.08.2012 – BVerwG 7 CN 1.11 –, juris RdNr. 29). Das gilt auch für eine Rechtsverordnung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG. Eine solche ist geeignet, wenn sie einen effektiven Beitrag zur Erreichung des konkret damit bezweckten Ziels leisten kann (vgl. VGH BW, Urt. v. 14.03.2011 – 5 S 644/09 –, a.a.O., RdNr. 60, zu einer Befreiung gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 3 NatSchG BW). Dem Normgeber steht bei der Beurteilung der Eignung des von ihm gewählten Mittels zu dem mit der Regelung angestrebten Zweck ein Einschätzungsspielraum zu. Dies gilt auch für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer Regelung. Dieser Spielraum ist nicht überschritten, wenn die Einschätzung des Normgebers, das von ihm gewählte Mittel sei zur Errichtung des mit der Regelung verfolgten Zwecks geeignet, zumindest vertretbar ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99 –, juris RdNr. 39).
- 160
Gemessen daran ist die Einschätzung des Antragsgegners, die Kormoranverordnung sei zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt geeignet, rechtlich nicht zu beanstanden.
- 162
"Diese Verordnung dient dem Schutz der natürlichen Fischfauna und der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden durch Kormorane (Phalacrocorax carbo). Zu diesem Zweck dürfen die dazu berechtigten Personen Kormorane in bestimmten Bereichen bejagen und die Entstehung neuer Brutkolonien verhindern. Durch diese Maßnahmen sollen Kormorane bei drohenden Schäden aus diesen Bereichen vergrämt werden."
- 163
Soweit in § 2 KorVO LSA eine Ausnahme vom Tötungsverbot für Kormorane zugelassen wird, soll der durch § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG vorgegebene Zweck der Kormoranverordnung dadurch erreicht werden, dass die Kormorane durch Vergrämungsabschüsse von Gewässern mit wertvollen Fischbeständen weggelenkt werden, um Fischereischäden zu reduzieren und bedrohte Fischarten zu schützen (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 6). Zweck der zugelassenen Abschüsse ist es, die Vögel bei drohenden Schäden durch Bejagung aus bestimmten Bereichen zu vertreiben (zu vergrämen) und räumlich zu steuern, um lokale Schäden abzuwehren und die begrenzte Erholung von Fischbeständen zu fördern (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 11). Es handelt sich dabei um eine Maßnahme der Bestandsregulierung, die auf eine Änderung der räumlichen Verteilung der Individuen einer Art abzielt (vgl. BT-Drs. 18/2979, S. 4). Darüber hinaus soll durch die in § 5 KorVO LSA zugelassene Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien ein weiterer Anstieg des Brutbestandes beim Kormoran in Sachsen-Anhalt bzw. eine Ansiedlung in sensiblen Bereichen unterbunden werden (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 13).
- 164
Zu Unrecht meint der Antragsteller, der Zweck der Kormoranverordnung sei ausweislich der Regelung in § 1 KorVO LSA, ihrer Begründung sowie der in Bezug genommenen Ausführungen von Ebel in seinem Aufsatz "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts" die Reduktion der Bestände des Kormorans. Dieser Zweck könne durch die Kormoranverordnung nicht erreicht werden. Die zugelassenen Abschüsse führten nicht zu einer Dezimierung der Zahl der Kormorane. Einen messbaren Effekt könnten die Abschüsse nur im Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen haben. Da der Kormoran nur eine von mehreren Ursachen für den Rückgang der Fischbestände sei, lasse sich ein Effekt der Kormoranabschüsse ohne eine gezielte Bekämpfung der anderen Ursachen nicht erzielen. Vergrämungsmaßnahmen führten häufig nur zu einer räumlichen Verlagerung des Problems, aber nicht zu einer Entspannung der Gesamtsituation. Auch das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt habe in seiner Stellungnahme vom 23.07.2013 darauf hingewiesen, dass Abschüsse keinen Einfluss auf die Bestandsentwicklung des Kormorans hätten. Es trete keine Verringerung der Brut- oder Rastbestände des Kormorans ein, da die durch Abschüsse erzielten Lücken durch Zuzügler aus anderen Gebieten gefüllt würden. Die Kormoranverordnung sei auch deshalb wirkungslos, weil große Teile der für die Seen- und Flussfischerei relevanten Gewässer in Schutzgebieten lägen, in denen der Abschuss nach § 3 Abs. 2 KorVO LSA nicht zulässig sei. Das Vorgehen gegen den Kormoran durch Abschüsse könne daher nicht zu einer spürbaren Verbesserung des Fischbestandes führen.
- 165
Diese Einwände stellen die Einschätzung des Antragsgegners, die Kormoranverordnung leiste einen Beitrag zum Schutz der natürlichen Fischfauna und der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und sei daher zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet, nicht in Frage. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Kormoranverordnung nicht darauf abzielt, die Gesamtzahl der Kormorane zu beeinflussen. Sie sehe lediglich lokale Defensivmaßnahmen vor, um die relative Attraktivität bestimmter Gewässerabschnitte für den Kormoran zu senken. Es sei ihm bewusst, dass für eine Reduzierung der Gesamtpopulation ein europaweites Kormoranmanagement erforderlich sei.
- 166
Diese Angaben des Antragsgegners stehen in Übereinstimmung sowohl mit dem Wortlaut der Kormoranverordnung als auch mit ihrer Begründung. § 1 Satz 3 KorVO LSA bringt zum Ausdruck, dass durch die mit den §§ 2 und 5 KorVO LSA zugelassenen Maßnahmen die Kormorane bei drohenden Schäden aus bestimmten Bereichen vergrämt werden sollen. Demgemäß ist in der Begründung der Kormoranverordnung auf Seite 6 von "Vergrämungsabschüssen" und auf Seite 11 von "Vergrämung" die Rede. Hierdurch kommt deutlich zum Ausdruck, dass die zugelassenen Maßnahmen auf eine Änderung der räumlichen Verteilung der Kormorane und nicht auf eine Verringerung der Bestände abzielen. Das Argument des Antragstellers, eine Verringerung der Gesamtpopulation sei durch die zugelassenen Maßnahmen nicht erreichbar, geht daher an der Intention der Kormoranverordnung vorbei.
- 167
Die Annahme des Antragsgegners, der Zweck der Kormoranverordnung lasse sich durch Abschüsse erreichen, indem die Vögel vergrämt und räumlich gesteuert würden, um lokal Schäden abzuwehren und die begrenzte Erholung von Fischbeständen zu fördern, ist vertretbar. Der Antragsgegner kann sich hierbei auf Stellungnahmen in der einschlägigen fachwissenschaftlichen Literatur stützen, wonach mit Vergrämungsabschüssen, bei denen einige wenige Kormorane geschossen werden, um die übrigen von bestimmten sensiblen Gewässern wegzulenken, grundsätzlich ein wirksamer Abschreckungseffekt erzielt werden kann (vgl. Kohl, Kormorane und Fische, Naturschutz und Fischerei, Fakten und Argumente zu einem lösbaren Problem, a.a.O., S. 142 f.).
- 168
Die Kormoranverordnung verfehlt auch nicht deshalb ihren Zweck, weil die Kormorane aufgrund ihres Vorkommens in Vogelschutzgebieten nicht bejagt bzw. vergrämt werden dürften. Mit diesem Argument will der Antragsteller seinen Einwand untermauern, eine Reduktion der Bestände des Kormorans sei durch die Kormoranverordnung nicht zu erreichen. Das ist indessen – wie bereits ausgeführt – nicht das Ziel der Kormoranverordnung. Der Antragsgegner hat darüber hinaus plausibel ausgeführt, dass die Standgewässer in den Vogelschutzgebieten in strengen Wintern vollständig zufrieren und auf den schiffbaren Flüssen Eistreiben einsetze. Die Kormorane in Vogelschutzgebieten verließen dann diese Gebiete und fischten ausschließlich in den eisfrei bleibenden Fließgewässern der Forellen-, Äschen- und Barbenregion. Hier könnten sie dann zum Schutz der stenöken Fischarten entsprechend der Kormoranverordnung bejagt werden.
- 169
Die Einschätzung des Antragsgegners, die mit der Kormoranverordnung zugelassenen Maßnahmen seien geeignet, lokal Schäden abzuwehren und die begrenzte Erholung von Fischbeständen zu fördern, wird auch nicht durch den Einwand widerlegt, Vergrämungsabschüsse führten dazu, dass der Kormoran auf Gewässer ausweiche, an denen er zuvor gar nicht vorkam (vgl. BT-Drs. 18/11360, S. 7; Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 61). Auch der Einwand, eine effiziente Bejagung oder dauerhafte Vergrämung des Kormorans sei an größeren Flüssen – anders als an kleineren Teichen – aus rein praktischen Gründen nicht möglich, da die vergrämten Trupps sofort benachbarte Flussabschnitte aufsuchten (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 63), spricht nicht entscheidend gegen die Einschätzung des Antragsgegners, die Kormoranverordnung sei geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Die Kormoranverordnung soll dazu dienen, die Vögel bei drohenden Schäden zu vergrämen, sobald sie auftauchen. Soweit die Kormorane an Gewässern erscheinen, an denen sie bisher nicht vorkamen, ist eine Vergrämung auch von diesem Gewässer möglich. Je intensiver die Vergrämung durchgeführt wird, desto umfassender ist der hierdurch bewirkte Schutz der Fischbestände. Dabei wird der Erfolg von Vergrämungsabschüssen begünstigt, wenn in der Nähe noch andere Gewässer vorhanden sind, an denen die Kormorane ausreichend Nahrung finden (vgl. Kohl, a.a.O., S. 143). Eine derartige Situation ist in Sachsen-Anhalt grundsätzlich vorhanden. In dem vom Antragsteller mit dem Ornithologenverband Sachsen-Anhalt verfassten Positionspapier wird darauf hingewiesen, dass der Kormoran nicht auf fischereiwirtschaftlich oder angelsportlich genutzte Gewässer angewiesen sei, um zu überleben. Dies bewiesen nicht zuletzt die Ansiedlungen in der Bergbaufolgelandschaft (Goitzsche, Geiseltal, Zschornewitz), wo sich die größten Anteile des Gesamtbrutbestandes der Art in Sachsen-Anhalt konzentrieren. Hier nutzen die Tiere in erster Linie das natürlich vorhandene Nahrungsangebot ohne die Ichthyozönose im Gewässer nachhaltig zu beeinflussen (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 57). Vor diesem Hintergrund kann der Antragsgegner in vertretbarer Weise annehmen, dass die mit der Kormoranverordnung zugelassenen Vergrämungsabschüsse zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt geeignet sind, denn eine Verscheuchung der Vögel von Gewässern mit "wertvollen Fischbeständen" hin zu solchen Gewässern, in denen eine Beeinträchtigung der genannten Rechtsgüter nicht eintritt, erscheint jedenfalls möglich. Die Wirksamkeit der Vergrämungsabschüsse von Kormoranen mit dem Ziel der Vertreibung von schutzwürdigen Gewässern ist damit jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
- 170
Soweit darauf hingewiesen wird, dass Vergrämungsabschüsse zusätzliche Probleme hervorriefen, da das durch die Vergrämungsaktivitäten vermehrt auftretende fluchtartige Auffliegen der Vögel zu einem Energieaufwand führe, den die Vögel durch verstärkte Nahrungsaufnahme kompensieren müssten (vgl. BT-Drs. 18/11360, S. 7; Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 62), stellt auch dies die Annahme der Geeignetheit der durch die Kormoranverordnung zugelassenen Maßnahmen zu dem angestrebten Zweck nicht grundlegend in Frage. Einerseits tritt ein teilweiser Ausgleich dieses Effekts durch Reduzierung der insgesamt gefressenen Fischmenge infolge des Abschusses von Kormoranen ein. Entscheidend ist jedoch, dass der Zweck der Kormoranverordnung nicht durch eine Reduzierung der insgesamt gefressenen Fischmenge durch Abschuss von (möglichst vielen) Kormoranen erreicht werden soll, sondern durch die Vergrämung der Kormorane von besonders sensiblen Gewässern. Ein erhöhter Energiebedarf der Vögel infolge des fluchtartigen Auffliegens bei Vergrämungsmaßnahmen spielt bei diesem Ansatz keine Rolle.
- 171
Ebenfalls nicht durchgreifend ist der Einwand des Antragstellers, die Geeignetheit der Kormoranverordnung zum Schutz von Gewässern mit besonders schützenswertem Fischbestand durch Vertreibung an andere Gewässer durch Vergrämungsabschüssen werde deshalb nicht erreicht, weil besonders schutzwürdige Gewässer nicht definiert werden, sondern Abschüsse an jeder Gewässerstrecke zulässig seien. Es erfolge keine Lenkung der Abschüsse auf die Gewässerstrecken, auf denen die Situation der Fischbestände besonders kritisch sei. Die Tötung von Kormoranen orientiere sich nicht an besonders gefährdeten Fischbeständen, sondern sei allein davon abhängig, ob sich Abschussberechtigte finden ließen und wo diese die Vögel abschießen. Hierdurch werde es auch zu Abschüssen über Gewässerstrecken kommen, an denen dies nicht sinnvoll sei. Die Erlaubnis zum flächendeckenden Abschuss von Kormoranen habe allenfalls zufällige und kurzfristig wirkende Effekte.
