Urteil vom Sozialgericht Trier (4. Kammer) - S 4 R 9/16
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt im Zugunstenverfahren die Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 24.10.2007, mit dem die Beklagte von ihm den Betrag von insgesamt 67.767,15 € zurückgefordert hatte.
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Dem am ….1943 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 02.07.1996 seitens der Beklagten (damals LVA ….) ab dem 01.10.1992 Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt.
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In der Zeit vom 01.03.2001 bis 31.03.2004 übte der Kläger eine selbständige Tätigkeit aus, unterrichtete die Beklagte hierüber aber nicht. Nachdem diese hiervon Kenntnis erlangt hatte, hob sie mit Bescheid vom 31.08.2006 die mit Bescheid vom 02.07.1996 gewährte Rentenbewilligung ab dem 01.03.2001 auf. Die erhaltene Rente sei zu erstatten, worüber ein gesonderter Bescheid ergehe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2007 zurückgewiesen und sodann mit gesondertem Bescheid vom 24.10.2007 gemäß § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit für den Zeitraum vom 01.03.2001 bis 30.09.2006 in Höhe von (iHv) insgesamt 67.767,15 € von dem Kläger gefordert.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich gegen den Bescheid vom 31.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2007 erhobenen Klage zum Ruhen gebracht. Die Klage wurde von dem Sozialgericht (SG) Landshut durch Urteil vom 11.01.2001 abgewiesen (Az.: S 12 R 837/08 A). In diesem Verfahren verwies der damalige Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 28.10.2010 darauf, es sei schon zweifelhaft, ob der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Rente zustehe. Ein solcher werde aber in jedem Fall nach Restschuldbefreiung in dem Insolvenzverfahren nicht mehr durchsetzbar sein. Es stelle sich daher die Frage nach dem Sinn der Durchführung des Klageverfahrens. In dem vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG; Az.: L 13 R 551/11) geführten Berufungsverfahren schlossen der Kläger und die Beklagte im Rahmen eines Erörterungstermins am 17.05.2013 folgenden Vergleich:
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I. Die Beklagte erklärt sich bereit, dem Kläger ab dem 01.04.2004 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
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II. Die Beklagte behält die vollständige Nachzahlung zur teilweisen Abdeckung der aufgelaufenen Überzahlung ein.
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III. Der Klägerbevollmächtigte reicht bis spätestens 31.07.2013 bei der Beklagten einen Nachweis des zuständigen Sozialhilfeträgers über die Bedürftigkeit des Klägers ein. Die Beklagte wird dann im August 2013 über eventuelle Einbehaltungen an der laufenden Rente des Klägers entscheiden. Wird keine Bescheinigung eingereicht, wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Hälfte des Rentenzahlbetrags einbehalten.
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IV. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit vollumfänglich erledigt ist.
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Vor Abschluss des Vergleiches führten die Beteiligten mehrfach Schriftverkehr, in welchem u. a. die Beklagte mit Schreiben vom 5.4.2013 erörterte, aus ihrer Sicht sei sie nicht Insolvenzgläubiger, weil die Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst durch den Aufhebungsbescheid entstanden sei. Der Erstattungsbescheid sei daher zu Recht ergangen.
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Zwischenzeitlich hatte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 04.10.2006 ab dem 01.08.2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt. Für die Zeit vom 01.08.2006 bis 31.10.2006 sei eine Nachzahlung iHv 3.104,37 € zu leisten, die jedoch vorläufig einbehalten werde. Mit Bescheid vom 16.11.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.04.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, die mit dem 31.07.2006 wegfalle. Die Nachzahlung für die Zeit vom 01.04.2004 bis 31.07.2006 iHv 27.994,96 € werde ebenfalls vorläufig zur möglichen Verrechnung der seit dem 01.03.2001 entstandenen Überzahlung einbehalten.
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Mit Anhörungsschreiben vom 24.10.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, die - u.a. mit Bescheiden vom 04.10.2006 und vom 16.11.2006 -einbehaltenen Nachzahlungen iHv insgesamt 31.572,29 € mit der Überzahlung iHv 67.767,15 € zu verrechnen, so dass noch eine Restüberzahlung iHv 36.194,86 € verbleibe.
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Über das Vermögen des Klägers wurde am 15.7.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet (Az.: 96/IK 115/05). Zum 15.7.2011 wurde Restschuldbefreiung erteilt.