- 172
Auch dieser Einwand kann nicht überzeugen. Die Kormoranverordnung bewirkt durch die landesweite Zulassung von Vergrämungsabschüssen nach Maßgabe des § 3 KorVO LSA eine größere Flexibilität gegenüber Einzelabschussgenehmigungen (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 6). Dies dient der schnellen und unbürokratischen Reaktion auf einfliegende Kormorane zur effektiven Vergrämung. Soweit Kormorane an ein schützenswertes Gewässer einfliegen, können sie von dort sofort durch Vergrämungsabschüsse vertrieben werden. Der Antragsgegner geht plausibel davon aus, dass dies effektiver ist als eine Vergrämung, nachdem sich die Vögel bereits länger an einem Gewässer aufgehalten haben. Zwar wird hierdurch eine Vergrämung von Kormoranen auch von nicht schutzwürdigen Gewässerabschnitten zugelassen. Entscheidend ist jedoch, dass damit ein Gewinn an Flexibilität bei der Vergrämung von Kormoranen nach deren Einfliegen an schutzwürdige Gewässer erzielt wird. Der Antragsgegner weist zudem plausibel darauf hin, dass Vergrämungsabschüsse an nicht schutzwürdigen Gewässerabschnitten faktisch nicht zu erwarten sind, da hieran kein Interesse besteht. Vor diesem Hintergrund ist es von dessen Einschätzungsprärogative gedeckt, anzunehmen, die räumlich grundsätzlich unbeschränkte Zulassung von Vergrämungsabschüssen sei zur Erreichung der Ziele der Kormoranverordnung geeignet. Eine langfristige bzw. dauerhafte Abwendung von Schäden wird von § 45 Abs. 7 BNatSchG ohnehin nicht gefordert (vgl. Thum, a.a.O., S. 151).
- 173
5. Die Kormoranverordnung ist auch nicht in sich widersprüchlich.
- 174
Der Antragsteller meint, die Kormoranverordnung sei in sich widersprüchlich und deshalb rechtswidrig. Gemäß § 1 Satz 3 KorVO LSA seien Maßnahmen zur Vergrämung nur in bestimmten Bereichen bei drohenden Schäden zulässig. In den Erlaubnistatbeständen der §§ 2 ff. KorVO LSA gebe es jedoch keine derartige Begrenzung; vielmehr seien Abschüsse grundsätzlich voraussetzungslos und jederzeit zugelassen.
- 175
Dieser Einwand greift nicht durch. Die genannten Regelungen der KorVO LSA enthalten keinen Widerspruch. Die Zulässigkeit der Abschüsse richtet sich allein nach den Maßgaben der §§ 2 ff. KorVO LSA. Die Formulierungen "in bestimmten Bereichen" i.S.d. § 1 Satz 2 KorVO LSA und "bei drohenden Schäden" i.S.d. § 1 Satz 3 KorVO LSA stellen keine Begrenzung der Erlaubnistatbestände dar, sondern bringen das Motiv des Verordnungsgebers zum Ausdruck. Die in der Kormoranverordnung zugelassenen Maßnahmen zur Vergrämung der Kormorane sollen dem Zweck dienen, Schäden durch Kormorane abzuwehren. Der Verordnungsgeber unterstellt dabei, dass von den Befugnissen gemäß §§ 2 ff. KorVO LSA nur dann Gebrauch gemacht wird, wenn tatsächlich Schäden drohen.
- 176
6. Die Kormoranverordnung ist auch zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks erforderlich, da zumutbare Alternativen i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG nicht gegeben sind.
- 177
Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 Alt. 1 BNatSchG darf eine Ausnahme nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Lässt sich das angestrebte Ziel auf eine Art verwirklichen, die weniger gravierend in einen Verbotstatbestand des § 44 BNatSchG eingreift, so muss von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden (vgl. Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 16). Es darf kein gleich wirksames milderes Mittel zu Verfügung stehen. Erforderlich ist nur, was im Hinblick auf den Zweck der Maßnahme unbedingt getan werden muss (vgl. Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 45 BNatSchG RdNr. 17). Gemessen daran ist die Kormoranverordnung erforderlich, da gleich geeignete Maßnahmen, die im Hinblick auf den Kormoran einen geringeren Eingriff in das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG darstellen, nicht ersichtlich sind.
- 178
a) Der Antragsgegner hat zu Recht davon abgesehen, die Maßnahmen gegen den Kormoran auf nicht-letale Vergrämungsmaßnahmen zu beschränken.
- 179
aa) Der Antragsgegner geht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass nicht-letale Vergrämungsmaßnahmen wie etwa akustisch-optische Scheuchtechniken, die Simulation der Anwesenheit tierischer Feinde oder sonstige Abschrecktechniken wie etwa Lasergewehre nicht gleich wirksam wie Vergrämungsabschüsse sind. Er kann sich hierbei auf die einschlägige Literatur stützen, in der plausibel darauf hingewiesen wird, dass Vergrämungsabschüsse deutlich wirksamer sind als nicht-letale Schutz- oder Vergrämungsmaßnahmen (vgl. Kohl, a.a.O., S. 138 ff.).
- 180
bb) Zu Recht hat der Antragsgegner die zulässigen Maßnahmen bei Teichanlagen nicht auf eine Veränderung der Bewirtschaftungspraxis beschränkt. Insoweit kommen eine Anpassung der Größe der Besatzfische, eine Reduzierung der Menge der Fische pro Hektar sowie die Anlage von Ablenkungsteichen mit wirtschaftlich uninteressanten Fischen in Betracht. Im Hinblick auf diese Möglichkeiten hat der Antragsgegner plausibel angenommen, sie seien keine gleich wirksamen Mittel und zudem mit hohen Kosten für die Teichwirte verbunden.
- 181
cc) Auch eine Beschränkung der Teichanlagen auf das Überspannen der Teiche mit Netzen und Spanndrähten hat der Antragsgegner zu Recht nicht vorgenommen. Diese Maßnahmen sind kein gleichwertiger Ersatz für letale Vergrämungsmaßnahmen. Maßgeblich hierfür sind die hohen Kosten, die hiermit verbundene Gefahr für andere Wasservogelarten sowie Greifvögel, die Überlegung, dass Kormorane lernen können, diese Barrieren zu überwinden, sowie die Erkenntnis, dass Teichüberspannungen nur bei der Abdeckung von Kleinstteichen, Becken- und Hälteranlagen in der Forellenzucht, nicht aber als flächendeckender Ersatz für letale Vergrämungsmaßnahmen in Betracht kommen.
- 182
dd) Es ist auch nicht erkennbar, dass die in der "INTERCAFE Cormorant Management Toolbox" (http://www.intercafeproject.net/pdf/Cormorant_Toolbox_Manual_FOR_WEB.pdf) aufgeführten nicht-letalen Vergrämungsmaßnahmen ("Cormorant Management Tools") gleich wirksam sind wie die mit der Kormoranverordnung zugelassenen Vergrämungsabschüsse. Genannt werden folgende Maßnahmen:
- 183
• Maßnahmen zur Verscheuchung der Vögel
- 184
° akustische Maßnahmen
° optische Maßnahmen
° chemische Maßnahmen
- 185
• Maßnahmen zum Schutz der Fische
- 186
° Netzüberspannungen
° Drähte
° schwimmende Plastikbälle
° Anlagenkonstruktionen
- 187
• Maßnahmen zur Reduzierung der Verfügbarkeit der Fische für Kormorane
- 188
° Fischbestandsmanagement
° Veränderung der Lebensräume
- 189
■ Entfernen von Rast- und Schlafplätzen der Kormorane
■ Entfernung von Nestern der Kormorane
■ Verbesserung der Qualität der Fischhabitate
■ Errichtung künstlicher Fischverstecke
- 190
Die nicht-letalen Maßnahmen zur Verscheuchung der Vögel hat der Antragsteller nachvollziehbar als nicht wirksam erachtet, da diese keine wirkliche Gefahr sind und an Wirkung verlieren, sobald die überaus lernfähigen Vögel die Ungefährlichkeit "durchschaut" und sich an die Scheucheffekte gewöhnt haben (vgl. Kohl, a.a.O., S. 140 f.). Auch Maßnahmen zum Schutz der Fische bieten keinen vollständigen Schutz und sind zudem nicht flächendeckend einsetzbar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass Maßnahmen zur Regulierung der Fischbestände oder zur Veränderung der Lebensräume der Kormorane oder Fische zum Schutz der natürlichen Fischfauna und zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden ebenso effektiv sind wie die zugelassenen Vergrämungsabschüsse und daher vorrangig zur Anwendung kommen müssen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller angesprochenen Möglichkeit eines schnellen räumlich-zeitlichen Wechsels einzelner Vergrämungsmaßnahmen oder einer Kombination mehrerer Maßnahmen. Es leuchtet nicht ein, dass sich hieraus eine zumindest gleich hohe Effektivität bei der Erreichung der mit der Kormoranverordnung angestrebten Ziele ergeben soll wie durch die zugelassenen Vergrämungsabschüsse.
- 191
ee) Auch die nicht-letale Vergrämung mit dem akustischen Gerät "Seeadler-K1" (vgl. https://thueringen.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/kormoran/schonende-kormoranvergraemung/index.html) hat keinen Vorrang vor den Vergrämungsabschüssen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine hinreichende Scheuchwirkung des Geräts "Seeadler-K1" auf Kormorane nachgewiesen ist. Zwar heißt es in dem Bericht zur Untersuchung des Geräts durch die Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) vom 30.11.2005, die Wirksamkeit einer nicht-letalen Vergrämungsmethode im Winterhalbjahr sei bewiesen; die Scheuchwirkung sei offenkundig. Auch wird in dem (undatierten) Erfahrungsbericht des Landesfischereiverbandes Sachsen-Anhalt e.V. ausgeführt, eine eindeutige Scheuchwirkung auf Kormorane sei vorhanden. Gleichwohl geht der Antragsgegner zu Recht davon aus, dass das Vergrämungsgerät "Seeadler K1" keine zumutbare Alternative darstellt. Er weist plausibel darauf hin, dass die Geräte von Anfang an immer schon von einzelnen Kormoranen oder kleinen Trupps dieser Vögel ignoriert worden seien. Bereits nach wenigen Wochen oder Monaten, insbesondere mit zunehmender Kormoranzahl und zunehmendem Fraßdruck, hätten sich die Kormorane von den Geräten nicht mehr vertreiben lassen. Zudem seien die Geräte ständig ausgefallen oder durch Vandalismus zerstört worden. Zum Teil hätten die Geräte nach Beschwerden von Bürgern, Anwohnern, Vogelfreunden und sogar auf Anweisung von Naturschutzbehörden wieder abgeschaltet und entfernt werden müssen. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass auch diese Geräte nicht flächendeckend zur Kormoranvergrämung zum Einsatz kommen können, insbesondere bei natürlichen Gewässern von mehreren Kilometern Länge, kann hierin keine zumutbare Alternative gesehen werden.
- 192
b) Der Kormoranverordnung steht auch nicht entgegen, dass die bisherige Praxis der Einzelabschussgenehmigungen beibehalten werden könnte.