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Mit Bescheid vom 08.05.2014 berechnete die Beklagte die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.05.2014 neu. Dabei rechnete sie mit monatlich 591,61 € auf.
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Mit Schreiben vom 14.06.2014 forderte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte auf, das Widerspruchsverfahren gegen den Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 fortzusetzen. Der Bescheid sei nichtig. Die Beklagte sei zu dem Erlass des Erstattungsbescheides nicht berechtigt gewesen, weil es sich um eine Insolvenzforderung gehandelt habe. Er habe bereits im Anhörungsverfahren mitgeteilt, dass ein Privatinsolvenzverfahren geführt werde. Das Insolvenzverfahren über sein Vermögen sei am 15.07.2005 eröffnet worden. Die Beklagte habe die Erstattungsforderung somit zur Tabelle anmelden müssen.
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Nachdem die Beklagte keinen Widerspruchsbescheid erließ, erhob der Kläger am 5.12.2104 Untätigkeitsklage vor dem SG Trier. Der Erstattungsbescheid sei nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Bayerischen LSG gewesen und daher auch nicht von der Erledigtenklärung umfasst. Der Bescheid sei in dem Vergleich nicht einmal erwähnt.
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Das Sozialgericht Trier wies die Untätigkeitsklage durch Urteil vom 19.6.2015 (Az.: S 7 R 374/14) ab. Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein. Die Berufung wurde durch Urteil des Landessozialgerichts vom 2.11.2016 zurückgewiesen (Az.: L 4 R 336/15). Der Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 sei in dem Vergleich vom 17.5.2013 zwar nicht ausdrücklich erwähnt worden, ebenso wenig seien aber die Aufhebungsbescheide erwähnt worden, so dass die Auslegung, wonach der Erstattungsbescheid Gegenstand des Vergleichs geworden sei, hierdurch nicht gehindert werde. Auch sei die „Überzahlung“, die auch in dem Vergleich benannt werde, bereits Gegenstand der Bewilligungsentscheidung über die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung durch den Bescheid vom 16.11.2006 gewesen. Die Terminologie werde einheitlich gebraucht und für den Betrag der Rückforderung verwendet. Auch in der Klageschrift des Bevollmächtigten des Klägers in dem Verfahren vor dem Bayerischen LSG sei die „Rückforderung“ ausdrücklich von dem damaligen Bevollmächtigten thematisiert worden.
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In einem gesonderten Verwaltungsverfahren überprüfte die Beklagte den Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 gemäß § 44 SGB X. Sie erklärte sich bereit, den Antrag auf Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens als Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X auszulegen, wenn im Gegenzug der Widerspruch zurückgenommen werde. Hiermit erklärte sich die Bevollmächtigte des Klägers zunächst nicht einverstanden.
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Am 20.1.2015 lehnte es die Beklagte ab, den Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 im Zugunstenverfahren aufzuheben. Es verbleibe bei der Rückzahlungsverpflichtung, wie sie nach der Verrechnung mit den Nachzahlungen aus den Bescheiden vom 4.10.2006 und 16.11.2016 noch bestehe.
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Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Über den Widerspruch sei noch nicht entschieden worden.
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Den Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 4.1.2016 zurück. Die Entscheidung über die Erstattungsforderung sei durch den Vergleich vom 17.5.2013 getroffen worden. Davon sei auch der Bescheid vom 24.10.2007 umfasst. Das Widerspruchsverfahren gegen den Erstattungsbescheid sei hierdurch erledigt worden. Der Antrag auf Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens sei daher als Antrag nach § 44 SGB X ausgelegt worden. Auch der Erstattungsbescheid sei aber nicht rechtswidrig. Entscheidend sei der Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides. Die Erstattungsforderung sei erst zu dem Zeitpunkt begründet worden, in dem der Rentenbescheid, der ursprünglich die Grundlage für das „Behaltendürfen“ der Leistungen sei, aufgehoben worden sei. Dies sei erst nach Eröffnung der Insolvenz der Fall gewesen.