- 193
In dem Bericht des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt zur Evaluierung der bisherigen Verfahrensweise im Land Sachsen-Anhalt vom 01.09.2010 wurde bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Vergrämungsabschüsse zusammenfassend ausgeführt, die bisherigen Möglichkeiten zur Kormoranvergrämung auf der Basis der Einzelfallregelung habe in Anbetracht der enormen Zunahme der Kormoranpräsenz an den Gewässern Sachsen-Anhalts nicht so wie ursprünglich geplant wirksam werden können. Lediglich bei den Teichwirtschaftsbetrieben mit künstlich zur Fischzucht angelegten Gewässern sei ein zufriedenstellender Vergrämungserfolg infolge der bisherigen Einzelfallgenehmigungspraxis zu verzeichnen gewesen. Bei den Angelvereinen, die überwiegend Fischereiausübungsberechtigte an Fließgewässern seien, sei die Situation ungleich schwieriger. Hier hätten die Pachtstrecken an den betroffenen Flüssen der Forellen-, Äschen- und Barbenregion Ausdehnungen von 20 bis 30 km oder mehr. Viele der Jagsausübungsberechtigten seien nicht am Abschuss von Kormoranen interessiert. Bei einzelnen Abschüssen würden die Kormorane einige Kilometer weiter in einen anderen Jagdbezirk fliegen und dort am selben Gewässer den Fischfang fortsetzen. Die in Sachsen-Anhalt getätigten Abschüsse seien verschwindend gering. Die bisherige Praxis der Kormoranvergrämung auf der Grundlage von Einzelgenehmigungen reiche nicht aus, um Fischereischäden und die drohende Ausrottung besonders "kormorangefährdeter" Fischarten wie Äsche, Zähre und Barthe zu verhindern. Nur mit einer Erlaubnis, im Umkreis von 250 m um Gewässer Kormorane zu schießen, könne der großen Flexibilität der Kormorane und den enormen Schäden begegnet werden. Noch stärker hätten die Fluss- und Seenfischereibetriebe (Berufsfischerei) in Sachsen-Anhalt unter dem starken Kormoranbeflug der Gewässer zu leiden. Weil diese im Gebiet der mittleren Elbe, der unteren Havel und der großen Seen keine Gewässer der Forellen-, Äschen- und Barbenregion mit stark gefährdeten Flussfischarten bewirtschafteten, hätten sie bislang auch keine Aussicht auf Genehmigung von Kormoranvergrämungsmaßnahmen. Ein weiterer Grund sei die hohe Dichte von naturschutzrechtlich geschützten Gebieten entlang dieser Gewässer. Eine Rechtsverordnung zur Abwehr von Kormoranschäden könne einen besseren Vergrämungseffekt an den natürlichen Gewässern der Berufs- und Angelfischerei bewirken.
- 194
Diese nachvollziehbaren Ausführungen lassen erkennen, dass der Übergang von der Einzelfallgenehmigungspraxis zur Zulassung einer generellen Ausnahme vom Tötungsverbot durch die Kormoranverordnung zur Erhöhung der Effektivität der Kormoranvergrämung nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Antragsgegners erforderlich war.
- 195
c) Entgegen der Ansicht des Antragstellers bedurfte es keiner über die Regelungen in § 3 KorVO LSA hinausgehenden räumlichen Beschränkung der Ausnahmen vom Tötungsverbot.
- 196
aa) Die Geltung der Kormoranverordnung auch an Anlagen der Teichwirtschaft, Fischhaltung oder Fischzucht ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar wird insbesondere in dem Bericht des Landesverwaltungsamtes vom 01.09.2010 ausgeführt, dass ein zufriedenstellender Vergrämungserfolg infolge der bisherigen Einzelfallgenehmigungspraxis zu verzeichnen sei. Zudem kommen dort mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg auch nicht-letale Vergrämungsmaßnahmen in Betracht, wie etwa das Überspannen mit Netzen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Rechtfertigung für die Geltung der Kormoranverordnung auch für derartige Anlagen gibt. Wie bereits ausgeführt, ist das Überspannen der Teiche mit Netzen und Spanndrähten kein gleichwertiger Ersatz für letale Vergrämungsmaßnahmen, da hiermit regelmäßig keine dauerhafte Abwehr der Kormorane verbunden ist (vgl. Kohl, a.a.O., S. 139 f.). Auch eine Beschränkung der Anlagen der Teichwirtschaft auf Einzelfallgenehmigungen zum Abschuss ist nicht gerechtfertigt, da die Überlegung, dass auf der Grundlage der Kormoranverordnung deutlich rascher und unmittelbarer auf Kormoraneinflüge reagiert werden kann als durch Einzelfallgenehmigungen (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 6), auch für Teichwirtschaften gilt.
- 197
bb) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist auch keine Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs der Kormoranverordnung auf bestimmte Gewässer, deren Fischfauna besonders schützenswert ist, erforderlich.
- 198
Der Antragsteller ist der Auffassung, die Tötungserlaubnis für den Kormoran sei nicht gerechtfertigt an Gewässern, deren Fischfauna wegen des Vorkommens eurytoper Massenfische, z.B. der Plötze, nicht besonders schützenswert sei. Es widerspreche dem Zweck der Kormoranverordnung, die Vergrämung von Kormoranen auch an Stellen zuzulassen, an denen sie keine größeren Schäden anrichteten. Daher sei die Ausweisung von Gewässerstrecken mit besonders schützenswerten Fischbeständen und strukturreichen Lebensräumen und die Begrenzung der Ausnahmen vom Tötungsverbot auf diese Strecken geboten. Die schutzwürdigen Gewässerabschnitte – etwa die Fließgewässer der Äschen-Region – ließen sich anhand ihrer Lage mit zumutbarem Aufwand identifizieren. Außerhalb dieser schutzwürdigen Gewässer oder Gewässerabschnitte lägen die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG nicht vor. Folglich dürfe sich auch der räumliche Geltungsbereich der Kormoranverordnung nicht auf diese Bereiche erstrecken. Andernfalls könne es an diesen Gewässern zum Abschuss von Kormoranen ohne Rechtfertigung kommen. Die Erstreckung der Gestattung der Abschüsse auf – grundsätzlich – jedes Gewässer gemäß § 3 Abs. 1 KorVO LSA gehe daher zu weit. Auch das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt habe in seiner Stellungnahme vom 23.07.2013 eine Ausweisung von Gewässerstrecken mit besonders schützenswerten Fischbeständen und strukturreichen Lebensräumen, in denen der Abschuss zulässig sei, für sinnvoll gehalten. Andernfalls bestehe die Gefahr des Abschusses von Kormoranen an Gewässern, an denen die Kormoranpräsenz unproblematisch sei, mit der Folge eines Ortswechsels mit hohem Energieverbrauch und Nahrungsbedarf und des Aufsuchens von bislang nicht von Kormoranen frequentierter (empfindlicher) Gewässer. Zum Beispiel befänden sich in der Bergbaufolgelandschaft (Zschornewitz, Geiseltal, Goitzsche), wo vergleichsweise wenige Konflikte mit (angel-)fischereilichen Interessen bestünden, drei große Kolonien mit mehr als 100 Brutpaaren. Die Bekämpfung des Kormorans innerhalb dieser Brutgebiete wäre kontraproduktiv, da sich die Tiere andernorts ansiedeln würden (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 57). Auch in der Literatur wird die pauschale Zulassung einer Ausnahme vom Tötungsverbot für Kormorane an allen Gewässern eines Gebietes teilweise für unzulässig gehalten (vgl. Thum, a.a.O., S. 151; Czybulka/Fischer, a.a.O., S. 24).
- 199
Diese Einwände greifen nicht durch. Die Entscheidung, keine weitere Begrenzung des räumlichen Geltungsbereichs der Kormoranverordnung über die in § 3 Abs. 1 und 2 KorVO LSA enthaltenen örtlichen Beschränkungen hinaus vorzunehmen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner geht plausibel davon aus, dass wegen der weiten Verbreitung des Kormorans und des schnellen Leerfischen kleinerer Gewässer der Verzicht auf die Beschränkung der Vergrämungsmaßnahmen auf bestimmte Gewässer zur Erhöhung der Flexibilität im Interesse einer praktischen Umsetzung vor Ort und im Hinblick auf den Schutz der Fischarten und Fischpopulationen erforderlich ist, da so sehr viel rascher und unmittelbarer auf in Gewässer einfliegende Kormorane reagiert werden könne (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 7). Kormorantrupps seien umso schwieriger zu vergrämen, je länger sie sich an einem Gewässer aufhielten. Die Möglichkeit einer schnellen Reaktion trage daher dazu bei, sowohl den Schutz der Fischbestände erheblich zu verbessern als auch die Vergrämung mit wenig Aufwand und geringeren Störungen für andere Arten durchzuführen. Mit einer (räumlich nicht weiter begrenzten) Verordnung könnten auch die in Abhängigkeit von den Witterungsbedingungen jährlich schwankenden Verteilungsmuster des Kormoranbestandes besser berücksichtigt werden (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 6). Eine möglichst schnelle Reaktion auf Kormorane sei auch deshalb geboten, weil die Verminderung der Zahl der Äschen durch Kormoranfraß nicht kompensierbar sei.
- 200
Diese Überlegungen rechtfertigen den Verzicht auf eine Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs der Kormoranverordnung. Zwar erlaubt die Kormoranverordnung damit dem Abschuss von Kormoranen nicht nur an "schutzwürdigen" Gewässern, sondern grundsätzlich an allen Gewässern ohne Rücksicht darauf, ob ein Abschuss tatsächlich einen Beitrag zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftliche Schäden bzw. zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt leistet oder ob die Anwesenheit von Kormoranen dort unproblematisch ist. Gleichwohl bedarf es keiner Beschränkung auf schutzwürdige Gewässer. Die Kormoranverordnung stellt mit der Gestattung des Abschusses an allen Gewässern sicher, dass sämtliche schutzwürdigen Gewässer erfasst werden, und nimmt dabei in Kauf, auch möglicherweise nicht schutzwürdige Gewässer mit zu erfassen. Dies ist zulässig. Die Alternative bestünde darin, die schutzwürdigen Gewässer einzeln in die Verordnung aufzunehmen. Dies wäre zunächst mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden und würde vor allem nicht gewährleisten, dass sämtliche schutzwürdigen Gewässer von der (abschließenden) Gewässerliste erfasst sind. Eine abschließende Aufzählung der schutzwürdigen Gewässer würde damit die Gefahr begründen, dass schutzwürdige Fischbestände schutzlos bleiben. Diese Überlegung zeigt, dass die Begrenzung des Geltungsbereich der Verordnung auf einzelne schutzwürdige Gewässer nach Maßgabe eines "Enumerationsprinzips" zur Erreichung des Zwecks der Kormoranverordnung nicht gleich gut geeignet ist, denn sie würde, anders als eine für alle Gewässer geltende Verordnung, keinen vollständigen und umfassenden Schutz sicherstellen. Der Antragssteller überspannt die Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Rechtsverordnung nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG. Seine Auffassung läuft darauf hinaus, dass eine Rechtsverordnung nur dann erforderlich ist, wenn sie sicherstellt, dass jeder einzelne Schuss, der auf der Grundlage der Verordnung – legal – abgegeben werden kann, entweder der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftliche Schäden oder dem Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt dient. Damit verkennt er die Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Rechtsverordnung. Diese beziehen sich auf die Rechtsverordnung insgesamt, nicht auf jeden einzelnen auf ihrer Grundlage abgegebenen Schuss. Die Erforderlichkeit der Kormoranverordnung insgesamt wird – im Hinblick auf ihren räumlichen Geltungsbereich – durch die bereits dargestellte Überlegung begründet, möglichst jedes schutzwürdige Gewässer bzw. jeden schutzwürdigen Gewässerabschnitt zu erfassen. Diese Überlegung rechtfertigt den Verzicht auf eine weitere Beschränkung ihres räumlichen Geltungsbereichs. Sollten bei der Anwendung der KorVO LSA im Einzelfall Fehlentwicklungen auftreten, kann dem mit einem Verbot des Abschusses von Kormoranen an bestimmten Gewässern, Gewässerteilen oder Gewässerstrecken gemäß § 7 KorVO LSA begegnet werden.
- 201
Entgegen der Ansicht des Antragstellers geht auch die Zulassung von Abschüssen in einem Abstand von bis zu 300 m um jedes Gewässer nicht zu weit. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner damit den unterschiedlichen Situationen an den Gewässern des Landes Rechnung tragen und Vergrämungsabschüsse erleichtern wollte (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 11). Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass ein Abstand von bis zu 300 Metern festgelegt worden sei, um einerseits den Abschussberechtigten die erforderliche Rechtssicherheit zu bieten und andererseits jagdpraktischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Der Abschuss eines Kormorans erfolge beim Anflug an ein Gewässer, d.h. der Kormoran fliege zum Jäger. Interessant seien dabei nur Standorte in Gewässernähe. Standorte in größerer Entfernung seien für den Abschuss von Kormoranen nicht interessant, da sie dort in zu großer Höhe fliegen würden, in der ein Abschuss nicht möglich sei. Vor diesem Hintergrund ist die Zulassung der Tötung von Kormoranen auf, über oder an Gewässern sowie in einem Abstand von bis zu 300 m hierzu gemäß § 3 Abs. 1 KorVO LSA nicht zu beanstanden.
- 202
Anders als der Antragsteller meint ist auch der in § 3 Abs. 1 KorVO LSA verwendete Gewässerbegriff nicht unklar. Zum Verständnis dieses Begriffs kann auf die Begriffsbestimmung des § 3 Nr. 1 WHG zurückgegriffen werden, der das – hier allein in Betracht kommende – oberirdische Gewässer als das ständig oder zeitweilig in Betten fließende oder stehende oder aus Quellen wird abfließende Wasser definiert, soweit es in den natürlichen Wasserkreislauf eingebunden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.06.2005 – BVerwG 9 C 8.04 –, juris RdNr. 20).
- 203
d) Es bedarf auch keiner (zeitlichen) Begrenzung der Geltung der Kormoranverordnung nach Maßgabe einer Erfolgskontrolle
- 204
Das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt hat in seiner Stellungnahme vom 23.07.2013 bemängelt, dass eine klare Zielvorgabe der Kormoranverordnung fehle. Eine solche sollte sich auf folgende Aspekte beziehen:
- 205
• Fischfauna (Erhaltungszustand, Bestandszahlen, Zusammensetzung)
- 206
• Kormoranbestand (Zielgrößen, Verteilung, Anzahl der Kormorane).
- 207
Derzeit enthalte die Kormoranverordnung keinen Bewertungsmaßstab für eine Erfolgskontrolle. Auch der Antragsteller hat bemängelt, dass Vorgaben zur Evaluation fehlten, so dass eine Prüfung, ob bzw. bis wann die Ausnahme vom Tötungsverbot durch die Kormoranverordnung aufrechterhalten werden müsse, nicht möglich sei. Erforderlich sei die Festlegung von Grenzwerten der Kormoranpopulation (Anzahl Kolonien, Anzahl Brutpaare) bzw. von Zielarten wie Äsche und Barbe oder von Bestandskriterien, die einen guten ökologischen Zustand repräsentierten.
- 208
Auch dieser Einwand greift nicht durch. Die Bundesregierung hat im Anschluss an den Kormoran-Leitfaden der Europäischen Kommission festgestellt, dass die Beurteilung der Erheblichkeit fischereiwirtschaftlicher Schäden nicht anhand eines fixen Grenzwertes für die Kormoranpopulation oder die vom Kormoran entnommene Fischmenge möglich sei (vgl. BT-Drs. 18/2979, S. 3). Auch haben weder das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt noch der Antragsteller einen Grenzwert in Gestalt von bestimmten Bestandsgrößen der Kormoranvorkommen oder der Fischbestände vorgeschlagen, anhand derer die (weitere) Notwendigkeit der Kormoranverordnung beurteilt werden könnte. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund kann erst auf der Grundlage der Ergebnisse der gemäß § 8 KorVO LSA vorzunehmenden Beobachtung der Bestandsentwicklung und hieraus ggf. abzuleitender Kriterien über die Notwendigkeit der weiteren Geltung der Kormoranverordnung entschieden werden. Dabei dürfte es sachgerecht sein, die Bestandsentwicklung des Kormorans sowie derjenigen Fischarten zu beobachten, die vom Kormoran besonders bedroht sind, also etwa Äschen, Barben und andere Fischarten der Forellen-, Äschen- und Barbenregionen.
- 209
7. Die Kormoranverordnung führt auch nicht zu einer Verletzung anderer Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG.
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a) Die durch § 2 KorVO LSA zugelassene Tötung von Kormoranen durch Abschuss führt nicht zu Verstößen gegen das Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) durch die Tötung anderer Vogelarten.
- 211
aa) Die (mögliche) Tötung von Individuen der Unterart Phalacrocorax carbo carbo ist von der Ausnahmebestimmung des § 2 KorVO LSA mit umfasst. Die von der Kormoranverordnung erfasste Vogelart Kormoran (Phalacrocorax carbo) umfasst laut "wikipedia" (https://de.wikipedia.org/wiki/Kormoran_(Art)) mehrere Unterarten, von denen die atlantische Unterart Phalacrocorax carbo carbo sowie die kontinentale Unterart Phalacrocorax carbo sinensis in Europa vorkommen (vgl. BT-Drs. 18/11360, S. 3). Die starke europaweite Bestandszunahme, die auch zu der erheblichen Zunahme der Kormoranbestände in Deutschland und Sachsen-Anhalt geführt hat, betrifft dabei allein die kontinentale Unterart Phalacrocorax carbo sinensis, während die Population der atlantischen Unterart Phalacrocorax carbo carbo im Wesentlichen unverändert geblieben ist (vgl. Kammerad, a.a.O., S. 236; Kohl, a.a.O., S. 71). Demgemäß dürfte zur Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden und zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt grundsätzlich nur die Bejagung der Unterart Phalacrocorax carbo sinensis erforderlich sein. Da jedoch nach Angaben in der Literatur jüngste Untersuchungen zur Unterartzugehörigkeit der in Sachsen-Anhalt auftretenden Kormorane ergeben haben, dass ein Teil der Tiere der Unterart Phalacrocorax carbo carbo angehört (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O., S. 61), besteht die Möglichkeit, dass aufgrund der Kormoranverordnung nicht nur die Unterart Phalacrocorax carbo sinensis, sondern auch die Unterart Phalacrocorax carbo carbo getötet wird. Die Unterarten sind im Feld jedoch nur sehr schwer zu unterscheiden (vgl. Helm/Schönbrodt/Schulze, a.a.O.), so dass die Erstreckung der Ausnahme vom Tötungsverbot auf die gesamte Vogelart Kormoran (Phalacrocorax carbo) einschließlich der atlantischen Unterart Phalacrocorax carbo carbo geboten ist, da andernfalls – wegen der fehlenden Unterscheidbarkeit – ein wirksamer Schutz der durch § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG geschützten Fischfauna nicht möglich wäre.
- 212
bb) Die Tötung anderer (Vogel-)Arten ist durch die Kormoranverordnung nicht gestattet. Der Einwand des Antragstellers, die Zulassung der Tötung von Kormoranen mit bleifreier Schrotmunition führe (zwangsläufig) zur Tötung anderer (Vogel-)Arten und damit zu einem Verstoß der Kormoranverordnung gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, verfängt nicht. Zwar dürfte es zutreffen, dass die Tötung von Kormoranen mit bleifreier Schrotmunition zulässig ist. Gemäß § 3 Abs. 5 KorVO LSA i.V.m. § 23 Abs. 2 Nr. 3 des Landesjagdgesetzes für Sachsen-Anhalt (LJagdG) ist die Ausübung der Jagd auf Kormorane mittels Bleischrot verboten. Im Umkehrschluss dürfte die Jagd mittels bleifreien Schrots erlaubt sein. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass ab einer Abschussentfernung von ca. 30 – 35 m die Streuung des Schrots so groß sei, dass sie über den avisierten Vogelkörper hinausgehe, tritt der Antragsgegner dem mit dem Argument entgegen, die Schussabgabe habe nach den Grundsätzen deutscher Weidgerechtigkeit so zu erfolgen, dass der Schuss nur einem einzelnen Individuum gelte und andere Individuen dabei keine Kollateralschäden erleiden. Entscheidend ist, dass die Tötung anderer (Vogel-)Arten durch die Kormoranverordnung nicht gestattet ist. Sollte es dennoch – etwa wegen des Einsatzes nicht bleihaltigen Schrots – bei einem zulässigen Abschuss von Kormoranen zu einer Tötung anderer (Vogel-)Arten kommen, stellt dies einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG dar. Dies liegt in der Verantwortung des Abschussberechtigten. Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht.
- 213
b) Rechtliche Bedenken gegen die Kormoranverordnung ergeben sich auch nicht daraus, dass der Abschuss von Kormoranen auch während der Brutzeit gestattet ist.
- 214
aa) Die Zulassung des Abschusses von Kormoranen vor dem 16. März eines jeden Jahre ist rechtlich unbedenklich. Gemäß § 3 Abs. 3 KorVO LSA ist der Abschuss von Kormoranen grundsätzlich nur bis zum 15. März eines jeden Jahres zulässig. Das Ende des Zeitraumes für den Abschuss von Kormoranen ist auf den Beginn der Brutzeit ausgerichtet und dient dem Schutz des Brutgeschehens (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 12). Soweit der Antragsteller einwendet, die Brutzeit beginne deutlich vor dem 16. März, was zur Folge habe, dass (von Mitte Februar bis Mitte März) auch brütende Vögel abgeschossen würden, ergeben sich keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung. Soweit die Regelung tatsächlich dazu führt, dass es zum Abschuss von Brutvögeln kommt, ist dies zulässig. Die Tötung von Brutvögeln ist durch §§ 44, 45 BNatSchG nicht absolut ausgeschlossen. Das grundsätzliche Verbot der Bejagung während der Nist-, Brut- und Aufzuchtzeit nach Art. 7 Abs. 4 VRL ist nach Art. 9 VRL einer Ausnahme zugänglich (vgl. Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl., § 45 RdNr. 33). Der grundsätzliche Schutz von Brutvögeln durch die zeitliche Vorgabe des § 3 Abs. 3 KorVO LSA ist ausreichend. Der Antragsgegner geht zu Recht davon aus, dass dem normalen Brutverhalten des Kormorans ausreichend Rechnung getragen und der Zweck der Regelung, die Bestandssicherung durch Schonung der Brut, erreicht wird.
- 215
bb) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich auch nicht daraus, dass der Abschuss von immatur gefärbten Kormoranen gemäß § 3 Abs. 4 KorVO LSA ganzjährig zulässig ist.
- 216
Der Einwand des Antragstellers, Folge dieser Regelung sei der Abschuss brütender Vögel, weil die Unterscheidung nicht gelinge, greift nicht durch. Der Antragsteller meint, es werde zum Abschuss immatur gefärbter Kormorane kommen, die am Brutgeschäft beteiligt seien. Da ein großer Teil der Jungkormorane bereits im Alter von zwei Jahren geschlechtsreif sei, was äußerlich am Gefieder noch nicht kenntlich sei, könne ein zweifelsfreier Abschuss nur abseits von Brutkolonien erfolgen. Bei Abschüssen in der Nähe von Brutkolonien werde es zu Abschüssen von am Brutgeschäft beteiligten Jungkormoranen kommen. Wegen der fehlenden Erkennbarkeit, ob ein immatur gefärbter Jungkormoran am Brutgeschäft beteiligt sei oder nicht, sei die Regelung des § 3 Abs. 4 KorVO LSA nicht vollziehbar.
- 217
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht. Der Antragsgegner geht davon aus, dass immatur gefärbte Kormorane grundsätzlich nicht am Brutgeschäft teilnehmen, da sie noch nicht geschlechtsreif seien. Tun sie es gleichwohl, sei der Abschuss verboten. Somit könne es grundsätzlich nicht zum Abschuss von brütenden Vögeln kommen. Dem ist hinzuzufügen, dass die Regelung des § 3 Abs. 4 KorVO LSA die Tötung von am Brutgeschäft beteiligten Kormoranen nicht gestattet. Probleme können allenfalls bei der Frage auftreten, ob es sich im Einzelfall tatsächlich um einen "im Jugendkleid befindlichen (immatur gefärbten), nicht am Brutgeschäft beteiligten" Kormoran handelt. Auch dies liegt in der Verantwortung des Abschussberechtigten. Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht.
- 218
c) Die Kormoranverordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Abschuss von Kormoranen gemäß § 3 Abs. 3 KorVO LSA in der Zeit eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang bis eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang zugelassen ist.
- 219
Der Antragsteller macht geltend, die Zulässigkeit des Abschusses abends bis eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang sei nicht sachgerecht, weil im Spätherbst und Winter zu dieser Zeit wegen des fehlenden Lichts kein Kormoran zweifelsfrei angesprochen und beschossen werden könne. Die Lichtverhältnisse reichten nicht aus. Er bezweifle, dass zu dieser Zeit noch ein gezielter Schuss abgegeben werden könne. Es komme zu einer Gefährdung anderer Tiere, für die die Ausnahme nicht gelte. Ein abendliches Beschießen sei auch deshalb zweifelhaft, weil sich das Ziel der Kormoranverordnung, das Vergrämen der Kormorane von Gewässern mit wertvollem Fischbestand, zu dieser Zeit nicht erreichen lasse. Kormorane jagten nur tagsüber, abends seien sie auf der Rückkehr zu ihren Schlafplätzen.
- 220
Auch mit diesen Einwänden stellt der Antragsteller die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung nicht in Frage. Der Antragsgegner hat erwidert, ausreichende Lichtverhältnisse könnten grundsätzlich auch in der Dämmerungsphase vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang gegeben sein. Das Jagdrecht enthalte ein grundsätzliches Verbot der Jagd nur für die Nachtzeit, die gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 4 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) als die Zeit von eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang bis eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang definiert sei. Das Jagdrecht gehe also davon aus, dass außerhalb der Nachtzeit die Lichtverhältnisse so günstig seien, dass sowohl ein einwandfreies Ansprechen des Wildes als auch ein sicherer Schuss möglich seien. Soweit die Lichtverhältnisse außerhalb der Nachtzeit ein Ansprechen und sicheres Erlegen nicht zuließen, schieße der Jäger nicht. Auch insoweit ist entscheidend, dass es in der Verantwortung des Abschussberechtigten liegt, die Regelungen der Kormoranverordnung auch bei einem Abschuss eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang oder eineinhalb Stunden nach Sonnenuntergang zu beachten. Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht.