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Am 5.1.2016 hat der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben. Der Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 sei nicht Gegenstand des Vergleichs vom 17.5.2013 gewesen. Der Erstattungsbescheid sei auch nichtig. Er leide an einem besonders schweren Fehler. Aufgrund der zum 15.7.2005 eingetretenen Insolvenz sei der Beklagte nicht befugt gewesen, an den Kläger für alle Forderungen in dem Zeitraum vom 1.3.2011 bis 31.3.2004 einen Erstattungsbescheid zu richten, denn die Rückforderungsansprüche seien in diesem Zeitraum bereits i. S. des § 38 InsO begründet gewesen. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung u.a. des BGH (Beschluss v. 22.9.2011 – IX ZB 121711; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.4.2011, L 11 KA 113/10 B; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9.10.2014, L 5 AS 673/13; SG Magdeburg, Urteil v. 11.7.2007, S 12 KA 711/06). Es handele sich um Insolvenzforderungen, weil der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sei. Die Forderung könne daher gemäß § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des Überprüfungsbescheides vom 20.1.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.1.2016, den Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 im Zugunstenverfahren (§ 44 SGB X) aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid seien weiterhin zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, sie hat aber keinen Erfolg. Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht den Antrag des Klägers auf Überprüfung des Erstattungsbescheides vom 24.10.2007 abgelehnt, weil der Erstattungsbescheid Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs vor dem Bayerischen Landessozialgerichts war, mit dem das Streitverhältnis zwischen den Beteiligten abschließend geregelt wurde. Die dem Vergleich zu Grunde liegenden Bescheide sind daher einer erneuten Prüfung im Rahmen des § 44 SGB X entzogen.
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Die Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten vor dem Bayerischen Landessozialgericht vom 17.5.2013 ist ihrer Rechtsnatur nach ein Vergleich. Das SGG enthält in § 101 Absatz 1 keine Definition des Vergleichs, sondern setzt diese als bekannt voraus. Eine Definition findet sich in § 779 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Danach ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (vgl. auch § 54 Abs. 1 SGB X). Dies ist hier geschehen. Soweit zwischen den Beteiligten umstritten war, ob die Beklagte befugt war, den Rückforderungsbescheid überhaupt zu erlassen, ist diese Ungewissheit beseitigt worden. Zugleich bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.4.2004 anstelle der Rente wegen voller Erwerbsminderung die Altersrente für schwerbehinderte Menschen und die Beteiligten regelten zudem die Durchführung der Rückzahlung der Erstattungsforderung. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit dieses Vergleichs gibt es nicht. Sie sind auch von den Beteiligten nicht geltend gemacht worden.
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Der Erstattungsbescheid vom 24.10.2007 ist auch Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs vor dem Bayerischen Landessozialgericht vom 17.5.2013. Das Gericht folgt den zutreffenden Ausführungen des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in dem Urteil vom 2.11.2016 (L 4 R 336/16) und des SG Trier in dem Urteil vom 19.6.2015 (S 7 R 374/14) zu Inhalt und Umfang des Vergleichs vom 17.5.2013 und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. In entsprechender Anwendung des § 136 Absatz 3 SGG wird insoweit auf die weitere Darstellung verzichtet. Der anwaltlich vertretene Kläger hat durch diesen Vergleich mit der Beklagten einen materiell rechtlichen Vertrag geschlossen, wonach die Erstattungsforderung, so wie sie mit dem Bescheid vom 24.10.2007 geltend gemacht wurde, mit der Rente für schwerbehinderte Menschen verrechnet wird.
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Diesem Vergleichsschluss stand auch das Insolvenzverfahren des Klägers nicht entgegen, denn dieses wurde zum 15.7.2011 abgeschlossen, dem Kläger wurde Restschuldbefreiung erteilt. Selbst wenn man mit der Bevollmächtigten des Klägers davon ausginge, dass die Beklagte hinsichtlich der Erstattungsforderung Insolvenzgläubigerin gewesen wäre, stünde dies dem Vergleich nicht entgegen. Eine Restschuldbefreiung bringt nämlich die Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner nicht zum Erlöschen, sondern berechtigt nur den Schuldner, dem Gläubiger gegenüber die Leistung zu verweigern (§ 301 InsO). Die Forderung kann daher von dem Schuldner jederzeit freiwillig erfüllt, von dem Gläubiger aber nicht durchgesetzt werden (sog. Naturalobligation). Diese Wirkung der Restschuldbefreiung gestattet aber dem Schuldner jederzeit gegenüber dem Gläubiger die Erklärung, er sei bereit, die Forderung zu tilgen. Dies ist auch in dem Vergleich vom 17.5.2013 geschehen. Dies ergibt die Auslegung des Vergleichs auch vor dem Hintergrund des geführten Schriftverkehrs zwischen dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers und der Beklagten. Der Bevollmächtigte des Klägers hatte gegenüber der Beklagten nämlich bereits in dem Schriftsatz vom 28.10.2010 und zuletzt unmittelbar vor Abschluss des Vergleichs darauf hingewiesen, er gehe davon aus, ein Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Rente könne wegen des Insolvenzverfahrens nicht bestehen. Zuletzt hatte die Beklagte am 5.4.2013 nochmals die Position vertreten, sie sei nicht Insolvenzgläubigerin und die Rückforderung könne daher erfolgen. Dem Bevollmächtigten des Klägers musste auch die – aktenkundige – Restschuldbefreiung des Klägers bekannt sein. Schließt in dieser Situation ein anwaltlich vertretener Kläger in Kenntnis der gesamten Sachlage einen Vergleich, in welchem er sich zum Ausgleich der Überzahlung verpflichtet, so kann dies nicht nach dem gesetzlichen Maßstab (§§ 133, 157 BGB) für die Auslegung von Willenserklärungen nicht anders als ein Verzicht des Schuldners auf die Anwendung der Regelung des § 301 InsO gegenüber dem Gläubiger ausgelegt werden.