- 221
Es ist auch rechtlich nicht geboten, die Abschüsse auf Zeiten zu begrenzen, in denen die Kormorane bei der Jagd sind. Die Vergrämung von Kormoranen, auf die die Kormoranverordnung abzielt, kann vielmehr auch bei einem Abschuss von Kormoranen erfolgen, die sich bei einem abendlichen Landanflug zum Schlafplatz befinden. Der Antragsgegner weist insoweit nachvollziehbar darauf hin, dass die Schlafplätze bewusst nicht vom Geltungsbereich der Kormoranverordnung ausgenommen worden seien, damit die Kormorane von den besonders sensiblen Fließgewässern der Forellen-, Äschen- und Barbenregion vergrämt werden können. Ein Kormoran könne während der Zugzeit effektiv vor allem am Schlafplatz bzw. beim abendlichen Landeanflug geschossen werden.
- 222
d) Die Kormoranverordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil es durch den Abschuss von Kormoranen zur Brutzeit zu einem Verstoß gegen das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG kommen kann.
- 223
Der Antragsteller rügt, durch die Zulassung von Abschüssen bis zum 15. März eines jeden Jahres komme es zu Abschüssen während der Brutzeit, da diese deutlich vor dem 16. März beginne. Zudem sei der Abschuss immatur gefärbte Kormorane ganzjährig – also auch zur Brutzeit – zulässig. Hierdurch werde der Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verwirklicht, da Störungen anderer Kormorane, anderer streng geschützter Arten oder anderer europäischer Vogelarten während der Fortpflanzungs- und/oder der Aufzuchtzeit unzulässig seien. Es sei auch im Zweifel davon auszugehen, dass sich der Erhaltungszustand der lokalen Population der betroffenen Arten verschlechtere, da dies bislang nicht geprüft worden sei. Jedenfalls sei eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der lokalen Population nicht ausgeschlossen. Auch durch den (unvermeidlichen) Abschuss immatur gefärbter Jungkormorane, die am Brutgeschäft beteiligt seien, werde das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verletzt. Das Landesamt für Umweltschutz habe in seiner Stellungnahme vom 23.07.2013 ausgeführt, dass Störungen an Schlafplätzen sowie Störungen anderer Arten unterbleiben bzw. vermieden werden sollten.
- 224
Der Antragsgegner trägt hierzu vor, es sei nicht erkennbar, dass der Abschuss von Kormoranen negative Auswirkungen auf andere Vogelarten habe. Maßgeblich ist, dass die Kormoranverordnung keine Ausnahme vom Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG zulässt, wie auch der Antragsteller richtig erkennt. Entgegen der Ansicht des Antragstellers lässt die Kormoranverordnung jedoch nicht "gleichzeitig" einen Verstoß gegen das Verbot zu. Soweit es bei dem Abschuss von Kormoranen gemäß § 2 KorVO LSA zu einer Verletzung des Störungsverbots des § 44 Abs. 1 Nr. 2 KorVO LSA kommen sollte, ist dies nicht zulässig. Dies liegt in der Verantwortung des Abschussberechtigten. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht.
- 225
e) Die Kormoranverordnung verstößt auch nicht gegen das Tierschutzgesetz (TierSchG) vom 18.05.2006 (BGBl. I S. 1206). Nach § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Nach § 17 Nr. 1 TierSchG ist die Tötung eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund strafbar.
- 226
aa) Der Antragsteller meint, da die Kormoranverordnung den Abschuss von Kormoranen ohne jede Einschränkung an allen Gewässern zulasse, obwohl dies an einzelnen Gewässern zur Erreichung des Zwecks der Kormoranverordnung nicht erforderlich sei, weil eine Vergrämung der Kormorane von dem betreffenden Gewässer weder der Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden noch dem Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt diene, lasse sie entgegen § 1 Satz 2 TierSchG die Zufügung von Schmerzen, Leid oder Schäden ohne vernünftigen Grund zu. Zudem erlaube sie hiermit entgegen § 17 Nr. 1 TierSchG die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund. Damit verstoße die Kormoranverordnung gegen das Tierschutzgesetz.
- 227
Dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen. Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob die Kormoranverordnung am Maßstab des § 1 Satz 2 TierSchG bzw. des § 17 Nr. 1 TierSchG zu messen ist, d.h. ob im vorliegenden Verfahren zu prüfen ist, ob die Kormoranverordnung nicht nur den Vorgaben des § 45 Abs. 7 BNatSchG entspricht, sondern darüber hinaus auch jeder einzelne zugelassene Abschuss von Kormoranen nicht "ohne vernünftigen Grund" erfolgt. Selbst wenn eine ergänzende Prüfung der Kormoranverordnung an diesem Maßstab zu erfolgen haben sollte, würde dies ihre Rechtmäßigkeit nicht in Frage stellen. Wie bereits ausgeführt, ist die Kormoranverordnung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich. Damit erfolgt eine durch die Kormoranverordnung zugelassene Tötung eines Kormorans durch Abschuss nicht ohne vernünftigen Grund.
- 228
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die nicht am Brutgeschäft beteiligten immatur gefärbten Kormorane (ganzjährig) auch geschossen werden dürfen, soweit sie sich in Brutkolonien aufhalten. Der Antragsteller meint, hierdurch sei nicht auszuschließen, dass auch Elterntiere getötet werden, was dazu führen werde, dass die noch nicht flüggen Jungen verhungerten. Dies sei tierschutzrechtlich unzulässig. Das Inkaufnehmen des Verhungerns von Jungtieren verstoße gegen § 1 Satz 2 TierSchG, weil diesen dadurch Schmerzen und Leid zugefügt werde, ohne dass dies durch einen überragenden Gemeinwohlgrund gerechtfertigt sei.
- 229
Auch dieser Einwand greift nicht durch. Die Kormoranverordnung schließt die Tötung von Elterntieren weitestgehend aus. Die Tötung brütender adulter Kormorane ist gemäß § 3 Abs. 3 KorVO LSA im Zeitraum vom 16. März bis zum 15. August eines jeden Jahres unzulässig. Auch die Tötung brütender Jungkormorane ist in dieser Zeit nicht zulässig. § 3 Abs. 4 KorVO LSA lässt nur die Tötung von immatur gefärbten Kormoranen zu, die nicht am Brutgeschäft teilnehmen. Die durch § 3 Abs. 4 KorVO LSA zugelassene ganzjährige Tötung immatur gefärbter Kormorane ist durch die Überlegung gerechtfertigt, dass im Zeitpunkt der intensivsten Besatzaktivitäten zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals durch eine Freigabe des Abschusses von Vögeln mit immaturem Federkleid die Vergrämung der Vögel von den Besatzstrecken aufrecht erhalten werden soll (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 12). Auch soweit es durch die gemäß §§ 2, 3 KorVO LSA zulässige Tötung von Kormoranen vor dem 15. März zu einem Abschuss von Elterntieren kommen sollte, sind die hiermit verbundenen Folgen – etwa für noch nicht flügge Jungtiere – durch den Zweck der Kormoranverordnung gerechtfertigt.
- 230
f) Die Kormoranverordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie den Abschuss von Kormoranen in Brutkolonien zulässt.
- 231
Der Antragsteller meint, die Tötungserlaubnis für Kormorane auch in und um Brutkolonien führe zu einer Verletzung des Verbots der Beschädigung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, da es zu Beschädigungen durch physische Einwirkungen auf Brutstätten komme. Nach der Kormoranverordnung dürfe auch direkt in eine Brutkolonie hineingeschossen werden. Beim Beschießen mit grober Schrotmunition könne ein Horst zum Absturz gebracht werden. Werde nur ein tragender Ast getroffen, hänge der Horst meist schief im Baum und sei nicht mehr nutzbar.
- 232
Auch dieser Einwand trägt nicht. Die Kormoranverordnung lässt keine Beschädigung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG durch Beschuss einer Brutkolonie zu, wie auch der Antragsteller richtig erkennt. Entgegen der Ansicht des Antragstellers geht die "tatsächliche Erlaubniswirkung" der Kormoranverordnung insoweit auch nicht über ihren "formellen Regelungsgehalt" hinaus. Soweit es bei dem Abschuss von Kormoranen zu einer Verletzung des Verbots des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG kommen sollte, ist dies nicht zulässig. Die Verantwortung hierfür trägt der Abschussberechtigte. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung ergeben sich hieraus nicht.
- 233
g) Die Kormoranverordnung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Beschädigung von Entwicklungsformen gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG rechtswidrig.
- 234
Der Antragsteller rügt, der Abschuss von Kormoranen in Brutkolonien führe zur Tötung oder Flucht der Elterntiere und damit (mittelbar) zum Auskühlen ihrer Eier. Diese gehörten gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b BNatSchG zu den Entwicklungsformen von Tieren, deren Beschädigung gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verboten sei. Hiervon suspendiere die Kormoranverordnung nicht, denn der Suspens gelte ausdrücklich nur für das Tötungsverbot. Daher gehe die "tatsächliche Erlaubniswirkung" der KorVO LSA über deren "formellen Regelungsgehalt" hinaus.
- 235
Auch diese Rüge kann nicht überzeugen. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Auskühlen von Eiern als mittelbare Folge eines Abschusses eines Kormorans den Tatbestand der Beschädigung von Entwicklungsformen verwirklicht. Jedenfalls lässt die KorVO LSA – wie der Antragsteller zutreffend erkennt – eine Beschädigung von Entwicklungsformen nicht zu. Hierauf hat der Abschussberechtigte zu achten. Die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung wird hierdurch nicht berührt.
- 236
h) Die Kormoranverordnung verstößt auch nicht gegen Vorschriften zum Habitatschutz.
- 237
aa) Es ergeben sich keine rechtlichen Bedenken gegen die Kormoranverordnung, soweit FFH-Gebiete nicht von vornherein gemäß § 3 Abs. 2 KorVO LSA vom Anwendungsbereich der Kormoranverordnung ausgenommen sind.
- 238
Der Antragsteller meint, die Regelung des § 2 Abs. 1 KorVO LSA, nach der es "gestattet" sei, Kormorane durch Abschuss zu töten, beziehe sich nicht nur auf das artenschutzrechtliche Tötungsverbot, sondern auch auf das Habitatschutzrecht. Die "Gestattung" i.S.d. § 2 Abs. 1 KorVO LSA sei dahin zu verstehen, dass die Tötung von Kormoranen durch Abschuss erlaubt und andere Verbote und Erlaubnisvorbehalte, etwa aus dem Habitatschutzrecht, nicht mehr zu prüfen seien. § 3 Abs. 2 KorVO LSA nehme bestimmte Flächen von der Gestattungswirkung aus. Ergänzend lasse § 7 KorVO LSA im Einzelfall die Untersagung des Abschusses von Kormoranen oder der Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien an bestimmten Gewässern zu. Weitergehende gebietsbezogene Einschränkungen enthalte die KorVO LSA nicht. Damit lasse sie den Abschuss von Kormoranen beispielsweise in FFH-Gebieten zu, ohne dass zuvor die habitatschutzrechtliche Verträglichkeit eines solchen Abschusses geprüft werde. Der Abschuss von Kormoranen in FFH-Gebieten könne aber befreiungspflichtig sein. Vor diesem Hintergrund hätte die Verpflichtung, andere Verbote oder Erlaubnisvorbehalte zu prüfen, in die KorVO LSA aufgenommen werden müssen.
- 239
Diese Überlegungen überzeugen nicht. Der Antragsgegner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die KorVO als artenschutzrechtliche Ausnahme keine Konzentrationswirkung entfaltet. Maßgeblich ist das Verhältnis von Artenschutz und Gebietsschutz. Habitatschutz und Artenschutz sind trotz ihrer gemeinsamen Zielrichtung zwei selbstständig nebeneinander stehende Rechtsbereiche, die in unterschiedlichen Vorschriften mit je eigenem Gehalt und unterschiedlichen Prüfprogrammen geregelt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2010 – BVerwG 9 A 14.07 –, juris RdNr. 57). Die Kormoranverordnung beschränkt sich auf die Regelung artenschutzrechtlicher Fragen. Dies kann im Einzelfall zur Notwendigkeit einer ergänzenden Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung führen. Eine pauschale Freigabe des Abschusses von Kormoranen ohne Rücksicht auf die habitatschutzrechtliche Verträglichkeit lässt sich der Kormoranverordnung nicht entnehmen. Zwar nimmt § 3 Abs. 2 KorVO LSA nur Naturschutzgebiete, Kernzonen von Biosphärenreservaten, Naturdenkmale, Europäische Vogelschutzgebiete gemäß Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000, befriedete Bezirke nach § 7 Abs. 1 LJagdG LSA sowie Flächen, die nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 des LJagdG LSA oder § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG zu befriedeten Bezirken erklärt worden sind, von der Gestattung nach § 2 Abs. 1 KorVO LSA aus. Diese Regelung hat jedoch vor allem eine klarstellende Bedeutung. Jedenfalls ist sie nicht abschließend dahingehend zu verstehen, dass außerhalb der genannten Gebiete der Abschuss von Kormoranen ohne jede weitere gebietsrechtliche Prüfung zulässig sein soll.