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Einer Aufhebung des Erstattungsbescheides vom 24.10.2007 in dem Verfahren nach § 44 SGB X steht dieser Vergleich entgegen.
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Der Vergleich selbst könnte in einem Verfahren nach § 44 SGB X nicht überprüft werden. Dies ergibt sich schon aus der Rechtsnatur des Prozessvergleichs (§ 101 SGG). Der Prozessvergleich ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Dies führt dazu, dass er selbst grundsätzlich nicht nach Maßgabe der §§ 44 SGB X überprüft werden kann, weil für seine Überprüfung die Regelungen der §§ 53 ff. SGB X vorgehen (§ 61 Satz 1 SGB X). Der öffentlich-rechtliche Vergleich führt aber zugleich dazu, dass die dem Vergleich zu Grunde liegenden Verwaltungsakte, soweit sie Gegenstand des Vergleichs sind, bestandskräftig werden (vgl. SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2016 – S 1 U 2521/16 –, juris; Müller in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 101, Rdnr. 27 und Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 101, Rdnr. 10, jeweils m.w.N). Rechtsgrundlage für die Geltendmachung der Forderung ist daher - soweit der Vergleich konstitutiv wirkt - der gerichtliche Vergleich selbst; im Übrigen der ihm zu Grunde liegende Verwaltungsakt in Gestalt des gerichtlichen Vergleichs. Soll der Vergleich seinem Inhalt nach angegriffen werden, kann dies daher nur nach Maßgabe der gesetzlichen Sonderregelungen hierfür erfolgen, nicht nach Maßgabe des § 44 SGB X, der die Überprüfung von Verwaltungsakten betrifft (so schon Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09. Juni 2011 - L 10 R 3494/08 -, Rn. 31 nach juris; SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2016 – S 1 U 2521/16 –, juris, Rn. 24).
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Im Grundsatz möglich ist aber weiterhin – und so ist der Sachverhalt auch hier gelagert – die Überprüfung der dem Vergleich zu Grunde liegenden Bescheide in dem Verfahren nach § 44 SGB X. Denn hierbei handelt es sich um Verwaltungsakte, die dem Anwendungsbereich des § 44 SGB X grundsätzlich unterfallen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Weg über § 44 SGB X nicht dazu führen darf, dass ein der Überprüfung grundsätzlich entzogener Vergleich im Wege des Verfahrens zur Überprüfung der zu Grunde liegenden Bescheide mittelbar den Regelungen des § 44 SGB X unterworfen wird. Der Gesetzgeber hat nämlich mit den Regelungen zum gerichtlichen Vergleich und durch die Sonderregelungen zur Beseitigung von Vergleichen (etwa den §§ 53 ff. SGB X) gezeigt, dass er im Vergleichsfalle der Gestaltungsfreiheit der Beteiligten innerhalb der öffentlich-rechtlichen Vorschriften den Vorrang vor dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zubilligt, der die Regelung des § 44 SGB X prägt. Dieser Vorrang ist auch berechtigt, weil die Beteiligten einen Vergleich auf der Grundlage freier Willensentschließung abschließen. Es besteht – insbesondere beim gerichtlichen Vergleich – kein Über- und Unterordnungsverhältnis und daher auch keine vergleichbare Schutzbedürftigkeit des Bürgers. Auch das Bedürfnis nach Rechtsfrieden, der hier im Konsens geschaffen wird, ist hier stärker, als bei einseitig hoheitlichem Handeln. Aus diesem Grund verneint ein Teil der Literatur die Möglichkeit der Anwendung des § 44 SGB X auch auf die dem Vergleich zu Grunde liegenden Verwaltungsakte gänzlich (vgl. z. B. v. Wulffen/Schützer, SGB X, 8. Auflage 2014, § 61 Rn. 7; w. Nw. Peters-Lange, in: SGB II/2015, S. 118, Fn. 2).