- 240
bb) Rechtliche Bedenken gegen die Kormoranverordnung ergeben sich auch nicht daraus, dass gemäß § 3 Abs. 2 KorVO LSA nur Europäische Vogelschutzgebiete gemäß Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 vom 23.03.2007 (GVBl. LSA S. 82) in der jeweils geltenden Fassung von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind.
- 241
Der Antragsteller wendet ein, in Sachsen-Anhalt gebe es keine Europäischen Vogelschutzgebiete im rechtlichen Sinne, in denen die Kormoranverordnung nicht anwendbar sei. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG seien Europäische Vogelschutzgebiete Gebiete im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL, wenn ein Schutz im Sinne des § 32 Absatz 2 bis 4 BNatSchG bereits gewährleistet sei. Für einen solchen Schutz reiche die Aufnahme des Gebietes in die Anlage 2 zu § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 nicht aus.
- 242
Dieser Einwand liegt neben der Sache. Zwar trifft es zu, dass die Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den unionsrechtlichen Anforderungen an eine Schutzerklärung, die den Regimewechsel von Art. 4 Abs. 4 VRL zu dem weniger strengen Schutzregime des Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. Nr. L 206, S. 7) (FFH-RL) und die seiner Umsetzung dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG herbeiführt, nicht genügt (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 – BVerwG 9 A 4.13 –, juris RdNr. 42). Die in Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 genannten Gebiete dürften daher keine Europäischen Vogelschutzgebiete i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG sein. Gleichwohl ist durch die Bezugnahme in § 3 Abs. 2 KorVO LSA auf die Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 hinreichend klar, welche Gebiete als "Europäische Vogelschutzgebiete" vom Anwendungsbereich der Kormoranverordnung ausgenommen sein sollen.
- 243
Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Ansicht des Antragstellers – auch nicht daraus, dass § 3 Abs. 2 KorVO LSA faktische Vogelschutzgebiete, die in Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 nicht gelistet seien, nicht ausnimmt. Der Antragsteller behauptet, die Saale zwischen Weißenfels und Merseburg erfülle die Kriterien für die Ausweisung als faktisches Vogelschutzgebiet. Auch dies begründet jedoch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung. Soweit in Sachsen-Anhalt tatsächlich über die Auslistung in Anlage 2 der Verordnung über die Errichtung des ökologischen Netzes Natura 2000 hinaus weitere (faktische) Vogelschutzgebiete bestehen sollten, ist der Abschuss von Kormoranen in diesem Gebieten zwar nicht von vornherein nach § 3 Abs. 2 KorVO LSA ausgeschlossen, aber an eine vorherige Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 VRL gebunden. Eine – möglicherweise rechtswidrige – "Überspielung" der Anforderungen des Art. 4 Abs. 4 VRL durch die Kormoranverordnung findet nicht statt.
- 244
cc) Rechtlichen Bedenken gegen die Kormoranverordnung ergeben sich auch nicht daraus, dass Abschüsse von Kormoranen außerhalb der Kernzonen in Biosphärenreservaten ebenfalls nicht durch § 3 Abs. 2 KorVO LSA ausgeschlossen sind.
- 245
Der Antragsteller trägt vor, die Allgemeinverfügung über die Erklärung zum Biosphärenreservat "Mittelelbe" (Aktenzeichen 41.11-22421) des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt vom 02.02.2006 (MBl. LSA S. 112) gebe in Nr. 4.2 als Zweck des Biosphärenreservats u.a. die Erhaltung der Arten an. Die mit § 2 Abs. 1 KorVO LSA vorgenommene Gestattung von Abschüssen von Kormoranen außerhalb der Kernzone sei damit nicht vereinbar.
- 246
Auch insoweit verkennt der Antragsteller, dass die Kormoranverordnung nicht von den Anforderungen zum Schutz von Biosphärenreservats "Mittelelbe" gemäß § 25 BNatSchG i.V.m. der Allgemeinverfügung über die Erklärung zum Biosphärenreservat "Mittelelbe" vom 02.02.2006 befreit. Soweit sich hieraus (zusätzliche) rechtliche Grenzen für den Abschuss von Kormoranen ergeben sollten, sind diese neben den Vorschriften der Kormoranverordnung anwendbar und im Einzelfall zu beachten.
- 247
dd) Auch der fehlende Ausschluss von Kormoran-Abschüssen im Nationalpark Harz führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Kormoranverordnung.
- 248
Der Antragsteller trägt vor, im Land Sachsen-Anhalt existiere der Nationalpark "Harz (Sachsen-Anhalt)", der durch das Gesetz über den Nationalpark "Harz (Sachsen-Anhalt)" vom 20.12.2005 (GVBl. LSA S. 816) festgesetzt worden sei. Schutzzweck des Nationalparks sei es u.a., für die gebietstypischen natürlichen und naturnahen Ökosysteme einen möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten und die natürliche Vielfalt u.a. an Tierarten zu erhalten. Gemäß § 7 Abs. 2 des Gesetzes über den Nationalpark "Harz (Sachsen-Anhalt)" sei es verboten, wild lebende Tiere an ihren Nist-, Brut-, Äsungs-, Wohn- oder Zufluchtstätten durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen zu stören. Die im Nationalpark gelegenen Bäche Ilse und Ecker und die kleine Eckertalsperre seien in harten Wintern potentielle Kormorangewässer. Über diesen sei jedoch ausweislich der Kormoranverordnung der Abschuss der Kormorane zulässig. Dies laufe dem Schutzzweck des Nationalparkgesetzes zuwider, so dass hierfür eine Befreiung nach § 67 BNatSchG erteilt werden müsse. Da die Kormoranverordnung derartige Abschüsse zulasse, habe sie die Wirkung einer Befreiung.
- 249
Auch dieser Vortrag führt nicht auf Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kormoranverordnung. Diese enthält keine Befreiung nach § 67 BNatSchG, sondern nur eine Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG. Soweit gemäß § 24 BNatSchG i.V.m. dem Gesetz über den Nationalpark "Harz (Sachsen-Anhalt)" für den Abschuss von Kormoranen auf dem Gebiet des Nationalparks zusätzliche gebietsbezogene Anforderungen bestehen, ist insoweit ggf. ergänzend ein Verfahren auf Erteilung einer Befreiung i.S.d. § 67 BNatSchG durchzuführen.
- 250
i) Die Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien gemäß § 5 KorVO LSA unterliegt ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Nach dieser Vorschrift dürfen die nach § 4 Abs. 1 KorVO LSA berechtigten Personen durch geeignete Maßnahmen mit Zustimmung des Grundstückseigentümers die Entstehung neuer Brutkolonien des Kormorans verhindern. Dies gilt nicht im Zeitraum vom 16. März bis 15. August; § 3 Abs. 2 gilt entsprechend. Maßnahmen nach Satz 1 hat der Berechtigte mindestens eine Woche vor ihrer Durchführung der oberen Naturschutzbehörde anzuzeigen.
- 251
aa) Die Regelung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen.
- 252
Das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Bestimmtheitsgebot verlangt vom Normgeber, die Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Begriffe sind grundsätzlich zulässig. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer Vorschrift noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es kann nicht erwartet werden, dass jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und die gesetzgeberische Entscheidung – gegebenenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden – zu konkretisieren. Verfahren und gerichtliche Kontrolle sind geeignet, mögliche Nachteile der Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelung bis zu einem gewissen Grade auszugleichen (vgl. VGH BW, Urt. v. 08.03.2017 – 5 S 1044/15 –, juris RdNr. 27; OVG NW, Beschl. v. 19.05.2017 – 4 B 594/17 –, juris RdNr. 5).
- 253
Gemessen daran ist der Begriff "neue Brutkolonie" i.S.d. § 5 KorVO LSA hinreichend bestimmt. Zu Unrecht meint der Antragsteller, die Unbestimmtheit des Begriffs folge daraus, dass nicht klar sei, was "neu" heißen soll, wie viele Jahre eine Kolonie als "neu" gelte, wie viele Brutpaare anwesend sein müssten, damit eine Ansiedlung als "Kolonie" anzusehen sei, und wie viele Jahre der Abstand zwischen zwei Ansiedlungen am selben Ort betragen müsse, damit sie als "neu" gelte. Zwar ergeben sich die Antworten auf diese Fragen nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 5 KorVO LSA. Auch enthalten weder die Begründung der Kormoranverordnung noch die Stellungnahmen des Antragsgegners im Normenkontrollverfahren eine klare Abgrenzung des Begriffs "neue Brutkolonie". Gleichwohl ist der Begriff hinreichend bestimmt und einer Konkretisierung im Wege der Auslegung zugänglich. Der Begriff der Brutkolonie dürfte als "Ansammlung von Vögeln, die in enger Nachbarschaft ihre Gelege ausbrüten und die Jungen aufziehen", definiert werden können (vgl. Kompaktlexikon der Biologie, Stichwort "Brutkolonie", http://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/brutkolonie/1945). Notwendig dürften mindestens zwei Brutpaare sein. Es dürfte sich ferner anbieten, den Begriff der "neuen Brutkolonie" standortbezogen zu verstehen. Neu dürfte hiernach eine Brutkolonie sein, die an einem Standort gegründet wird, an dem im Vorjahr keine Brutkolonie (mehr) vorhanden war. Ob die Brutgemeinschaft in den Vorjahren bereist an anderer Stelle in Sachsen-Anhalt gebrütet hat und nur "umgesiedelt" ist, dürfte unerheblich sein. Ebenso unerheblich dürfte sein, ob der Standort in der Vergangenheit einmal besetzt gewesen ist, danach aber ein Jahr oder mehrere Jahre verwaist war. Dies bedarf jedoch keiner Vertiefung. Der genaue Inhalt des Begriffs "neue Brutkolonie" muss im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geklärt werden. Entscheidend ist, dass der Begriff hinreichend konturiert ist und damit eine Klärung in einem Verwaltungsverfahren und einen sich hieran ggf. anschließenden gerichtlichen Verfahren möglich ist.
- 254
Auch der Begriff der "geeigneten Maßnahmen" ist hinreichend bestimmt. Ausweislich der Begründung der Kormoranverordnung regelt die Vorschrift des § 5 KorVO LSA die Befugnis, Niststätten von Kormoranen vor Beginn der Eiablage zu beschädigen oder zu zerstören. Dabei handelt es sich um eine neben dem Vergrämungsabschuss zusätzliche Maßnahme (vgl. die Begründung der Kormoranverordnung, S. 13). Soweit das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 19.12.2014 "klargestellt" hat, dass "geeignete Maßnahmen" i.S.d. § 5 Satz 1 KorVO LSA nur das Töten durch Abschuss gemäß § 2 Abs. 1 KorVO umfassen sollen, ist dem nicht zu folgen. Diese Auslegung ist – worauf der Antragsteller zutreffend hinweist – mit dem Verordnungstext nicht vereinbar. Eine derartige Eingrenzung des Begriffs "geeignete Maßnahmen" hätte im Wortlaut der Verordnung zum Ausdruck kommen können und müssen. Sie wäre zudem sinnwidrig, denn die gemäß § 5 Satz 3 KorVO LSA geltende Pflicht, die Maßnahme mindestens eine Woche vor ihrer Durchführung anzuzeigen, die bei einem "einfachen" Abschuss nach § 2 Abs. 1 KorVO LSA nicht gilt, würde bei einem Abschuss zur Verhinderung der Entstehung einer neuen Brutkolonie zu einer sachwidrigen Verzögerung führen.
- 255
bb) Die Regelung des § 5 KorVO LSA verstößt nicht gegen das Verbot der Beeinträchtigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG).
- 256
Zwar handelt es sich bei der von § 5 KorVO LSA zugelassenen Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien um Maßnahmen, mit denen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der Kormorane aus der Natur entnommen, beschädigt oder zerstört werden. Dies ist gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG grundsätzlich verboten. Jedoch ist es gerade der Regelungsinhalt des § 5 KorVO LSA, von diesem Verbot auf der Grundlage des § 45 Abs. 7 BNatSchG eine Ausnahme zuzulassen. Unerheblich ist, dass die Verbotsnorm des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG in § 5 KorVO LSA nicht ausdrücklich genannt wird. Die formalen Anforderungen an eine Ausnahme regelt § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 VRL. Die ausdrückliche Nennung der Verbotsnorm, von der eine Ausnahme erteilt wird, wird von diesen Vorschriften nicht gefordert.
- 257
8. Entgegen der Ansicht des Antragstellers bestehen auch keine Ermittlungsdefizite des Verordnungsgebers. Der Antragsgegner hat den der Verordnung zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend ermittelt. Er verweist darauf, dass der Erlass der Kormoranverordnung das Ergebnis eines langen Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses gewesen sei, in dem ab dem Jahr 2007 in mehr als 10 Aktenordnern Material zum Thema Kormoran zusammengetragen worden sei. Wie oben bereits ausgeführt, liegen auch für das Land Sachsen-Anhalt ausreichende Tatsachenfeststellungen vor. Die Durchführung weiterer Ermittlungen oder die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens ist danach nicht erforderlich
- 258
9. Die weitere Voraussetzung des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, dass sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtern darf, liegt ebenfalls vor.