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Das Bundessozialgericht hat demgegenüber die Überprüfung der einem Vergleich zu Grunde liegenden Bescheide im Verfahren nach dem § 44 SGB X insoweit gestattet, als der Vergleich seinem Inhalt nach das Rechtsverhältnis nicht abschließend regeln soll (BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13 R, Rn. 21 nach juris; zustimmend Peters-Lange, in: SGB II/2015, S. 118 f.). Diese Auffassung überzeugt, denn wenn die Beteiligten eine abschließende Regelung beabsichtigen, bringen sie dadurch zusätzlich zum Ausdruck, dass sie gerade eine Überprüfung ausschließen wollen, weil endgültig Rechtsfrieden herrschen soll. Das Bundessozialgericht hat mit der vertretenen Auffassung in diesen Fällen das Spannungsverhältnis zwischen dem Vertrauen der Beteiligten in die Wirksamkeit einer einmal getroffenen Vereinbarung und dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zutreffend zugunsten des ersten Grundsatzes gelöst. Es gibt keinen Grund, durch eine Überprüfung der zu Grunde liegenden Bescheide nach dem Maßstab des § 44 SGB X die Regeln zu übergehen, nach deren Maßgabe der Vergleich selbst der Überprüfung unterliegt, wenn der Vergleich abschließend sein soll. Maßgeblich ist insoweit die Auslegung des Vergleichs nach den Umständen des konkreten Einzelfalles. Im vorliegenden Fall ergibt diese Auslegung, dass der Vergleich abschließend sein soll. Dies legt schon der Wortlaut der Ziffer 4 nahe, wonach die Beteiligten eine „umfängliche Erledigung“ des Rechtsstreits herbeiführen wollten. Es kommt hinzu, dass die Beteiligten in dem Vergleich ein ganzes „Paket“ streitiger Fragen zu einer Einheit verbunden haben – die Frage der Rentengewährung, die Frage der Rückforderung von Überzahlungen, die Durchführung künftiger Einbehaltungen aus der Rente. Dies spricht dafür, dass diese Einheit nicht durch die Überprüfung eines Elements im Rahmen des § 44 SGB X der Auflösung unterworfen sein soll. Letztlich ist auch die lange Dauer des Rechtsstreits (von 2007 bis 2013 nahezu 6 Jahre) als Anhaltspunkt für eine endgültige Lösung anzusehen, zumal im Rahmen des Schriftverkehrs die streitige Frage der Rückforderung, wie oben bereits dargestellt, mehrfach kontrovers zwischen dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers und der Beklagten diskutiert wurde.
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Der Vergleich und die ihm zu Grunde liegenden Verwaltungsakte sind daher einer Überprüfung nach § 44 SGB X entzogen. Es steht auch nicht in der Rechtsmacht der Beklagten – ebenso wenig in der des Klägers – entgegen dem Gesetz eine solche Überprüfung gleichwohl anzubieten.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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Referenzen
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- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
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- §§ 53 ff. SGB X 2x (nicht zugeordnet)
- § 44 SGB X 18x (nicht zugeordnet)
- InsO § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger 1x
- InsO § 87 Forderungen der Insolvenzgläubiger 1x
- InsO § 301 Wirkung der Restschuldbefreiung 2x
- SGG § 101 1x
- SGG § 193 1x
- § 54 Abs. 1 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 136 1x
- § 61 Satz 1 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- 12 R 837/08 1x (nicht zugeordnet)
- 13 R 551/11 1x (nicht zugeordnet)
- 7 R 374/14 2x (nicht zugeordnet)
- 4 R 336/15 1x (nicht zugeordnet)
- 11 KA 113/10 1x (nicht zugeordnet)
- 5 AS 673/13 1x (nicht zugeordnet)
- 12 KA 711/06 1x (nicht zugeordnet)
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