- 259
Anders als beim Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist im Rahmen der Ausnahme nicht der Erhaltungszustand des unmittelbar von der Ausnahme betroffenen lokalen Vorkommens maßgeblich, sondern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen, die auch die anderen (Teil-)Populationen der Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in den Blick nimmt. Nicht jeder Verlust eines lokalen Vorkommens einer Art ist mit einer Verschlechterung des Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art gleichzusetzen. Dass einzelne Exemplare oder Siedlungsräume durch die Zulassung einer Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG vernichtet werden oder verloren gehen, schließt nicht aus, dass die Population als solche in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet als lebensfähiges Element erhalten bleibt. Bei der Beurteilung, ob dies der Fall ist, ist der Behörde, da insoweit ornithologische Kriterien maßgeblich sind, ein Beurteilungsspielraum einzuräumen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – BVerwG 9 A 20.08 –, a.a.O., RdNr. 60). Diese Voraussetzung wurde vom Antragsgegner im Hinblick auf den Kormoran fehlerfrei angenommen und auch vom Antragsteller nicht in Frage gestellt.
- 260
10. Die Kormoranverordnung verstößt auch nicht gegen Art. 9 Abs. 2 VRL.
- 261
Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG ist bei der Zulassung von Ausnahmen von den Verboten des § 44 BNatSchG u.a. Artikel 9 Absatz 2 VRL zu beachten. Die Vorschrift regelt keine Voraussetzungen der Ausnahmebewilligung, sondern betrifft deren Ausgestaltung. Im Vordergrund stehen Dokumentationspflichten (vgl. Meßerschmidt, a.a.O., § 45 RdNr. 89). Nach Art. 9 Abs. 2 VRL ist in einer Ausnahmebewilligung anzugeben
- 262
a) für welche Vogelarten die Abweichungen gelten;
- 263
b) die zugelassenen Fang- oder Tötungsmittel, -einrichtungen und -methoden;
- 264
c) die Art der Risiken und die zeitlichen und örtlichen Umstände, unter denen diese Abweichungen getroffen werden können;
- 265
d) die Stelle, die befugt ist zu erklären, dass die erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, und zu beschließen, welche Mittel, Einrichtungen und Methoden in welchem Rahmen von wem angewandt werden können;
- 266
e) welche Kontrollen vorzunehmen sind.
- 267
Diese Anforderungen werden von der Kormoranverordnung beachtet. Insbesondere enthält sie mit der in § 8 KorVO LSA vorgeschriebenen Beobachtung der Bestandsentwicklung eine hinreichende Regelung der vorzunehmenden Kontrollen i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e VRL. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin fordert Art. 9 Abs. 2 VRL nicht, dass die in Art. 9 Abs. 3 VRL vorgeschriebene jährliche Übermittlung eines Berichts an die Europäische Kommission auch in der Kormoranverordnung selbst vorgeschrieben sein muss.
- 268
III. Die Kormoranverordnung ist auch nicht wegen einer Verletzung des Mitwirkungsrechts des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG unwirksam.
- 269
1. Das Mitwirkungsrecht des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG wurde nicht verletzt. Dem Antragsteller ist ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten gegeben worden.
- 270
Nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG ist einer anerkannten Naturschutzvereinigung bei der Vorbereitung von Verordnungen und anderen im Rang unter dem Gesetz stehenden Rechtsvorschriften der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden der Länder Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben. Die Regelung des § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29.05.2017 (BGBl. I S. 1298), nach der die anerkannten Naturschutzvereinigungen u.a. auch vor der Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG durch Rechtsverordnung zu beteiligen sind, ist vorliegend nicht anwendbar, da die Vorschrift erst am 02.06.2017 und damit nach Erlass der Kormoranverordnung in Kraft getreten ist.
- 271
a) Der Antragsteller wurde im Zuge der Gesprächsrunde zum Entwurf der Kormoranverordnung am 01.07.2013 im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt ordnungsgemäß beteiligt. Ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die er mit Schreiben vom 30.07.2013 auch wahrnahm. Darüber hinaus wurde ihm hinreichend Gelegenheit zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten gegeben.
- 272
aa) Der Antragsgegner war nicht verpflichtet, dem Antragsteller die in dem Aufsatz von Ebel, "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts", genannten und zum Teil unveröffentlichten Untersuchungen, Gutachten und Quellen zugänglich zu machen.
- 273
Das Mitwirkungsrecht des § 63 BNatSchG soll bewirken, dass die anerkannten Naturschutzvereinigungen mit ihrem Sachverstand in ähnlicher Weise wie Naturschutzbehörden die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege in das Verfahren einbringen. Das setzt voraus, dass ihnen Gelegenheit zur Äußerung auf der Grundlage sämtlicher für die naturschutzrechtliche Beurteilung wesentlicher Unterlagen gegeben wird. Nur wenn den Naturschutzvereinigungen das gesamte naturschutzrechtlich relevante Entscheidungsmaterial zugänglich ist, können sie die ihnen zugedachte Aufgabe effektiv erfüllen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – BVerwG 4 C 19.95 – juris RdNr. 17). § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG eröffnet jedoch kein umfassendes Akteneinsichtsrecht, sondern nur einen Anspruch auf Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten. Unter "Sachverständigengutachten" sind dabei nicht nur Äußerungen von Sachverständigen im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu verstehen, sondern auch andere vergleichbare, also sachverständige Stellungnahmen Dritter oder beteiligter Behörden. Es muss sich allerdings um "einschlägige" Sachverständigengutachten handeln. Das ist der Fall, wenn sie sich unmittelbar auf naturschutzrechtliche oder landschaftspflegerische Fragen beziehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 – BVerwG 11 A 49.96 –, juris RdNr. 34). Der Anspruch auf Einsicht gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG bezieht sich dabei auf die Originalunterlagen; die anerkannten Naturschutzvereinigungen müssen sich nicht mit einer Wiedergabe aus zweiter Hand zufrieden geben (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1997 – BVerwG 11 A 49.96 –, a.a.O., RdNr. 34). Unerheblich ist, ob die einschlägigen Unterlagen formal Bestandteil der Akten der Behörde sind. Maßgebend ist vielmehr, ob ein Gutachten zur Meinungsbildung der Behörde beigetragen hat oder bei realistischer Betrachtungsweise beitragen konnte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.12.2001 – BVerwG 4 B 91.01 –, juris RdNr. 7).
- 274
Nach diesen Grundsätzen bezieht sich das Einsichtsrecht des Antragstellers nicht auf die in dem Aufsatz von Ebel genannten (zum Teil unveröffentlichten) Untersuchungen, Gutachten und Quellen. Der Antragsgegner bezieht sich in der Begründung der Kormoranverordnung ausschließlich auf den genannten Aufsatz von Ebel, der auch dem Antragsteller vorliegt. Die weiteren in diesem Aufsatz genannten Untersuchungen lagen dem Antragsgegner nicht vor. Demzufolge wurde auch die Kormoranverordnung nicht auf diese Unterlagen gestützt. Sie sind daher nicht "einschlägig" i.S.d. § 63 Abs. 2 BNatSchG. Die Naturschutzvereinigungen haben keinen Anspruch auf Zugänglichmachung aller Quellen, auf die ein einschlägiges Sachverständigengutachten gestützt ist. Ausreichend ist, dass in dem Gutachten die Quellen genannt werden. Ein Anspruch auf Einsicht in sämtliche Quellen, die einem einschlägigen Sachverständigengutachten zugrunde liegen, würde eine nur schwer abgrenzbare und in der Tendenz unendliche Kette von weiteren Einsichtnahmen nach sich ziehen. Dies würde den durch das Beteiligungsrecht nach § 63 Abs. 2 BNatSchG gezogenen Rahmen deutlich überschreiten.
- 275
bb) Der Antragsgegner hat auch nicht seine Verpflichtung verletzt, dem Antragsteller Gelegenheit zur Einsicht in die ihm im Zeitpunkt der Gesprächsrunde am 01.07.2013 vorliegenden einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben.
- 276
Um den anerkannten Naturschutzvereinigungen die Möglichkeit zu eröffnen, von ihrem Einsichtsrecht effektiv Gebrauch zu machen, müssen sie grundsätzlich auf die Existenz einschlägiger Gutachten hingewiesen werden (vgl. HessVGH, Beschl. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88 –, juris RdNr. 17; Urt. v. 10.03.1992 – 2 UE 969/88 –, juris RdNr. 34; Urt. v. 01.06.2004 – 2 A 3239/03 –, juris RdNr. 41; Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 63 RdNr. 50; Konrad, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, a.a.O., § 63 BNatSchG RdNr. 9; Leppin, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 63 RdNr. 12). Einer besonderen Unterrichtung bedarf es jedoch nicht, wenn die Anhörungsbehörde davon ausgehen darf, dass der jeweilige Verband aufgrund der Hinweise in den Unterlagen oder anderer Umstände bereits Kenntnis von der Existenz bestimmter Gutachten hat oder haben muss (vgl. HessVGH, Beschl. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88 –, a.a.O.; Urt. v. 10.03.1992 – 2 UE 969/88 –, a.a.O.; Urt. v. 01.06.2004 – 2 A 3239/03 –, a.a.O.). Die anerkannten Naturschutzverbände trifft deshalb auch eine gewisse Mitwirkungslast, die darauf gerichtet ist, sich in angemessenem Umfang selbst um die erforderlichen Informationen zu bemühen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.10.1993 – BVerwG 4 A 9.93 –, juris RdNr. 9; HessVGH, Beschl. v. 11.07.1988 – 2 TH 740/88 –, a.a.O., RdNr. 19; Urt. v. 10.03.1992 – 2 UE 969/88 –, a.a.O., RdNr. 34; Urt. v. 01.06.2004 – 2 A 3239/03 –, a.a.O., RdNr. 41). Diese Mitwirkungslast kann darin bestehen, bei der zuständigen Behörde nachzufragen, ob und ggf. welche weiteren Unterlagen vorhanden sind, die für die naturschutzrechtliche Beurteilung maßgebend sind, soweit für die Existenz weiterer Gutachten entsprechende Anhaltspunkte bestehen. Soweit anzunehmen ist, dass sich die Behörde nicht gegen eine Einsichtnahme in ihren Räumen sperren wird, kann es auch geboten sein, sich dort Kenntnis vom Umfang und vom Inhalt der einschlägigen Unterlagen zu verschaffen. Nimmt ein Naturschutzverband in einem solchen Fall die Gelegenheit, die vorhandenen Gutachten bei der zuständigen Behörde zu erfragen bzw. einzusehen, nicht wahr, so hat er ein etwaiges Informationsdefizit seiner eigenen Untätigkeit zuzuschreiben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.10.1993 – BVerwG 4 A 9.93 –, a.a.O., RdNr. 9). Das kann insbesondere bei der Vorbereitung einer naturschutzrechtlichen Verordnung der Fall sein, sofern anzunehmen ist, dass hierfür eine Vielzahl von Untersuchungen von der zuständigen Behörde ausgewertet wird.
- 277
Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsgegner das Beteiligungsrecht des Antragstellers aus § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nicht dadurch verletzt, dass er den Antragsteller vor der Gesprächsrunde am 01.07.2013 nicht auf die bei ihm vorhandenen einschlägigen Gutachten hingewiesen hat, sondern ihm lediglich das Einladungsschreiben vom 12.06.2013 nebst dem Entwurf der Kormoranverordnung sowie der Begründung vom 30.05.2013 zugesandt hat. Er war insbesondere nicht verpflichtet, den Antragsteller auf die bei ihm vorhandenen "Kormoranberichte" sowie die in einem internen Vermerk vom 27.06.2013 zur Vorbereitung der Gesprächsrunde am 01.07.2013 als Anlagen 1 – 12 aufgeführten Unterlagen hinzuweisen bzw. diese dem Antragsteller zur Vorbereitung des Termins (in Kopie) zu übersenden. Der dem Antragsteller übersandte Entwurf der Begründung der Kormoranverordnung vom 30.05.2013 enthält mehrere Hinweise auf weitere Untersuchungen, etwa auf "widersprüchliche Ergebnisse wissenschaftlicher Studien" (S. 2), "zahlreiche Untersuchungen" zu den Auswirkungen des Kormorans auf die Fischbestände "auch im Land Sachsen-Anhalt" (S. 2), aufgezeigte Folgen des Kormoranfraßes für größere Teile der gefährdeten Äschenbestände (S. 3), festgestellte Schäden an Fischbeständen in vielen Gewässern des Landes Sachsen-Anhalt (S. 3), einen Bericht des Landesverwaltungsamtes zur Evaluierung der bisherigen Verfahrensweise im Land Sachsen-Anhalt vom 01.09.2010 (S. 3), Zahlen des BMELV-Jahresberichts Fischwirtschaft sowie des Berichts des Bundeslandes Sachsen-Anhalt zum Jahresbericht über die Deutsche Binnenfischerei zum Beleg des zunehmenden Einflusses des Kormorans auf die Fischbestände in Sachsen-Anhalt (S. 4, Fußnote 2), eine Untersuchung des Büros für Gewässerökologie und Fischereibiologie Dr. Ebel in Halle zur Bestandssituation und Bestandsentwicklung von Fischarten in ausgewählten Gewässern Sachsen-Anhalts für den Zeitraum 2000 bis 2011 (S. 4) sowie Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen zum Einfluss des Kormorans in anderen europäischen Regionen (S. 4). Aus diesen Bezugnahmen auf (weitere) wissenschaftliche Untersuchungen konnte der Antragsteller schließen, dass dem Antragsgegner (zahlreiche) einschlägige Sachverständigengutachten i.S.d. § 63 Abs. 2 BNatSchG vorlagen, die möglicherweise nicht (im Internet) veröffentlicht und ihm auch nicht bekannt waren. Dies hätte er zum Anlass nehmen können, vor dem Gesprächstermin am 01.07.2013 oder vor Abgabe seiner Stellungnahme vom 30.07.2013 bei dem Antragsgegner nachzufragen, welche Studien bei diesem vorhanden und Grundlage des Entwurfs der Kormoranverordnung waren. Dies hat er jedoch nicht getan; vielmehr hat er ohne weitere Nachfrage die Stellungnahme zum Entwurf der Kormoranverordnung vom 30.07.2013 abgegeben. Ein hieraus resultierendes Informationsdefizit hat er sich damit selbst zuzuschreiben.
- 278
Der Antragsteller kann auch nicht geltend machen, es fehle an einer formell ausreichenden Beteiligung, da das Schreiben des Antragsgegners vom 12.06.2013 keinen Hinweis auf die Mitwirkung gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG enthalten habe, so dass er damit habe rechnen können, noch einmal förmlich nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG beteiligt zu werden. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass das Schreiben vom 12.06.2013 selbsterklärend war und keinen Anlass zu Missverständnissen gab. Der Antragsteller wurde hierin zu einer gemeinsamen Erörterung des Entwurfs der Kormoranverordnung in das Dienstgebäude des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt eingeladen. Es liegt nahe anzunehmen, dass der Antragsgegner hiermit seiner Verpflichtung zur Beteiligung der anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nachkommen wollte. Einer ausdrücklichen Nennung der Vorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG bedurfte es hierfür nicht. Spätestens die Anhörung am 01.07.2013 war als förmliche Beteiligung des Antragstellers i.S.d. § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG erkennbar.
- 279
b) Der Antragsteller musste auch nicht nach der Gesprächsrunde vom 01.07.2013 erneut beteiligt werden. Insbesondere war der Antragsgegner nicht verpflichtet, dem Antragsteller Gelegenheit zur Einsicht in die Stellungnahmen des Instituts für Binnenfischerei Potsdam-Sacrow vom 02.07.2013 sowie des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt vom 23.07.2013 zu geben.
- 280
Eine erneute Beteiligung der Naturschutzverbände ist erforderlich, wenn sich nach ordnungsgemäß durchgeführter erstmaliger Beteiligung zusätzliche naturschutzrechtliche Fragen stellen, weil das naturschutzrechtlich relevante Material durch neue Gutachten oder ihnen vergleichbare Stellungnahmen Dritter oder eigene Untersuchungen der Behörde nachträglich erweitert und die Entscheidung darauf gestützt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 – BVerwG 4 C 19.95 –, juris RdNr. 18; Urt. v. 31.01.2002 – BVerwG 4 A 15.01 –, juris RdNr. 18; Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, a.a.O., § 63 RdNr. 41). Es bedarf auch dann einer erneuten Beteiligung, wenn sich zusätzliche naturschutzrechtliche Fragen stellen, weil die ursprünglich angestellten naturschutzfachlichen Erwägungen die Planung nicht mehr tragen (vgl. SaarlOVG, Urt. v. 20.07.2005 – 1 M 2/04 –, juris RdNr. 102).
- 281
Gemessen daran war eine erneute Beteiligung des Antragstellers nach Durchführung der Anhörung am 01.07.2013 nicht erforderlich. Weder die Stellungnahme des Instituts für Binnenfischerei e.V. Potsdam-Sacrow noch die Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz enthielten neue naturschutzfachliche Erkenntnisse, auf die die Kormoranverordnung gestützt wurde. Die Stellungnahme des Instituts für Binnenfischerei e.V. Potsdam-Sacrow enthielt lediglich die Empfehlung, auch während der Brutzeit den Abschuss von "immaturen Vögeln" freizugeben, damit im Zeitraum der intensivsten Besatzaktivitäten zum Schutz der Aalbestände die Vergrämung der Kormorane von den Besatzstrecken aufrecht erhalten werden könne. Dies ist kein grundlegend neuer Gedanke, denn bereits in der Begründung des Entwurfs der Kormoranverordnung vom 30.05.2013 hatte der Antragsgegner erwogen, dass die obere Naturschutzbehörde auf der Grundlage einer im Entwurf noch vorgesehenen Ermächtigung zur Zulassung weiterer Ausnahmen die Vergrämungsabschüsse auch ganzjährig für immatur gefärbte, nicht am Brutgeschäft beteiligte Kormorane zulassen könne (S. 9). Hierzu hatte der Antragsteller mit Schreiben vom 30.07.2013 auch Stellung genommen. Die Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz enthält ebenfalls keine neuen naturschutzfachlichen Erkenntnisse, die Grundlage der Kormoranverordnung geworden sind. In dieser Stellungnahme wurde der Entwurf der Kormoranverordnung lediglich auf der Grundlage der auch vom Antragsteller geteilten fachlichen Annahmen kritisiert. Diese Stellungnahme wurde der Verordnung nicht zugrunde gelegt; vielmehr wies der Antragsgegner die geltend gemachten Einwände des Landesamtes für Umweltschutz – von Ausnahmen abgesehen – im Rahmen der Abwägung zurück. Hieraus ergibt sich keine Notwendigkeit zur Wiederholung des Beteiligungsverfahrens.
- 282
2. Selbst wenn eine Verletzung des Mitwirkungsrechts des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG vorliegen sollte, dürfte dies nicht zur Ungültigkeit der Kormoranverordnung führen. Der hierin liegende Rechtsverstoß dürfte vielmehr unbeachtlich sein, da er die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat. Verfahrensfehler bei der Beteiligung anerkannter Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 BNatSchG dürften bei der Zulassung von Ausnahmen von den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 BNatSchG gemäß § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG durch Rechtsverordnung unter den in § 46 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA) geregelten Voraussetzungen unbeachtlich sein.
- 283
Es ist anerkannt, dass eine Verletzung des § 63 Abs. 2 BNatSchG (§ 29 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG a.F.) im Regelfall folgenlos bleibt, sofern den anerkannten Naturschutzvereinen die Möglichkeit einer Verbandsklage offensteht, die eine materiell-rechtliche Prüfung einschließt, und der Beteiligungsmangel die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – BVerwG 4 A 15.01 –, a.a.O., RdNr. 20; HessVGH, Beschl. v. 23.10.2002 – 2 Q 1668/02 –, juris RdNr. 20; Urt. v. 01.06.2004 – 2 A 3239/03 –, a.a.O., RdNr. 45; SaarlOVG, Urt. v. 20.07.2005 – 1 M 2/04 –, a.a.O., RdNr. 97). Zwar bezieht sich diese Rechtsprechung auf Verwaltungsakte, auf die § 46 VwVfG unmittelbar anwendbar ist. Es dürfte aber viel dafür sprechen, dass eine verfahrensfehlerhafte Verletzung des Mitwirkungsrechts einer anerkannten Naturschutzvereinigung gemäß § 63 Abs. 2 BNatSchG auch bei dem Erlass einer Rechtsverordnung i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG unbeachtlich ist, soweit sich dieser Verfahrensfehler nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben kann und der Naturschutzvereinigung ein materielles Überprüfungsrecht zusteht. Soweit demgegenüber zum Teil (noch) vertreten wird, die Verletzung des Beteiligungsrechts eines Naturschutzverbandes bei dem Verfahren zum Erlass einer Rechtsverordnung habe stets die Nichtigkeit der Rechtsvorschrift zur Folge (vgl. HessVGH, Beschl. v. 18.12.1998 – 11 NG 3290/98 –, juris RdNr. 19; Hesselhaus, in: Frenz/Müggenborg, a.a.O., § 63 RdNr. 47), dürfte hieran nicht uneingeschränkt festzuhalten sein.
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Zwar dürften Verstöße gegen Beteiligungsregelungen regelmäßig beachtlich sein und zur Nichtigkeit einer Rechtsverordnung führen. Es kann nicht ohne besondere Rechtfertigung auf die für Verwaltungsakte geltende Vorschrift des § 46 VwVfG zurückgegriffen werden. Zieht man Regelungen orientierungshalber heran, die der Gesetzgeber dort erlassen hat, wo ihm die Normerhaltung ein besonderes Anliegen war, insbesondere §§ 214 ff. BauGB, so zeigt sich, dass die Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich als beachtlich anzusehen ist (vgl. § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB). Insoweit gibt es auch keine zusätzlichen Anforderungen, etwa die konkrete Möglichkeit einer anderen Normsetzungsentscheidung (keine Entsprechung zu § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Dieser Rechtsgedanke dürfte daher erst recht in Rechtsbereichen gelten, in denen der Gesetzgeber nicht eigens im Interesse der Normerhaltung tätig geworden ist (vgl. BayVGH, Urt. v. 11.04.2000 – 22 N 99.2159 –, juris RdNr. 23, Urt. v. 04.08.2008 – 22 N 06.1407 –, juris RdNr. 39).
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Die Verletzung von Beteiligungsregelungen im Normsetzungsverfahren dürfte jedoch dann nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Norm führen, wenn ausgeschlossen werden kann, dass die Norm ohne den Verfahrensfehler einen anderen Inhalt erhalten hätte ist (vgl. BayVGH, Urt. v. 11.04.2000 – 22 N 99.2159 –, a.a.O., RdNr. 24; Urt. v. 04.08.2008 – 22 N 06.1407 –, a.a.O., RdNr. 41). Dies dürfte insbesondere dann gelten, wenn die Rechtsordnung eine bestimmte Sachentscheidung sowohl in Form eines Verwaltungsakts als auch in Form einer Rechtsnorm zulässt, die Rechtsform der Entscheidung somit austauschbar ist. In derartigen Fällen dürften unterschiedliche Fehlerfolgen bei der Verletzung von Mitwirkungsrechten von anerkannten Naturschutzvereinigungen, je nachdem, ob es sich um die Mitwirkung bei dem Verfahren auf Erlass eines Verwaltungsakts (in Form einer Allgemeinverfügung) oder einer Rechtsnorm handelt, nicht sachgerecht sein. Maßgeblich für die Unwirksamkeit einer Rechtsverordnung infolge einer verfahrensfehlerhaften Beteiligung einer anerkannten Naturschutzvereinigung dürfte in diesen Fällen sein, ob dieser ein inhaltliches Überprüfungsrecht zusteht und ob ausgeschlossen werden kann, dass sich die Verletzung des Mitwirkungsrechts auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat.
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Nach diesen Grundsätzen dürfte im vorliegenden Fall eine etwaige Verletzung des Mitwirkungsrechts des Antragstellers gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG nicht zur Ungültigkeit der Kormoranverordnung führen. Die Zulassung einer Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG ist sowohl durch Verwaltungsakt (Allgemeinverfügung) als auch durch Rechtsverordnung möglich. Dem Antragsteller steht gegen die Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG durch Rechtsverordnung auch ein materielles Überprüfungsrecht zu (vgl. Beschl. d. Senats v. 23.03.2017 – 2 K 127/15 –, juris; vgl. auch § 63 Abs. 2 Nr. 4b i.V.m. § 64 Abs. 1 BNatSchG n.F.). Schließlich kann ausgeschlossen werden, dass die Kormoranverordnung bei einer Beteiligung des Antragstellers unter Beachtung der von ihm für erforderlich gehaltenen Modalitäten einen anderen Inhalt erhalten hätte. Die von ihm geltend gemachten Einwände gegen die Kormoranverordnung sind im Kern bereits in der Stellungnahme des Landesamtes für Umweltschutz vom 23.07.2013 enthalten. Diese hat der Antragsgegner vor Erlass der Kormoranverordnung zur Kenntnis genommen und abgewogen. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die Entscheidung des Antragsgegners nicht anders ausgefallen wäre, wenn der Antragsteller die im Normenkontrollverfahren vorgetragenen Einwände bereits im Verfahren auf Erlass der Kormoranverordnung angeführt hätte.
- 287
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
- 288
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
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